Baurecht

Erfolglose Klage des Zustandstörers gegen eine erlassene Nutzungsuntersagung (ursprünglich genehmigt: Wohnnutzung; vorgefundene Nutzung: Beherbergungsbetrieb)

Aktenzeichen  W 4 K 19.462

Datum:
3.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 34819
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO  Art. 55 Abs. 1, Art. 75 Abs. 1, Art. 76 S. 2
BauNVO § 2
BayLStVG Art. 9 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Betriebe des Beherbergungsgewerbes stellen gegenüber dem Wohnen eine eigenständige Art der baulichen Nutzung dar. Eine nach Tagen oder Wochen bemessene Mietdauer schließt die Annahme einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit regelmäßig aus. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Polizei- und Ordnungsrecht, und damit auch Art. 76 Satz 2 BayBO wird von der Tendenz beherrscht, die Suche nach dem verantwortlichen Störer zu erleichtern. Um einen raschen Zugriff auf den unter sicherheitsrechtlichen Gesichtspunkten geeignetsten Störer zu ermöglichen, kann es nicht Aufgabe der Bauaufsichtsbehörde sein, schwierige oder zeitraubende Untersuchungen tatsächlicher sowie rechtlicher Art im Zusammenhang mit der Ermittlung aller in Frage kommenden Störer durchzuführen. Nur wenn bekannt oder ohne weiteres feststellbar ist, dass mehrere Personen als Störer in Betracht kommen, haben die Verwaltungsbehörden eine Ermessensentscheidung über den oder die heranzuziehenden Störer zu treffen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen. 
II.    Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. 
III.    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet. 

Gründe

Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren ist der Bescheid des Landratsamts Miltenberg vom 2. April 2019, mit dem gegenüber der Klägerin angeordnet wurde, dass die Nutzung des Wohnhauses als Betrieb des Beherbergungsgewerbes bzw. zur Unterbringung von Arbeitskräften untersagt werde. Für den Fall der Zuwiderhandlung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000,00 EUR angedroht. Die Klägerin begehrt die Aufhebung dieser Anordnungen.
Die von ihr aus diesem Grund erhobene Anfechtungsklage ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Die mit Bescheid vom 2. April 2019 verfügte Nutzungsuntersagung (Ziffer I.) ist ebenso rechtmäßig wie die dazu erlassene Zwangsgeldandrohung (Ziffer III.) und verletzt daher die Rechte der Klägerin nicht (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die in Ziffer I. des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Nutzungsuntersagung ist rechtmäßig und verletzt somit Rechte der Klägerin nicht. Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist Art. 76 Satz 2 BayBO. Nach dieser Vorschrift kann die Nutzung einer Anlage untersagt werden, wenn sie öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht. Ein Rechtsverstoß im Sinne dieser Bestimmung, der den Erlass einer Nutzungsuntersagung rechtfertigt, liegt bei einem genehmigungspflichtigen Vorhaben schon dann vor, wenn dieses ohne Baugenehmigung ausgeführt wird. Da die Nutzungsuntersagung – insofern der Baueinstellung (Art. 75 Abs. 1 BayBO) vergleichbar – in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, kommt es insoweit nicht darauf an, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt. Allerdings darf eine wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften über die Genehmigungspflicht formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist (vgl. BayVGH, B.v. 27.2.2017 – 15 C 16.2253 – juris Rn. 33; B.v. 19.5.2016 – 15 CS 16.300 – juris Rn. 21 jeweils m.w.N.).
a. Die verfügte Nutzungsuntersagung ist vorliegend formell rechtmäßig ergangen.
Zwar wurde die Klägerin vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids nicht gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG angehört, allerdings konnte von einer solchen Anhörung vorliegend gemäß Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG abgesehen werden. Danach ist eine Anhörung nicht geboten, wenn eine sofortige Entscheidung im öffentlichen Interesse notwendig erscheint. Vorliegend stellte das Landratsamt im Rahmen einer Durchsuchung am 2. April 2019 fest, dass in einem Einfamilienhaus Matratzenlager für insgesamt 33 Personen eingerichtet waren und zwar auch in Räumen, die wegen fehlender Fenster und Öffnungen ins Freie offensichtlich nicht zu Wohnzwecken geeignet waren, wie z.B. Abstellräume im Kellergeschoss. Aufgrund dieses Umstands durfte der Beklagte ein sofortiges Handeln allein schon unter Brandschutzaspekten für geboten halten, zumal die Unterbringung von Personen in solchen Räumen zweifellos eine Gefährdung für Leib und Leben bzw. Gesundheit der untergebrachten Personen darstellt.
