Baurecht

Erfolglose Klage gegen Beseitigungsanordnung für Gartenhütte im (faktischen) Überschwemmungsgebiet

Aktenzeichen  W 4 K 15.721

Datum:
13.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, Art. 20 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5 S. 1, Art. 55 Abs. 1, Art. 56 S. 1 Nr. 1, Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Nr. 10 lit. e, Abs. 2 Nr. 3, Art. 76 S. 1
BauGB BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 15, § 30 Abs. 1, Abs. 2, § 34, § 35 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 6, Nr. 7
WHG WHG § 31b Abs. 6, § 36 S. 2 Nr. 1, § 76 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 77 S. 1, § 78 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, § 100 Abs. 1 S. 2
BayWG BayWG Art. 20 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5 S. 1, Art. 46 Abs. 2 S. 1, Art. 58 Abs. 1 S. 2
BKleingG BKleingG § 1 Abs. 3
BayVwVfG BayVwVfG Art. 40
GG GG Art. 3 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Ein Grundstück und eine sich auf diesem Grundstück befindliche bauliche Anlage sind regelmäßig nur dann dem Innenbereich zuzuordnen, wenn sie an mindestens drei Seiten von Bebauung umgeben sind. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Bereich, der nach seinem tatsächlichen Erscheinungsbild unbebaut ist, weist nicht allein deshalb, weil er im Flächennutzungs- oder in einem Landschaftsplan als Baugebiet dargestellt ist, die Merkmale eines Bebauungszusammenhangs auf. (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei § 77 WHG handelt es sich um eine allgemeines Erhaltungsgebot, das Einzelbauvorhaben in  Überschwemmungsgebieten entgegen steht. § 77 WHG betrifft hierbei alle Arten von Überschwemmungsgebieten, festgesetzte ebenso wie ermittelte, vorläufig gesicherte und faktische. (redaktioneller Leitsatz)
4. Die fehlerhafte Duldung einzelner Anlagen begründet keinen Anspruch auf Wiederholung eines derartigen Fehlverhaltens der Behörde. Wenn sich aber baurechtswidrige Zustände häufen, ist der Gleichheitssatz verletzt, wenn es dem Einschreiten an jedem System fehlt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1) zu tragen. Die Beigeladene zu 2) trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage, über die gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Die Anfechtungsklage bleibt ohne Erfolg, da der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 30. Juni 2015 rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Bescheid ist sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht rechtmäßig. Die nach Art. 28 BayVwVfG erforderliche Anhörung ist mit Schreiben des Landratsamts Aschaffenburg vom 22. Januar 2014 (Bl. 13 d. Behördenakte) erfolgt.
I.
Es kann vorliegend dahin stehen, ob richtige Rechtsgrundlage für die angegriffene Beseitigungsanordnung Art. 76 Satz 1 BayBO oder der grundsätzlich vorrangige § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG i.V.m. Art. 58 Abs. 1 Satz 2 WHG (Gößl in Sieder/Zeitler, WHG, Stand: Mai 2016, § 100 Rn. 59 ff.; Molodovsky/Famers, BayBO, Stand: August 2016, Art. 76 Rn. 9 f., Art. 54 Rn. 23-26) ist, da die Voraussetzungen beider Vorschriften hier vorliegen. Die streitgegenständliche Gartenhütte ist sowohl in formell- (1.) als auch materiell-rechtlicher Hinsicht illegal (2.). Die Beseitigungsanordnung weist keine Ermessensfehler auf, insbesondere verstößt sie nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und ist verhältnismäßig (3.).
1. Die Errichtung der Gartenhütte ist formell baurechtswidrig, da die erforderliche Baugenehmigung nicht vorliegt.
Bei der streitgegenständlichen Gartenhütte handelt es sich um eine bauliche Anlage im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Satz 1 BayBO, deren Errichtung gem. Art. 55 Abs. 1 BayBO baugenehmigungspflichtig ist. Die Baugenehmigungspflicht entfällt auch nicht auf Grund von Art. 56 Satz 1 Nr. 1 BayBO, da von dieser Vorschrift Gebäude ausdrücklich ausgenommen sind (Art. 56 Satz 1 Nr. 1 BayBO a.E.). Bei der Gartenhütte handelt es sich um ein Gebäude im bauordnungsrechtlichen Sinne, da dieses selbständig benutzbar und überdeckt ist und von Menschen betreten werden kann (vgl. Art. 2 Abs. 2 BayBO).
