Baurecht

Erfolglose Nachbarklage gegen Flüchtlingsunterkunft im faktischen Gewerbegebiet

Aktenzeichen  9 BV 16.1694

Datum:
14.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2018, 847
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 1 Abs. 6, § 29 Abs. 1, § 31 Abs. 2, § 34 Abs. 2, § 246 Abs. 10 S. 1
BauNVO § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2, § 15 Abs. 1 S. 2
BImSchG § 22 Abs. 1 S. 1
AsylG § 53
StVO § 2 Abs. 1, § 9 Abs. 5
BayBO Art. 7 Abs. 2
VwGO § 114 S. 1

 

Leitsatz

1. Der Begriff des Wohnens ist durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie Freiwilligkeit des Aufenthalts gekennzeichnet. Daran fehlt es im Fall der den Asylbewerber verpflichtenden Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft, die weder eine eigengestaltete Haushaltsführung noch die Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises gewährleistet und zudem auch nicht für die ständige Wohnung, sondern nur für die Dauer des Asylverfahrens gedacht ist. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. In Gemeinschaftsunterkünften ist der Mindeststandard einer menschenwürdigen Unterbringung ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen zu gewährleisten. Deshalb muss sichergestellt sein, dass die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft keinen gesundheitsgefährdenden Immissionen ausgesetzt werden. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Bewohner von Flüchtlingsunterkünften in Gewerbegebieten müssen sich nach dem Sinn und Zweck des § 246 Abs. 10 S. 1 BauGB mit der Immissionsbelastung abfinden, die generell im Gewerbegebiet zulässig ist. Insoweit wird nicht nur der betroffenen Nachbarschaft ein Mehr an Beeinträchtigungen zugemutet, sondern auch den Bewohnern von Flüchtlingsunterkünften. (Rn. 58) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Zulassung einer Flüchtlingsunterkunft im Sinne des § 246 Abs. 10 S. 1 BauGB in einem Gewerbegebiet ist auch dann mit den öffentlichen Belangen vereinbar, wenn damit typischerweise die allgemeine Zweckbestimmung des Gewerbegebiets nach § 8 Abs. 1 BauNVO verfehlt wird. Nutzungskonflikte, die typischerweise mit der Zulassung von Flüchtlingsunterkünften in Gewerbegebieten verbunden sein können, stehen einer Befreiung nicht entgegen. (Rn. 71 – 72) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 9 K 15.1348 2016-06-29 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden‚ wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Über die Berufung kann im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage der Klägerin gegen die Baugenehmigung vom 1. Juli 2015 zu Recht abgewiesen. Die Baugenehmigung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Richtet sich die Zulässigkeit eines Vorhabens im unbeplanten Innenbereich – wie hier nach § 34 Abs. 2 BauNVO i.V.m. § 8 BauNVO – seiner Art nach unmittelbar nach den Vorschriften der Baunutzungsverordnung, steht dem Nachbarn eines in demselben Baugebiet liegenden Grundstücks kraft Bundesrechts unabhängig von tatsächlichen Beeinträchtigungen ein Abwehrrecht in Gestalt eines Gebietserhaltungsanspruchs gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung zu (vgl. BVerwG, B.v. 22.12.2011 – 4 B 32.11 – BauR 2012, 634 = juris Rn. 5; BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – BVerwGE 94, 151 = juris Rn. 13, 30, jeweils m.w.N.). Da § 34 Abs. 2 BauGB faktische Baugebiete hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung den festgesetzten Baugebieten gleichstellt und deshalb derselbe Nachbarschutz besteht wie bei bauplanerischen Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung, ist bei einer fehlerhaften Befreiung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung auch im faktischen Baugebiet ein nachbarlicher Abwehranspruch gegeben (vgl. BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13 – BauR 2013, 783 = juris Rn. 3; BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – BayVBl 1999, 26 = juris Rn. 5; BVerwG, U. v. 19.9.1986 – 4 C 8.84 – BauR 1987, 70 = juris Rn. 19 a.E., jeweils m.w.N.). Diese Rechtsprechung zu § 31 Abs. 2 BauGB lässt sich auf § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB übertragen (vgl. VGH BW, B.v. 17.5.2017 – 5 S 1505/15 – BauR 2017, 1499 = juris Rn. 22).
Von diesen Grundsätzen ausgehend verletzt die angefochtene Baugenehmigung keine Rechte der Klägerin. Die Beklagte konnte nach § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB eine Befreiung für die Nutzungsänderung des Gebäudes auf dem Baugrundstück in eine Gemeinschaftsunterkunft erteilen, weil das Vorhaben in einem faktischen Gewerbegebiet zur Ausführung kommen soll, in dem nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 Alt. 3 BauNVO Anlagen für soziale Zwecke ausnahmsweise zugelassen werden können und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar ist. Ermessensfehler i.S.d. § 114 Satz 1 VwGO liegen nicht vor.
1. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB insoweit vorliegen, als das Vorhaben die Nutzungsänderung eines bislang gewerblich genutzten Gebäudes in einem faktischen Gewerbegebiet in eine Gemeinschaftsunterkunft zum Inhalt hat (§ 29 Abs. 1 BauGB, § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO, § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB, § 1 Abs. 1 AsylbLG) und nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 Alt. 3 BauNVO Anlagen für soziale Zwecke hier ausnahmsweise zugelassen werden können.
2. Die Abweichung von § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO ist auch unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar.
Die Beschränkung der Befreiungsmöglichkeit, dass die Abweichung auch unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den in Betracht kommenden bodenrechtlichen öffentlichen Interessen vereinbar sein muss, ist eine tatbestandliche Voraussetzung des § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB (vgl. BVerwG, B.v. 6.3.1996 – 4 B 184.95 – BauR 1996, 518 = juris Rn. 6, 7; BVerwG, U.v. 9.6.1978 – 4 C 54.75 – BVerwGE 56, 71 = juris Rn. 31, jeweils zu § 31 Abs. 2 BauGB). Insoweit ist die Einzelfallentscheidung auf Zulassungsebene daraufhin zu überprüfen, ob die öffentlichen Belange unter Einbeziehung nachbarlicher Interessen gewahrt sind (vgl. BT-Drs. 18/2752 S. 12).