Sonstige, die formelle Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagung betreffende Rechtsfehler sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
b. Die Nutzungsuntersagung ist aber auch materiell rechtmäßig.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Nutzungsuntersagung liegen vor, denn die Nutzung des Anwesens … …, das als Einfamilienhaus mit Einliegerwohnung genehmigt wurde, als Unterkunft für 33 Personen steht im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Die Nutzung ist formell illegal, da sie einem Betrieb des Beherbergungsgewerbes entspricht, so dass eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung vorliegt (1.). Diese ist auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig (2.). Das Landratsamt Miltenberg hat das ihm bezüglich des Erlasses einer Nutzungsuntersagung zustehende Ermessen auch rechtsfehlerfrei ausgeübt (3.).
(1.)
Die derzeit ausgeübte bauliche Nutzung des streitgegenständlichen Anwesens ist formell illegal, da die Nutzungsänderung zum Betrieb eines Beherbergungsgewerbes nicht genehmigt ist.
Die Baugenehmigung vom 19. Januar 1979 gestattete unter Berücksichtigung der Baubeschreibung vom 11. Oktober 1978 den Bau eines Einfamilienhauses samt Einliegerwohnung im Kellergeschoss, nicht hingegen einen Beherbergungsbetrieb. Dieser stellt vielmehr gemäß Art. 55 Abs. 1 BayBO eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung einer baulichen Anlage dar.
Für die Annahme einer Nutzungsänderung genügt es, dass die Anlage wenigstens teilweise eine neue subjektive Zweckbestimmung erhält (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 9.4.2014 – 8 S 1528/13 – juris Rn. 10). Es werden aber nur solche Funktionsänderungen erfasst, die baurechtlich relevant sein können. Daher ist eine Nutzungsänderung dann anzunehmen, wenn die neue Nutzung infolge andersartiger Funktion die Genehmigungsfrage, namentlich in bauordnungsrechtlicher und bodenrechtlicher Hinsicht neu ausschöpft (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2010 – 4 C 10/09 – juris Rn. 12). Eine Nutzungsänderung im Sinne von § 29 BauGB liegt vor, sobald die jeder Nutzung eigene tatsächliche Variationsbreite überschritten wird und der neuen Nutzung unter städtebaulichen Gesichtspunkten eine andere Qualität zukommt (vgl. BVerwG, B.v. 14.4.2000 – 4 B 28/00 – juris Rn. 6 m.w.N.). Anhand der §§ 2 bis 14 BauNVO können Funktionskategorien gebildet werden. Eine Funktionsänderung ist daher anzunehmen beim Übergang von einer bestimmten Art von Nutzungen oder Art der Anlage zu einer anderen Art von Nutzung oder Anlage (vgl. Lechner/Busse in Simon/Busse, BayBO, Stand 137. EL Juli 2020 Rn. 413).
Im vorliegenden Fall liegt eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung jedenfalls des Bauplanungsrechts vor. Die am 2. April 2019 vom Beklagten vorgefundene Nutzung des streitgegenständlichen Anwesens entspricht einem Beherbergungsbetrieb. Betriebe des Beherbergungsgewerbes stellen gegenüber dem Wohnen eine eigenständige Art der baulichen Nutzung dar (vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1, § 4a Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 Alt. 2, § 5 Abs. 2 Nr. 3 und 5 Alt. 4, § 6 Abs. 2 Nr. 1 und 3 Alt. 4 BauNVO). Der vom Klägervertreter geäußerten Auffassung, auch bei der vorliegenden Nutzung handele es sich um eine Form der Wohnnutzung, ist nicht zu folgen. Maßgeblich dafür, ob ein Wohnen zu bejahen ist, ist die Zweckbestimmung des Aufenthalts in den Räumen. Von einem Wohnen ist nur bei einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit auszugehen, die sich durch die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts auszeichnet (vgl. BVerwG, B.v. 20.12.2016 – 4 B 49/16 – juris Rn. 7 m.w.N.). Ist man hingegen nur übergangsweise provisorisch für einen begrenzten Zweck mit einem nicht über einen längeren Zeitraum gleichbleibenden Bewohnerkreis in einem Anwesen untergekommen, wie vorliegend, handelt es sich um eine andere Nutzungsart als Wohnen (vgl. auch VG Schwerin, U.v. 20.12.2012 – 2 A 857/11 – juris Rn. 23; VG Karlsruhe, B.v. 13.6.2016 – 4 K 817/16 – juris Rn. 31). Eine nach Tagen oder Wochen bemessene Mietdauer schließt die Annahme einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit regelmäßig aus.
