Baurecht

Erfolgloser Eilantrag des Nachbarn gegen Ausbau eines Garagendaches in 1-Zimmer-Wohnung

Aktenzeichen  M 11 SN 17.2692

Datum:
25.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 31 Abs. 2, § 212a
BayBO BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 6, Art. 59
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 1, Abs. 3

 

Leitsatz

1. Festsetzungen zur maximal zulässigen Grundfläche (Maß der baulichen Nutzung) sowie zur überbaubaren Grundstücksfläche sind nur dann nachbarschützend, wenn ihnen nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträger eine solche Funktion zukommen soll. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aufenthaltsräume in Gebäuden oder Gebäudeteilen, die ihrerseits die erforderliche Abstandsfläche zum Nachbargrundstück einhalten, sind grundsätzlich hinzunehmen und gerade der Normalfall. Dies gilt auch hinsichtlich von sich hieraus ergebenden Einblicksmöglichkeiten. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.
Der Beigeladene ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … … Das Grundstück ist im nordöstlichen Bereich mit einem Mehrfamilienhaus bebaut, in dem sich aktuell 3 Wohneinheiten befinden. Im westlichen Bereich befindet sich angebaut an das Wohngebäude eine Garage. Das Grundstück liegt im Umgriff des Bebauungsplans Nr. … „Am …“ des Marktes … … In diesem ist für das streitgegenständliche Grundstück im nordöstlichen Bereich ein Bauraum sowie das zulässige Höchstmaß von 4 Wohneinheiten und einer maximalen Grundfläche von insgesamt 176 qm festgesetzt. Unmittelbar an die Baugrenze anschließend ist im nordwestlichen Bereich ein Bauraum für Garagen festgesetzt. Hinsichtlich der Art der Nutzung ist das gesamte Baugebiet als allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauNVO festgesetzt.
Die Antragsteller sind Eigentümer des südwestlich angrenzenden Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … …, das ebenfalls mit einem Wohngebäude bebaut ist, jedoch nicht im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … „Am …“ liegt.
Mit Bescheid des Landratsamts … (im Folgenden: Landratsamt) vom 1. Juni 2017 erteilte der Antragsgegner dem Beigeladenen für das Grundstück FlNr. …, Gemarkung … …, die Baugenehmigung für den Ausbau des Garagendachs in eine 1-Zimmer-Wohnung.
Im Bescheid wurden Befreiungen nach § 31 Abs. 2 Baugesetzbuch zum Bebauungsplan Nr. … „Am …“ dergestalt erteilt, dass eine Überschreitung der zulässigen Grundfläche um 40 qm auf insgesamt 216 qm sowie Wohnraum innerhalb des Garagenbauraums zugelassen wurde.
Der Bescheid vom 1. Juni 2017 wurde den Antragstellern jeweils am 3. Juni 2017 zugestellt.
Mit Schreiben vom 12. Juni 2017, eingegangen bei Gericht am 16. Juni 2017, erhoben die Antragsteller persönlich Klage gegen den Bescheid vom 1. Juni 2017 und beantragten zugleich,
die aufschiebende Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Landratsamts … vom 1. Juni 2017 anzuordnen.
Eine nähere Begründung des Antrags erfolgte bisher nicht.
Mit Schriftsatz vom 17. August 2017 beantragte der Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass in den Festsetzungen des Bebauungsplans zwei Befreiungen gewährt worden seien. Dazu werde auf die Begründung des angefochtenen Bescheids verwiesen. In diesem ist hinsichtlich der Befreiungen ausgeführt, dass sie ausgesprochen werden konnten, da die Marktgemeinde … … ihr Einvernehmen hierzu erteilt habe. Die Abwägung habe ergeben, dass die Befreiungen zugunsten des Bauvorhabens vertretbar seien. Im vorliegenden Fall werde von den Festsetzungen Nrn. B.4.1 und B.7.1 des Bebauungsplans Nr. … „Am …“ abgewichen. Für diese Festsetzungen seien weder aus dem Bebauungsplan noch aus dessen Begründung besondere Gründe für deren unbedingte Beibehaltung erkennbar. Von daher werde durch die Abweichung das planerische Konzept nicht nachhaltig verändert. Daneben würde durch die Befreiungen die Art der Nutzung im Geltungsbereich des Bebauungsplans auch nicht geändert. Insgesamt bewegten sich die Befreiungen im Rahmen der Planungsgrundsätze nach § 1 Abs. 5 BauGB, seien soweit städtebaublich noch vertretbar und berührten die Grundzüge der Planung nicht. Im Rahmen der Befreiungen seien auch die nachbarlichen Belange zu würdigen gewesen (§ 31 Abs. 2 BauGB). Die Festsetzungen seien – soweit erkennbar – aus städtebaulichen Gründen, nicht aber aus Gründen des Nachbarschutzes erfolgt. Ein beabsichtigter Nachbarschutz sei weder aus dem Bebauungsplan selbst, aus dessen Begründung noch aus dessen Verfahren erkennbar. Es sei nicht