Aktenzeichen M 8 K 16.749
BayBO BayBO Art. 6 Abs. 5, Abs. 7, Art. 59 S. 1 Nr. 2, Art. 63 Abs. 1 S. 1, Art. 71 S. 1
Leitsatz
1 Ein Bauvorbescheid, der eine abstandsflächenrechtlichen Frage eines Bauvorhabens zu einem Nachbargrundstück positiv verbescheidet, verletzt einen Nachbarn, dessen Grundstück auf einer anderen Seite des Baugrundstücks liegt („dritter Nachbar“), nicht in seinen Rechten. (Rn. 14) (red. LS Andreas Decker)
2 Während im Baugenehmigungsverfahren nach Art. 63 Abs. 1 S. 1 BayBO beantragte Abweichungen für einzelne Außenwände zu einer allein durch den Bauherrn steuerbaren Zerlegung eines einheitlichen Gesamtvorhabens in seine Einzelteile führen würden und daher unzulässig ist, ist eine allein vom Inhalt der jeweiligen Frage abhängige, auch isolierte Betrachtung von Abstandsflächen und Abweichungen hiervon für einzelne Außenwände dem Vorbescheidsverfahren gerade wesensimmanent und mithin nicht zu beanstanden. (Rn. 15) (red. LS Andreas Decker)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige (Anfechtungs-)Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung der Beantwortung der Frage 5 im Vorbescheid der Beklagten vom 20. Januar 2016, da sie hierdurch nicht in ihren Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Dies folgt aus Art. 71 Satz 1 BayBO. Nach dieser Bestimmung ist auf Antrag des Bauherrn vor Einreichung zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens ein Vorbescheid zu erteilen. Der Vorbescheidsantrag der Beigeladenen vom 22. Mai 2015 wirft in seiner Frage 5 ausschließlich hinsichtlich der Unterschreitung der Abstandsfläche – deren Tiefe sich nach Auffassung der Beigeladenen gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 2 Hs. 1 BayBO mit 0,5 H bemisst – zu dem nordöstlichen Nachbargrundstück FlNr. … die Frage nach der Zulassung einer Abweichung auf, während er sich zur Abstandsfläche zum südwestlich gelegenen Grundstück der Klägerin FlNr. … nicht verhält. Die entsprechende Antwort der Beklagten im Vorbescheid vom 20. Januar 2016 entfaltet aufgrund des Inhalts der Frage 5 für die Klägerin keine regelnde Wirkung, sondern gibt lediglich die – indes wohl unzutreffende – Rechtsauffassung der Beklagten wider, es liege ein Fall nach Art. 6 Abs. 5 Satz 4 BayBO (im Vorbescheid ist schreibfehlerhaft von „Satz 5“ die Rede) vor. Diese inhaltlich wohl unzutreffende Aussage (vgl. zu den tendenziell strengen Voraussetzungen einheitlich abweichender Abstandsflächentiefen der Umgebung i.S.d. Art. 6 Abs. 5 Satz 4 BayBO [sog. Pavillionabstände] ausführlich: VG München, U.v. 7.2.2011 – M 8 K 10.1567 – juris, bestätigt durch BayVGH, U.v. 7.3.2013 – 2 BV 11.882 – juris; Molodovsky/Famers, BayBO, Art. 6 Rn. 173g – 173l) stellt gegenüber der Klägerin lediglich einen bloßen Rechtsreflex ohne eigene Regelungswirkung im Sinne des Art. 35 Satz 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) dar. Somit wird sie von der – wie ausgeführt wohl inhaltlich unzutreffenden – Beantwortung der Frage 5 nicht beschwert. Entgegen der Auffassung der Klägerin enthält der Vorbescheid mithin keine verbindliche Regelung, dass (auch) in Richtung des klägerischen Grundstücks FlNr. … die Abstandsflächenverkürzung nach Art. 6 Abs. 5 Satz 4 BayBO eingreifen würde und es sonach keiner Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO bedürfte.
