Baurecht

Erfolgloser Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Nachbarklage gegen die Genehmigung für einen Pferdestall der Hobbypferdehaltung in einem Dorfgebiet

Aktenzeichen  W 5 S 20.1652

Datum:
23.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32635
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 5, § 15 Abs. 1 S. 2
BayBO Art. 68 Abs. 1 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3

 

Leitsatz

1. Der Nachbar hat in einem Gebiet, auf das § 34 Abs. 2 BauGB entsprechend Anwendung findet, einen Schutzanspruch auf Bewahrung der Gebietsart. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Vorhaben der Hobbypferdehaltung ist als Pferdehaltung gemäß § 5 Abs. 1 BauNVO im Dorfgebiet grundsätzlich zulässig, so dass dagegen kein Anspruch auf Gebietserhaltung geltend gemacht werden kann. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ob eine Pferdehaltung für eine benachbarte Wohnbebauung zu unzumutbaren Belästigungen im Sinne des Rüchsichtnahmegebots gem. § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO führt oder dieser – noch – zugemutet werden kann, lässt sich nicht abstrakt und für alle Fälle einheitlich beurteilen. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Aufwendungen selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Landratsamts Ha. vom 28. September 2020, mit welchem der Beigeladenen die Baugenehmigung für die Errichtung eines Pferdestalles sowie eines Heulagers und einer Freilauffläche für Pferde erteilt wurde.
1.
Der Antragsteller ist Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Fl.Nr. 4 der Gemarkung L … (… …, 97 … B …). Das Grundstück liegt ausweislich der vorgelegten Luftbilder am Rand zum Außenbereich, der östlich an die Wohnbebauung anschließt. Das Landratsamt sowie der Bevollmächtigte des Antragstellers stufen den Charakter der Umgebungsbebauung als Dorfgebiet ein.
Die Grundstücke der Beigeladenen mit den Fl.Nrn. 6 und 7 der Gemarkung L … (Baugrundstücke) befinden sich südlich des Grundstücks des Antragstellers auch direkt am Rand des Außenbereichs. Für diesen Bereich, in welchem die Grundstücke der Beigeladenen und das Grundstück des Antragstellers liegen, existiert kein Bebauungsplan. Lediglich südwestlich des Bauvorhabens befindet sich eine weitere Wohnbebauung im Geltungsbereich des Bebauungsplans „…“, der ein Dorfgebiet (MD) ausweist.
Die Beigeladene beabsichtigt, westlich des bestehenden Garagengebäudes an der nördlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks Fl.Nr. 6 auf einer vorhandenen Bodenplatte mit ca. 11,3 m Länge und 7,2 m Breite ein Stallgebäude sowie im südwestlichen Randbereich des Grundstücks Fl.Nr. 7 ein geschlossenes Heulager mit 6 m Länge und 3 m Breite und einen Unterstand mit ca. 24 m² Fläche zu errichten. Die Mistlagerung soll auf einem Mistanhänger im nordöstlichen Bereich des Grundstücks Fl.Nr. 6 erfolgen. Zwischen Stall und Heulager befindet sich eine Auslauffläche von ca. 850 m² für die vier Pferde der Beigeladenen im jeweils westlichen Bereich der Baugrundstücke.
Mit Vorbescheid vom 3. Juni 2020 stellte das Landratsamt Haßberge fest, dass das Bauvorhaben bauplanungsrechtlich zulässig ist. Die Modalitäten der Zustellung dieses Bescheids an die Beigeladene lassen sich der Behördenakte nicht entnehmen. Eine Zustellung an den Antragsteller ist nicht erfolgt.
Nach Durchführung des durch Stellung des Bauantrags vom 21. Juli 2020 eingeleiteten Genehmigungsverfahrens, in welchem unter anderem eine fachtechnische Stellungnahme des Sachgebiets III/5 Immissionsschutz (vom 16. September 2020) eingeholt wurde, erteilte das Landratsamt Haßberge mit Bescheid vom 28. September 2020 die Baugenehmigung für die „Errichtung eines Pferdestalles und eines Heulagers mit Unterstand mit Freilauffläche für Pferde“ auf den Baugrundstücken ( … …, B … ).
Der Baugenehmigung sind folgende Auflagen zum Immissionsschutz (Ziffer VI. des Bescheids) beigefügt:
1. Die Zahl der Pferde ist auf den beantragten Umfang (vier Pferde) zu begrenzen. […]
2. Der Mindestabstand zwischen Stallgebäude und der nächsten umliegenden schutzwürdigen Wohnbebauung von 20 m ist einzuhalten.
3. Es ist sicherzustellen, dass die zur nächsten Nachbarschaft hin ausgerichteten Fassaden (West- und Nordseite) der Tierhaltung geschlossen bleiben. Vorhandene Fenster oder Türen sind stets geschlossen zu halten.
