Baurecht

Erfolgloser Eilantrag des Nachbarn gegen Baugenehmigung für Mehrfamilienhaus

Aktenzeichen  M 1 SN 16.339

Datum:
14.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 6 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 6 S. 1
BauGB BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, § 212a Abs. 1
BauNVO BauNVO § 23 Abs. 3 S. 1
VwGO VwGO § 80 Abs. 5 S. 1, § 80a Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

1. Bei Einhaltung der Abstandsflächen sind die nachbarlichen Belange ausreichender Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie die Begrenzung der Einsichtsmöglichkeiten im Regelfall nicht verletzt. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Bestimmungen über das Maß der baulichen Nutzung sind grundsätzlich nicht nachbarschützend. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Vorhaben infolge seines Nutzungsmaßes den Nachbarn durch eine “abriegelnde” oder “erdrückende Wirkung” unzumutbar beeinträchtigt. (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei faktischen Baugrenzen ergeben sich im Regelfall keine Anhaltspunkte für einen Drittschutz. Überdies ist einer vorderen Baugrenze zur Straße hin im Regelfall der drittschützende Charakter abzusprechen. (redaktioneller Leitsatz)
4. Wertminderungen als Folge der Nutzung einer Baugenehmigung für das Nachbargrundstück bilden für sich genommen keinen Maßstab für die Zulässigkeit eines Vorhabens. Die Abhängigkeit, in der Grundstücke zu der sie umgebenden städtebaulichen Situation stehen, schließt ein, dass die Grundstückswerte von dieser Situation beeinflusst werden und dass deshalb auch ungünstige Einflüsse, die auf Änderungen der Umgebung beruhen, grundsätzlich hingenommen werden müssen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 6.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses.
Die Antragsteller sind Miteigentümer des Grundstücks Fl. Nr. 6…/34 der Gemarkung …, das mit einem Einfamilienhaus mit zwei Balkonen im 1. Obergeschoss und angebauter Doppelgarage bebaut ist …-straße …).
Unter dem Datum des … Juni 2015 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit Tiefgarage für 18 Stellplätze auf dem süd-östlich an das Grundstück der Antragsteller angrenzenden Grundstück Fl. Nr. …/21. Dessen nördlicher Teil war bislang mit dem circa 17 m von der Straße zurückversetzten …-haus eines …-wohnheims (E + 1 + D) bebaut …-straße …), das über einen durch einen Speisesaal genutzten, erdgeschossigen Verbindungsbau mit einer im südlichen Teil liegenden, denkmalgeschützten Villa (E + 2 + D mit Turmaufsatz) verbunden war …-straße 10). Nach Abbruch von …-haus und Verbindungsbau soll im nördlichen Teil des Grundstücks Fl. Nr. …/21, circa 7 m von der Straße zurückversetzt, ein Mehrfamilienhaus mit einer Grundfläche von circa 23 x 20 m und elf Wohnungen entstehen, die auf Erdgeschoss, 1. und 2. Obergeschoss und umlaufend zurückgesetztes Dachgeschoss (Penthouse) verteilt sind. An der nördlichen Grundstücksgrenze sollen neben dem Zugang ein grenzständiger Schuppen für Fahrräder und Müllbehälter und ein Kinderspielplatz entstehen. Die Zubringung zur Tiefgarage soll über einen zwischen dem Neubau und der Villa liegenden Autoaufzug erfolgen. Von den Antragstellern mit Schreiben vom … September 2015 gegen das Vorhaben vorgebrachte Einwände wies die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 28. September 2015 zurück. Der Bevollmächtigte der Antragsteller wandte sich mit Schriftsatz vom … Dezember 2015 erneut gegen das Vorhaben.