erkennbar, dass durch die Befreiungen die angrenzenden Grundstücke unzumutbar beeinträchtigt und damit das Gebot der Rücksichtnahme verletzt werde. Durch die Befreiungen werde nicht in die Art der baulichen Nutzung eingegriffen. Insgesamt sei nicht erkennbar, dass durch Befreiung nachbarliche Belange berührt oder gar beeinträchtigt würden. Des Weiteren trug der Antragsgegner im Schriftsatz vom 17. August 2017 noch vor, dass die Antragstellerin zu 1 am 6. Juni 2017 vorgesprochen und hierbei vorgebracht habe, dass sich im Keller der Garage zwei Wohnräume befänden. Eine Baugenehmigung hierfür sei aber weder beantragt noch erteilt worden. Sofern jedoch im Kellergeschoß der Garage tatsächlich Wohnräume enthalten seien, so seien diese bauaufsichtlich in einem eigenen Verfahren zu behandeln. Die Antragstellerin zu 1 habe auch bereits früher planabweichende Nutzungen gerügt, Überprüfungen hätten jedoch ergeben, dass zumindest damals im Keller keine Aufenthaltsräume vorhanden gewesen seien. Zudem sei während der genannten Vorsprache gerügt worden, dass der erforderliche Mindestabstand zur gemeinsamen Grundstücksgrenze nicht eingehalten werde. Dieser betrage statt 3,0 m nur zwischen 2,94 m und 2,96 m. Diese Abstände seien durch die Antragstellerin zu 1 aber nicht näher belegt worden. Bei der Errichtung des Wohnhauses mit der Garage sei die Einmessbescheinigung vom 17. Juli 1999 durch die Beigeladenen vorgelegt worden. Danach und nach der Abstecksskizze vom 19. Juli 1999 werde der notwendige Mindestabstand zum Grundstück der Antragsteller eingehalten. Dieser sei auch in den Bauplan, der Teil der angefochtenen Baugenehmigung sei, übernommen worden.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren und im zugehörigen Klageverfahren (M 11 K 17.2691) sowie die vorgelegten Behördenakten und die Baupläne Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag nach § 80a Abs. 3, Abs. 1, § 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg.
Nach § 212 a BauGB haben Widerspruch und Anfechtungsklage eines Nachbarn gegen die bauaufsichtliche Genehmigung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80 a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die Aussetzung der Vollziehung anordnen. Hierbei kommt es auf eine Abwägung der Interessen des Bauherrn an der sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung mit den Interessen des Nachbarn, keine vollendeten, nur schwer wieder rückgängig zu machenden Tatsachen entstehen zu lassen, an. Im Regelfall ist es unbillig, einem Bauwilligen die Nutzung seines Eigentums durch Gebrauch der ihm erteilten Baugenehmigung zu verwehren, wenn eine dem summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprechende vorläufige Prüfung des Rechtsmittels ergibt, dass diese sachlich nicht gerechtfertigt ist und letztlich erfolglos bleiben wird. Ist demgegenüber das Rechtsmittel offensichtlich begründet, so überwiegt das Interesse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, so kommt es darauf an, ob das Interesse eines Beteiligten es verlangt, dass die Betroffenen sich schon jetzt so behandeln lassen müssen, als ob der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar sei. Bei der Abwägung ist den Belangen der Betroffenen umso mehr Gewicht beizumessen, je stärker und je irreparabler der Eingriff in ihre Rechte wäre (BVerfG, B.v. 18.7.1973, DVBl 74, 79/81; zur Bewertung der Interessenlage vgl. auch BayVGH, B.v. 14.1.1991 – 14 CS 90.3166).
Die im Eilverfahren auch ohne Durchführung eines Augenscheins mögliche Überprüfung der Angelegenheit anhand der Gerichtsakten und der beigezogenen Akten des Antragsgegners ergibt, dass das Rechtsmittel der Antragsteller in der Hauptsache aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird.
Zu berücksichtigen ist im vorliegenden Fall, dass Nachbarn – wie sich aus § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergibt – eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten können, wenn sie hierdurch in einem ihnen zustehenden subjektiv-öffentlichen Recht verletzt werden. Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke dienen. Eine baurechtliche Nachbarklage kann allerdings auch dann Erfolg haben, wenn ein Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt (BVerwGE 52, 122).
Die angefochtene Baugenehmigung verletzt nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich keines der von den Antragstellern geltend gemachten, im Rahmen des vereinfachten Genehmigungsverfahrens nach Art. 59 BayBO zu beachtenden Nachbarrechte.