4. Der Mindestabstand zwischen geruchsrelevanten Funktionsflächen (z.B. Futterstellen, Tränkbereiche, Dung- bzw. Mistlegen, etc.) und den umliegenden nächsten Wohnbebauungen von 20 m ist einzuhalten.
5. Die Boxen in den Pferdeställen sind regelmäßig zu entmisten und gut einzustreuen. Es sollten keine geruchsträchtigen Futtermittel eingesetzt werden.
6. Auf den Freilaufflächen ist dafür Sorge zu tragen, dass es dort nicht zu Ablagerungen geruchsträchtiger Exkremente kommt. Anfallende Exkremente sind zur Vermeidung von belästigenden Gerüchen regelmäßig einzusammeln.
7. Soweit es bei einem längeren Aufenthalt der Tiere durch Verfrachtungen von Exkrementen in den Untergrund und damit zu stärker störenden Geruchseinwirkungen in der Nachbarschaft kommt, ist diese Geruchsquelle durch geeignete Maßnahmen zu beheben.
8. Sobald sich ein Vermatschen der Freifläche (Koppel) abzeichnet, sind geeignete Gegenmaßnahmen (z.B. Ausweichflächen, Absperrung der Teilflächen, Befestigung mit Paddockplatten, etc.) zu ergreifen, um eine erhebliche Geruchsbelästigung der Nachbarschaft zu verhindern.
9. Bei trockener Witterung ist durch geeignete Maßnahmen (z.B. Befeuchtung des Platzes) dafür zu sorgen, dass es durch die Nutzung des Platzes zu keinen nennenswerten Staubaufwirbelungen kommt.
In den Hinweisen zum Wasserrecht findet sich zudem die Regelung, dass Pferdemist auf den Weideflächen und sonstigen Freiflächen täglich aufzusammeln und auf die Mistsammelstelle zu verbringen ist (Ziffer VII. 2.).
2.
Mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2020, eingegangen bei Gericht am selben Tag, erhob der Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 28. September 2020 (W 5 K 20.1651). Über die Klage ist bislang noch nicht entschieden.
Gleichzeitig beantragte der Antragsteller im vorliegenden Verfahren, 
die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Errichtung eines Pferdestalls wiederherzustellen.
Begründet wurde der Antrag damit, dass die Baugenehmigung rechtswidrig sei und gegen dem Nachbarschutz dienende Vorschriften verstoße. Nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO sei das vorliegende Gebiet als Dorfgebiet zu kategorisieren. Das Vorhaben sei jedoch nach § 34 Abs. 1 BauGB und nicht nach § 34 Abs. 2 BauGB zu beurteilen, da insbesondere § 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO nicht einschlägig sei. Es handele sich nicht um einen sonstigen Gewerbebetrieb. Nach § 34 Abs. 1 BauGB müsse sich das geplante Bauvorhaben, hier konkret der Pferdestall mit Heulager und Freilauf, nach der Art der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen. Das sei vorliegend nicht der Fall. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass durch die sich entwickelnde und von der Gemeinde unterstützte ausschließliche Wohnnutzung besonders die Belange des gesunden Wohnens zu beachten seien. Diese Belange würden von Antragstellerseite als konkret beeinträchtigt gesehen. Durch das vorgesehene Pferdetrail sei mit einem erhöhten Geräuschaufkommen zu rechnen, das gesunden Wohnverhältnissen widerspreche. Dies gelte auch für das im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben geplante dauerhafte Unterstellen der Pferde (24 Stunden täglich) auch nachts mit einer für die vorliegende ausschließliche Wohnnutzung verbundenen unzumutbaren Lärmbelästigung der Nachbarn. Weiter seien die Belange konkret beeinträchtigt durch ein zu erwartendes stark erhöhtes Insektenaufkommen durch Tierausdünstungen, eingelagertes Futter und Streumittel sowie Exkremente der Tiere. Unabhängig davon sei zusätzlich mit einer stark zunehmenden Geruchsentwicklung über längere Zeit zu rechnen. Hinzu komme eine Belastung durch Schmutz und Staub. Die hierzu unter Ziffer 9 des Immissionsschutzes erteilte Auflage sei praktisch zur Vermeidung einer Staubaufwirbelung nicht realistisch umsetzbar. Auf die Verletzung des § 34 Abs. 1 BauGB könne sich der Antragsteller unter dem Gesichtspunkt des baurechtlichen Gebots der Rücksichtnahme berufen. Darüber hinaus sei bereits jetzt festzustellen, dass die Planung des angegriffenen Bauvorhabens gegen die erteilten Auflagen verstoße. Der unter Ziffer 2 der Immissionsschutzauflagen festgelegte Mindestabstand werde bereits planungstechnisch nicht eingehalten. Zwischen den zum Wohnen bestimmten und so auch tatsächlich genutzten Gebäude auf dem Anwesen … … und den im Plan aufgeführten Standort des Stalles sei ein Abstand von weniger als 20 m zu ermitteln.
