Baurecht

Erfolgloser Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Nachbarklage

Aktenzeichen  W 5 S 19.189

Datum:
9.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 10831
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5, § 80a Abs. 3, § 113 Abs. 1 S. 1, § 114 S. 1, S. 2
BauGB § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2, § 212a Abs. 1
BauNVO § 15 Abs. 1
BayBO Art. 6 Abs. 6 S. 1, Abs. 9 S. 1 Nr. 1, Art. 59 S. 1, Art. 68 Abs. 1 S. 1 Halbs. 1
BayBO 1998 Art. 2 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

1 Ein nicht bestandskräftiger Vorbescheid wird durch eine nachfolgende Baugenehmigung konsumiert und dessen Inhalt muss von der Baugenehmigung neu geregelt werden. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2 Örtliche Bauvorschriften über die äußere Gestaltung baulicher Anlagen – und sei es auch in einem Bebauungsplan – wirken grundsätzlich nicht nachbarschützend. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3 Fällt die auf Tatbestandsebene vorzunehmende Würdigung nachbarlicher Interessen anhand des Gebots der Rücksichtnahme zugunsten des Bauherrn aus und wird eine Befreiung von nicht nachbarschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans erteilt, ist ein Anspruch des Nachbarn auf Aufhebung der Baugenehmigung allein wegen eines Ermessensfehlers weder erforderlich noch gerechtfertigt. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen haben die Antragsteller als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Antragsteller wenden sich als Eigentümer des mit einem Einfamilien-Wohnhaus bebauten Grundstücks Fl.Nr. …0/…0 der Gemarkung K…, …Straße … in K…, gegen die den Beigeladenen mit Bescheid vom 24. Januar 2019 erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamilienhauses mit Garage und Carport auf dem südlich angrenzenden Grundstück Fl.Nr. …0/…1 der Gemarkung K…, …Straße … in K… (Baugrundstück). Im betroffenen Bereich fällt das Gelände von West nach Ost und ganz leicht von Süd nach Nord.
1. Das Baugrundstück befindet sich im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans „Höret“ vom 14. Dezember 1981, der hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung ein Allgemeines Wohngebiet und hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung ein Vollgeschoss und Baugrenzen festsetzt. Des Weiteren enthält er für das Baugrundstück die Festsetzung einer Dachneigung von 32° und zur Höheneinstellung der Gebäude die Regelungen, dass die bergseitige Traufhöhe 3,0 m nicht überschreiten und der Fußboden der bergseitig der Straße liegenden Garagen mit ihrem Fußboden max. 30 cm über Straßenniveau liegen darf. Des Weiteren ist die Errichtung von Garagen ausweislich der textlichen Festsetzungen nur innerhalb der überbaubaren Grundflächen zulässig. Hinsichtlich des Baugrundstücks erfolgt im südöstlichen Grundstücksbereich ein Garagen-Standortvorschlag.
Auf die Voranfrage der Beigeladenen vom 26. Oktober 2018, eingegangen beim Landratsamt Haßberge am 22. November 2018, erteilte das Landratsamt unter dem 6. Dezember 2018 den Vorbescheid, wonach das Bauvorhaben bauplanungsrechtlich und abstandsflächenrechtlich zulässig ist (Ziffer I). Auf den im Rahmen der Voranfrage gestellten Antrag erteilte das Landratsamt im Einvernehmen mit der Gemeinde „gemäß § 31 Abs. 2 Baugesetzbuch nach pflichtgemäßem Ermessen Befreiung“, soweit das Vorhaben von den Festsetzungen des Bebauungsplans „Höret“ hinsichtlich der Überschreitung der Baugrenze hinsichtlich der Garage, hinsichtlich der Dachneigung von 35° statt 32° und hinsichtlich der Traufhöhe bergseits von 4,30 m statt 3,00 m mit einer Kniestockhöhe von 96 cm abweicht. Die Antragsteller wurden in diesem Verfahren auf entsprechenden Antrag der Beigeladenen nicht beteiligt und erhielten auch keine Ausfertigung des Vorbescheids.
2. Mit Bauantrag vom 19. Dezember 2018, eingegangen beim Landratsamt Haßberge am 10. Januar 2019, beantragten die Beigeladenen die Erteilung der Baugenehmigung für den Neubau eines Einfamilienwohnhauses mit Garage und Carport auf dem Baugrundstück. Ausweislich der Planzeichnungen weist das Satteldach des Wohnhauses eine Dachneigung von 35° (vgl. „Schnitt A-A“ bzw. „Detail Kniestock“) auf, die Traufhöhe an der Nordfassade ist mit 4,30 m bemaßt (vgl. „Schnitt A-A“). Der Standort der Garage und des Carports befinden sich östlich des Wohnhauses, außerhalb der im Bebauungsplan „Höret“ festgesetzten Baugrenzen und außerhalb des Garagen-Standortvorschlags (vgl. Grundriss „Erdgeschoss“).