Anders als in der Klagebegründung vom 5. Juni 2017 ausgeführt, liegt auch keine Fallgestaltung vor, die der entspricht, über die die Kammer im Beschluss vom 10. November 2016, M 8 SN 16.3499, zu entscheiden hatte. Im dortigen Verfahren neigte die Kammer im Einklang mit ihrer ständigen Rechtsprechung und dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. November 2015, 15 B 15.1371, der Auffassung zu, dass aufgrund der in einem Baugenehmigungsverfahren erteilten Abweichungen nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO die Prüfung der Abstandsflächen aller Gebäudeseiten Inhalt der dort zur gerichtlichen Überprüfung stehenden Baugenehmigung geworden sei (a.A. allerdings BayVGH, U.v. 29.10.2015 – 2 B 15.1431 – juris Rn. 36 ff.; U.v. 4.5.2017 – 2 B 16.2432 – juris Rn. 35). Denn vorliegend steht gerade keine Baugenehmigung inmitten, sondern allein ein Vorbescheid mit einer die Klägerin nicht betreffenden Frage nach der Verkürzung einer Abstandsflächentiefe einer ihrem Grundstück nicht gegenüberliegenden Außenwand. Art. 71 Satz 1 BayBO sieht es ausdrücklich vor, dass einzelne Fragen des Bauvorhabens im Wege des Vorbescheids zur Beantwortung gestellt werden, sodass grundsätzlich allein der Antragsteller mit seiner Fragestellung den Prüfungsumfang im Vorbescheidsverfahren vorgibt. Damit unterscheidet sich das Vorbescheidsverfahren insoweit maßgeblich vom Baugenehmigungsverfahren, in dem mit Blick auf Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO im Falle eines Abweichungsantrags nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO über die in Art. 6 Abs. 6 BayBO enthaltenen inhaltlichen Maßgaben zugleich der Prüfungsumfang des Genehmigungsverfahrens vorgegeben wird. Während also im Baugenehmigungsverfahren nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO beantragte Abweichungen für einzelne Außenwände zu einer allein durch den Bauherrn steuerbaren Zerlegung eines einheitlichen Gesamtvorhabens in seine Einzelteile führen würden (vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2015 aaO juris Rn. 14; VG München, B.v. 10.11.2016 – juris Rn. 77), ist eine allein vom Inhalt der jeweiligen Frage abhängige, auch isolierte Betrachtung von Abstandsflächen und Abweichungen hiervon für einzelne Außenwände dem Vorbescheidsverfahren gerade wesensimmanent und mithin nicht zu beanstanden.
Der Klage ist nach alledem der Erfolg zu versagen. Allerdings ist mit Blick auf ein zukünftiges Baugenehmigungsverfahren darauf hinzuweisen, dass für das streitbefangene Bauvorhaben wohl allein eine Abstandsflächenverkürzung nach Art. 6 Abs. 5 Satz 2 Hs. 1 BayBO in Betracht kommen kann, nicht aber eine solche nach Art. 6 Abs. 5 Satz 4 BayBO. Ob die bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen (Kerngebiet) hierfür sowie gegebenenfalls auch die einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO zum Grundstück FlNr. … hin vorliegen – was zwischen den Beteiligten streitig ist – kann im vorliegenden Verfahren aus den o.g. Rechtsgründen indes unentschieden bleiben. Zudem bestünde nach Art. 6 Abs. 7 Nr. 2 BayBO für die Beklagte gegebenenfalls auch die Möglichkeit, die Tiefe der Abstandsfläche satzungsrechtlich in einem näher zu definierenden Umgriff um das zur Bebauung vorgesehene Grundstück auf 0,4 H zu reduzieren, sofern und soweit die örtlichen städtebaulichen Gegebenheiten und kommunalen Planungsziele in ausreichender Weise hierfür streiten und insbesondere die ausreichende Belichtung und Belüftung hierdurch nicht beeinträchtigt wird. Auch diese satzungsrechtliche Option kann von der Beklagten in Erwägung gezogen werden.
Die Kostenfolge resultiert aus §§ 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).