Mit Bescheid vom 22. Dezember 2015, dem Bevollmächtigten der Antragsteller zugestellt am 7. Januar 2016, erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren die beantragte Baugenehmigung. Außerdem wurde im Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 Nr.1 Bayerische Bauordnung (BayBO) eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugelassen, weil sich die Abstandsflächen der Gebäude auf dem Vorhabengrundstück überdecken. Die Einhausung des Autoaufzugs und das Müllhäuschen seien von der Baugenehmigung ausgenommen; hierzu seien Detailpläne einzureichen. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Vorhaben liege im planungsrechtlichen Innenbereich und füge sich hinsichtlich Art und Maß der baulichen Nutzung ein; die maßgebliche nähere Umgebung sei als faktisches allgemeines Wohngebiet einzustufen. Die von Nachbarn befürchtete Beeinträchtigung durch die Nutzung des Zugangswegs zu Mülltonnenhäuschen und Fahrradschuppen halte sich im Rahmen der üblichen Wohnnutzung und der damit verbundenen üblicherweise hinzunehmenden Störungen. Hinsichtlich des behaupteten Widerspruchs zu einer örtlichen Bauvorschrift sei jedenfalls keine nachbarschützende Vorschrift verletzt. Die angestrebte Nutzung entspreche dem Gebietscharakter. Die Abstandsflächen zum Grundstück der Antragsteller seien deutlich eingehalten. Der Abstand zwischen dem geplanten Neubau und dem Wohnhaus der Antragsteller sei groß genug, um eine ausreichende Belichtung und Belüftung zu gewährleisten. Mit Änderungsbescheid vom 12. Februar 2016 berichtigte die Antragsgegnerin die Flurnummer des Vorhabengrundstücks.
Am … Januar 2016 erhoben die Antragsteller Anfechtungsklage (M 1 K 16.338) gegen diesen Bescheid. Gleichzeitig beantragen sie,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 22. Dezember 2015 anzuordnen.
Sie tragen vor, das geplante Gebäude weise eine weit größere Grundfläche auf als das …-haus. Im nordwestlichen Verlauf der …-straße im Anschluss an die Villa seien die Wohnhäuser – auch noch das …-haus – beträchtlich zurückversetzt, und zwar so, dass die Front ungefähr auf gleicher Höhe verlaufe. Abgesehen von der Villa hätten die Wohnhäuser zwei Vollgeschosse und ein Dachgeschoss. Das geplante Vorhaben sei dagegen näher an der Straße situiert und verfüge über eine höhere Geschosszahl als die vorhandenen Gebäude. Sie seien antragsbefugt, weil das Einfügen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung problematisch erscheine. Die Baugenehmigung sei rechtswidrig und verletze hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung das Einfügungs- und das Rücksichtnahmegebot. Das Vorhaben führe zu einer Verschattung ihres Wohnhauses. Eine Stellungnahme des Deutschen Wetterdienstes vom … Januar 2016 komme zu dem Ergebnis, dass das Mehrfamilienhaus im Vergleich zur Ist-Situation die Beschattung ihres Wohnhauses gerade bei flachen Sonnenwinkeln im Winterhalbjahr nachteilig verändern und eine längere Beschattungszeit mit sich bringen werde. Die Einhaltung der Abstandsflächen entbinde das Gericht im Einzelfall nicht, eine den Nachbarschutz rechtfertigende Verletzung des Einfügungsgebots zu prüfen, insbesondere, wenn die Beschattung nicht mit einer Verletzung der Abstandsflächenvorschriften zusammenhänge. Ferner sei ihr Vertrauensschutz zu berücksichtigen, weil sie beim Erwerb des Grundstücks und der anschließenden Errichtung eines Wohnhauses als Ruhestandssitz auf den Bestand der bisherigen Bebauung hätten vertrauen dürfen. Das geplante Vorhaben führe zu einem beträchtlichen Wertverlust ihrer Immobilie.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie führt aus, die Baugenehmigung verletze die Antragsteller nicht in eigenen Rechten. Nach einer Vergleichsaufstellung mit der Umgebungsbebauung weiche das Vorhaben weder hinsichtlich Gebäudehöhe, Zahl der Geschosse oder Grundfläche von dieser ab. Damit könne kein Zweifel am Einfügen bestehen. Die Abstandsflächenvorschriften seien nicht Teil des Prüfprogramms und überdies unter Heranziehung des 16 m-Privilegs zu den Antragstellern eingehalten. Damit werde auch dem Rücksichtnahmegebot Genüge getan. Von einer unzumutbaren Verschattung könne nicht die Rede sein. Für ein abstraktes Veränderungsverbot gebe es keine Rechtsgrundlage.