Vorliegend kann dahinstehen, ob der Bebauungsplan Nr. … „Am …“ wirksam ist, da durch die gewährten Befreiungen keine nachbarschützenden Vorschriften des Bauplanungsrechts verletzt werden und sich das Vorhaben auch nicht als rücksichtlos darstellt.
Bei unterstellter Wirksamkeit des Bebauungsplans hängt der Nachbarrechtsschutz bei der Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplanes gemäß § 31 Abs. 2 BauGB davon ab, ob die Festsetzungen, von deren Einhaltung dispensiert wird, dem Nachbarschutz dienen oder nicht. Bei einer erfolgten Befreiung von einer Festsetzung, die „nur“ dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz nach den Grundsätzen des Rücksichtnahmegebotes. Nachbarrechte werden in diesem Fall nur verletzt, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (BVerwG, U. v. 19.9.1986 – BayVBl 1987, 151).
Festsetzungen zur maximal zulässigen Grundfläche (Maß der baulichen Nutzung) sowie zur überbaubaren Grundstücksfläche, sind nur dann nachbarschützend, wenn ihnen nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträger eine solche Funktion zukommen soll.
Vorliegend handelt es sich bei den Festsetzungen Nrn. B.4.1 und B.7.1 des Bebauungsplanes um nur im Interesse der Allgemeinheit getroffene Festsetzungen. Weder dem Bebauungsplan noch seiner Begründung ist zu entnehmen, dass die Regelungen dem Nachbarschutz dienen sollen.
Die Festsetzung der zulässigen Höchstzahl von 4 Wohneinheiten ist, bei unterstellter Wirksamkeit des Bebauungsplans, ohnehin eingehalten.
Bei unterstellter Unwirksamkeit des Bebauungsplans scheidet zunächst eine denkbare Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs aus. Unabhängig davon, ob die Eigenart der näheren Umgebung als faktisches reines Wohngebiet oder als faktisches allgemeines Wohngebiet zu beurteilen ist, ändert sich dadurch, dass nun 4 anstatt 3 Wohneinheiten auf dem streitgegenständlichen Grundstück genehmigt sind, im vorliegenden Fall der Gebietscharakter nicht.
Somit kommt im vorliegenden Fall, unabhängig von der Wirksamkeit des Bebauungsplans eine Verletzung von Nachbarrechten nur in Betracht, wenn sich das Vorhaben als rücksichtslos darstellt. Dies ist allerdings nicht der Fall. Aus der genehmigten Eingabeplanung ergibt sich, dass die westliche Außenwand der zu Wohnzwecken genehmigten Garage des Beigeladenen durchgängig einen Abstand von 3,0 m zur Grundstücksgrenze der Antragsteller einhält. Die gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BayBO auf dem Baugrundstück selbst erforderlichen Abstandsflächen sind unter Berücksichtigung der Regelung des Art. 6 Abs. 6 BayBO eingehalten. Zwar ist zuzugeben, dass durch diese Situation erstmalig in gewissem Umfang neue Einblicksmöglichkeiten geschaffen werden. Jedoch sind Aufenthaltsräume in Gebäuden oder Gebäudeteilen, die ihrerseits die erforderliche Abstandsfläche zum Nachbargrundstück einhalten, grundsätzlich hinzunehmen und gerade der Normalfall. Hinzu kommt, dass nach den Bauvorlagen davon auszugehen ist, dass die Fenster im Obergeschoß der zu Wohnzwecken genehmigten Garage derart angeordnet sind, dass der von dort ausgehende Blick hauptsächlich auf den nördlichen Teil des Grundstücks der Antragsteller, also auf den straßenseitigen Bereich fällt. Der sich wohl im südlichen Bereich des Grundstücks der Antragsteller befindende Gartenbereich dürfte hingegen kaum Einblicksmöglichkeiten ausgesetzt sein. Von der Bebauung des Grundstücks des Beigeladenen – die die Abstandsflächen zum Grundstück der Antragsteller einhält – wird das Grundstück der Antragsteller auch keinesfalls „erdrückt“, „eingemauert“ oder „abgeriegelt“.
Schließlich ist für den vorliegenden Fall auch unerheblich, ob sich im Keller der Garage des Grundstücks des Beigeladenen ungenehmigte Aufenthaltsräume befinden sowie, ob der Kläger abweichend von der erteilten Genehmigung näher an die Grundstücksgrenze gebaut hat. Für die Entscheidung über den vorliegenden Bauantrag des Beigeladenen ist vielmehr allein vom genehmigten Bestand auszugehen. Dieser allein ist dem streitgegenständlichen Bauantrag zu Grunde zu legen. Ob und inwieweit gegen etwaige Abweichungen von der damaligen Baugenehmigung bei Errichtung des Bestandsgebäudes vorzugehen ist, bleibt, wie der Antragsgegner zutreffend ausführt, einem eigenständigen bauaufsichtlichen Verfahren gegen den Beigeladenen vorbehalten.
Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst, da er keinen Antrag gestellt hat (§ 162 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m dem Streitwertkatalog.


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