Mit Bescheid vom 24. Januar 2019 erteilte das Landratsamt Haßberge den Beigeladenen die begehrte Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren mit dem Hinweis, dass die erforderlichen Befreiungen (Überschreitung der Baugrenze mit der Garage, Dachneigung und Traufhöhe) bereits mit Vorbescheid vom 6. Dezember 2018 erteilt worden seien.
3. Gegen den Bescheid vom 24. Januar 2019 ließen die Antragsteller am 25. Februar 2019 durch ihren Bevollmächtigten Klage erheben (W 5 K 19.188). Sie stellten am gleichen Tag den Antrag,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage der Antragsteller anzuordnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen: Der Antrag sei zulässig und begründet. Die Baugenehmigung sei rechtswidrig und die Rechtswidrigkeit beruhe auf einer Verletzung drittschützender Normen. Der Bescheid verletze die Rechte der Antragsteller, weil wesentliche Bestimmungen des Bebauungsplans zum Schutze der Nachbarn nicht eingehalten worden seien. Sowohl der genehmigte Garagenstandort als auch die Geschosszahl und die Traufhöhe des geplanten Hauses wichen erheblich von den Festsetzungen ab, was dazu führe, dass das Grundstück der Antragsteller eingeschränkt und in seiner Güte und seinem Wert deutlich gemindert werde. Auch wenn eine gewisse Überschreitung des Maßes der baulichen Nutzung grundsätzlich keinen Drittschutz bewirke, liege hier eine Ausnahme vor, weil das Bauvorhaben eine erdrückende Wirkung auf das Nachbargrundstück habe. Im vorliegenden Fall sei durch die Planung der Garage auf der Nordseite nicht nur gegen die Vorschrift im Bebauungsplan, die einen Abstand von 5,50 m vorsehe, verstoßen worden, so dass die nötigen Abstandsflächen nach dem Bebauungsplan nicht eingehalten würden. Vielmehr werde hierdurch und durch den Umstand, dass das Gelände der Antragsteller niedriger liege, diesem weiter Licht und Luft genommen. Verschärft werde dies durch den Umstand, dass das Grundstück der Antragsteller am Ende einer Sackgasse liege. Durch diese vorgenannten Umstände entstehe der Eindruck des Eingesperrtseins und es falle deutlich weniger Licht auf das Grundstück der Antragsteller. Erschwerend komme die zweite Ausnahme zugunsten der Bauherrn hinzu, wonach die Traufkante des Bauvorhabens anstelle der im Bebauungsplan vorgesehenen Höhe von 3,00 m eine solche von 4,30 m aufweise. Insoweit sei zwar das Interesse des Bauherrn an einem höheren Haus und an mehr Platz und Lichteinfall grundsätzlich nachvollziehbar, jedoch nicht so schutzwürdig, dass gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans und die entgegenstehenden Interessen der Antragsteller verstoßen werden dürfe. Diese hätten im Vertrauen auf die Regelungen des Bebauungsplans ihr Grundstück gewählt und hätten ein berechtigtes Interesse, den bestehenden Lichteinfall auf ihr Grundstück bzw. Haus weitgehend zu erhalten. Schließlich sei nach dem Bebauungsplan nur ein einstöckiges Haus im Baugebiet zulässig und ein Ausbau des Dachgeschosses bei einer Dachneigung von 35° nicht gestattet. Hier verfüge aber das Bauvorhaben über ein zweites Vollgeschoss, was dazu führe, dass ein erheblich höheres Gebäude als zulässig entstehe, mit der Konsequenz, dass der Ausblick aus dem Haus der Antragsteller massiv beeinträchtigt werde. Die erteilte Baugenehmigung verstoße gegen § 31 Abs. 2 Ziff. 2 BauGB, weil die Würdigung nachbarlicher Interessen nicht zutreffend erfolgt sei. Dass die Behörde überhaupt Ermessen ausgeübt und Abwägungen vorgenommen habe, geschweige denn in angemessenem Umfang, sei nicht ersichtlich.