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt vor, bei summarischer Prüfung erweise sich die Baugenehmigung als rechtmäßig bzw. verletze zumindest die Antragsteller nicht in ihren Rechten. Diese könnten Fehler im Hinblick auf die erteilte Abweichung nicht mit Erfolg geltend machen, weil hiervon ihr Grundstück nicht betroffen sei. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 34 Baugesetzbuch (BauGB) hätten hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung, der überbaubaren Grundstücksflächen und der Bauweise keine nachbarschützende Wirkung. Das Vorhaben verletze auch nicht das Gebot der Rücksichtnahme. Es halte, ohne dass dies Inhalt des Prüfungsumfangs der Baugenehmigung gewesen sei, nach Norden hin unter Beachtung des 16 m-Privilegs die notwendigen Abstandsflächen zum Grundstück der Antragsteller ein. Eine bloße erhöhte Einsehbarkeit begründe ebenso wenig einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot wie ein Wertverlust oder das von den Antragstellern angeführte Vertrauen. Aus den Ausführungen des Deutschen Wetterdienstes ergebe sich keine unzumutbare Verschattung. Aus vorgelegten Bildern werde zudem ersichtlich, dass das Gebäude der Antragsteller bereits durch das Bestandsgebäude verschattet worden sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behördenakte und der Gerichtsakten verwiesen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 212a Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Erhebt ein Dritter Anfechtungsklage gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2, Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die nach § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen.
Im Rahmen dieser Entscheidung trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind – die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 71). Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Hier wird die Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 22. Dezember 2015 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 12. Februar 2016 voraussichtlich erfolglos bleiben. Der Bescheid verletzt die Antragsteller voraussichtlich nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog).
Dabei hat ein Nachbar einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung nicht schon dann, wenn diese objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr ist Voraussetzung, dass er durch die Baugenehmigung gerade in eigenen Rechten verletzt wird. Dies ist nur dann der Fall, wenn die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat. Eine Verletzung drittschützender Vorschriften liegt hier nicht vor. Das Gebot der Rücksichtnahme ist nicht verletzt (1.). Auch die erteilte Befreiung von den Abstandsflächenvorschriften führt nicht zu einer Verletzung in drittschützenden Rechten (2.).
1. Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme ist nicht gegeben.
Das Vorhaben nimmt die mit dem Gebot des Einfügens in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB geforderte Rücksicht (vgl. BayVGH, B. v. 25.1.2013 – 15 ZB 13.68 – juris Rn. 4) auf die Antragsteller.
1.1. Das Vorhaben hält die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften ein und ist den Antragstellern gegenüber auch nicht rücksichtslos, so dass die von diesen vorgebrachte Verschattung oder die erhöhte Einsehbarkeit ihres Grundstücks ihrer Klage nicht zum Erfolg verhelfen kann.
Bei Einhaltung der Abstandsflächen sind die nachbarlichen Belange ausreichender Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie die Begrenzung der Einsichtsmöglichkeiten im Regelfall nicht verletzt, da das Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme vom Landesgesetzgeber mit diesen Belangen in den bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften konkretisiert worden ist. Das heißt, dass für die Anwendung des Rücksichtnahmegebots insoweit kein Raum ist, als die durch dieses Gebot geschützten Belange auch durch spezielle bauordnungsrechtliche Vorschriften geschützt werden und das konkrete Vorhaben deren Anforderungen genügt (BVerwG, U. v. 16.1.1993 – 4 C 28.91 – BVerwGE 94, 151 – juris Rn. 21; BayVGH, B. v. 25.8.2015 – 1 CS 15.1411 – juris Rn. 3). Die Abstandsflächenvorschriften dienen dem Schutz ausreichender Belichtung, Belüftung und Besonnung sowie dem Schutz vor Einsehbarkeit, weshalb die Antragsteller mit dem Vortrag, das Vorhaben führe zu einer unzulässigen Verschattung ihres Grundstücks nicht durchdringen können.
Das Bauvorhaben hält unter Heranziehung des 16 m-Privilegs (vgl. Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO) die Abstandsflächen zum Grundstück der Antragsteller ein.