Nachdem mit den Bauarbeiten bereits begonnen worden sei, sei dem Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers stattzugeben.
3.
Mit Schriftsatz vom 10. November 2020 beantragte das Landratsamt Haßberge für den Antragsgegner, den Antrag nach § 80a Abs. 3 VwGO abzulehnen.
Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass die Baugenehmigung vom 28. September 2020 nicht rechtswidrig sei und den Antragsteller auch nicht in seinen Rechten verletze. Das Vorhaben sei planungsrechtlich zulässig, weil es seiner Art nach in einem faktischen Dorfgebiet allgemein zulässig sei, sich auch im Übrigen in seine nähere Umgebung einfüge und das planungsrechtliche Ortsbild nicht beeinträchtige (vgl. § 34 Abs. 1, § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 und § 15 BauNVO). Die Gemeinde L … sei der baulichen Nutzung nach durch Wohnnutzung, aber auch durch landwirtschaftliche Nutzung und einen größeren Gewerbebetrieb (Reifengroßhandel) geprägt. In L … befänden sich noch verschiedene landwirtschaftliche Hofstellen mit Tierhaltung und Maschinenhallen. Diese seien auf den Grundstücken Fl.Nr. 4 (Milchvieh-, Schweine- und Pferdehaltung), Fl.Nr. 34 (Hühner- und Geflügelhaltung), Fl.Nr. 12 (landwirtschaftlicher Betrieb) und Fl.Nr. 2 (Hühnerhaltung) zu finden. Nach der allgemeinen Zweckbestimmung des § 5 Abs. 1 BauNVO diene ein Dorfgebiet vorwiegend der Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, dem Wohnen und der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben sowie der Versorgung der Bewohner des Gebietes dienenden Handwerksbetrieben. Bei diesem Baugebietstyp handele es sich um ein ländliches Mischgebiet, dessen Charakter grundsätzlich nicht von einem bestimmten prozentualen Mischverhältnis dieser drei Hauptnutzungsarten abhänge. Nehme der Anteil der Wohnbebauung zu, führe dies für sich gesehen noch nicht zu einer rechtlichen Änderung des Gebietscharakters im Sinne der BauNVO, solange noch landwirtschaftliche Betriebe vorhanden seien. Genau dies sei vorliegend der Fall. Im Ortskern befänden sich zwei größere landwirtschaftliche Hofstellen. Zu beachten sei, dass Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe ausschließlich in einem Dorfgebiet zulässig und daher für den Gebietscharakter konstitutiv seien. Charakteristisch für das Dorfgebiet sei somit die Verbindung der landwirtschaftlichen Nutzung mit dem Wohnen. Dies treffe auf die Nutzung der Grundstücke in L … zu. Aufgrund der Größenordnung von L … sei im Rahmen der Gebietseinstufung das gesamte Dorf zu betrachten. In einem Dorfgebiet sei es – anders als in einem reinen oder allgemeinen Wohngebiet – keineswegs ausgeschlossen, als Nebennutzung zur Wohnnutzung auch hobbymäßige Tierhaltung zu betreiben. Dies schließe auch die Haltung einiger größerer Tiere wie Pferde mit ein. Eine solche Tierhaltung – mag sie aus Erwerbsgründen im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebs oder zu Hobbyzwecken betrieben werden – sei durch die Qualifizierung als Dorfgebiet mit umfasst. Dementsprechend müsse derjenige, der wie der Antragsteller in einem durch praktizierende Landwirtschaft geprägten Dorf wohne, es grundsätzlich hinnehmen, dass in seiner Nachbarschaft Pferde gehalten würden. Der Einschätzung des Bevollmächtigten, dass die genehmigte Pferdehaltung in ihrer konkreten Ausgestaltung die gebotene Rücksichtnahme auf die Nachbarschaft (vgl. § 15 Abs. 1 BauNVO) verletze, könne nicht gefolgt werden. Die beteiligten Fachstellen hätten dem Bauvorhaben unter Einhaltung der festgesetzten Hinweise und Auflagen zugestimmt. Insbesondere seien die aus immissionsschutzfachlicher Sicht geforderten Mindestabstände von 20 m zum nächstgelegenen Wohnhaus eingehalten, da in der geplanten Heuscheune keine geruchsträchtigen Futtermittel gelagert würden. Von der Tierhaltung ausgehende Geruchsemissionen seien grundsätzlich in einem faktischen Dorfgebiet hinzunehmen. An der Zulässigkeit der Pferdehaltung auf dem Grundstück der Beigeladenen würde sich aber auch dann nichts ändern, wenn die maßgebliche nähere Umgebung keinem Dorfgebiet entspräche und zudem durch einen hohen Anteil an Wohnnutzung geprägt sein sollte. Die Baugenehmigung verstoße auch nicht gegen andere öffentlich-rechtliche Vorschriften mit drittschützender Wirkung.