4. Das Landratsamt Haßberge stellte für den Antragsgegner den Antrag,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen: Der Antrag sei nicht begründet. Die Baugenehmigung vom 24. Januar 2019 sei sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht rechtmäßig und verletze die Antragsteller nicht in ihren subjektiven Rechten. Nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts würden nicht verletzt, insbesondere nicht das baurechtliche Rücksichtnahmegebot. Für die erforderlichen Abweichungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans (Überschreitung des Baufeldes mit der Garage, Dachneigung und bergseitige Traufhöhe) seien die erforderlichen Befreiungen nach pflichtgemäßem Ermessen erteilt worden. Die Grundzüge der Planung würden nicht berührt, die Abweichungen seien städtebaulich vertretbar und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Der Bebauungsplan „Höret“ enthalte hinsichtlich der Garagen keine zwingende Festsetzung, sondern nur einen Standortvorschlag, so dass die Garage auch nicht zwingend auf der Südseite des Baugrundstücks anzuordnen sei. Auch müsse die Garage als zulässige Grenzgarage keine Abstandsflächen einhalten. Die Festsetzung der bergseitigen Traufhöhe von 3,00 m betreffe nur gestalterische Vorgaben und habe keinen nachbarschützenden Charakter. Gleiches gelte für die Festsetzung hinsichtlich der Zahl der Vollgeschosse. Im vorliegenden Fall liege auch kein zweites Vollgeschoss vor, da ausgehend von einer Grundfläche von 101,75 m² nur bei einer Fläche von 67,61 m² eine Höhe von 2,30 m und damit nicht bei mindestens 2/3 der Grundfläche eine derartige Höhe nach der Legaldefinition des Art. 2 Abs. 5 BayBO 1998 gegeben sei. Im Rahmen der Vereinbarkeit der Abweichungen mit den öffentlichen Belangen seien insbesondere auch die nachbarlichen Belange gewürdigt worden. Die allgemeinen Regeln für die Ausübung des Ermessens seien beachtet worden, die Spielräume für zusätzliche Erwägungen seien bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen aber als tendenziell gering anzusehen. Die Baugenehmigung verstoße auch nicht gegen andere öffentlich-rechtliche Vorschriften mit drittschützender Wirkung, insbesondere nicht gegen die Abstandsflächenvorschriften der Bayer. Bauordnung.
5. Die Bevollmächtigten der Beigeladenen stellten den Antrag,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen: Der Antrag könne keinen Erfolg haben. Denn eine Rechtsverletzung der Antragsteller sei weder hinreichend dargetan noch ersichtlich. Die Ausführungen der Antragsteller seien nicht geeignet, Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung zu begründen. So sei die Auffassung der Antragsteller, die Garage würde Abstandsflächen nach dem Bebauungsplan nicht einhalten, unzutreffend. Insoweit werde im Bebauungsplan „Höret“ kein Abstand von 5,50 m vorgeschrieben. Soweit möglicherweise auf die zeichnerische Darstellung der Garagen im Bebauungsplan abgestellt werde, handele es sich lediglich um einen Standortvorschlag. Seitliche Baugrenzen entfalteten vorliegend keine nachbarschützende Wirkung. Die Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO würden vorliegend eingehalten, die Garage sei nach Art. 6 Abs. 9 Ziff. 1 BayBO in den Abstandsflächen des Gebäudes ohne eigene Abstandsflächen zulässig. Von einer ins Gewicht fallenden Einbuße an Licht und Luft könne nicht die Rede sein. Der Abstand zwischen den beiden Baukörpern betrage mehr als 12 m, so dass ausreichend Freiraum bestehe. Das geplante Haus der Beigeladenen falle deutlich kleiner aus als der Baukörper der Antragsteller. Die bzgl. der Traufhöhe erteilte Befreiung sei rechtmäßig und auch insoweit das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt. Der Ausblick aus dem Haus sowie ästhetische und finanzielle Nachteile, worauf die Antragsteller abstellten, seien nicht schützenswert. Auch hinsichtlich der Dachneigung von 35° statt 32° seien lediglich städtebauliche Belange berührt, denen keine nachbarschützende Wirkung zukomme. Ergänzend sei zu bemerken, dass auch die Antragsteller ihr Dachgeschoss ausgebaut hätten und auch das Dachgeschoss ihrer Doppelgarage. Auch die Antragsteller hätten für ihr eigenes Bauvorhaben Befreiungen hinsichtlich Dachgauben, Dachneigung und Überschreitung der Baulinie erhalten. Zusammenfassend sei festzuhalten, dass das Bauvorhaben der Beigeladenen nicht zu unzumutbaren Beeinträchtigungen der Antragsteller führe.
6. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antrag ist zulässig.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller (§ 80 Abs. 1 VwGO) entfällt vorliegend, weil sie sich gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens wenden (§ 212a BauBG). In einem solchen Fall kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs ganz oder teilweise anordnen (§ 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO). Ein derartiger Antrag kann unmittelbar bei Gericht gestellt werden.
2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unbegründet.
Im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage bzw. seines Widerspruchs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 68 und 73 ff.). Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
Vorliegend lässt sich nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung anhand der Akten feststellen, dass die Anfechtungsklage der Antragsteller gegen die Baugenehmigung des Landratsamtes Haßberge vom 24. Januar 2019 mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben wird, da der angefochtene Bescheid die Antragsteller nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind; insoweit ist das Landratsamt Haßberge hier zutreffender Weise vom vereinfachten Genehmigungsverfahren des Art. 59 BayBO ausgegangen.
Die Baugenehmigung ist nur dann aufzuheben, wenn sie rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Nachbar eines Vorhabens kann eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn es das Vorhaben an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Nur daraufhin ist das genehmigte Vorhaben in einem nachbarrechtlichen Anfechtungsprozess zu prüfen (vgl. OVG Münster, B.v. 5.11.2013 – 2 B 1010/13 – DVBl. 2014, 532; BVerwG, B.v. 28.7.1994 – 4 B 94/94; U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84; U.v. 13.6.1980 – IV C 31.77; alle juris).