Die Errichtung erfolgte zudem im 60 m-Bereich der Elsava, einem Gewässer dritter Ordnung, für welches nach der Rechtsverordnung der Regierung von Unterfranken vom 1. Februar 1990 (geändert am 11.10.2007) die Genehmigungspflicht begründet wurde, so dass gem. § 36 Satz 2 Nr. 1 WHG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 2 BayWG grundsätzlich auch eine wasserrechtliche Anlagengenehmigungspflicht besteht. Jedoch entfällt die wasserrechtliche Genehmigungspflicht vorliegend nach Art. 20 Abs. 5 Satz 1 BayWG auf Grund des Vorrangs der Baugenehmigung.
Der streitgegenständliche Anbau unterliegt nicht der Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 1 oder Abs. 2 BayBO.
a) Nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) BayBO sind Gebäude mit einem Brutto-Rauminhalt bis zu 75 m³ – außer im Außenbereich – verfahrensfrei. Der Verfahrensfreiheitstatbestand greift zugunsten der klägerischen Gartenhütte nicht ein, da das Baugrundstück im Außenbereich liegt. Als dem Außenbereich zugehörig gelten diejenigen Gebiete, die weder innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines Bebauungsplans i.S.d. § 30 Abs. 1 oder 2 BauGB, noch innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile (§ 34 BauGB) liegen (statt vieler: Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Auflage 2016, § 35 Rn. 2).
Die streitgegenständliche Gartenhütte liegt weder im Geltungsbereich eines Bebauungsplans noch innerhalb des Zusammenhangs bebauter Ortsteile.
Grundsätzlich erfordert das Merkmal „im Zusammenhang bebaut“ eine tatsächlich aufeinanderfolgende, zusammenhängende Bebauung (vgl. BVerwG, U.v. 17.2.1984 – 4 C 56.79 – juris). Maßgeblich ist dabei, dass die Fläche, auf der das Vorhaben verwirklicht werden soll, einen Bestandteil des Bebauungszusammenhangs bildet, also selbst am Eindruck von dessen Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit teilnimmt. Wie eng diese Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um noch als zusammenhängende Bebauung zu erscheinen, ist nicht nach geographisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Bewertung des konkreten Sachverhalts zu entscheiden (vgl. BVerwG, U.v. 6.11.1968 – IV C 31.66 – BVerwGE 31, 22). Erforderlich ist, dass die streitgegenständliche Gartenhütte einen Bestandteil des Zusammenhangs bildet, also selbst am Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit teilnimmt. Am Ortsrand endet der Bebauungszusammenhang – unabhängig vom Verlauf der Grundstücksgrenzen (vgl. BVerwG, U.v. 12.6.1970 – IV C 77.68 – BVerwGE 35, 256) – grundsätzlich hinter dem letzten Gebäude (BVerwG, U.v. 12.10.1973 – IV C 3.72 – juris Rn. 11). Die sich daran anschließenden selbständigen Flächen und baulichen Anlagen gehören zum Außenbereich (vgl. BVerwG, a.a.O.). Ein Grundstück und eine sich auf diesem Grundstück befindliche bauliche Anlage sind daher regelmäßig nur dann dem Innenbereich zuzuordnen, wenn sie an mindestens drei Seiten von Bebauung umgeben sind. Für die Grenzziehung zwischen Innen- und Außenbereich können jedoch auch topographische Verhältnisse, wie etwa Geländehindernisse, Erhebungen oder Einschnitte (Dämme, Böschungen, Gräben, Flüsse und dergleichen) eine Rolle spielen. Auch eine Straße, ein Weg oder ein sonstiges Hindernis können je nach den Umständen des Einzelfalls einen Bebauungszusammenhang herstellen oder trennende Funktion zwischen Innen- und Außenbereich haben. Die Berücksichtigung solcher äußerlich erkennbarer Umstände kann dazu führen, dass der Bebauungszusammenhang im Einzelfall nicht am letzten Baukörper endet, sondern dass ihm ein oder auch mehrere unbebaute Grundstücke bzw. bauliche Anlagen bis zu einer sich aus der örtlichen Situation ergebenden natürlichen Grenze zuzuordnen sind (vgl. BVerwG, U.v. 12.12.1990 – 4 C 40/87 – BauR 1991, 308; BVerwG, B.v. 18.6.1997 – 4 B 238/96 – NVwZ-RR 1998, 157).