Zu den nach § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB in erster Linie zu berücksichtigenden öffentlichen Belangen gehören die in § 1 Abs. 6 BauGB genannten öffentlichen Belange der allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung (Nr. 1), der Wirtschaft (Nr. 8 Buchst. a), insbesondere im Hinblick auf die auch objektiv-rechtlich zu berücksichtigenden betrieblichen Belange der im Gewerbegebiet ansässigen Gewerbebetriebe an der Erhaltung des betrieblichen Bestands und nach Betriebsausweitung einschließlich der Vermeidung von Nutzungskonflikten, sowie die Belange der Flüchtlinge oder Asylbegehrenden und ihrer Unterbringung (Nr. 13; vgl. zum Ganzen: Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger – E/Z/B/K, BauGB, Stand August 2017, § 246 Rn. 69; Söfker/Runkel in E/Z/B/K, a.a.O., § 1 Rn. 157 ff.; VGH BW, B.v. 17.5.2017 – 5 S 1505/15 – BauR 2017, 1499 Rn. 31, „gesunde Wohnverhältnisse“; Decker in Jäde/Dirnberger, BauGB/BauNVO, 8. Auflage 2017, § 246 BauGB Rn. 43 f.).
a) Das Vorhaben ist mit dem öffentlichen Belang der allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse bzw. Unterbringungsverhältnisse in Bezug auf den hier relevanten Schutz vor Lärmbeeinträchtigungen vereinbar (§ 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB).
Die Unterbringung von Asylbegehrenden in Gemeinschaftsunterkünften erfolgt in der Regel bis zum bestandskräftigen negativen Abschluss des Asylverfahrens (vgl. § 53 AsylG, Art. 4 AufnG). Dies kann je nach Sachlage auch einen längeren Zeitraum umfassen als die Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung, die nach § 47 Abs. 1 Satz 1 AsylG längstens sechs Monate dauern soll (Heusch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.11.2017, § 53 AsylG Rn. 10). Der Gesetzgeber geht deshalb von „wohnähnlichen Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften“ aus (vgl. BT-Drs. 18/2752 S. 12; ebs. BR-Drs. 419/14 S. 6 „wohnähnliche Nutzung“). Gleichwohl ist die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft kein Wohnen im Sinn der Baunutzungsverordnung oder sonstiger Vorschriften und Regelwerke, soweit sich diese am Maßstab der angemessenen Befriedigung allgemeiner Wohnbedürfnisse orientieren. Dies gilt nicht nur für die Bewohnerzimmer, sondern auch für die in der Gemeinschaftsunterkunft vorgesehenen Wohnungen. Der Begriff des Wohnens ist durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie Freiwilligkeit des Aufenthalts gekennzeichnet (vgl. BVerwG, B.v. 18.10.2017 – 4 CN 6.17 – juris Rn 14 m.w.N. zu § 3 Abs. 1 BauNVO). Daran fehlt es im Fall der den Asylbewerber verpflichtenden Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft (§ 53 AsylG), die weder eine eigengestaltete Haushaltsführung noch die Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises gewährleistet und zudem auch nicht für die ständige Bewohnung, sondern nur für die Dauer des Asylverfahrens gedacht ist.
In Gemeinschaftsunterkünften ist aber der Mindeststandard einer menschenwürdigen Unterbringung ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen zu gewährleisten (vgl. Heusch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.11.2017, § 53 AsylG Rn. 12; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, § 53 AsylG Rn. 10). Deshalb muss sichergestellt sein, dass die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft keinen gesundheitsgefährdenden Immissionen ausgesetzt werden (vgl. VGH BW, B.v. 15.7.2017 – 5 S 1505.15 – BauR 2017, 1499 = juris Rn. 31 m.w.N.). Ein über die Wahrung „gesunder Wohnverhältnisse“ im Sinn der Vermeidung gesundheitsgefährdender Immissionen hinausgehendes Schutzgebot folgt aus § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB für Flüchtlingsunterkünfte, insbesondere solchen in Gewerbe- oder Industriegebieten, die ihrer Zweckbestimmung nach der Unterbringung von belästigenden (§ 8 Abs. 1 BauNVO) bzw. erheblich belästigenden (§ 9 Abs. 1 BauNVO) Gewerbebetrieben dienen, aber nicht. Denn das besondere Gewicht, das der Gesetzgeber einer bedarfsgerechten und zeitnahen Schaffung von Unterbringungseinrichtungen bereits mit dem Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen vom 20.11.2014 (BGBl. I S. 1748) aber auch mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722) beigemessen hat, ist bei der Bewertung der öffentlichen Belange zu berücksichtigen. Danach sind gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse als öffentlicher Belang i.S.v. § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in allen Baugebieten zu wahren (vgl. BT-Drs. 18/3070 S. 1, S. 5; BT-Drs. 18/6185 S. 54 f.; Decker in Jäde/Dirnberger, BauGB/BauNVO, 8. Auflage 2017, § 246 BauGB Rn. 44 m.w.N.).
Die Auflage Nr. 3 zur Baugenehmigung vom 1. Juli 2015, wonach das Unterkunftsgebäude mit Lärmschutzfenstern auszurüsten ist, ist zulässig und geeignet, um gesunde Wohnverhältnisse im vorgenannten Sinn zu gewährleisten.
aa) Soweit es Verkehrslärmimmissionen (hier insb. Bahnstrecke T., F-weg, H-straße) betrifft, ist im Verhältnis zwischen Verkehrsweg und schutzbedürftiger Nutzung nach dem Regelungskonzept des Bundes-Immissionsschutzgesetzes auch die Möglichkeit passiven Lärmschutzes vorgesehen (vgl. §§ 41 ff. BImSchG, 24. BImSchV; vgl. Gatz Anmerkung zu BVerwG, U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – jurisPR-BVerwG 3/2013 Anm. 4). Schallschutzmaßnahmen können danach durch bauliche Verbesserung an Umfassungsbauteilen schutzbedürftiger Räume, insbesondere durch den Einbau von Schallschutzfenstern zur Minderung der Einwirkungen durch Verkehrslärm angeordnet werden (vgl. § 1, § 2 Abs. 1 24. BImSchV).