Der Begriff des Beherbergungsgewerbes umfasst eine weite Spannweite unterschiedlicher Nutzungsformen. Für einen Beherbergungsbetrieb ist in Abgrenzung zum Wohnen kennzeichnend, dass Räume ständig wechselnden Gästen zum vorübergehenden Aufenthalt zur Verfügung gestellt werden, ohne dass diese dort typischerweise eine eigene Häuslichkeit begründen (vgl. BVerwG, B.v. 31.7.2013 – 4 B 8/13 – juris Rn. 5 m.w.N.). Typischerweise gehört zum Service eines Beherbergungsbetriebs über das bloße Bereitstellen von Übernachtungsmöglichkeiten hinaus auch das Bereitstellen von Bettwäsche und Handtüchern sowie Zimmerreinigung und „Bettenmachen“. Jedoch sind diese Dienstleistungen für das Beherbergen im städtebaulichen Sinn gerade nicht erforderlich (vgl. VG Karlsruhe, B.v. 13.6.2016 – 4 K 817/16 – juris Rn. 32 m.w.N.). Das Bundesverwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die im Rahmen eines gewerblichen Betriebes beabsichtigte Unterbringung von Montage- oder Saisonarbeitern in Zwei-Bett-Zimmern nicht den Regelfall des Wohnens im bauplanungsrechtlichen Sinne darstellt (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.1992 – 4 C 43/89 – juris Rn. 16). Daraus folgt, dass nur unter besonderen Umständen bei der vorübergehenden Unterbringung von Arbeitnehmern, die in umliegenden Gewerbebetrieben gerade tätig sind, von einem Wohnen ausgegangen werden kann (vgl. VG Karlsruhe, B.v. 13.6.2016 – 4 K 817/16 – juris Rn. 32 m.w.N.).
Gemessen daran begegnet die Einstufung des Anwesens … … durch den Beklagten als Beherbergungsbetrieb keinen rechtlichen Bedenken. Besondere Umstände, die ausnahmsweise für ein Wohnen der Arbeitnehmer sprechen, liegen nicht vor und wurden von Klägerseite auch nicht vorgetragen.
Nicht unberücksichtigt bleiben darf für die Abgrenzung zwischen Wohnen und Beherbergung weiterhin, dass auch ein maßgebliches Kriterium ist, dass die Bewohner die Möglichkeit haben müssen, ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig zu gestalten (vgl. VG Karlsruhe, B.v. 5.4.2017 – 4 K 2235/17 – juris). Diese Möglichkeit besteht im streitgegenständlichen Anwesen zweifellos nicht. Die vom Beklagten vorgelegten Bilder zeigen zwar, dass es auch eine Küche gibt, so dass eine gewisse Eigengestaltung der Haushaltsführung wohl möglich ist, weil Mahlzeiten selbst zubereitet werden können. Ein selbst gestaltbarer häuslicher Wirkungskreis von Dauer ist aber gemäß den dem Gericht vorgelegten Bildern in den Räumen des Anwesens nicht möglich. Die Küche müssen sich offensichtlich alle Bewohner teilen, ebenso die Sanitäranlagen. Dies ist zwar in einer Wohngemeinschaft nicht anders, allerdings bewohnen Mitglieder einer Wohngemeinschaft einvernehmlich gemeinsam eine Wohnung über längere Zeit und haben die Möglichkeit des Rückzugs in das eigene Zimmer. Das erforderliche Mindestmaß an selbstbestimmtem Wohnen mit privaten Rückzugsmöglichkeiten für die einzelnen Bewohner ist vorliegend gemäß den Bildern zweifellos nicht gewährleistet. Auch kann von einer Häuslichkeit, die ebenfalls Kriterium für die Abgrenzung zwischen Wohnen und Beherbergung ist, vorliegend nicht die Rede sein. So zeigt eines der am 2. April 2019 aufgenommenen Bilder einen Esszimmertisch und im unmittelbaren Anschluss hieran zwei Matratzen. Dies bestätigt die Annahme des Gerichts, dass es vorliegend gerade keine Möglichkeit eines Rückzugs in das eigene Zimmer gibt.
Schließlich ergibt sich aus den Art. 56 bis 58, 72 und 73 BayBO nicht, dass die Nutzungsänderung verfahrensfrei wäre. Insbesondere gelten für den Betrieb eines Beherbergungsgewerbes andere Anforderungen als für die bisherige Nutzung als Wohngebäude.