Nach diesen Maßstäben liegt die streitgegenständliche Gartenhütte eindeutig im Außenbereich. Nach dem von der Kammer im Augenscheinstermin gewonnenen Eindruck nimmt die Gartenanlage der Kläger nicht am Bebauungszusammenhang östlich bzw. linksseitig der Elsava teil. Den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit des Baugrundstücks mit der linksseitig der Elsava liegenden Bebauung konnte die Kammer nicht feststellen. Vielmehr unterbricht die Elsava als natürliches Geländehindernis den Bebauungszusammenhang. Weder oberhalb noch unterhalb des Baugrundstücks besteht rechtsseitig der Elsava eine geschlossene Bebauung. Nordöstlich des Baugrundstücks schließt der Bebauungszusammenhang vielmehr mit dem Flusslauf ab und setzt sich südlich entlang der Straße „B* …“ fort. Auch besteht angesichts der weiten Entfernung kein baulicher Zusammenhang zwischen den zu beseitigenden Anlagen der Kläger und der Bebauung südlich der Hauptstraße. Der Umstand, dass das Baugrundstück im Flächennutzungsplan der Beigeladenen zu 2) als Kleingartengebiet dargestellt ist, steht der Einstufung als Außenbereich nicht entgegen, da Darstellungen des Flächennutzungsplans insoweit nicht maßgeblich sind (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: Mai 2016, § 34 Rn. 25; Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Auflage 2016, § 34 Rn. 7 jeweils m.w.N.). Denn ein Bereich, der nach seinem tatsächlichen Erscheinungsbild unbebaut ist, weist nicht allein deshalb, weil er im Flächennutzungs- oder in einem Landschaftsplan als Baugebiet dargestellt ist, die Merkmale eines Bebauungszusammenhangs auf (BVerwG, B.v. 8.11.1999 – 4 B 85.99 – juris Rn. 4).
b) Weiter ist die Errichtung der Gartenhütte auch nicht nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. e) BayBO verfahrensfrei, da von dieser Vorschrift Gebäude ausdrücklich ausgenommen sind. Wie bereits festgestellt, handelt es sich bei der streitgegenständlichen Gartenhütte um ein Gebäude im bauordnungsrechtlichen Sinne.
c) Schließlich greift auch der Verfahrensfreiheitstatbestand des Art. 57 Abs. 2 Nr. 3 BayBO nicht zugunsten der zu beseitigenden Anlagen ein, da es sich hierbei entgegen der Ansicht der Klägerbevollmächtigten nicht um Anlagen in Dauerkleingärten im Sinne des § 1 Abs. 3 BKleingG handelt. Ein Dauerkleingarten ist nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 3 BKleingG ein „Kleingarten auf einer Fläche, die im Bebauungsplan für Dauerkleingärten festgesetzt“ ist (§ 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB). Ein Dauerkleingarten setzt somit eine Festsetzung durch Bebauungsplan voraus. Vorliegend liegt für das Baugrundstück jedoch kein Bebauungsplan vor. Allein die Festsetzung im Flächennutzungsplan, auf die die Kläger hinweisen, ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut daher nicht ausreichend.