Im Sinne der fachplanungsrechtlichen Zumutbarkeitsgrenze sind gesunde Wohnverhältnisse in Bezug auf den maßgeblichen Innenraumpegel insbesondere in Schlafräumen zur Nachtzeit in Wohngebieten jedenfalls noch gewahrt, wenn Dauerschallpegel aus dem Gesamtlärm von 30 dB(A) bis 35 dB(A) und Spitzenpegel von 40 dB(A) am Ohr des Schläfers nicht überschritten werden. Teilweise werden auch Dauerschallpegel von zwischen 35 dB(A) und 40 dB(A) und Maximalwerte von 45 dB(A) und 55 dB(A) noch für hinnehmbar erachtet. In Mischgebieten wird zum Teil ein Aufschlag von 2 dB(A) für zulässig erachtet (vgl. BayVGH, U.v. 23.2.2007 – 22 A 01.40089 u.a. – VGH n.F. 60, 131 = juris Rn. 51 m.w.N.). Für Wohnnutzungen oder wohnähnliche Nutzungen in Gewerbegebieten – wie hier – gilt jedenfalls kein höherer Schutzstandard. Mit entsprechend ausgestatteten Schallschutzfenstern lassen sich die genannten Innenraumpegel je nach dem bewerteten Schalldämm-Maß des Fensters auch bei hohen Außenpegeln wahren (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2016 – 3 A 5.15 – juris Rn. 105 m.w.N.). Dies hat die Beklagte gesehen und deshalb der beigeladenen Bauherrin verbindlich aufgegeben, das Unterkunftsgebäude mit Lärmschutzfenstern auszurüsten, sodass die Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse gewährleistet sind (Auflage Nr. 3 der Baugenehmigung vom 1.7.2015). Bereits die im Bestand vorhandenen Fenster des Gebäudes der Beigeladenen weisen bewertete Schalldämm-Maße von Rw 32 dB(A) bzw. Rw 37 dB(A) auf (vgl. Baubeschreibung vom 3.1.1990 zum Bauantrag für den Neubau des Quelle TKD-Gebäudes Nr. 2.4, Bauakte B1-2014-206/Amtskonferenz sowie Baubeschreibung vom 13.4.1992 zum Bauantrag Ausbau des 1. Obergeschosses Nr. 2.02, Bauakte B12/1991/2292 und /1134). Dies hindert die Bauaufsichtsbehörde allerdings nicht, weitergehende Anforderungen zu stellen.
In der Rechtsprechung zur fachplanungsrechtlichen Zumutbarkeitsgrenze ist zwar geklärt, dass zur angemessenen Befriedigung der Wohnbedürfnisse heute grundsätzlich die Möglichkeit des Schlafens bei gekipptem Fenster gehört (vgl. BVerwG, U.v. 21.9.2006 – 4 C 4.05 – BVerwGE 126, 340 = juris Rn. 26 m.w.N.). Diese an der Erhaltung der Wohnqualität und den berechtigten Wohnerwartungen ausgerichtete Rechtsprechung zur Befriedigung angemessener Wohnbedürfnisse lässt sich aber weder auf die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft übertragen, noch gibt es einen (zumal grundrechtlich abgesicherten) Anspruch auf Schlafen bei offenem bzw. gekipptem Fenster (vgl. VGH BW, U.v. 8.10.2012 – 5 S 203/11 – juris Rn. 106 m.w.N.). Insoweit wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Einschränkung allgemeiner Wohnansprüche für die Bewohner einer Gemeinschaftsunterkunft bei der Bewertung der Anforderung an gesunde Wohnverhältnisse zu berücksichtigen ist. Dies ermöglicht es, einen ausreichenden Lärmschutz unter Berücksichtigung einer angemessenen Belüftung der Räume auch dann sicherzustellen, wenn die Schallschutzfenster nur gelegentlich geöffnet werden können.
bb) Im Hinblick auf den nach § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebotenen Schutz der Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft vor gesundheitsgefährdendem Lärm in Bezug auf die Gesamtbelastung aller relevanten, verschiedenartigen Geräuschquellen (hier insb. Verkehrs- und Gewerbelärm) gilt im Ergebnis nichts anderes.
Für die Gesamtlärmbelastung verschiedenartiger Geräuschquellen sind weder die TA Lärm maßgeblich noch sonst verbindliche Regelwerke. Das Immissionsrichtwertkonzept der TA Lärm zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen und zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen i.S.d. § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1 BImSchG, Nr. 1 TA Lärm betrifft den von Anlagen i.S.d. § 3 Abs. 5 BImSchG ausgehenden Lärm (vgl. BVerwG, B.v. 13.7.2017 – 4 BN 10.17 – BauR 2017, 1972 = juris Rn. 11; Nr. 2.4 Abs. 3 TA Lärm; BVerwG, B.v. 13.12.2007 – 4 BN 41.07 – NVwZ 2008, 426 = juris Rn. 7). Auch andere Regelwerke bewerten lediglich die jeweils von ihnen erfassten Geräuscharten isoliert, blenden also bereichsfremde Geräuschquellen aus der Betrachtung aus (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2017 – 3 A 1.16 – juris Rn. 85 m.w.N., sog. „geräuschquellenbezogene Betrachtung“).
Darüber hinaus dienen die Richtwerte aus den einschlägigen Regelwerken dem Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche und setzen deshalb bereits unterhalb der Grenze zu Gesundheitsgefahren an (vgl. z.B. Nr. 3.2.1 Abs. 1, Nr. 6.1 TA Lärm, § 2 Abs. 1 16. BImSchV). Schädliche Umwelteinwirkungen im Sinn des § 3 Abs. 1 BImSchG sind nicht nur gesundheitsgefährdende Immissionen, sondern auch Immissionen, die erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen herbeiführen. Aufgrund der Zielrichtung dieser Regelwerke, Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche zu gewährleisten, wird nicht zwischen Immissionsrichtwerten zum Schutz vor Gesundheitsgefahren und Immissionsrichtwerten zum Schutz vor erheblichen Belästigungen unterschieden (vgl. Dolde, Rechtliche Aspekte einer Gesamtlärmbetrachtung, Nr. IV.2, Lärmbekämpfung 2001, 100).
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung dürfte aber geklärt sein, dass Außen-Immissionswerte oberhalb von 70 dB(A)/tags und 60 dB(A)/nachts potenziell gesundheitsgefährdend sind (vgl. zuletzt BVerwG, U.v. 29.6.2017 – 3 A 1.16 – juris Rn 71; vgl. auch BVerwG, U.v. 21.11.2013 – 7 A 28.12 – NVwZ 2014, 730 = juris Rn. 53 f.; BayVGH, B.v. 18.8.2016 – 15 B 14.1623 – juris Rn. 17; BayVGH, U.v. 4.8.2017 – 9 N 15.378 – juris Rn. 91, jeweils m.w.N.). Diese Grenze wird allerdings kaum erreicht (vgl. Jarras, BImSchG, 12. Auflage 2017, § 41 Rn. 53 m.w.N.). Anhaltspunkte für eine Überschreitung der Außen-Immissionswerte von 70 dB(A)/tags und 60 dB(A)/nachts bestehen auch vorliegend nicht. So haben etwa von der Klägerin veranlasste Messungen der Fremdgeräusche (Gewerbe und Verkehr) zur Nachtzeit ergeben, dass am Wohnanwesen westlich der Eisenbahnstrecke auf FlNr. … in jeweils drei Nachtstunden zwischen 3:00 Uhr und 6:00 Uhr Hintergrundgeräuschpegel (L95) von aufgerundet zwischen 44 dB(A) und 49 dB(A) auftreten (vgl. schallimmissionsschutztechnische Untersuchung zur geplanten Erweiterung der betrieblichen Tätigkeit im Nachtzeitraum vom 9. November 2015).