4.
Die Beigeladene äußerte sich im Verfahren nicht.
Im Parallelverfahren W 5 K 20.1645 erklärte sie unter anderem, dass die Marktgemeinde Burgpreppach nicht – wie geschildert – Einfluss auf die reine Wohnbebauung genommen habe. Man befinde sich vielmehr auf dem Lande. Die Ortschaft L … zähle zur Zeit 106 Einwohner. Die Tierhaltung habe es hier schon immer gegeben und sei eine Selbstverständlichkeit. Pferde seien außerdem saubere und äußerst geräuscharme Tiere. Mit dem bestehenden Pferdehalter in L. und den Pferdehaltern in den umliegenden Dörfern sei bisher kein Ungeziefer angezogen worden. Man habe bereits alles ordnungsgemäß aufgebaut. Die Freilauffläche der Pferde betrage 850 m² und sei mit einem sickerungsfähigen Drei Schotter-Schicht-System befestigt. Somit könne auf der gesamten Fläche kein Matsch und auch keine Geruchsbildung durch Urin entstehen. Zudem trage der Wind die Gerüche der Pferde hinaus auf die Grundstücke Fl.Nrn. 12 und 13, bei denen es sich um Felder handele. Das Streumittel von Pferden bestehe aus Sägespäne. Diese röchen nicht bis zu irgendeinem Wohnhaus; allenfalls röchen sie nach Holz. Das Futter werde wegen der Mäuse in fest verschlossenen Futtertonnen gelagert. Ungefähr 580 m² der Freilauffläche seien außerdem mit einer Tretschicht aus Schotter und Hackschnitzeln befestigt. Es sei unerklärlich, wie hier Staub entstehen solle. Lediglich in einem Bereich von 270 m² werde Sand als Tretschicht verwendet. Dieser Bereich werde im Sommer gewässert.
5.
Vom ursprünglichen Verfahren W 5 S 20.1648 wurde das Antragsbegehren des Antragstellers mit Beschluss vom 3. November 2020 abgetrennt und unter dem Aktenzeichen W 5 S 20.1652 fortgeführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren sowie im Hauptsacheverfahren (W 5 K 20.1651) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1.
Der Antrag ist zulässig.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (§ 80 Abs. 1 VwGO) entfällt vorliegend, weil er sich gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens wendet (§ 212a Abs. 1 BauBG). In einem solchen Fall kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs ganz oder teilweise anordnen (§ 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO). Ein derartiger Antrag kann unmittelbar bei Gericht gestellt werden.
2.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unbegründet.
Im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage bzw. seines Widerspruchs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 68 und 73 ff.). Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
Vorliegend lässt sich nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung anhand der Akten feststellen, dass die Anfechtungsklage des Antragstellers gegen die Baugenehmigung des Landratsamts Haßberge vom 28. September 2020 mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben wird, da der angefochtene Bescheid den Antragsteller nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Das Landratsamt Haßberge ist hier zutreffender Weise vom vereinfachten Genehmigungsverfahren des Art. 59 BayBO ausgegangen.
Die Baugenehmigung ist nur dann aufzuheben, wenn sie rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Nachbar eines Vorhabens kann eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn es das Vorhaben an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Nur daraufhin ist das genehmigte Vorhaben in einem nachbarrechtlichen Anfechtungsprozess zu prüfen (vgl. OVG Münster, B.v. 5.11.2013 – 2 B 1010/13 – DVBl. 2014, 532; BVerwG, B.v. 28.7.1994 – 4 B 94/94; U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84; U.v. 13.6.1980 – IV C 31.77; alle juris).
2.1.
Nach summarischer Prüfung spricht nichts für einen Erfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren aus bauplanungsrechtlichen Gründen.