Die Wandhöhe des geplanten Mehrfamilienhauses beträgt bis zum 2. Obergeschoss 8,74 m, bis zum Penthouse 12,38 m, wobei das Penthouse umlaufend um circa 1,5 m zurückgesetzt ist. Die vorspringende nördliche Außenwand, für die die Inanspruchnahme des 16 m-Privilegs zur Einhaltung der Abstandsflächen erforderlich ist, hat eine Länge von knapp 16 m. Sie wird in einem Abstand von circa 8,3 m (2. Obergeschoss) bzw. 9,8 m (Penthouse) zum Grundstück der Antragsteller errichtet, so dass ½ H jedenfalls eingehalten ist. Dem Umstand, dass vor mindestens zwei Außenwänden die volle Abstandsfläche eingehalten werden muss und das 16 m-Privileg vor maximal zwei Außenwänden in Anspruch genommen darf, wird dadurch Rechnung getragen, dass das Vorhaben jedenfalls nach Westen zur Mitte der …-straße (vgl. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO) und nach Osten zum Grundstück Fl. Nr. 6…/18 die volle Abstandsfläche einhält. Die Zulassung einer Abweichung nach Süden hin ist daher rechtlich nicht zu beanstanden.
1.2. Das Vorhaben entfaltet auch keine erdrückende oder abriegelnde Wirkung im Hinblick auf das Nachbargebäude. Insoweit kann eine Prüfung des Gebots der Rücksichtnahme trotz Einhaltung der Abstandsflächen erfolgen (BVerwG, U. v. 16.1.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151 – juris Rn. 21; BayVGH, B. v. 25.8.2015 – 1 CS 15.1411 – juris Rn. 3).
Dabei kann es auf sich beruhen, ob sich das Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt (§ 34 Abs. 1 BauGB). Gegen die im Gebot des Sich-Einfügens liegende Pflicht zu nachbarlicher Rücksichtnahme würde nicht ohne Weiteres verstoßen, wenn das nicht der Fall wäre. Die Bestimmungen über das Maß der baulichen Nutzung sind grundsätzlich nicht nachbarschützend. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Vorhaben infolge seines Nutzungsmaßes den Nachbarn durch eine „abriegelnde“ oder „erdrückende Wirkung“ unzumutbar beeinträchtigt. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BayVGH, B. v. 20.7.2010 – 15 CS 10.1151 – juris Rn. 18). Als Beispiele sind zu nennen ein zwölfgeschossiges Gebäude in Entfernung von 15 m zum zweigeschossigen Nachbarwohnhaus (vgl. BVerwG, U. v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – DVBl 1981, 928 – juris Rn. 33 f.) oder eine 11,5 m hohe Siloanlage im Abstand von 6 m zu einem Wohnanwesen (BVerwG, U. v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – DVBl 1986, 1271 – juris Rn. 2 und 15).
Die Antragsteller berufen sich hier darauf, dass das geplante Vorhaben eine größere Grundfläche aufweise als das bislang vorhandene …-haus und über eine höhere Geschosszahl als die vorhandenen Gebäude verfüge. Beide Umstände begründen noch keine „abriegelnde“ oder „erdrückende Wirkung“ im baurechtlichen Sinn. Zwischen dem Wohnhaus der Antragsteller und dem maximal dreigeschossigen Neubau mit einer Höhe von maximal 12,38 m bei zurückversetztem Penthouse liegt eine unbebaute Fläche von 12 m Tiefe. Auf den streitgegenständlichen Grundstücken besteht auch nach Errichtung des Neubaus der Eindruck lockerer Bebauung, nachdem die Fläche südwestlich des Wohnhauses der Antragsteller zur …-straße hin frei ist. Bei dieser Gebäudesituierung kann von einer erdrückenden Wirkung nicht die Rede sein.
1.3. Auch die mögliche Überschreitung einer faktischen Baugrenze zur …-straße hin führt nicht zu einer Rechtsverletzung der Antragsteller.
Das Vorliegen einer Baugrenze, unabhängig ob durch Bebauungsplan festgesetzt oder aus der faktischen Bebauung ersichtlich, führt dazu, dass Gebäude und Gebäudeteile diese nicht überschreiten dürfen (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 1 BaunutzungsverordnungBauNVO).
Unabhängig davon, ob aus der vorhandenen Bebauung eine faktische Baugrenze ablesbar ist und ob hiervon befreit hätte werden müssen, führt der diesbezügliche Vortrag der Antragsteller jedenfalls nicht zu einer Verletzung in eigenen Rechten.