Davon abgesehen bestehen in Anlehnung an §§ 41, 42 BImSchG mangels eines verbindlichen Regelwerks für eine die Gesundheit gefährdende Gesamtbelastung unterschiedlicher Geräuschquellen keine Bedenken gegen Maßnahmen des passiven Lärmschutzes an den lärmbetroffenen baulichen Anlagen, insbesondere durch den Einbau von Schallschutzfenstern. Schutzwürdige Außenwohnbereiche sieht das Nutzungskonzept des Vorhabens nicht vor. Der vonseiten der Beklagten mit der Auflage Nr. 6 zur Baugenehmigung vom 1. Juli 2015 aufgrund des Art. 7 Abs. 2 BayBO i.V.m. ihrer Ortssatzung geforderte Kinderspiel Platz ist, von den Lärmwirkungen der im Gewerbegebiet vorhandenen Betriebe geschützt, an der Südseite des Unterkunftsgebäudes geplant (vgl. mit Genehmigungsvermerk versehenen Lageplan/Freiflächen vom 18.8.2014).
cc) Nachbarliche Interessen werden aufgrund der Bewältigung der Verkehrs- und Gesamtlärmproblematik durch die zulässige und geeignete Maßnahme des passiven Lärmschutzes nicht berührt.
b) Das Vorhaben ist unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit dem öffentlichen Belang der Anforderungen an die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung vereinbar (§ 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB).
aa) Von einer über die allgemeinen verkehrlichen Risiken insbesondere des Fußgängerverkehrs hinausgehenden Gefahr für die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft ist nicht auszugehen.
(1) Die verkehrlichen Verhältnisse am Standort der Gemeinschaftsunterkunft sind übersichtlich. Die von Norden in das Gewerbegebiet führende, geradlinig verlaufende W-straße zweigt zwischen den Betriebsgrundstücken der Klägerin nach Osten ab und endet nach etwa 100 m in einem Wendehammer (S-straße). Der im Bereich dieser Abzweigung ebenfalls geradlinig nach Süden verlaufende Zweig der W-straße endet nach etwa 70 m in Lage der Zufahrt zur vormaligen südlichen Stellplatzanlage des Gebäudes der Beigeladenen. Ein Durchgangsverkehr findet deshalb nicht statt. Ausweislich des Vortrags der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren löst ihr Betrieb nach derzeitiger Betriebssituation 375 Fahrzeugbewegungen zur Tagzeit aus (vgl. Klagebegründung vom 2.10.2015 S. 15 ff.). Auch hinsichtlich des weiteren im Gewerbegebiet ansässigen Betriebs der Firma H. (Produktions- und Bürogebäude; Werkzeugherstellung) auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung E. ist kein wesentlich höherer Fahrverkehr als für den klägerischen Betrieb zu erwarten. Die südlich der Gemeinschaftsunterkunft liegende unbebaute Fläche (FlNr. … und …) wird nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nur zeitweilig von einer Erdbaufirma genutzt.
(2) Ausweislich der erstinstanzlichen Feststellungen im Ortstermin vom 9. Oktober 2014 (vgl. Verfahren AN 9 K 14.00830) führt ein ca. 2 m breiter Gehweg auf der östlichen Seite der W-straße in Richtung Norden an der Westseite des klägerischen Betriebs vorbei. Im Bereich der S-straße zur Verbindungsbrücke der klägerischen Betriebsgebäude ist der Gehweg ca. 1,50 m breit. Diese Gehwegbreiten genügen zwar nicht den Grundanforderungen, die die Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (Ausgabe 2006; RASt 06) unter Berücksichtigung von ungehinderten Begegnungsmöglichkeiten und der Einhaltung beidseitiger Sicherheitsräume zur Fahrbahn und zur Hauswand empfehlen. Die RASt 06 behandelt aber den Entwurf und die Gestaltung von Straßen (vgl. Geltungsbereich und Aufbau). Als Hauptziel bei der Planung und dem Entwurf von Stadtstraßen orientiert sich die RASt 06 auch nicht ausschließlich an den Anforderungen für die Verkehrssicherheit, sondern an der Verträglichkeit der Nutzungsansprüche untereinander und mit den Umfeldnutzungen, die eine Verbesserung der Verkehrssicherheit lediglich mit einschließt (vgl. Nr. 1.2 RASt 06). Die RASt 06 hat schließlich einen nur empfehlenden Charakter. Deswegen können Gemeinden bei der Planung anhand der konkreten örtlichen Situation im notwendigen Umfang auch hiervon abweichen (vgl. BayVGH, B.v. 23.2.2015 – 6 ZB 13.978 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Davon abgesehen können auch nach Maßgabe der RASt 06 im Einzelfall Mindest-Gehwegbreiten von 1,50 m etwa bei geringem Fußgängeraufkommen in dörflichen Hauptstraßen ausreichen (vgl. Nr. 5.1.2 RASt 06, S. 25). Ein Gehweg kann im Übrigen schon dann – wenn auch eingeschränkt, so doch noch ausreichend – funktionsfähig sein, wenn er den erforderlichen Mindestgehraum für einen Fußgänger bietet (vgl. BayVGH, B.v. 18.7.2017 – 6 ZB 16.681 – juris Rn. 12 f. m.w.N., „Mindestgehwegbreite 75 cm“). Hiervon ausgehend bestehen unter Berücksichtigung der verkehrlichen Verhältnisse keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass die vom Verwaltungsgericht ermittelten Gehwegbreiten von 1,50 m bzw. 2 m nicht ausreichend sein könnten. Dies gilt auch dann, wenn der erstinstanzliche Vortrag der Klägerin zutrifft, dass die Breite des Gehwegs lediglich ein Mindestmaß von 1,30 m aufweist.
(3) Mit dem Vorbringen, Sattelschlepper müssten über den Gehweg zurückstoßen und der Fahrer eines rangierenden Lkw könne allein nie den kompletten Bereich hinter seinem Fahrzeug überblicken, macht die Klägerin kein schutzwürdiges nachbarliches Interesse geltend.