(2) Die Genehmigungsfähigkeit dieser Nutzungsänderung ist auch nicht offensichtlich. Das streitgegenständliche Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans „R* …“, der für dieses Quartier ein reines Wohngebiet im Sinne des § 3 der BauNVO 1977 festsetzt. Nach dieser Vorschrift dienen reine Wohngebiete ausschließlich dem Wohnen. Regelmäßig zulässig sind nur Wohngebäude (§ 3 Abs. 2 BauNVO 1977). Auf der Grundlage von § 1 Abs. 6 Nr. 1 der zum Zeitpunkt der Aufstellung des Bebauungsplans geltenden Fassung der BauNVO 1977 hat die Stadt Obernburg seinerzeit ausdrücklich festgesetzt, dass jegliche Maßnahmen gemäß § 3 Abs. 3 BauNVO 1977 für diesen Bereich des Bebauungsplans nicht Bestandteil des Bebauungsplans werden. Somit sind auch die in § 3 Abs. 3 BauNVO 1977 unter anderem genannten kleinen Betriebe des Beherbergungsbetriebs planungsrechtlich grundsätzlich unzulässig. Von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit der Nutzung kann nach alldem keine Rede sein.
(3) Die Entscheidung des Beklagten, die derzeit ausgeübte Nutzung der streitgegenständlichen Räumlichkeiten als Beherbergungsbetrieb zu untersagen, ist auch nicht ermessensfehlerhaft (§ 114 Satz 1 VwGO). Es ist kein milderes Mittel ersichtlich, durch welches der Beklagte die Einhaltung des öffentlichen Baurechts durchsetzen könnte. Das Landratsamt hat sein Ermessen entsprechend dem Zweck des Art. 76 Satz 2 BayBO ausgeübt (Art. 40 BayVwVfG).
Das dem Beklagten eingeräumte Eingriffsermessen wird in erster Linie entsprechend dem mit der Befugnisnorm verfolgten Ziel, rechtmäßige Zustände herzustellen, durch Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte bestimmt (vgl. BayVGH, U.v. 5.12.2005 – 1 B 03.3567 – juris Rn. 26). Die Bauaufsichtsbehörde muss in einer Weise vorgehen, mit der die ihr obliegende Aufgabe, für die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu sorgen, möglichst effektiv erfüllt wird. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Nutzungsuntersagung vor, muss im Regelfall nicht näher begründet werden, weshalb von der Eingriffsbefugnis Gebrauch gemacht wird (BayVGH, U.v. 5.12.2005, a.a.O.; sog. intendiertes Ermessen).
Vor diesem Hintergrund ist es auch ermessensfehlerfrei, die Klägerin als Eigentümerin des Anwesens in Anspruch zu nehmen und nicht, wie der Klägervertreter meint, die Firma A* … …, an welche das Anwesen von der Klägerin vermietet war.
Zwar ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BayVGH, B.v. 28.5.2001 – 1 ZB 01.664 – juris; U.v. 22.4.1992 – 2 B 90.1348; BayVBl. 1993, 147 jeweils m.w.N.) geklärt, dass bei der Auswahl zwischen mehreren Störern in der Regel der Handlungsstörer (vgl. Art. 9 Abs. 1 LStVG) vor dem Zustandsstörer (vgl. Art. 9 Abs. 2 LStVG) in Anspruch zu nehmen ist, wenn nicht die Wirksamkeit der Maßnahme eine andere Reihenfolge gebietet. Dies gilt grundsätzlich auch für eine Nutzungsuntersagung, mit der nicht nur präventiv die künftige Nutzung untersagt, sondern auch eine bereits ausgeübte Nutzung unterbunden werden soll. In diesem Fall ist grundsätzlich zunächst der Mieter bzw. Pächter als Handlungsstörer vor dem Eigentümer bzw. Vermieter als Zustandsstörer heranzuziehen, sofern nicht zu befürchten ist, dass das Objekt einem ständig wechselnden Personenkreis überlassen wird (vgl. BayVGH zur bordellartigen Nutzung einer Wohnung, B.v. 26.2.2007 – 1 ZB 06.2296 – juris; Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand Juli 2020, Art. 76 Rn. 295).
Vorliegend besteht jedoch die Besonderheit, dass dem Beklagten zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 2. April 2019 die Vermietung des Anwesens an die Firma A* … … nicht bekannt war.