2.1. Entgegen der Meinung der Antragstellerseite ist für eine Verletzung des Abstandsflächenrechts (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c i.V.m. Art. 6 BayBO) nichts ersichtlich, insbesondere werden vorliegend die Abstandsflächen gemäß der Vorschrift des Art. 6 BayBO zum Grundstück der Antragsteller eingehalten.
Der Vortrag des Antragstellerbevollmächtigten, dass die „nötigen Abstandsflächen nach dem Bebauungsplan nicht eingehalten würden“, dass nämlich gegen die Vorschrift im Bebauungsplan verstoßen werde, die einen Abstand von 5,50 m vorsehe, kann schon deshalb nicht zum Erfolg führen, weil der Bebauungsplan „Höret“ keine (von Art. 6 BayBO abweichende) textliche oder zeichnerische Festsetzung von Abstandsflächen enthält. Soweit der Bebauungsplan für das Baugrundstück einen explizit so bezeichneten „Garagen-Standortvorschlag“ enthält und die insoweit festgesetzte Baugrenze einen Abstand von ca. 5,50 m zur (vorderen) Grundstücksgrenze aufweist, bleibt darauf hinzuweisen, dass es sich nicht um eine verbindliche bauplanungsrechtliche Festsetzung und auch nicht um die Festsetzung einer Abstandsfläche handelt, sondern lediglich um einen unverbindlichen Standortvorschlag. Dies hat wiederum zur Folge, dass für ein Abweichen von diesem unverbindlichen Vorschlag eine Befreiung nicht erforderlich ist.
Dass das kombinierte Carport-Garagen-Gebäude an der Nordostecke der Garage lediglich einen Abstand von ca. 1,00 m zu der hier von Südosten nach Nordwesten verlaufenden Grundstücksgrenze der Antragsteller einhält, ist nicht zu beanstanden, da die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO gewahrt sind. Der Carport und die Garage werden mit einer Wandlänge von 7,00 m zur nördlichen Grundstücksgrenze und einer Höhe zwischen 3,00 m (an der Nordostecke dieses Gebäudes) und 2,65 m (an der Nordwestecke), also eine mittlere Wandhöhe von 2,825 m, an das Wohnhaus angebaut. Auf dieses Garagen-Carport-Gebäude findet Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO Anwendung, demzufolge in den Abstandsflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandsflächen Garagen mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m und einer Gesamtlänge von 9 m je Grundstücksgrenze zulässig sind. Daran, dass das Wohnhaus der Beigeladenen die gesetzlichen Abstandsflächen des Art. 6 BayBO einhält, bestehen ohnehin keinerlei Zweifel; insoweit kommt hier das sog. 16-m-Privileg des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO zur Anwendung (vgl. hierzu auch die Planzeichnungen „Erdgeschoss“ in der Bauakte).
2.2. Auch aus bauplanungsrechtlichen Gründen spricht nach summarischer Prüfung nichts für einen Erfolg der Antragsteller im Hauptsacheverfahren. Im vorliegenden Fall ist nach Überzeugung der Kammer ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b BayBO) nicht gegeben.
2.2.1. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit richtet sich hier nach § 30 Abs. 1 BauGB, da das Vorhaben im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans „Höret“ vom 14. Dezember 1981 liegt. Das Bauvorhaben entspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans, die im Übrigen erteilten Befreiungen bzw. sonstigen Abweichungen vom Bebauungsplan verletzen die Antragsteller nicht in ihren subjektiven Rechten.
Das Bauvorhaben der Beigeladenen verstößt hier wegen der geplanten Dachneigung von 35° statt 32° und der bergseitigen Traufhöhe von 4,30 m statt 3,00 m hinsichtlich des Wohngebäudes sowie der Überschreitung der vorderen Baugrenze durch das Carport-Garagen-Gebäude um ca. 6 m Richtung Osten sowie hinsichtlich der Höheneinstellung des Garagenfußbodens von 0,53 m statt 0,30 m über Straßenniveau gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans.
Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und (1) Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern oder (2) die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder (3) die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
2.2.2. Soweit das Landratsamt Haßberge im Vorbescheid vom 6. Dezember 2018 Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans „Höret“ hinsichtlich der Überschreitung der Baugrenze hinsichtlich der Garage, hinsichtlich der Dachneigung von 35° statt 32° und hinsichtlich der Traufhöhe bergseits von 4,30 m statt 3,00 m erteilt hat, sind diese Befreiungen auch Inhalt der streitgegenständlichen Baugenehmigung vom 24. Januar 2019 und damit Prüfungsgegenstand im hiesigen Verfahren geworden. Denn der Vorbescheid vom 6. Dezember 2018 wurde den Antragstellern (als Nachbarn) nicht zugestellt, so dass er ihnen gegenüber nicht in Bestandskraft erwachsen ist. Insoweit vertritt die Kammer die Rechtsauffassung, dass ein nicht bestandskräftiger Vorbescheid durch eine nachfolgende Baugenehmigung konsumiert und dessen Inhalt von der Baugenehmigung neu geregelt wird (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand Juni 2018, Art. 71 Rn. 117 ff.).