Fahrzeuge müssen die Fahrbahn benutzen (§ 2 Abs. 1 StVO). Sie dürfen deshalb grundsätzlich keine Gehwege befahren, die den Fußgängern vorbehalten sind (vgl. § 25 Abs. 1 Satz 1 StVO). Das Überqueren eines Gehwegs durch Kraftfahrzeuge verstößt zwar nicht gegen das Gebot der Fahrbahnbenutzung, wenn es darum geht, in ein Grundstück ein- oder aus einem Grundstück auszufahren (vgl. BGH, B.v. 27.6.1985 – 4 StR 766/84 – NJW 1985, 2540 = juris Rn. 13 ff.). Dies ist allerdings nicht an jeder beliebigen Stelle zulässig, sondern nur an einer Stelle, die erkennbar zur Einfahrt in ein Grundstück vorgesehen und geeignet ist (vgl. BGH, B.v. 27.6.1985 a.a.O.; z.B. Bordsteinabsenkung). Beim Abbiegen in ein Grundstück muss sich der Fahrzeugführer aber so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (§ 9 Abs. 5 StVO). Auch beim Rückwärtsfahren ergeben sich insbesondere für die Fahrer von Lastkraftwagen aus § 9 Abs. 5 StVO besondere Sorgfaltspflichten. Ist dem Fahrer die volle Sicht verwehrt, so muss er sich einer Hilfsperson bedienen, die hinter dem zurückstoßenden Fahrzeug gefährdete Verkehrsteilnehmer warnt und mit dem Fahrzeugführer Verbindung durch Zeichen und Rufe aufrechterhält (vgl. Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Auflage 2016, § 9 StVO Rn. 70 m.w.N.). Diese Sorgfaltspflichten gelten nicht nur im Nahbereich von Gemeinschaftsunterkünften, sondern grundsätzlich für alle Orte, an denen sich Menschen aufhalten oder bei denen auch nur mit der Möglichkeit eines Hinzukommens von Menschen zu rechnen ist (vgl. BGH, U.v. 19.10.1955 – VI ZR 117/54 – VersR 55, 743 = Jurion RS 1955, 12891 Rn. 11). Ob die danach gebotenen Vorsichtsmaßnahmen zeitaufwändig sind oder zu Beeinträchtigungen im Betriebsablauf führen, wie die Klägerin einwendet, bedarf keiner Klärung. Denn einen irgendwie gearteten Anspruch auf Bewahrung einer für den Betriebsablauf vorteilhaften verkehrlichen Situation auf den dem öffentlichen Verkehr dienenden Flächen gibt es nicht. Auch in einem Gewerbegebiet erfordert die Teilnahme am Straßenverkehr ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht (§ 1 Abs. 1 StVO).
bb) Das im Baugenehmigungsverfahren eingereichte Brandschutzkonzept vom 21. August 2014 (Nr. 204-06-01) zeigt nachvollziehbar auf, dass die im Bestand vorhandene Abweichung von den zulässigen Brandabschnittsgrößen von nicht mehr als 40 m (Art. 28 Abs. 2 Nr. 2 BayBO) angesichts der Gesamtflächen und Ausstattung des Gebäudes mit einer flächendeckenden Brandmeldeanlage unbedenklich ist. Auch die erteilte Abweichung wegen Überschreitung der zulässigen Fluchtweglänge von 35 m (Art. 33 Abs. 2 Satz 1 BayBO) um maximal 5 m ist nicht zu beanstanden; als Kompensationsmaßnahme dient ebenfalls die Brandmeldeanlage.
c) Die nach § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB erteilte Befreiung ist unter Berücksichtigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen der Wirtschaft vereinbar, insbesondere im Hinblick auf die auch objektiv-rechtlich zu berücksichtigenden betrieblichen Belange der im Gewerbegebiet ansässigen Gewerbebetriebe an der Erhaltung des betrieblichen Bestands und nach Betriebsausweitung einschließlich der Vermeidung von Nutzungskonflikten (§ 1 Abs. 6 Nr. 8 Buchst. a BauGB).
Das von der Klägerin geltend gemachte Interesse an der Erhaltung des betrieblichen Bestands sowie das Interesse nach einer Betriebsausweitung ist berücksichtigungsfähig (vgl. Söfker/Runkel in E/Z/B/K, Stand August 2017, § 1 Rn 160 m.w.N.). Diese schutzwürdigenden Interessen werden durch die angefochtene Nutzungsänderung des Bürogebäudes der Beigeladenen in eine Gemeinschaftsunterkunft aber nicht weiter eingeschränkt als dies ggf. schon bislang der Fall war.
aa) Anders als die Klägerin einwendet, entsteht kein Nutzungskonflikt durch die Zulassung der Gemeinschaftsunterkunft im Hinblick auf die immissionsschutzrechtliche Situation.
(1) Die Baugebietsvorschrift des § 8 BauNVO räumt der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben gegenüber anderen, insbesondere schutzbedürftigen Nutzungen zwar einen gewissen Vorrang ein. Aus der Berücksichtigung der Belange des Immissionsschutzes folgt aber auch für Gewerbegebiete ein eingeschränkter Störgrad (vgl. Söfker/Runkel in E/Z/B/K, a.a.O., Rn. 157). Soweit es die Zumutbarkeit von Lärmwirkungen aus Anlagen betrifft, die – wie der Betrieb der Klägerin – dem Anwendungsbereich der TA Lärm unterliegen, ist geklärt, dass der TA Lärm als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zukommt, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – BVerwGE 145, 145 = juris Rn. 18; BVerwG, B.v. 8.11.2017 – 4 B 19.17 – juris Rn. 12 jeweils m.w.N.). Hiervon ausgehend sind auch der wohnähnlich genutzten Gemeinschaftsunterkunft im Gewerbegebiet gewerbegebietstypische Belästigungen oder Störungen von allen Anlagen, für die die TA Lärm gilt, in Höhe der Außen-Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 Satz 1 Buchst. b TA Lärm (65 dB(A)/tags, 50 dB(A)/nachts) zumutbar.
(2) Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots zu Lasten der Klägerin unter dem geltend gemachten Gesichtspunkt einer an ihren Betrieb heranrückenden schutzwürdigen Bebauung scheidet nach jeder Betrachtungsweise aus.
Hinsichtlich des u.a. der Klägerin zuzurechnenden Gewerbelärms folgt dessen isolierte, von anderen verschiedenartigen Geräuschen unabhängige Berücksichtigung aus der Würdigung der nachbarlichen Interessen nach § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB. Insoweit findet entsprechend § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO auch das Gebot der Rücksichtnahme Eingang in die Prüfung (vgl. Decker in Jäde/Dirnberger, BauGB/ BauNVO, 8. Auflage 2017, § 246 BauGB Rn. 44 m.w.N.; BVerwG, U.v. 6.10.1989 – 4 C 14.87 – BVerwGE 82, 343 = juris Rn. 12 ff. m.w.N. zu § 31 Abs. 2 BauGB).