Grund hierfür ist allerdings nicht das Entgegenstehen eines bestandskräftigen Vorbescheids. Zwar hat das Landratsamt Haßberge bereits am 3. Juni 2020 einen Bauvorbescheid nach Art. 71 BayBO über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens erlassen. Ein Bauvorbescheid stellt einen vorweggenommenen Teil der Baugenehmigung dar, durch den eine baurechtliche Zulässigkeitsfrage abschließend geregelt wird (BVerwG, U.v. 9.12.1983 – 4 C 44/80 – BVerwGE 68, 241-245, Rn. 14). Ein positiver Bauvorbescheid entfaltet im Rahmen seiner Feststellungen Bindungswirkung für das nachfolgende Baugenehmigungsverfahren; die Baugenehmigung darf aus den im Bauvorbescheid festgestellten Gründen zur baurechtlichen Zulässigkeit des Bauvorhabens nicht versagt werden (vgl. hierzu Simon/Busse, BayBO, Stand. 138. EL Sept. 2020, Art. 71 Rn. 98 ff.). Vorliegend gilt indes die Besonderheit, dass der Bauvorbescheid vom 3. Juni 2020 zum Zeitpunkt der Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung gegenüber dem Antragsteller noch nicht bestandskräftig war, da der Vorbescheid dem Antragsteller nicht zugestellt wurde und damit die Rechtsbehelfsfrist nicht zu laufen begann. Obwohl die Rechtslage für diese Konstellation – Erlass der Baugenehmigung bei noch nicht bestandskräftigem Bauvorbescheid – in der BayBO nicht eindeutig geregelt ist (vgl. Simon/Busse, a.a.O. Rn. 116), ist mit der wohl ü.M. davon auszugehen, dass die Baugenehmigung vom 28. September 2020 den Inhalt des noch nicht bestandskräftigen Bauvorbescheids in der Art eines Zweitbescheides in sich aufnimmt und damit die Entscheidung über die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens erneut anfechtbar macht (VG Trier, U.v. 27.8.2019 – 7 K 1339/19.TR – juris Rn. 21 mit Verweis auf BVerwG, U.v. 17.3.1989 – 4 C 14/85 – juris Rn. 10). Mithin kann der Antragsteller grundsätzlich eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften des Bauplanungsrechts durch die Baugenehmigung vom 28. September 2020 geltend machen.
Im vorliegenden Fall ist jedoch nach Überzeugung der Kammer ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO) nicht gegeben.
2.1.1.
Eine Rechtsverletzung des Antragstellers durch die streitgegenständliche Baugenehmigung ergibt sich nicht aus dem sog. Gebietsbewahrungs- oder Gebietserhaltungsanspruch.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Nachbar im Plangebiet sich gegen die Zulässigkeit einer gebietswidrigen Nutzung im Plangebiet wenden, auch wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Der Nachbar hat also bereits dann einen Abwehranspruch, wenn das baugebietswidrige Vorhaben im jeweiligen Einzelfall noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung führt. Der Abwehranspruch wird grundsätzlich bereits durch die Zulassung eines mit der Gebietsfestsetzung unvereinbaren Vorhabens ausgelöst. Begründet wird dies damit, dass im Rahmen des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses jeder Planbetroffene das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets verhindern können soll (vgl. BVerwG, B.v. 2.2.2000 – 4 B 87/99 – NVwZ 2000, 679; U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151). Derselbe Nachbarschutz besteht auch im unbeplanten Innenbereich, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht, § 34 Abs. 2 BauGB (BVerwG, U.v. 16. 9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151; Simon/Busse, BayBO, 138. EL Sept. 2020, Art. 66 Rn. 347 und 395). § 34 Abs. 2 BauGB besitzt grundsätzlich nachbarschützenden Charakter (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151). Danach hat der Nachbar in einem Gebiet, auf das § 34 Abs. 2 BauGB entsprechend Anwendung findet, einen Schutzanspruch auf Bewahrung der Gebietsart.
Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erfolgten summarischen Prüfung ist mit den Beteiligten davon auszugehen, dass die Baugrundstücke und das Anwesen des Antragstellers sich in einem faktischen Dorfgebiet befinden; § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO. Es bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen die vom Landratsamt Haßberge geäußerte Ansicht, dass im Rahmen der Gebietseinstufung der gesamte Ortsbereich von L … in die Betrachtung einzubeziehen ist und insofern als „im Zusammenhang bebauter Ortsteil“ im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB anzusehen ist. Maßgeblich hierfür ist die flächenmäßig geringe Größe des Ortes mit einer überschaubaren Anzahl von bebauten Grundstücken, die es mit sich bringt, dass in die als Maßstab beachtliche Umgebung des Baugrundstücks und des Grundstücks des Antragstellers jedenfalls auch die Vorhaben nördlich der Ortsdurchfahrts straße einbezogen werden müssen.
Dementsprechend bildet die Bebauung des gesamten Ortsbereichs bzw. zumindest auch die unmittelbar nördlich an der Ortsdurchfahrts straße gelegene Bebauung den (anhand des vorliegenden Bildmaterials zu bestimmenden) Rahmen für die gem. § 34 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB prägende nähere Umgebung.