2. Die streitgegenständliche Gartenhütte steht auch in materiell-rechtlicher Hinsicht im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften, da sie nicht den Vorschriften des Bauplanungsrechts und des Wasserrechts entspricht.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens bestimmt sich nach § 35 Abs. 2 BauGB, da es nicht im Zusammenhang bebauter Ortsteile liegt (vgl. oben) und keine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 BauGB vorliegt. Insbesondere ist eine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB nicht gegeben, da die Kläger keinen landwirtschaftlichen Betrieb innehaben.
Nach § 35 Abs. 2 BauGB sind im Außenbereich sonstige Vorhaben, d.h. Vorhaben, die nicht nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegiert sind, nur ausnahmsweise zulässig, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt. Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt insbesondere dann vor, wenn das Vorhaben den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht, Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Bodenschutzes oder die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt, den Hochwasserschutz gefährdet oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt.
a) Die Errichtung der Gartenhütte der Kläger gefährdet den Hochwasserschutz. Die Vorschrift des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 Var. 3 BauGB stellt insoweit nicht lediglich eine Verweisung auf Landesrecht dar, sondern enthält eine bundesrechtlich eigenständige Anforderung (BVerwG, U.v. 20.10.1972 – IV C 1.70 – juris Rn. 9).
aa) Die Gartenhütte der Kläger gefährdet den Hochwasserschutz, da sie in einem (faktischen) Überschwemmungsgebiet liegt. Gem. § 76 Abs. 1 Satz 1 WHG sind Überschwemmungsgebiete Gebiete zwischen oberirdischen Gewässern und Deichen oder Hochufern und sonstige Gebiete, die bei Hochwasser eines oberirdischen Gewässers überschwemmt oder durchflossen oder die für Hochwasserentlastung oder Rückhaltung beansprucht werden. Nach dem Schutzzweck von § 76 Abs. 1 WHG ist auch bei der Abgrenzung nicht förmlich festgesetzter Überschwemmungsgebiete grundsätzlich von der bei einem hundertjährlichen Hochwasser überschwemmten Fläche auszugehen. In Bayern gilt insoweit gemäß der ausdrücklichen Regelung in Art. 46 Abs. 2 Satz 1 BayWG, dass bei der Ermittlung von Überschwemmungsgebieten ein hundertjährliches Hochwasserereignis zugrunde zu legen ist.
Das Ingenieurbüro B** hat das Überschwemmungsgebiet durch Untersuchung vom 5. Februar 2015 ermittelt. Entgegen der Ansicht der Klägerbevollmächtigten handelt es sich hierbei nicht um sieben verschiedene Entwürfe. Vielmehr hat das Ingenieurbüro den Ist-Zustand ermittelt (Ziff. 3 der Untersuchung) und auf dieser Grundlage verschiedene Planungsvarianten für den künftigen Hochwasserschutz erstellt. Diese Planungen sollen nach Auskunft der Beigeladenen zu 2) in absehbarer Zeit nicht umgesetzt werden, sodass der ermittelte Ist-Zustand weiterhin gilt. Nach der Untersuchung des Ingenieurbüros liegen die zu beseitigenden Anlagen der Kläger derzeit in den 100-jährlichen Überschwemmungsflächen der Elsava (Bl. 50 d. Behördenakte), d.h. sie werden beim 100-jährlichen Hochwasser überflutet (vgl. Darstellung der Überschwemmungssituation im Bereich „Im B* …“ des Ingenieurbüros B** Wasser, von der Beigeladenen zu 2) mit Schriftsatz vom 31.8.2016 vorgelegt). Die streitgegenständliche Gartenhütte liegt damit in einem Überschwemmungsgebiet i.S.d. § 76 Abs. 1 Satz 1 WHG.