(a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO sind (schutzbedürftige) bauliche Anlagen unzulässig, wenn sie Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden, die nach der Eigenart des Baugebiets selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Diese Vorschrift soll ebenso wie die übrigen Tatbestandsalternativen des § 15 Abs. 1 BauNVO gewährleisten, Nutzungen die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden (vgl. BVerwG U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – BVerwGE 145, 145 = juris Rn. 16 m.w.N.). In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist weiter geklärt, dass der Nachbarschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO als Ausprägung des Rücksichtnahmegebots in Bezug auf Belästigungen und Störungen drittschützend ist, einem betroffenen Nachbarn im Fall der Verletzung des Rücksichtnahmegebots also ein Abwehrrecht gegen die Baugenehmigung verleiht (vgl. Söfker in E/Z/B/K, BauGB, Stand August 2017, § 15 BauNVO Rn. 38 m.w.N.). Wahrt danach der Immissionsbeitrag des Gewerbebetriebs der Klägerin unter Berücksichtigung der Vorbelastung i.S.d. Nr. 2.4 Abs. 2 TA Lärm die maßgeblichen Immissionsrichtwerte für den Beurteilungspegel für Gewerbegebiete nach Nr. 6.1 Satz 1 Buchst. b TA Lärm (65 dB(A)/tags, 50 dB(A)/nachts) an den maßgeblichen Immissionsorten der Gemeinschaftsunterkunft, kommt eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots nicht in Betracht.
(b) Auch wenn der maßgebliche Immissionsrichtwert nach TA Lärm für den Beurteilungspegel an den maßgeblichen Immissionsorten der Gemeinschaftsunterkunft überschritten wäre, würde sich vorliegend keine andere Bewertung ergeben.
Das Rücksichtnahmegebot kann zwar gegenüber einem bestandsgeschützten, emittierenden Gewerbebetrieb verletzt sein, wenn eine heranrückende Bebauung zu zusätzlichen Anforderungen aus Gründen des Immissionsschutzes führen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – a.a.O. = juris Rn 19, 26; BVerwG, U.v. 18.5.1995 – 4 C 20.94 – BVerwGE 98, 235 = juris Rn. 24; BVerwG, U.v. 14.1.1993 – 4 C 19.90 – NVwZ 1993, 1184 = juris Rn. 32; BVerwG, B.v. 25.11.1985 – 4 B 202.85 – NVwZ 1986, 469 = juris Rn. 2 jeweils m.w.N.). Ein solcher Fall liegt aber nicht vor. Denn mit der Nutzungsänderung des bislang als Call-Center genutzten Gebäudes hin zu einer Gemeinschaftsunterkunft rückt im Ergebnis weder eine schutzbedürftigere Nutzung als bisher an den Betrieb der Klägerin heran, noch verschiebt sich die beiderseitige Zumutbarkeitsgrenze aufgrund der angefochtenen Baugenehmigung zu Lasten der Klägerin oder sonstiger zu einer Gesamtbelastung i.S.v. Nr. 2.4 Abs. 3 TA Lärm beitragender Anlagen.
Gegenüber dem bestehenden Gebäude der Beigeladenen, das bislang als Call-Center genutzt wurde, war kein geringeres Maß an Rücksicht zu nehmen als gegenüber der nunmehr genehmigten Nutzung als Gemeinschaftsunterkunft, die umgekehrt, weil sie in einem faktischen Gewerbegebiet ausgeübt wird, keinen höheren Schutzanspruch vermittelt als die vorangegangene Nutzung zu gewerblichen Zwecken. Der emittierende Betrieb der Klägerin ist vielmehr in gleicher Weise an die nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze gebunden wie die gewerblichen Störungen ausgesetzte Gemeinschaftsunterkunft.
Anders als gewerblich genutzte Bauten weisen Flüchtlingsunterkünfte zwar Schlafräume auf. Eine erhöhte Schutzwürdigkeit als gegenüber den bislang zu Bürozwecken genutzten Räumlichkeiten bzw. dem Baugrundstück der Beigeladenen folgt daraus hier aber nicht. Da Büroräume ebenfalls schutzbedürftige Räume nach A.I.3 Satz 1 Buchst. a des Anhangs zur TA Lärm i.V.m. DIN 4109 (Ausgabe 1989) sind, sind auch ihnen gegenüber die festgelegten Immissionsrichtwerte für den Beurteilungspegel zu wahren (Nr. 2.3, Nr. 6.1 TA Lärm). Selbst wenn die bislang genutzten Büroräume im Gebäude der Beigeladenen als Großraumbüro zu werten wären und deshalb nicht von schutzbedürftigen Räumen i.S.d. DIN 4109 (Ausgabe 1989) ausgegangen werden könnte („ausgenommen Großraumbüros“), würde sich nichts anderes ergeben. Denn nach A.1.3 Satz 1 Buchst. b des Anhangs zur TA Lärm wäre dann der am stärksten betroffene Rand der Fläche maßgeblicher Immissionsort i.S.d. Nr. 2.3 TA Lärm, wo nach dem Bau- und Planungsrecht Gebäude mit schutzbedürftigen Räumen – wie etwa eine Büronutzung – erstellt werden dürfen. Dies gilt auch hinsichtlich der niedrigeren Immissionsrichtwerte für die Nachtzeit, weil die Zuordnung der Immissionsorte zu den einzelnen Baugebietstypen nicht auf die tatsächliche Nutzung abstellt, sondern auf die Festlegungen in den Bebauungsplänen (Nr. 6.6 Satz 1 TA Lärm) bzw. im unbeplanten Innenbereich auf die Schutzbedürftigkeit des jeweiligen Gebiets (Nr. 6.6 Satz 2 TA Lärm), das hier einem Gewerbegebiet i.S.v. Nr. 6.1 Satz 1 Buchst. b TA Lärm, § 34 Abs. 2 BauGB, § 8 BauNVO entspricht. Auf die sich aus der TA Lärm ergebenden Vorgaben hat auch das Verwaltungsgericht abgestellt, soweit es ausführt, die nunmehr genehmigte Nutzung führe faktisch in gewissem Umfang sogar zu einer Verbesserung für die Klägerin, weil andernfalls der maßgebliche Immissionsort näher an die Hauptquelle der Emissionen durch den Lkw-Verkehr rücken würde (vgl. UA S. 27).