Dieser Bereich ist ganz maßgeblich von der Landwirtschaft geprägt. Wie das Landratsamt in der Antragserwiderung aufgezeigt hat, befinden sich auf den Grundstücken Fl.Nrn. und 2 der Gemarkung L … landwirtschaftliche Betriebe sowie auf den Grundstücken Fl.Nrn. und 4 Hühner- und Geflügelhaltung. Insofern entspricht der Ort der in § 5 Abs. 1 Satz 1 BauNVO vorgesehenen Nutzungsstruktur, die durch die drei Hauptfunktionen Land- und Forstwirtschaft, Wohnen und Gewerbe gleichermaßen bestimmt ist (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: 138. EL Mai 2020, § 5 BauNVO Rn. 10), wobei diese Nutzungen sich gleichwertig gegenüberstehen (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O. Rn. 11). Dem steht nicht entgegen, dass sich der Anteil an Wohnnutzung durch die Aufgabe landwirtschaftlicher Betriebe erhöht. Der Gebietscharakter des § 5 Abs. 1 BauNVO deckt nämlich in einem weit zu verstehenden Sinn Gebiete mit – aufgrund des Strukturwandels – stark zurückgegangenen land- und forstwirtschaftlichen Betrieben mit entsprechend erhöhtem Anteil der Wohnnutzung, Gebiete mit starker gewerblicher Nutzung bis hin zu „traditionellen“ Dorfgebieten mit deutlicher Prägung durch land- und forstwirtschaftliche Nutzung ab. In diesem Rahmen halten sich auch Dorfgebiete, in denen neben einem Rückgang der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung sich der Anteil der Wohnnutzung erhöht, vor allem dann, wenn noch mehrere landwirtschaftliche Betriebe vorhanden sind, die der näheren Umgebung ein dörfliches Gepräge geben (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: 138. EL Mai 2020, § 5 BauNVO Rn. 11 mit Verweis auf BVerwG, B.v. 19.1.1996 – 4 B 7.96 – juris). Eben dies ist vorliegend der Fall angesichts der Bedeutung der landwirtschaftlichen Nutzungen in Relation zu der Gesamtzahl der Anwesen in L … Das Anwesen des Antragstellers selbst ist nach Angaben seines Bevollmächtigten und der Beigeladenen in der Vergangenheit landwirtschaftlich genutzt worden, sodass auch diesbezüglich eine Nachwirkung im Raum steht, wobei eine abschließende Klärung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens jedoch dahinstehen kann.
Das streitgegenständliche Vorhaben ist im Dorfgebiet nach § 5 Abs. 1 BauNVO zulässig. Zwar gehört die Unterbringung von Reitpferden zum Zwecke der Freizeitgestaltung nicht zu den in § 5 Abs. 2 BauNVO ausdrücklich aufgeführten zulässigen Nutzungsarten. Bei der hier beabsichtigten Nutzung des Stallgebäudes, des Heulagers und der Freilauffläche für eine Hobbypferdehaltung handelt es sich weder um eine Wirtschaftsstelle eines landwirtschaftlichen Betriebs (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO) noch um eine landwirtschaftliche Nebenerwerbsstelle (§ 5 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO). Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Pferdehaltung im Rahmen eines „sonstigen Gewerbebetriebs“ (§ 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO) der Beigeladenen erfolgt. Die Nutzung zur Unterbringung von vier zur Freizeitbetätigung gehaltenen Reitpferden ist ferner nicht als Anlage für sportliche Zwecke (§ 5 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO) zulässig; denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfüllen Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke nur dann die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO, wenn es sich um Gemeinbedarfsanlagen (§ 5 Abs. 2 Nr. 2 BauGB), also um Anlagen handelt, die unabhängig von ihrer Betriebsform der Allgemeinheit zugänglich sind (BVerwG, U.v. 12.12.1996 – 4 C 17/95 – BVerwGE 102, 351 = NVwZ 1997, 902; a.A. Stock in König/Roeser/Stock, BauNVO, 4. Aufl. 2019, § 4 Rn. 43 ff. mit weiteren Nachweisen). Aufgrund des Umfangs der Anlage insbesondere im Hinblick auf die ca. 850 m² Freilauffläche für die Pferde in Relation zu dem vorhandenen Wohnhaus und dem Nebengebäude handelt es sich bei den Vorhabengebäuden und der Freilauffläche auch nicht um dem Nutzungszweck der im Dorfgebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst untergeordnete Nebenanlagen im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauNVO.