bb) Eine Bebauung im Überschwemmungsgebiet gefährdet den Hochwasserschutz. Dementsprechend bestimmt § 77 Satz 1 WHG, dass Überschwemmungsgebiete nach § 76 in ihrer Funktion als Rückhalteflächen zu erhalten sind. Bei § 77 WHG handelt es sich um ein allgemeines Erhaltungsgebot, das Einzelbauvorhaben in faktischen Überschwemmungsgebieten entgegen steht (BayVGH, U.v. 31.8.2009 – 8 ZB 09.1618 – juris Rn. 7 zur Vorgängerregelung des § 31b Abs. 6 WHG; Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Stand: Februar 2014, Band I, WHG, § 77 Rn. 10a; Czychowski/Reinhardt, WHG, 11. Aufl. 2014, § 77 Rn. 3). Da es sich bei dem Hochwasserschutz um eine Gemeinwohlaufgabe von hohem Rang handelt, sind einschränkende Regelungen der Bebauung solcher Grundstücke gerechtfertigt (BVerwG, U.v. 22.7.2004 – 7 CN 1/04 – NVwZ 2004, 1507/1509).
Der Umstand, dass die vorliegende Überschwemmungsfläche weder nach § 76 Abs. 2 WHG festgesetzt, noch nach § 76 Abs. 3 WHG vorläufig gesichert wurde, steht der Anwendung des § 77 WHG nicht entgegen, da dieser – wie die Verweisung auf § 76 WHG insgesamt und nicht lediglich auf dessen Abs. 2 und 3 zeigt – allein darauf abstellt, ob faktisch ein Überschwemmungsgebiet vorliegt. Im Unterschied zu § 78 WHG betrifft § 77 WHG damit alle Arten von Überschwemmungsgebieten, festgesetzte ebenso wie ermittelte, vorläufig gesicherte und faktische (VG Regensburg, U.v. 13.8.2012 – RO 8 K 12.37 – juris Rn. 55; Hünnekens in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: Mai 2016, WHG, § 77 Rn. 3; Cormann in BeckOK Umweltrecht, Stand: 1.8.2016, WHG, § 77 Rn. 3).
cc) Selbst wenn man davon ausgeht, dass § 77 WHG grundsätzlich keine Bedeutung für die Beurteilung eines Einzelbauvorhabens hat (so BayVGH, B.v. 16.1.2009 – 1 B 07.151 – juris Rn. 11), führt dies vorliegend nicht zur Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens. Denn in diesem Fall ist die Frage, ob der öffentliche Belang der Gefährdung des Hochwasserschutzes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 BauGB) durch die Errichtung der streitgegenständlichen Gartenhütte beeinträchtigt wird (§ 35 Abs. 2 BauGB), im Wege einer „nachvollziehenden Abwägung“ (vgl. BVerwG, U.v. 27.1.2005 – 4 C 5/04 – NVwZ 2005, 578) zwischen dem Gewicht der für das Vorhaben sprechenden Gründe und dem Gewicht des öffentlichen Belangs zu entscheiden (BayVGH, a.a.O.). Das von der Rechtsprechung zur Bauleitplanung in (faktischen) Überschwemmungsgebieten herausgestellte besondere Gewicht des Erhaltungsgebots des § 77 Satz 1 WHG schlägt im Rahmen dieser Abwägung zu Buche. Ferner ist davon auszugehen, dass ein Vorhaben den Hochwasserschutz nicht gefährdet, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen es in einem festgesetzten bzw. einem vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiet nach § 78 Abs. 3 WHG zugelassen werden dürfte.
Hiervon ausgehend, fällt die Abwägung vorliegend zu Lasten der klägerischen Gartenanlagen aus, da jedenfalls die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 WHG nicht vorliegen, weil der Hochwasserabfluss durch die zu beseitigenden Anlagen nachteilig verändert wird. Auf Grund der Fließgeschwindigkeit liegen die Gartenanlagen der Kläger innerhalb des Hochwasserabflussbereiches (Darstellung der Überschwemmungssituation im Bereich „Im B* …“ des Ingenieurbüros B** Wasser, von der Beigeladenen zu 2) mit Schriftsatz vom 31.8.2016 vorgelegt). Hindernisse, wie die vorliegenden baulichen Anlagen, führen aber unweigerlich zu einer Veränderung des Hochwasserabflusses auf andere bisher nicht betroffene Gebiete und zu einem Aufstau und damit zu einer nachteiligen Veränderung der Höhe des Wasserstandes. Die Bebauung des Hochwasserabflussbereiches hat deshalb zwingend zu unterbleiben (vgl. Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Stand: Februar 2014, Band I, WHG, § 78 Rn. 31).