Der vom Verwaltungsgericht angestellte Vergleich des Vorhabens mit Betriebswohnungen i.S.d. § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO, die in Gewerbegebieten ausnahmsweise zugelassen werden können, ist ebenfalls berechtigt. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob bereits eine Betriebswohnung im Gebiet vorhanden ist. Denn der vom Verwaltungsgericht angestellte Vergleich von Flüchtlingsunterkünften mit Betriebswohnungen betrifft den aus der Belegenheit solcher Anlagen in Gewerbegebieten folgenden geminderten Schutzgrad (vgl. UA S. 26 f). Insoweit ist geklärt, dass Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter prinzipiell ein geringerer Schutz gegen Immissionen zusteht als den sonstigen Wohnungen, weil in Gewerbe- und Industriegebieten an sich nicht gewohnt werden darf. Die aus betriebswirtschaftlichen und betriebstechnischen Gründen gleichwohl in diesen Gebieten – ausnahmsweise – zulässigen Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonal sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter müssen sich deswegen nach dem Sinn und Zweck der zitierten Vorschriften mit der Immissionsbelastung abfinden, die generell in solchen Gebieten zulässig ist. (vgl. BVerwG, U.v. 16.3.1984 – 4 C 50.80 – NVwZ 1984, 511 = juris Rn. 15 m.w.N.). Angesichts der weitreichenden Zulassungsmöglichkeiten für Flüchtlingsunterkünfte, von denen nach § 246 Abs. 8 bis 14 BauGB in allen Baugebieten, im unbeplanten Innenbereich und im Außenbereich Gebrauch gemacht werden kann, gilt für Flüchtlingsunterkünfte – zumal in einem Gewerbe- oder Industriegebiet – nichts anderes. Auch die Bewohner von Flüchtlingsunterkünften in Gewerbegebieten müssen sich nach dem Sinn und Zweck des § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB mit der Immissionsbelastung abfinden, die generell im Gewerbegebiet zulässig ist. Insoweit wird nicht nur der betroffenen Nachbarschaft ein Mehr an Beeinträchtigungen zugemutet (vgl. Decker in Jäde/Dirnberger, BauGB/BauNVO, 8. Auflage 2017, § 246 BauGB Rn. 44 m.w.N.; vgl. OVG Hamburg, B.v. 14.4.2016 – 2 Bs 29/16 – BauR 2016, 1279 = juris Rn. 42 m.w.N. zu § 246 Abs. 12 Satz 1 BauGB), sondern auch den Bewohnern von Flüchtlingsunterkünften.
Weitergehende immissionsschutzrechtliche Anforderungen als § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG ohnehin gebietet und bislang schon geboten hat, entstehen für den Betrieb der Klägerin daher nicht erst aufgrund der Zulassung des Vorhabens. Insoweit muss auch nicht der Frage nachgegangen werden, welche nach Maßgabe der TA Lärm zulässigen Möglichkeiten der architektonischen Selbsthilfe der beigeladenen Bauherrin obliegen könnten und ob die Klägerin ihrerseits den nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG gebotenen immissionsbezogenen Grundpflichten zur Lärmminderung und Lärmvermeidung nachgekommen ist. Hiervon ausgehend bestehen auch keine Bedenken gegen den beauflagten Einbau von Schallschutzfenstern in der Gemeinschaftsunterkunft, weil es dem Immissionsbetroffenen unbenommen bleibt, für seine Nutzung über das nach Maßgabe der TA Lärm Geforderte hinaus einen weitergehenden Lärmschutz vorzusehen, um zu gewährleisten, dass innerhalb des Gebäudes erträgliche Aufenthaltsverhältnisse herrschen (in diese Richtung auch BayVGH, B.v. 2.9.2016 – 1 CS 16.1275 – BayVBl 2017, 24 = juris Rn. 5). Dies gilt hier schon deshalb, weil die in der Baugenehmigung vom 1. Juli 2015 geforderte Maßnahme des passiven Lärmschutzes bereits wegen der Verkehrs- und Gesamtlärmproblematik geboten ist.
(c) Etwas anderes folgt auch nicht aus den Betriebserweiterungsabsichten der Klägerin.
Soweit die Klägerin eine Ausweitung oder zumindest eine weitere Ausweitung ihres Betriebs zur Nachtzeit anstrebt (vgl. Genehmigungsverfahren auf Erweiterung der Betriebszeiten in die Nachtstunden – Nr. B1-2015-84, Bl. 28), wird sie daran durch die Nutzungsänderung des Gebäudes der Beigeladenen in eine Gemeinschaftsunterkunft nicht weiter beschränkt als durch die vorhergehende Nutzung als Call-Center. Die Einschränkung eines lärmrelevanten Nachtbetriebs in Gewerbegebieten folgt – anders als in Industriegebieten – aus dem in Nr. 6.1 Satz 1 Buchst. b TA Lärm festgelegten und gegenüber dem Tagrichtwert in Höhe von 65 dB(A) deutlich reduzierten Immissionsrichtwert von 50 dB(A) für die Nachtzeit. Insoweit kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, sie sei beim Erwerb ihrer Betriebsgrundstücke davon ausgegangen, diese je nach den betrieblichen Erfordernissen 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr nutzen zu können.
(d) Vorstehendes gilt auch für andere zu einer Gesamtbelastung beitragende Anlagen, für die TA Lärm Anwendung findet (vgl. Nr. 2.2, Nr. 3.2.1 Abs. 1 TA Lärm).
bb) Für Sicherheitsvorkehrungen gegen ein unbefugtes Betreten des Betriebsgrundstücks der Klägerin, das nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts allerdings vollständig umzäunt ist, ist die Klägerin verantwortlich. Ein etwaiges individuelles Fehlverhalten ist im Übrigen städtebaulich nicht relevant; ihm ist mit den Mitteln des Polizei- und Ordnungsrechts zu begegnen (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.2011 – 4 BN 20.11 – BauR 2012, 621 = juris Rn. 5; Decker in Jäde/Dirnberger, BauGB/ BauNVO, 8. Auflage 2017, § 246 Rn. 44 jeweils m.w.N.).
d) Die Abweichung ist auch mit dem öffentlichen Belang von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden und ihrer Unterbringung vereinbar (§ 1 Abs. 6 Nr. 13 BauGB).
Die Gemeinschaftsunterkunft verfügt ausweislich der mit Genehmigungsvermerk versehenen Bauvorlagen neben Schlafräumen über gemeinschaftliche Sanitärräume, Behandlungsräume, Küchen und Gemeinschaftsräume zum Aufenthalt, so dass die an eine Flüchtlingsunterkunft zu stellenden Mindestanforderungen gewährleistet sind.
Die wünschenswerte Teilhabe der Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft am öffentlichen Leben (vgl. Söfker/Runkel in E/Z/B/K, BauGB, Stand August 2017, § 1 Rn. 178e) ist angesichts des Standorts der Unterkunft in einem Gewerbegebiet allerdings eingeschränkt. Um in das Stadtzentrum von N* … zu gelangen, können die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft aber öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Die S-Bahnhaltestelle E* … ist ebenso in fußläufiger Entfernung erreichbar, wie der Stadtteil E* … Angesichts des Mangels an ausreichenden Unterbringungsmöglichkeiten gerade in Ballungsräumen mit einem angespannten Wohnungsmarkt und der Notwendigkeit, Anlagen zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern zeitnah zu ermöglichen (vgl. BR-Drs. 419/14 S. 1), hat der Gesetzgeber die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in dezentralen Lagen aber in Kauf genommen. So sind nach Maßgabe des zeitlich begrenzten Sonderrechts Flüchtlingsunterkünfte nicht nur in Gewerbe-, Industrie- und Sondergebieten zulassungsfähig, sondern auch in Außenbereichslagen, die in keinem unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit bebauten Flächen innerhalb eines Siedlungsbereichs stehen (§ 246 Abs. 10 Satz 1, Abs. 12 Satz 1 Nr. 2, Abs. 13 BauGB). Dies zugrunde gelegt wahrt die Abweichung trotz der nicht in ein Wohnumfeld integrierten Lage der Unterkunft eine den Mindestanforderungen genügende menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden.
3. Die Entscheidung über die Befreiung ist auch ermessensgerecht.
Für Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB ist anerkannt, dass für die Ausübung des Befreiungsermessens wenig Spielraum bleibt, wenn die engen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB erfüllt sind. Selbst wenn der Tatbestand des § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB mit dem Verzicht auf das Berührtsein der Planungsgrundzüge nicht so eng gefasst ist wie in § 31 Abs. 2 BauGB, verbleibt für die Ausübung des Befreiungsermessens auch hier wenig Spielraum. Denn die neu geschaffene, zeitlich befristete Ermächtigungsgrundlage des § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB zielt gerade auf die weitgehende Erteilung von Befreiungen (vgl. Decker in Jäde/Dirnberger, BauGB/BauNVO, 8. Auflage 2017, § 246 BauGB Rn. 46 m.w.N.; ebs. VGH BW, B.v. 17.5.2017 – 5 S 1505/15 – BauR 2017, 1499 = juris Rn. 42 f.; BayVGH, B.v. 8.1.2016 – 1 CS 15.2687 – juris Rn. 3.). Hiervon ausgehend hat die Beklagte den öffentlichen Interessen an der Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten für Asylbegehrende ermessensfehlerfrei den Vorrang eingeräumt vor den Interessen der Klägerin an der Verhinderung des Vorhabens, denn deren geschützte Interessen werden durch das Vorhaben nicht beeinträchtigt (vgl. VGH BW, B.v. 17.5.2017 a.a.O. Rn. 43).
4. Soweit die Klägerin einwendet, eine Befreiung auf der Grundlage von § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB komme vor allem in Gewerbegebieten in Betracht, die durch ruhiges Gewerbe geprägt seien, beruft sie sich der Sache nach auf einen Gebietsbewahrungsanspruch. Hiermit kann sie nicht durchdringen.
a) Da die Befreiung nach § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB nach den vorstehenden Ausführungen rechtmäßig ist, kommt eine Verletzung des Gebietsbewahrungsanspruchs nicht in Betracht. Denn der Umstand, dass eine Anlage in einem Baugebiet weder allgemein zulässig ist noch im Wege einer Ausnahme zugelassen werden kann, steht einer Befreiung nicht entgegen, sondern eröffnet im Gegenteil erst den Anwendungsbereich der Befreiungsvorschrift (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.2012 – 4 C 14.10 – BVerwGE 142, 1 = juris Rn. 21 m.w.N. zu § 31 Abs. 2 BauGB).
Insoweit stellt § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB – anders als § 31 Abs. 2 BauGB – an die Befreiung geringere Anforderungen, als nicht verlangt wird, dass die Grundzüge der Planung bzw. der sich aus der vorhandenen Bebauung ergebende Gebietscharakter nicht berührt werden dürfen (vgl. BVerwG, U.v. 15.2.1990 – 4 C 23.86 – BVerwGE 84, 322 = juris Rn. 27 zu § 34 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB i.d.F. v. 8.12.1986; vgl. BT-Drs. 18/2752 S. 12). Die Zulassung einer Flüchtlingsunterkunft i.S.d. § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB in einem Gewerbegebiet ist deshalb auch dann mit den öffentlichen Belangen vereinbar, wenn damit typischerweise die allgemeine Zweckbestimmung des Gewerbegebiets nach § 8 Abs. 1 BauNVO verfehlt wird.
Denn § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB soll als zeitlich begrenztes Sonderrecht die Zulassung von Flüchtlingsunterkünften trotz ihrer wohnähnlichen Nutzung bzw. ihres wohnähnlichen Charakters in Gewerbegebieten erleichtern. Nutzungskonflikte, die t y p i s c h e r w e i s e mit der Zulassung von Flüchtlingsunterkünften in Gewerbegebieten verbunden sein können, stehen einer Befreiung nach § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB deshalb nicht entgegen (vgl. BR-Drs. 419/14 S. 6; BT-Drs. 18/2752 S. 12; in diese Richtung auch VGH BW, B.v. 17.5.2017 – 5 S 1505/15 – BauR 2017, 1052 = juris Rn. 31; BayVGH, B.v. 22.8.2016 – 2 CS 16.737 – juris Rn. 10). Andernfalls liefe die Befreiungsmöglichkeit des § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB ins Leere, weil Bauvorhaben, die außerhalb des Anwendungsbereichs des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO einer Wohn- oder wohnähnlichen Nutzung zu dienen bestimmt sind, mit dem Charakter eines Gewerbegebiets unvereinbar sind (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2002 – 4 B 86.01 – NVwZ 2002, 1384 = juris Rn. 10 zur Unzulässigkeit von Seniorenpflegeheimen als Anlagen für soziale und/oder gesundheitliche Zwecke im Gewerbegebiet/Ausnahmefähigkeit).
b) Ob die den Gebietscharakter betreffende Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO bei der Befreiung nach § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB insoweit entsprechende Anwendung finden kann, als es nicht um typischerweise mit der Zulassung von Flüchtlingsunterkünften in Gewerbegebieten verbundene Nutzungskonflikte geht, kann dahinstehen. Denn es bestehen jedenfalls nach den vorstehenden Ausführungen auch bei einer einzelfallbezogenen Betrachtung keine Anhaltspunkte dafür, dass das Vorhaben nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung im Widerspruch zu einem sich aus den örtlichen Verhältnissen ergebenden besonderen Gebietscharakter des konkreten Baugebiets stehen würde (vgl. BVerwG, B.v. 29.7.1991 – 4 B 40.91 – NVwZ 1991, 1078 = juris Rn. 4 m.w.N.). Insbesondere fallen die vorhandenen gewerblichen Nutzungen im Gewerbegebiet hinsichtlich ihres Störgrads nicht aus dem Rahmen der in Gewerbegebieten allgemein zulässigen Anlagen. Auch sonst weist das Gewerbegebiet keine besondere, spezifische Prägung oder Eigenart auf, die der Zulassung der Gemeinschaftsunterkunft hier entgegenstehen könnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).


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