Hinsichtlich der Höheneinstellung der Garage ist nichts dafür ersichtlich, dass insoweit eine Befreiung überhaupt – ausdrücklich – beantragt wurde. Eine gesonderte schriftliche Beantragung der Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans mit einer Begründung ist aber gemäß Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO erforderlich. Geht man davon aus, dass die Erteilung einer Befreiung erforderlich gewesen wäre, würde sich der Bescheid dann allein deshalb als mangelhaft erweisen, weil eine Befreiung nicht erteilt wurde. Ein Verstoß gegen drittschützende Vorschriften wäre aber nach allen denkbaren Betrachtungsweisen nicht ersichtlich, so dass dies letztlich auch offenbleiben kann, weil eine Verletzung bauplanungsrechtlicher Vorschriften zu Lasten der Antragsteller schon aus anderen Gründen nicht gegeben ist.
2.2.3. Denn hinsichtlich des Nachbarschutzes bei Befreiungen von Festsetzungen des Bebauungsplans muss unterschieden werden, ob die Vorschrift, von der befreit wird, ihrerseits unmittelbar nachbarschützend ist oder nicht. Im ersten Fall kann das Fehlen einer der objektiven Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB für die Gewährung einer Befreiung zu einer Verletzung von Nachbarrechten führen, da ein Verstoß gegen eine unmittelbar nachbarschützende Vorschrift vorliegt. Im zweiten Fall fehlt es an einer solchen Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift aufgrund unzutreffender Annahme der Befreiungsvoraussetzungen. Nachbarschutz kommt hier nur im Rahmen des Rücksichtnahmegebots in Betracht (BVerwG, U. v. 19.9.1986 – 4 C 8/84 – juris). Grundsätzlich vermitteln Bebauungsplanfestsetzungen keinen allgemeinen auf Plangewährleistung gerichteten Anspruch. Die nachbarschützende Wirkung ist für jede einzelne Festsetzung zu überprüfen und durch Auslegung des jeweiligen Bebauungsplans sowie der Begründung zu ermitteln.
Hinsichtlich der nachbarschützenden Wirkung von Festsetzungen eines Bebauungsplans ist zu beachten, dass diese – mit Ausnahme der Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung – nicht schon kraft Gesetzes nachbarschützende Wirkung entfalten. Dies gilt namentlich für die Regelungen zu überbaubaren Grundstücksflächen (vgl. BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – BauR 1996, 82; U.v. 19.9.1986 – 4 C 8/84 – BauR 1987, 70; Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 368 ff.) und zum Maß der baulichen Nutzung (vgl. BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – BauR 1996, 82; B.v. 11.3.1994 – 4 B 53/94 – NVwZ 1994, 1008; Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 356 ff.), da sie grundsätzlich ausschließlich im öffentlichen Interesse zur städtebaulichen Ordnung erlassen werden. Die Frage der drittschützenden Wirkung solcher Regelungen hängt damit wesentlich von der Auslegung des Bebauungsplans und damit vom Willen der planenden Gemeinde ab. Ob eine Festsetzung nicht nur der Gestaltung des jeweiligen Ortsbilds, sondern auch dem Schutz eines bestimmbaren und von der Allgemeinheit abgrenzbaren Personenkreises dient, kann sich deshalb (nur) aus dem Bebauungsplan selbst oder aus seiner Begründung ergeben (vgl. BVerwG, B.v. 9.10.1991 – 4 B 137/91 – juris). Wie weit die drittschützende Wirkung einer Festsetzung reicht, muss sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Inhalt der erlassenen Vorschrift oder aus den übrigen, objektiv erkennbaren Umständen ergeben. Lässt sich daraus eine solche Zweckbestimmung nicht hinreichend erkennen, ist eine nachbarschützende Wirkung abzulehnen.
Bezüglich der Festsetzung der Dachneigung und der Traufhöhe sowie der Höhenlage ist dies evident. So kann die Gemeinde besondere Anforderungen an die äußere Gestaltung von baulichen Anlagen zur Erhaltung von Ortsbildern treffen und hierbei insb. Regelungen treffen, die sich auf die Dachneigung sowie die Trauf- und Gebäudehöhe beziehen (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Art. 81 Rn. 113 f.). Örtliche Bauvorschriften über die äußere Gestaltung baulicher Anlagen – und sei es auch in einem Bebauungsplan – wirken grundsätzlich nicht nachbarschützend (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Art. 81 Rn. 314 m.w.N. zur Rspr.). Sie sind nur dann nachbarschützend, wenn ersichtlich damit den Grundstückseigentümern eigene subjektiv-öffentliche Rechte durch die Gemeinde eingeräumt werden sollen, z.B. im Hanggelände ein Recht auf Aussicht. Hierfür ist aber im vorliegenden Fall der Begründung zum Bebauungsplan „Höret“ kein Anhaltspunkt zu entnehmen.