b) Das klägerische Vorhaben lässt zudem die Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB dient der Unterbindung einer Zersiedlung des Außenbereichs in Gestalt einer zusammenhanglosen oder aus anderen Gründen unorganischen Streubebauung (BVerwG, U.v. 26.5.1967 – IV C 25.66 – juris Rn. 15; U.v. 9.6.1976 – IV C 42.74 – juris Rn. 15; Jäde in Jäde/Dirnberger/Weiß, BauGB/BauNVO, 5. Auflage 2007, § 35 Rn. 211). Dabei ist der Begriff Siedlung und damit auch Zersiedlung nicht auf zum Wohnen bestimmte Gebäudlichkeiten beschränkt. Er erfasst vielmehr all diejenigen baulichen Anlagen, die mit dem Aufenthalt von Menschen verbunden sind, z.B. auch gewerbliche Anlagen (BVerwG, U.v. 9.6.1976 – IV C 42.74 – DÖV 1976, 572) oder Garagen (BVerwG U.v. 12.3.1998 – 4 C 10.97 – BVerwGE 106, 228). Splittersiedlung ist dabei jeder Siedlungsansatz, dem es an dem für einen Ortsteil erforderlichen Gewicht fehlt (Jäde, a.a.O., § 35 Rn. 212).
Der Vorgang der Zersiedelung des Außenbereichs wird durch die streitgegenständliche Gartenhütte in jedem Fall verstärkt. Die zu beseitigenden Anlagen der Kläger auf dem Baugrundstück bilden gemeinsam mit der auf dem Nachbargrundstück Fl.Nr. *69 vorhandenen Halle eine Splittersiedlung. Die Zulassung der Anlagen der Kläger würde das Gewicht der begonnenen Zersiedlung noch verstärken. Das Bauvorhaben stellt daher eine Fortsetzung der schon eingeleiteten, regellosen Bebauung des Außenbereichs dar.
Die Verfestigung einer Splittersiedlung ist regelmäßig städtebaulich unerwünscht und damit i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB „zu befürchten“, wenn – wie vorliegend – nicht privilegierte Vorhaben im Außenbereich errichtet werden. Für das Vorliegen einer Zersiedlung streitet gewissermaßen eine starke Vermutung (BVerwG, 3.6.1977 – IV C 37.75 – BVerwGE 54, 73; BVerwG, U.v. 26.5.1967 – IV C 25.66 – juris Rn. 15). Eine Verfestigung der Splittersiedlung wäre nur dann nicht zu befürchten, wenn sich das Bauvorhaben der vorhandenen Bebauung unterordnet, d.h. sich – ohne zusätzliche Ansprüche oder Spannungen auszulösen – organisch in eine bestehende Baulücke einfügt und keine Vorbildwirkung hat (BVerwG, 3.6.1977 – IV C 37.75 – BVerwGE 54, 73; OVG NW, U.v. 27.2.1996 – 11 A 1897/94 – ZfBR 1996, 286; Jäde, a.a.O., § 35 Rn. 219).
Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor: Die Zulassung der streitgegenständlichen Gartenhütte würde eine weitreichende, jedenfalls nicht genau übersehbare Vorbildwirkung entfalten. Eine unabweisbare Konsequenz wäre, dass in nicht verlässlich eingrenzbarer Weise noch weitere Bauten hinzutreten würden. Die Zulassung der klägerischen Anlagen würde somit einen Bezugsfall für weitere Bauvorhaben darstellen.