Die Unterbringung von Reitpferden für Hobbyzwecke in einem Dorfgebiet ist trotzdem nicht unzulässig. Als Gebiet, in dem entsprechend der Zweckbestimmung des § 5 Abs. 1 BauNVO die mit der Haltung von Großtieren typischerweise verbundenen Geräusch- und Geruchsbelastungen grundsätzlich hingenommen werden müssen, ist das Dorfgebiet grundsätzlich ein geeigneter Standort für den Reitsport. Kann aber beispielsweise ein rein erwerbswirtschaftlich geführter und deshalb nicht als Anlage für sportliche Zwecke einzustufender Reitbetrieb in einem Dorfgebiet als sonstiger das Wohnen nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb zulässig sein, weil die mit der Pferdehaltung einhergehenden Belästigungen als gebietstypisch anzusehen sind, dann muss dies erst recht für eine kleine „Hobbypferdehaltung“ gelten (so ausdrücklich BayVGH, B.v. 13.12.2006 – 1 ZB 04.3549 – juris Rn. 22).
Da das vom Landratsamt genehmigte Vorhaben insgesamt dem Bereich der Hobbypferdehaltung zuzuordnen ist und diese Pferdehaltung gemäß § 5 Abs. 1 BauNVO im Dorfgebiet grundsätzlich zulässig ist, kann der Antragsteller keinen Anspruch auf Gebietserhaltung geltend machen.
2.1.2.
Der Antragsteller wird durch die Baugenehmigung auch nicht unzumutbar beeinträchtigt, sodass kein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot vorliegt.
Die Anwendbarkeit des Rücksichtnahmegebots ist auch in Baugebieten gegeben, die – wie im vorliegenden Fall – nicht in einem Bebauungsplan festgesetzt sind, sondern nur faktische Baugebiete darstellen. Seine Anforderungen sind Bestandteil des erforderlichen „Einfügens“ im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB oder – wie hier – der Vorgaben aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, falls ein bestimmter Baugebietstyp faktisch vorliegt. Das Gebot der Rücksichtnahme ist nämlich inhaltlich identisch, unabhängig davon, ob es sich aus dem in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Merkmal des „Einfügens“ oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO herleitet.
Das Gebot der Rücksichtnahme soll einen angemessenen Interessenausgleich gewähren. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme (objektiv-rechtlich) begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22/75 – BVerwGE 52, 122). Die hierbei vorzunehmende Interessenabwägung hat sich an dem Kriterium der Unzumutbarkeit auszurichten in dem Sinne, dass dem Betroffenen die nachteilige Einwirkung des streitigen Bauwerks oder dessen Nutzung billigerweise nicht mehr zugemutet werden soll (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – BauR 1981, 354).
Gemessen hieran erweist sich das Vorhaben der Beigeladenen gegenüber dem Antragsteller nicht als rücksichtslos. Denn von ihm gehen keine Belästigungen oder Störungen aus, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO.
Von der Pferdehaltung der Beigeladenen gehen insbesondere keine schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG aus. Ob eine Pferdehaltung für eine benachbarte Wohnbebauung zu unzumutbaren Belästigungen führt oder dieser – noch – zugemutet werden kann, lässt sich nicht abstrakt und für alle Fälle einheitlich beurteilen. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Dabei kommt es insbesondere auf die Zahl der Tiere, den Zuschnitt der Grundstücke, die Stellung der Wohngebäude sowie darauf an, ob auf das Wohngrundstück unabhängig von der Pferdehaltung Immissionen einwirken und dieses damit schon in gewisser Weise vorgeprägt ist. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass mehr oder minder unvermeidbar mit jeder Pferdehaltung Einwirkungen wie Gerüche, vermehrtes Auftreten von Fliegen und – zumindest zeitweise – Geräusche verbunden sind. Das allein rechtfertigt aber noch nicht die Annahme, dass diese Pferdehaltung einer angrenzenden Wohnbebauung nicht mehr zuzumuten wäre (BayVGH, B.v. 2.9.2010 – 14 ZB 10.604 – juris Rn. 16 m.w.N.).
Neben der allgemeinen Aussage, dass im Dorfgebiet nach § 5 BauNVO ein Aufeinandertreffen von Landwirtschaft und Wohnen grundsätzlich zu tolerieren ist, ist im konkreten Fall ausschlaggebend, dass das Landratsamt durch die in der streitgegenständlichen Baugenehmigung getroffenen Auflagen sicherstellt, dass für die Nachbarn keine im Dorfgebiet unzumutbaren Belästigungen entstehen. Von Seiten der Beigeladenen müssen die dem Immissionsschutz dienenden Auflagen zur Baugenehmigung eingehalten werden. Dadurch ist sichergestellt, dass die Anzahl von vier Pferden nicht überschritten werden darf, dass die Boxen und die ansonsten betroffenen Flächen regelmäßig gereinigt werden, dass die West- und Nordseite des Stalles, d.h. Türen und Fenster geschlossen sind und dass der Mindestabstand zwischen dem Stallgebäude sowie anderen geruchsrelevanten Funktionsflächen zu der nächsten Wohnbebauung mindestens 20 m beträgt. Hinzukommt, dass der Pferdemist auf den Freiflächen täglich aufzusammeln ist (vgl. wasserrechtlicher Hinweis unter Ziffer VII. 2. des Bescheids vom 28. September 2020).