Nichts anderes gilt hinsichtlich der Festsetzung der überbaubaren Grundstücksflächen, also der Baugrenzen (vgl. BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – BauR 1996, 82; U.v. 19.9.1986 – 4 C 8/84 – BauR 1987, 70) und des Maßes der baulichen Nutzung (vgl. BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – BauR 1996, 82; B.v. 11.3.1994 – 4 B 53/94 – NVwZ 1994, 1008). Die Frage der drittschützenden Wirkung solcher Regelungen hängt vielmehr in erster Linie von der Auslegung des Bebauungsplans und damit vom Willen der planenden Gemeinde ab (s.o.). Vorliegend hat die Festsetzung über die vordere Baugrenze des Wohnhauses – und damit auch der Baugrenzen für die Garage, weil diese gemäß einer textlichen Festsetzung im Bebauungsplan „nur innerhalb von überbaubaren Grundflächen zulässig sind“ – nach allen erkennbaren Umständen keine nachbarschützende Wirkung. Bei der vorderen Baugrenze handelt es sich um eine prinzipiell nicht nachbarschützende Festsetzung (vgl. Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 370) über die überbaubaren Grundstücksflächen (§ 23 Abs. 1 Satz 1 BauNVO). Nichts anderes gilt im vorliegenden Fall. Denn aus der Begründung zum Bebauungsplan ergibt sich nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, dass die Festsetzungen zu den überbaubaren Grundstücksflächen bzw. der vorderen Baugrenze aus nachbarschützenden Gründen aufgenommen worden wären.
Soweit von Antragstellerseite behauptet wird, dass ein zweites Vollgeschoss gegeben sei und damit gegen die Festsetzung der Zahl der Vollgeschosse im Bebauungsplan verstoßen worden sei, kann dem nicht gefolgt werden. Zum einen lässt sich der vom Kreisbaumeister des Landratsamts Haßberge angefertigten und im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Berechnung entnehmen, dass beim Dachgeschoss des Wohnbauvorhabens die 2/3 Regelung des insoweit noch maßgeblichen Art. 2 Abs. 5 Satz 1 BayBO 1998 – wonach Vollgeschosse Geschosse sind, die vollständig über der natürlichen oder festgelegten Geländeoberfläche liegen und über mindestens zwei Drittel ihrer Grundfläche eine Höhe von mindestens 2,30 m haben – nicht überschritten wird und somit das Dachgeschoss kein Vollgeschoss darstellt. Denn ausgehend von einer Grundfläche von 101,75 m² liegt im Dachgeschoss nur bei einer Fläche von 67,61 m² eine Höhe von 2,30 m und damit nicht bei mindestens 2/3 der Grundfläche (entspricht hier 67,83 m²) eine derartige Höhe vor. Zum anderen bleibt auch insoweit darauf zu verweisen, dass die Regelungen zum Maß der baulichen Nutzung (vgl. BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – BauR 1996, 82; B.v. 11.3.1994 – 4 B 53/94 – NVwZ 1994, 1008; Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 356 ff.) – und hierzu zählen gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO die Regelungen zur Zahl der Vollgeschosse – grundsätzlich ausschließlich im öffentlichen Interesse zur städtebaulichen Ordnung erlassen werden. Die Frage der drittschützenden Wirkung solcher Regelungen hängt damit wesentlich von der Auslegung des Bebauungsplans und damit vom Willen der planenden Gemeinde ab. Auch insoweit kann dem Bebauungsplan „Höret“ nichts entnommen werden, was für eine drittschützende Wirkung dieser Festsetzung sprechen würde.
2.2.4. Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Antragsteller wird auch das Gebot der Rücksichtnahme durch die erteilten Befreiungen bzw. noch zu erteilende Befreiung nicht verletzt.
Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von – wie hier – nicht nachbarschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans die Rechte des Nachbarn verletzen kann, ist im Rahmen der Würdigung nachbarlicher Belange nach den Maßstäben zu beantworten, die das Bundesverwaltungsgericht zum Gebot der Rücksichtnahme i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO entwickelt hat (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98 – juris; vgl. auch BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris). Wird von nicht nachbarschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erteilt, so hat der Nachbar über die das Rücksichtnahmegebot konkretisierende „Würdigung nachbarlicher Interessen“ hinaus keinen Anspruch auf eine Einhaltung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98 – juris). Drittschutz im Falle einer Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung besteht vielmehr nur dann, wenn seine nachbarlichen Interessen nicht hinreichend berücksichtigt worden sind.
Das Gebot der Rücksichtnahme (grundlegend BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22/75 – BVerwGE 52, 122) soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten. Die an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellenden Anforderungen hängen im Wesentlichen von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die den Antragstellern aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihnen als Nachbarn billigerweise noch zumutbar ist (Battis/Krautz-berger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 35 Rn. 78).
Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich das Bauvorhaben der Beigeladenen in seinen Auswirkungen auf das Grundstück der Antragsteller im Ergebnis nicht als rücksichtslos. Die Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans überschreiten auch in ihrer Summe nicht die Schwelle des den Antragstellern im Rahmen des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses noch Zumutbaren. Weder mit der Überschreitung der Traufhöhe um 1,30 m und der geringfügigen Erhöhung der Dachneigung des Wohnhauses um 3° noch mit der Überschreitung der Baugrenzen und der geringfügig höheren Einstellung der Garage bzw. des Carports ist eine so erhebliche Belastung bzw. Einschränkung von Nutzungsmöglichkeiten für das Grundstück der Antragsteller verbunden, dass sie durch die erteilte Baugenehmigung in ihren geschützten Rechten verletzt wären. Die vorgelegten Planunterlagen geben keine Hinweise darauf, dass das Grundstück der Antragsteller erhebliche Einbußen an Belichtung, Belüftung und Besonnung erfahren wird. Die erteilten Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans bzw. die noch zu erteilende Befreiung bzgl. der Höheneinstellung der Garage wirken sich – sowohl einzeln als auch in ihrer Gesamtheit betrachtet – allenfalls unerheblich auf das Nachbargrundstück der Antragsteller aus. Schließlich kann nicht die Rede davon sein, dass das Bauvorhaben der Beigeladenen eine erdrückende oder einmauernde Wirkung hervorruft.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots (auch) dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zu 2,5-geschossigem Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; vgl. auch BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris; B.v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind u.a. die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung.
Dass das Bauvorhaben der Beigeladenen den Antragstellern gegenüber eine erdrückende bzw. einmauernde Wirkung entfalten würde, hat von vornherein auszuscheiden. Eine solche Wirkung des Wohnhauses der Beigeladenen mit einer Firsthöhe von ca. 7,50 m auf das Wohnhaus der Antragsteller mit einer Firsthöhe von ca. 9,10 m scheidet sowohl von den Ausmaßen als auch bzgl. der baulichen Gestaltung aus. Für die Annahme einer erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes ist kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als das betroffene Gebäude (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris). Vielmehr überragt hier das in seinen Grundmaßen und seiner Höhenentwicklung größere Gebäude auf dem Grundstück der Antragsteller das Gebäude der Beigeladenen in der Höhe deutlich. Hinzu kommt, dass die der gemeinsamen Grundstücksgrenze zugewandte Gebäudefassade des Anwesens der Antragsteller aus Wohnhaus und Garage ca. 22 m lang ist, während die nördliche Gebäudewand des geplanten Vorhabens der Beigeladenen lediglich 17 m betragen soll und zwischen den Gebäuden der Antragsteller und der Beigeladenen ein deutlicher Abstand von ca. 12 m verbleiben wird.
2.3. Soweit die Antragstellerseite eine Verletzung des Ausblicks durch die Erhöhung des Daches infolge einer höheren Dachneigung bzw. Traufhöhe bzw. ein zweites Geschoss rügt („Konsequenz, dass … der Ausblick aus dem Haus massiv beeinträchtigt bzw. verhindert wird“), bleibt festzustellen, dass das öffentliche Recht grundsätzlich keinen Schutz darauf gewährt, dass die freie Aussicht auf Stadt-, Orts-, Straßen- und Landschaftsbilder nicht verbaut wird. Die Minderung der Aussicht ist kein Eingriff in das Eigentumsrecht, da die Aufrechterhaltung einer ungeschmälerten Aussicht lediglich eine Chance ist (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.1969 – IV C 80.67 – DVBl 1970, 60; Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 441 f.).
Gleiches gilt für die von Antragstellerseite geltend gemachten finanziellen Einbußen in Gestalt von vermindertem Wohnwert. Denn Grundstückseigentümer genießen öffentlich-rechtlich keinen Schutz, dass der Wert des Grundstücks durch Einwirkungen, die von einem Vorhaben auf ein Nachbargrundstück ausgehen, nicht gemindert wird, wenn dieses nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften zulässig ist (Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 451). Ein allgemeiner Rechtssatz, dass der Einzelne einen Anspruch darauf hat, vor jeglicher Wertminderung bewahrt zu bleiben, besteht nicht (vgl. BayVGH, B.v. 1.3.2016 – 15 CS 16.244 – juris). Für eine schwere und unerträgliche Nutzungsbeeinträchtigung ist weder etwas vorgetragen noch sonst wie ersichtlich.
2.4. Die Erteilung der Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB führt auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer fehlenden oder fehlerhaften Ermessensausübung seitens des Landratsamts Haßberge, welche nach § 114 Satz 1 VwGO der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt, zu einer Verletzung der Antragsteller in eigenen Rechten.