3. Als Rechtsfolge sehen sowohl Art. 76 Satz 1 BayBO als auch § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG i.Vm. Art. 58 Abs. 1 Satz 2 BayWG bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen ein Entschließungs- und Auswahlermessen der Bauaufsichtsbehörde vor. Die Ermessensausübung des Beklagten ist vorliegend rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Die Bauaufsichtsbehörde hat, wie die Ermessenserwägungen im Bescheid vom 30. Juni 2015 zeigen, erkannt, dass die Anordnung in ihrem pflichtgemäßen Ermessen (Art. 40 BayVwVfG) steht. Die Tatsache, dass die Bauaufsichtsbehörde überhaupt eingeschritten ist, um rechtmäßige Zustände herzustellen, bedurfte keiner besonderen Rechtfertigung (BayVGH, U.v. 28.6.2010 – 1 B 09.1911 – juris Rn. 83). Im Rahmen ihrer Abwägungsentscheidung durfte der Beklagte dem hoch zu gewichtenden Interesse der Allgemeinheit an rechtmäßigen Bauzuständen und an einer geordneten baulichen Entwicklung, insbesondere an der Vermeidung von Bezugsfällen, den Vorzug vor den privaten Interessen der Kläger an einer Belassung der Gartenhütte sowie an der Vermeidung von Abrisskosten geben.
b) Die angefochtene Beseitigungsanordnung verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Der Umstand, dass – wie die Kläger behaupten – im Umgriff des Baugrundstücks im Außenbereich weitere baurechtswidrig errichtete Gebäude vorhanden sind, kann nicht dazu führen, dass die streitgegenständliche Beseitigungsanordnung ermessensfehlerhaft wird.
Nach dem Gleichheitssatz dürfen gleich liegende Sachverhalte nicht willkürlich ungleich behandelt werden. Eine Beseitigungsanordnung kann jedoch nicht allein mit dem Argument abgewehrt werden, die Behörde schreite gegen Baurechtsverstöße in vergleichbaren anderen Fällen nicht ein; es gibt keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht. Die fehlerhafte Duldung einzelner Anlagen begründet keinen Anspruch auf Wiederholung eines derartigen Fehlverhaltens der Behörde. Wenn aber – wie vorliegend im Umgriff des Baugrundstücks rechtsseitig der Elsava – baurechtswidrige Zustände sich häufen, ist der Gleichheitssatz verletzt, wenn es dem Einschreiten an jedem System fehlt, für diese Art des (auch zeitlichen) Vorgehens keinerlei einleuchtende Gründe sprechen und deshalb die Handhabung als willkürlich angesehen werden muss (BVerwG, U.v. 2.3.1973 – IV C 40.71 – DVBl 1973, 636/639). Die Behörde muss aber rechtswidrige Zustände, die bei einer Vielzahl von Grundstücken vorliegen, nicht stets „flächendeckend“ bekämpfen, sondern darf sich auf die Regelung von Einzelfällen beschränken, sofern sie hierfür sachliche Gründe hat (BVerwG, B.v. 19.2.1992 – 7 B 106/91 – juris Ls. und Rn. 2; zum Ganzen Molodovsky/Famers, BayBO, Stand: August 2016, Art. 76 Rn. 91 ff.).
Ausgehend von diesem Maßstab stellt sich das Vorgehen des Landratsamts Aschaffenburg vorliegend nicht als willkürlich dar. Das Landratsamt Aschaffenburg hat im gerichtlichen Augenscheinstermin erklärt, dass sämtliche rechtsseitig der Elsava gelegenen baulichen Anlagen nicht genehmigt seien. Auf Grund der fehlenden Genehmigungen und der Hochwassersituation sei der gesamte Bereich aufgegriffen worden und seien Anhörungsverfahren bezüglich der Beseitigung der Anlagen eingeleitet worden. Lediglich bezüglich der Halle auf den Grundstücken Fl.Nrn. *72, *73 laufe ein wasserrechtliches Anlagengenehmigungsverfahren, da es sich hierbei um ein landwirtschaftlich genutztes Gebäude handle. Daraus ergibt sich, dass – entgegen der Ansicht der Kläger – das Landratsamt keinesfalls ausschließlich die Kläger zur Beseitigung heranzieht und alle übrigen Grundstückseigentümer unbehelligt bleiben. Vielmehr hat das Landratsamt auch bezüglich der anderen nicht genehmigten Anlagen Baubeseitigungsverfahren eingeleitet. Die vorläufige Ausklammerung der Grundstücke Fl.Nrn. *72, *73 beruht auf einem sachlichen Grund, da es sich hierbei um eine landwirtschaftliche Nutzung und damit um ein nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegiertes Vorhaben handelt. Von einem systemlosen Vorgehen des Landratsamts kann daher nicht die Rede sein.