Im Rahmen der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren erfolgten Prüfung ist festzustellen, dass die Einhaltung und Realisierung dieser Auflagen auch möglich und nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Insbesondere ist ein Abstand von mindestens 20 m des Stalles und geruchsintensiven Funktionsflächen hin zum Wohnhaus auf dem Grundstück des Antragstellers gegeben, wenn man – zu Recht – davon ausgeht, dass die Freilauffläche für die Pferde anders als etwa die Tränkbereiche oder die Dung- und Mistlegen nicht automatisch als geruchsintensive Funktionsfläche einzustufen ist. Auch sind nach Ansicht der Kammer hinreichende Maßnahmen sowohl hinsichtlich der Verhinderung eines Vermatschens der Freifläche als auch hinsichtlich der Verhinderung von Staubaufwirbelungen bei Trockenheit vorgesehen (Ziffern VI. 8. und 9.).
Die vom Sachgebiet III/5 des Landratsamts Haßberge vorgelegte fachtechnische Stellungnahme zum Immissionsschutzrecht im baurechtlichen Verfahren vom 16. September 2020 (Bl. 49 f. d.A.) ist hierbei als Grundlage für die Regelungen im streitgegenständlichen Bescheid geeignet. Die Vorgabe eines Mindestabstands von 20 m des Stalles und geruchsintensiver Funktionsflächen zur nächsten Wohnbebauung auf der Grundlage der Arbeitshilfe des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ zur „Abstandsregelung für Rinder- und Pferdehaltungen“ ist insbesondere plausibel nachgewiesen. Der BayVGH hat in einem ähnlichen Fall dargelegt, dass Pferde anerkanntermaßen weit weniger Immissionen verursachen als die als immissionsarm anerkannten Rinder (BayVGH, B.v. 2.9.2010 – 14 ZB 10.604 – juris Rn. 17 m.w.N.). Er hat im Rahmen dieser Entscheidung u.a. auch ausgeführt, dass der Senat im „Einzelfall eine Verletzung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB durch eine Pferdehaltung selbst bei einem Abstand von (nur) 3,5 Metern (BayVGH vom 15.7.2008 Az. 14 B 06.54) abgelehnt“ hat (BayVGH, a.a.O. Rn. 18). Diese Fallgestaltung unterscheidet sich zwar von der hier einschlägigen insofern, als die Anwesen der Beteiligten im Innenbereich, d.h. in einem Dorfgebiet, liegen, wodurch die Schwelle der hinnehmbaren Immissionen herabgesetzt ist. Zu beachten ist hier zusätzlich aber auch, dass sowohl das Grundstück des Antragstellers als auch die Baugrundstücke direkt an der Grenze zum Außenbereich liegen und damit das Maß dessen, was dem Antragsteller noch zumutbar ist, noch erhöht wird. Ein Abstand von über 20 m zu geruchsintensiven Funktionsflächen ist daher als angemessen anzusehen und schließt die Annahme einer unzumutbaren Belastung des Antragstellers aus.
Damit halten sich die von dem genehmigten Vorhaben konkret hervorgerufenen Immissionen innerhalb des in einem Dorfgebiet Zulässigen, sodass das Vorhaben nicht das Rücksichtnahmegebot zu Lasten des Antragstellers verletzt.
2.2.
Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung gegen andere drittschützende Normen des Bauplanungsrechts verstoßen könnte.
Gleiches gilt für die Einhaltung des grundsätzlich nachbarschützenden Abstandsflächenrechts (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b und Art. 6 BayBO), da ausweislich der genehmigten Planvorlagen die Abstandsflächen eingehalten sind.
Eine Rechtsverletzung des Antragstellers liegt mithin nicht vor.
Die Klage des Antragstellers gegen die Baugenehmigung hat daher voraussichtlich keinen Erfolg, sodass das Interesse an einem alsbaldigen Vollzug der Baugenehmigung sein Interesse an der aufschiebenden Wirkung der Klage überwiegt.
3.
Somit konnte der Antrag keinen Erfolg haben und war mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO). Da sich die Beigeladene nicht durch eigene Antragstellung am Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), entsprach es nicht der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Aufwendungen dem Antragsteller aufzuerlegen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 GKG. Nachbarklagen werden nach Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 mit 7.500,00 EUR bis 15.000,00 EUR im Hauptsacheverfahren bewertet. Die Kammer hält im vorliegenden Fall in der Hauptsache vor Abtrennung (zwei Antragsteller) einen Streitwert von insgesamt 15.000,00 EUR und danach i.H.v. 7.500,00 EUR für angemessen, der für das vorliegende Sofortverfahren zu halbieren ist (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).


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