Zwar entspricht der streitgegenständliche Bescheid des Landratsamts Haßberge objektiv keiner pflichtgemäßen Ermessensausübung. Die Baugenehmigung wie auch der zuvor erteilte Vorbescheid enthält keinen Hinweis darauf, dass das Landratsamt den ihm bei der Erteilung der Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB zustehenden Ermessensspielraum überhaupt erkannt hat (sog. Ermessensnichtgebrauch). Das Landratsamt hat nämlich im Vorbescheid lediglich erklärt, dass hinsichtlich der Errichtung des Bauvorhabens „gemäß § 31 Abs. 2 Baugesetzbuch nach pflichtgemäßem Ermessen Befreiung“ erteilt werde. Eine ordnungsgemäße Ermessensausübung durch das Landratsamt ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch nicht nach § 114 Satz 2 VwGO nachholbar. Denn nach dem Wortlaut dieser Vorschrift ist nur vorgesehen, dass die Behörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes im verwaltungsgerichtlichen Verfahren „ergänzen“ kann. Die Vorschrift setzt mithin voraus, dass die Behörde bereits bei ihrer Entscheidung Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsakts vorgenommen und damit das Ermessen in irgendeiner Weise betätigt hat. § 114 Satz 2 VwGO schafft die prozessualen Voraussetzungen lediglich dafür, dass defizitäre Ermessenserwägungen ergänzt werden, nicht hingegen, dass das Ermessen erstmals ausgeübt oder die Gründe einer Ermessensausübung ausgewechselt werden (BVerwG, B.v. 14.1.1999 – 6 B 133/98 – juris).
Allerdings begründet die hiernach ursprünglich objektiv pflichtwidrige Ermessensausübung des Landratsamts Haßberge keine Verletzung der Antragsteller in eigenen Rechten. Denn bei der Erteilung einer Befreiung von nicht nachbarschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB – wie hier – hat der Nachbar über einen Anspruch auf „Würdigung der nachbarlichen Interessen“ hinaus keinen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Baugenehmigungsbehörde (BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98 – juris). Die Würdigung nachbarlicher Interessen ist im Fall nicht nachbarschützender Festsetzungen allein unter Heranziehung der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Gebot nachbarlicher Rücksichtnahme vorzunehmen (BayVGH, U.v. 16.7.1999 – 2 B 96.1048; OVG des Saarlandes, B.v. 5.7.2007 – 2 B 144/07 – beide juris). Das gilt selbst dann, wenn eine für die Befreiung notwendige Ermessensentscheidung überhaupt nicht getroffen wurde (BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98; U.v. 6.10.1989 – 4 C 14/87 – beide juris).
Unter Berücksichtigung dessen können sich die Antragsteller entgegen ihrer Auffassung nicht mit Erfolg darauf berufen, ihre Belange seien im Rahmen der Ermessensausübung unberücksichtigt geblieben. Schon der Wortlaut des § 31 Abs. 2 BauGB, wonach von Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit werden kann, „wenn“ unter anderem die Abweichung auch unter „Würdigung nachbarlicher Interessen“ mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist, verdeutlicht, dass das Gebot zur Berücksichtigung von Nachbarinteressen in erster Linie auf der Ebene des Tatbestands und nicht auf der Rechtsfolgenseite der Vorschrift von Bedeutung ist (OVG des Saarlandes, B.v. 5.7.2007 – 2 B 144/07 – juris). Weiterhin gehört es nicht zu den Aufgaben des Nachbarn, über die Einhaltung des öffentlichen Rechts in seiner Gesamtheit beziehungsweise über eine Beachtung der Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) bei ihren Entscheidungen zu wachen (OVG des Saarlandes, B.v. 5.7.2007 – 2 B 144/07 – juris). Darüber hinaus würde die Zuerkennung eines Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung im Falle einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung des Bebauungsplans der allein unter Heranziehung des Gebots der Rücksichtnahme vorzunehmenden Würdigung nachbarlicher Interessen entgegenstehen. Es wäre nicht nachzuvollziehen, einerseits die Nachbarbelange bei der Würdigung nachbarlicher Interessen auf der Tatbestandsebene zunächst zurücktreten zu lassen, dann aber andererseits auf der Ebene des Ermessens eine Befreiung aufgrund ebendieser nachbarlichen Belange abzulehnen. Anders ausgedrückt: Fällt die auf Tatbestandsebene vorzunehmende Würdigung nachbarlicher Interessen anhand des Gebots der Rücksichtnahme – wie hier (s.o. unter 2.2.4.) – zugunsten des Bauherrn aus und wird eine Befreiung von nicht nachbarschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans erteilt, ist ein Anspruch des Nachbarn auf Aufhebung der Baugenehmigung allein wegen eines Ermessensfehlers weder erforderlich noch gerechtfertigt.
3. Nachdem die Klage der Antragsteller nach allem voraussichtlich mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird, überwiegt das Interesse der Beigeladenen an einer baldigen Ausnutzung der Baugenehmigung das Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage. Somit konnte der Antrag keinen Erfolg haben und war mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO abzulehnen.
Da sich die Beigeladenen durch eigene Antragstellung am Prozesskostenrisiko beteiligt haben, entsprach es der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Aufwendungen den Antragstellern aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 GKG. Nachbarklagen werden nach Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 mit 7.500,00 EUR bis 15.000,00 EUR im Hauptsacheverfahren bewertet. Die Kammer hält im vorliegenden Fall in der Hauptsache einen Streitwert von 10.000,00 EUR als angemessen, der für das vorliegende Sofortverfahren zu halbieren ist (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).


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