Eine Gleichbehandlung mit den linksseitig der Elsava gelegenen baulichen Anlagen, insbesondere mit denjenigen des Beigeladenen zu 1), können die Kläger jedenfalls nicht beanspruchen. Wie bereits dargestellt, dürfen nach dem Gleichheitssatz gleich liegende Sachverhalte nicht willkürlich ungleich behandelt werden. Insofern handelt es sich jedoch nicht um gleich liegende Sachverhalte, da die linksseitig der Elsava gelegene Bebauung innerhalb des Zusammenhangs bebauter Ortsteile liegt und damit nach § 34 BauGB zu bewerten ist (s.o. 1 a)). Die von der Klägerbevollmächtigten schriftsätzlich beantragte Beiziehung der Bauakten bezüglich der Bauvorhaben des Beigeladenen zu 1) war daher nicht erforderlich, da die Genehmigungssituation auf den Grundstücken des Beigeladenen zu 1) nicht entscheidungserheblich war. Soweit die Klägerbevollmächtigte darüber hinaus die Beiziehung von Bauakten für Grundstücke rechtsseitig der Elsava beantragt hat, war diese nicht erforderlich, weil das Landratsamt im Augenscheinstermin versichert hat, dass dort keine Anlagen bau- oder wasserrechtlich genehmigt sind.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass selbst wenn im Umgriff des Baugrundstücks einzelne bauliche Anlagen genehmigt wären, dies nicht zu einem Rechtsanspruch der Kläger führen würde, ebenso behandelt zu werden. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwingt der Gleichheitssatz die Behörde nicht, einen einmal gemachten Fehler zu wiederholen (BVerwG, U.v. 28.4.1968 – I C 64.42 – BVerwGE 18, 242/246; auch st. Rspr. des BayVGH, vgl. U.v. 9.6.2000 – 2 B 96.2571 – BayVBl 2001, 211).
c) Die Anordnung stellt schließlich auch keine unzumutbare Härte für die Kläger dar. Die Unzumutbarkeit folgt nicht aus den zu erwartenden finanziellen Aufwendungen der Kläger für die notwendigen Abrissarbeiten. Wer ohne die erforderliche Genehmigung eine Anlage errichtet oder ändert und damit selbst vollendete Tatsachen schafft, hat das Risiko der rechtswidrigen Ausführung selbst zu tragen (BVerwG, B.v. 30.8.1996 – 4 C 15/95 – NVwZ-RR 1997, 273).
II.
Die Zwangsgeldandrohung (Ziffer 4 des Bescheids) stützt sich auf Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, Art. 30 Abs. 1 Satz 1, Art. 31 und Art. 36 VwZVG und ist rechtmäßig. Insbesondere bewegt sich das festgesetzte Zwangsgeld innerhalb des gesetzlichen Rahmens und berücksichtigt das wirtschaftliche Interesse der Kläger, Art. 31 Abs. 2 VwZVG.
Die Frist von einem Monat ab Bestandskraft des Bescheids zur Beseitigung der Gartenhütte ist angemessen.
III.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1) sind gemäß § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig, weil dieser einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO). Über die Kosten des Beigeladenen war ungeachtet der Beschwerde der Klägerbevollmächtigten gegen den Beiladungsbeschluss vom 17. Juni 2016 zu entscheiden, da die Beiladung gem. § 65 Abs. 4 Satz 3 VwGO unanfechtbar ist.
Die Beigeladene zu 2) hat ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen, da sie keinen Antrag gestellt hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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