Berücksichtigt man, dass das Polizei- und Ordnungsrecht, und damit auch Art. 76 Satz 2 BayBO von der Tendenz beherrscht wird, die Suche nach dem verantwortlichen Störer zu erleichtern, um einen raschen Zugriff auf den unter sicherheitsrechtlichen Gesichtspunkten geeignetsten Störer zu ermöglichen, kann es nicht Aufgabe der Bauaufsichtsbehörde sein, schwierige oder zeitraubende Untersuchungen tatsächlicher sowie rechtlicher Art im Zusammenhang mit der Ermittlung aller in Frage kommenden Störer durchzuführen. Mit anderen Worten: Nur wenn bekannt oder ohne weiteres feststellbar ist, dass mehrere Personen als Störer in Betracht kommen, haben die Verwaltungsbehörden eine Ermessensentscheidung über den oder die heranzuziehenden Störer zu treffen.
Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Ausführungen bestand vorliegend für den Beklagten aus den bereits oben genannten sicherheitsrechtlichen Gesichtspunkten keine Veranlassung, zunächst zu ermitteln, ob ein Handlungsstörer vor der Klägerin als Zustandsstörerin heranzuziehen ist. Jedes andere Ergebnis würde der oben ausgeführten Notwendigkeit einer sofortigen Entscheidung im öffentlichen Interesse auch zuwiderlaufen.
2. Nicht zu beanstanden ist schließlich die unter Ziffer III. des streitgegenständlichen Bescheids vom 2. April 2019 verfügte Zwangsgeldandrohung für den Fall, dass das Anwesen weiterhin als Betrieb des Beherbergungsgewerbes bzw. zur Unterbringung von Arbeitskräften genutzt werde. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 31 Abs. 1, 36 Satz 1 VwZVG. Sie ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Landratsamt gegenüber der Mieterin, der Firma A* … …, zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses noch keine Duldungsanordnung erlassen hat. Die Zwangsgeldandrohung ist ein aufschiebend bedingter Leistungsbescheid über eine Geldforderung (vgl. Art. 31 Abs. 3 Satz 2 VwZVG). Diese entsteht bei Ablauf der Erfüllungsfrist (Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG) und wird gleichzeitig fällig (vgl. Art. 23 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG), wenn alle Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen und wenn zu diesem Zeitpunkt die durch die Grundverfügung auferlegte Pflicht nicht oder nicht vollständig erfüllt ist (Art. 31 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Abs. 1 VwZVG). Eine erforderliche Duldungsanordnung ist keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für den Erlass der Zwangsgeldandrohung, sondern eine Bedingung (Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 BayVwVfG) für das Entstehen und das Fälligwerden der Geldforderung (vgl. BayVGH v. 22.6.1977, BayVBl. 1978, 54 f.; v. 11.7.2001, BayVBl. 2002, 275/276; BayVGH, B.v. 24.2.2005 – 1 ZB 04.276 – juris Rn. 42).
Aus diesen Gründen erleidet ein Betroffener, der einer Anordnung nicht nachkommt, weil bei Beginn der Erfüllungsfrist (Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG) eine erforderliche Duldungsanordnung noch nicht erlassen wurde, keine Nachteile. Er hat die Möglichkeit im Rahmen einer Feststellungsklage die Rüge der fehlenden Duldungsanordnung geltend zu machen und dass das Zwangsgeld nicht fällig geworden ist (vgl. BayVGH v. 24.10.1974, BayVBl. 1975, 302 f.).
Auch die Zwangsgeldhöhe ist nicht zu beanstanden. Nach Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG beträgt das Zwangsgeld mindestens 15,00 EUR und höchstens 50.000,00 EUR. Nach Satz 2 dieser Norm soll das Zwangsgeld das wirtschaftliche Interesse, das der Pflichtige an der Vornahme oder am Unterbleiben der Handlung hat, erreichen, wobei nach Satz 4 der Vorschrift das wirtschaftliche Interesse nach pflichtgemäßem Ermessen zu schätzen ist. Dabei sind die Umstände des Einzelfalls und die persönlichen Verhältnisse des Pflichtigen zu berücksichtigen. Eine Begründung für die geschätzte Höhe des wirtschaftlichen Interesses ist regelmäßig nicht erforderlich (vgl. BayVGH, B.v. 16.9.2010 – 1 CS 10.1803 – juris Rn. 23 m.w.N.). Um den nötigen Nachdruck zu erzielen, soll das Zwangsgeld so bemessen werden, dass der Pflichtige keinen Vorteil aus der Nichterfüllung der Anordnung ziehen kann. Nach dem klägerseits diesbezüglich nichts Substantiiertes vorgetragen wurde, erachtet die Kammer den Betrag von 10.000,00 EUR als noch verhältnismäßig.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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