Selbst Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche in einem Bebauungsplan vermitteln Drittschutz nur dann‚ wenn sie nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträgerin diese Funktion haben sollen. Eine solche ausnahmsweise drittschützende Zielrichtung müsste sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Bebauungsplan‚ seiner Begründung oder aus sonstigen Unterlagen der planenden Gemeinde ergeben (vgl. BayVGH, B. v. 23.11.2015 – 1 CS 15.2207 – juris Rn. 8). Bei faktischen Baugrenzen ergeben sich im Regelfall keine Anhaltspunkte für einen Drittschutz (Geiger in Birkl, Stand Sept. 2015, Bauplanungs- und Immissionsschutzrecht, Rn. E 150). Überdies ist einer vorderen Baugrenze zur Straße hin im Regelfall der drittschützende Charakter abzusprechen. Auch im vorliegenden Fall ist nichts dafür ersichtlich, dass der Abstand der Gebäude zur …-straße neben dem Ortsbild auch dem Schutz der einzelnen Anwohner dienen soll.
1.4. Auch sonstige Auswirkungen des Vorhabens führen nicht zu einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme.
Insbesondere sind hinzukommende Beeinträchtigungen durch mögliche Lärmbelästigungen, wie beispielsweise das Begehen des Zugangswegs, die Nutzung des Fahrradschuppens oder des Mülldepots im Rahmen der Wohnnutzung als sozialadäquat anzusehen und entsprechen dem Charakter eines Wohngebiets.
1.5. Die Antragsteller können sich auch nicht mit Erfolg auf eine Wertminderung ihres Grundstücks oder den Umstand, sie hätten mit weiterer Bebauung nicht rechnen müssen, berufen.
Zum einen ist bereits fraglich, ob eine Wertminderung bei Realisierung des Vorhabens überhaupt eintreten oder ob die erhöhte Baudichte, die dann gegebenenfalls auch für das Grundstück der Antragsteller gelten würde, nicht etwa zu einer Wertsteigerung führt. Zum anderen bilden Wertminderungen als Folge der Nutzung einer Baugenehmigung für das Nachbargrundstück für sich genommen – also über das Gebot der Rücksichtnahme hinaus – keinen Maßstab für die Zulässigkeit eines Vorhabens. Die Abhängigkeit, in der Grundstücke zu der sie umgebenden städtebaulichen Situation stehen, schließt ein, dass die Grundstückswerte von dieser Situation beeinflusst werden und dass deshalb auch ungünstige Einflüsse, die auf Änderungen der Umgebung beruhen, grundsätzlich hingenommen werden müssen. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsteller einen über eine mögliche situationsbedingte Wertminderung hinausgehenden, schlechthin unzumutbaren Wertverlust ihres Grundstücks hinnehmen müssten, sind nicht ersichtlich (vgl. BayVGH, B. v. 14.6.2013 – 15 ZB 13.612 – juris Rn. 6).
Weiter ist die Hoffnung, die Bebauung auf dem Nachbargrundstück werde nicht intensiviert und zu Ungunsten der Wohn- und Lebenssituation auf dem eigenen Grundstück verschlechtert, nicht über das Gebot der Rücksichtnahme geschützt.
2. Die in der Baugenehmigung zugelassene Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften verletzt die Antragsteller ebenfalls nicht in ihren Rechten.
In der Baugenehmigung wurde im Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 Nr. 1 BayBO eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugelassen, weil sich die Abstandsflächen der Gebäude auf dem Vorhabengrundstück überdecken. Die Zulassung dieser Abweichung führt nicht zu einer Verletzung der Antragsteller in eigenen Rechten, weil sie nicht die Abstandsflächen gegenüber ihrem Grundstück betrifft (BayVGH, B. v. 29.10.2015 – 2 B 15.1431 – BauR 2016, 237 – juris Rn. 36), sondern die auf dem Vorhabengrundstück selbst liegenden Abstandsflächen.
Der Antrag war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Da die Beigeladene einen eigenen Sachantrag gestellt und sich daher einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es billigem Ermessen, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten von den Antragstellern erstattet erhält, § 154 Abs. 3 i. V. m. § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und § 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i. V. m. Nr. 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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