Baurecht

Erfolglose Verpflichtungsklage auf Genehmigung einer einseitigen beleuchteten Werbeanlage

Aktenzeichen  W 5 K 18.15

Datum:
28.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 28098
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 101 Abs. 2, § 113 Abs. 5 S. 1
BayBO Art. 14 Abs. 2, Art. 68 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Eine Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs durch eine bauliche Anlage im Sinne von Art. 14 Abs. 2 BayBO liegt vor, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass durch die Anlage ein Verkehrsunfall verursacht wird oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird, insbesondere ein Durchschnittskraftfahrer durch sie abgelenkt wird. (Rn. 18) (red. LS Alexander Tauchert)
2. Der Nachweis, dass jederzeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist, oder eine hohe Wahrscheinlichkeit hierfür ist nicht erforderlich. Es genügt die Feststellung, dass die konkrete Situation die Befürchtung nahe legt, dass – möglicherweise durch Zusammentreffen mehrerer gefahrenträchtiger Umstände – irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die zu bekämpfende Gefahrenlage eintritt. (Rn. 18) (red. LS Alexander Tauchert)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage, über die im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der mit Bauantrag vom 4. Mai 2017 beantragten Baugenehmigung. Der ablehnende Bescheid der Stadt Würzburg vom 8. Dezember 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind; die Bauaufsichtsbehörde darf gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO den Bauantrag auch ablehnen, wenn das Bauvorhaben gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt.
1. Die Beklagte hat sich im streitgegenständlichen Bescheid auf die Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs im Sinne des Art. 14 Abs. 2 BayBO berufen, weswegen dieser Ablehnungsgrund einer gerichtlichen Prüfung zu unterziehen ist.
Nach Art. 14 Abs. 2 BayBO dürfen bauliche Anlagen die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nicht gefährden. Eine Gefährdung dieser Sicherheit und Leichtigkeit liegt vor, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass durch die Anlage ein Verkehrsunfall verursacht wird oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird, insbesondere ein Durchschnittskraftfahrer durch sie abgelenkt wird. Eine hypothetische Ablenkungsmöglichkeit hingegen genügt nicht (BayVGH, U.v. 22.8.2001 – 2 B 01.74 – juris). Es ist darauf abzustellen, ob die Werbeanlage bei ordnungsgemäßem Verhalten der Verkehrsteilnehmer eine Gefahrenquelle für die öffentliche Sicherheit darstellt. Dabei ist davon auszugehen, dass sich der durchschnittliche Fahrer mittlerweile an Plakatwerbung der vorliegenden Art an hierfür geeigneten Plätzen gewöhnt hat. In belebten Geschäftsstraßen oder Ortsdurchfahrten wird der Kraftfahrer die dort vorhandenen Werbeanlagen jeder Art in der Regel nur nebenbei und unbewusst wahrnehmen, es sei denn, eine Anlage weckt seine Aufmerksamkeit gerade durch ihre besondere Anbringungsart. Eine Werbeanlage kann dann eine Gefährdung der Verkehrssicherheit bewirken, wenn sie für den vorbeifahrenden Kraftfahrer in einer Blickrichtung angebracht ist, in der sie für die Verkehrssituation wichtige Aspekte verdecken oder überlagern würde (BayVGH, B.v. 30.7.1999 – 26 B 96.316 – FSt. 2000, Nr. 222). Der Nachweis, dass jederzeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist, oder eine hohe Wahrscheinlichkeit hierfür ist nicht erforderlich. Es genügt die Feststellung, dass die konkrete Situation die Befürchtung nahe legt, dass – möglicherweise durch Zusammentreffen mehrerer gefahrenträchtiger Umstände – irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die zu bekämpfende Gefahrenlage eintritt. Geht es dabei – wie hier – um die Gefährdung von Leben und Gesundheit, sind an die Feststellung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen (BayVGH, B.v. 24.2.2003 – 2 CS 02.2730 – juris; unter Berufung auf BVerwG vom 10.8.1971 – BRS 24, 179).
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist hier von einer Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs im Sinne von Art. 14 Abs. 2 BayBO auszugehen.
Die Kammer teilt das Ergebnis der fachbehördlichen Stellungnahmen der Polizeiinspektion W.-Stadt vom 16. Juni 2017 und der Fachabteilung Tiefbau – Verkehrsregelung – der Beklagten vom 23. Juni 2017, die übereinstimmend das Vorhaben der Klägerin im Hinblick auf eine Gefährdung der Verkehrssicherheit ablehnen. Die konkrete Situation legt die Befürchtung nahe, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die zu bekämpfende Gefahrenlage eintreten wird. Im Rahmen des gerichtlichen Augenscheintermins am 24. Mai 2018 hat die Kammer festgestellt, dass die Blickrichtung auf die geplante Werbeanlage für die Verkehrsteilnehmer stadteinwärts in Fahrtrichtung Berliner Ring spätestens unterhalb der Bahnunterführung eröffnet wird und der Standort aus der sich unmittelbar anschließenden Rechtskurve eingesehen werden kann. Vor Ort besteht zur Überzeugung der Kammer eine Verkehrssituation, die dem einzelnen Verkehrsteilnehmer insbesondere im Hinblick auf die starke Frequentierung der Einfahrtsstraße mit innerstädtischem Verkehr, die regelmäßigen Rückstauungen vom Berliner Ring, die – wie gerichtsbekannt ist – bis zurück auf den Europastern reichen, die mit der Bahnunterführung einhergehenden Sichteinschränkungen und wechselnden Lichtverhältnissen, die sich in der unmittelbar anschließenden Rechtskurve zunehmend verengenden Fahrspuren, die fehlende Geschwindigkeitsbegrenzung, die Möglichkeit zum Spurwechsel sowie den parallel verlaufenden Fahrradweg höchste Aufmerksamkeit abverlangt. Der von der geplanten Werbeanlage zu erwartende und auch von den beteiligten Fachbehörden hervorgehobene Ablenkungseffekt kann nach Auffassung der Kammer auch unter Berücksichtigung eines Gewöhnungseffekts für Kraftfahrzeugfahrer im innerstädtischen Verkehr nicht als vernachlässigbar gering eingestuft werden. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die geplante Werbeanlage beleuchtet ist, an einer besonders exponierten Lage (an der nördlichen Außenwand des Gebäudes Schürerstr. a, unterhalb des dort befindlichen Telekom-Logos) angebracht werden soll und für den die Bahnunterführung stadteinwärts passierenden Kraftfahrzeugfahrer unvermittelt ins Blickfeld tritt. In Anbetracht dessen legt die konkrete Situation die Befürchtung nahe, dass durch das Bauvorhaben der Klägerin die Blicke von vorbeifahrenden Kraftfahrern in erheblicher Weise abgelenkt werden, mit der Folge, dass es hierdurch mit hinreichend hoher Wahrscheinlichkeit zu Verkehrsbeeinträchtigungen und -unfällen und damit auch zu Gefährdungen für Leben und Gesundheit kommen kann.
Da die bezeichneten Umstände für sich genommen ausreichend sind, bedarf es aus der Sicht des Gerichts keiner näheren Aufklärung mehr in Bezug auf die zwischen den Beteiligten umstrittenen Frage, ob im maßgeblichen Bereich – auch gegenwärtig noch – eine Unfallhäufungsstelle vorhanden ist, oder ob die geplante Werbeanlage mit weiteren Gefahrenmomenten verbunden ist.
Entgegen der Auffassung der Klägerin lässt sich aus dem Umstand, dass am Standort R. eine Bebauung mit Werbeanlagen vorhanden ist, nicht schlussfolgern, dass im vorliegenden Fall die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs nicht gefährdet sei. Denn unabhängig von der konkreten Genehmigungslage dieser Anlagen und den hierzu ergangenen fachbehördlichen Stellungnahmen ist jedenfalls festzustellen, dass an dem Standort an der R. eine vollkommen andere und damit nicht vergleichbare Verkehrssituation vorzufinden ist. Zutreffend stellt die Fachabteilung Tiefbau – Verkehrsregelung – der Beklagten in ihrer Stellungnahme vom 4. September 2017 darauf ab, dass für den Standort der Werbeanlagen an der R. nicht der stadteinwärts, sondern der stadtauswärts fließende Verkehr auf der S. Straße maßgeblich ist, für den abweichende Blickverhältnisse gelten und der im maßgeblichen Bereich – anders als vorliegend – im Wesentlichen durch eine Fahrspuraufteilung, eine Ampelanlage und einen Fußgängerüberweg geprägt wird. Bereits aus diesem Grund ist für die Werbeanlagen am Standort R. eine eigene Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen, die – gleich welchen Inhalts – keine Bindungswirkung für das Vorhaben der Klägerin nach sich zieht. Gleiches gilt in Bezug auf die im Sichtbereich des stadteinwärts verlaufenden Verkehrs befindlichen Werbeanlagen im Bereich der Bahnunterführung, die sich von dem Vorhaben der Klägerin mit Blick auf ihre konkreten Standorte und ihre Ausgestaltung als unbeleuchtete Plakatanschlagtafeln von dem Vorhaben der Klägerin wesentlich unterscheiden.
2. Soweit die Beklagte in Bezug auf das Vorhaben der Klägerin in bauordnungsrechtlicher Hinsicht außerdem von einer störenden Häufung von Werbeanlagen i.S.v. Art. 8 Satz 3 BayBO ausgeht, bedarf es hierüber im Hinblick auf den festgestellten Verstoß gegen Art. 14 Abs. 2 BayBO keiner Entscheidung. Gleiches gilt für das Vorbringen der Beklagten, wonach das Vorhaben der Klägerin aus bauplanungsrechtlichen Gründen wegen Verstoßes gegen textliche Festsetzungen des Bebauungsplans „Sch.“ – Altstadt 16.2 – zu Werbeanlagen unzulässig sei.
3. Nach alldem war die Klage mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben