Baurecht

Erfolgloser Eilantrag des Nachbarn gegen Neubau einer Lagerhalle – Zielorientierte Festlegung des Immissionsschutzes

Aktenzeichen  M 9 SN 18.4926

Datum:
15.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 191
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3
WHG § 78 Abs. 3 S. 1
BGB § 242

 

Leitsatz

1. Wenn im Regelbetrieb nicht mit Überschreitungen von Immissionsrichtwerten zu rechnen ist, reicht es aus, dem Emittenten im Baugenehmigungsbescheid aufzugeben, beim Betrieb seiner Anlage näher bestimmte Richtwerte einzuhalten (zielorientierte Festlegung des Immissionsschutzes). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Immissionen im Umfang einer Vorbelastung sind zumutbar, auch wenn sie sonst in einem vergleichbaren Gebiet und in einer vergleichbaren Situation nicht (mehr) hinzunehmen wären. Das bedeutet, dass eine nähere Untersuchung der Immissionsbelastung entfallen kann, wenn sich die immissionsschutzrechtliche Situation nicht verschlechtert. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. In einem festgesetzten oder vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiet bleibt neben der wasserrechtlichen Regelung gem. § 78 WHG für die Anwendung des baurechtlichen Gebots der Rücksichtnahme als Zulässigkeitsmaßstab für bauliche Anlagen kein Raum. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Nachbar kann sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben entsprechend § 242 BGB dann nicht auf nachbarschützende Vorschriften stützen, wenn er selbst die insoweit geltenden gesetzlichen Vorgaben nicht einhält. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich gegen eine für das Nachbargrundstück erteilte Baugenehmigung zum Neubau einer Lagerhalle und zur Umlegung der Zufahrt.
Die Baugenehmigung bezieht sich auf die im Eigentum der Beigeladenen stehende (Bl. 73 d. Behördenakts – i.F.: BA -) FlNr. 1753/1, Gem. Kr. (i.F.: Baugrundstück). Die Beigeladene ist nach einem Bauherrenwechsel (Bl. 147 d. BA) auch Bauherrin. Die Antragsteller zu 2. und zu 3. sind nach dem im Verwaltungsvorgang befindlichen Auszug aus dem Liegenschaftskataster Eigentümer (Bl. 8 d. BA) der nordwestlich gelegenen Flurstücke 1773/4 und 1773/7, jeweils Gem. Kr. Nach Vortrag des Bevollmächtigten sind dagegen die Antragsteller zu 1. und zu 2. Eigentümer des Flurstücks 1773/7, Gem. Kr; das Flurstück 1773/4, Gem. Kr, stehe dagegen im Eigentum des Antragstellers zu 1. und unterliege einem Nießbrauchrecht der Antragsteller zu 2. und zu 3. (Bl. 9 d. Gerichtsakts). Nur das unbebaute Grundstück, FlNr. 1773/7, Gem. Kr, grenzt punktuell an das Baugrundstück an. Nordwestlich direkt und nicht nur als Punktnachbar schließen die im Eigentum der Gemeinde Ro.-E. stehende FlNr. 1753, Gem. Kr., und das Seeflurstück FlNr. 1255/193, Gem. T., an. Alle Grundstücke liegen im Außenbereich.
Mit Bauantrag vom 7. November 2014 (Bl. 1ff. d. BA) und nachgereichten neuen Bauvorlagen vom 8. März 2018 beantragte zunächst der Betreiber des nahegelegenen Kieswerks als ursprünglicher Bauherr die streitgegenständliche Baugenehmigung; die Beigeladene übernahm das Verfahren später mit Erklärung vom 26. März 2018 (Bl. 147 d. BA). Die Gemeinde Kr. stellte ihr Einvernehmen mit Beschluss vom 12. Dezember 2014 (Bl. 9ff. d. BA) bzw. – nach dem Bauherrenwechsel – mit Stellungnahme vom 26. März 2018 (Bl. 143ff. d. BA) her.
Nachdem der Fachbereich 33.2 – Fachlicher Naturschutz – dem Vorhaben zunächst entgegengetreten war (Bl. 52ff. d. BA), schlossen das Landratsamt, vertreten durch den Abteilungsleiter der Unteren Naturschutzbehörde, und die Bauherrin unter dem 7. August 2017 einen öffentlich-rechtlichen Vertrag (Bl. 73ff. d. BA), um die bestehenden naturschutzfachlichen und -rechtlichen Bedenken auszuräumen. Der Vertrag sieht ein Gesamtkonzept vor, das der Bauherrin Maßnahmen zur Renaturierung der Uferbereiche des sog. Grünen Wasserls – u.a. durch Abgrabung des aufgefüllten Geländes und durch Abgrenzung eines großen Areals im nördlichen Bereich des Baugrundstücks, das künftig allein der Natur vorbehalten sein soll – und zur Reduzierung und Eingrenzung der Lagerflächen auferlegt. Angesichts dessen erklärte der fachliche Naturschutz anschließend sein Einverständnis (Bl. 123f. d. BA).
Mit Stellungnahme vom 15. Januar 2018 (Bl. 117ff. d. BA) äußerte sich der Fachbereich 33.1 – Technischer Umweltschutz – zu dem Bauvorhaben. Es bestünden keine Bedenken. Um den Betrieb des nahegelegenen Kieswerks nicht einschränken zu müssen, dürften der Lagerplatz und die Lagerhalle keinen relevanten Immissionsbeitrag verursachen, was nach Ziff. 3.2.1 TA Lärm zur Reduzierung des Immissionsrichtwerts am maßgeblichen Immissionsort auf 54 dB(A) tags geführt habe.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 23. August 2018 (Az. 31/602 1-2014-1812-B) erteilte der Beklagte die beantragte Baugenehmigung (Ziff. I), die Ausnahmegenehmigung nach § 78 Abs. 3 WHG – Anm.: mittlerweile § 78 Abs. 5 WHG n.F. – (Ziff. II) und Ausnahmen nach § 61 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG und nach Art. 23 Nr. 3 BayNatSchG (Ziff. V und VI). Die Baugenehmigung ersetzt nach Ziff. IV die erforderliche Befreiung gem. § 67 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG von § 3 Abs. 1 der Landschaftsschutzverordnung „Schutz des Tegernsees und Umgebung“. Der Bescheid enthält weiter eine Reihe von Auflagen; u.a. verlangt Ziff. 2, dass die in den beigefügten Schreiben des Staatlichen Bauamts Rosenheim vom 18. August 2017, des Fachbereichs 33.1 – Technischer Umweltschutz – vom 17. Januar 2018 und des Fachbereichs 33.2 – Fachlicher Naturschutz – vom 18. Januar 2018 enthaltenen Forderungen zu erfüllen sind und macht diese zum Bestandteil des Genehmigungsbescheids.
Der Bevollmächtigte der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 21. September 2018 Klage erhoben. Vorliegend beantragt er unter der Überschrift „Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung“,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Baugenehmigung verstoße allein schon deshalb gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme, weil den Behördenakten keine schalltechnische Untersuchung entnommen werden könne. Es sei daher nicht nachvollziehbar, ob die einzuhaltenden Immissionsrichtwerte auch tatsächlich durch den Betrieb der Lagerhalle und der Zufahrt eingehalten werden könnten. Es sei kein Nachweis enthalten, dass die Verlegung der Zufahrt, wie von der Immissionsschutzstelle behauptet, zu einer Verbesserung der Lärmsituation am Anwesen der Antragsteller führe. Auch müssten für die Radladerarbeiten, die laut Betriebsbeschreibung weit über eine Stunde hinausgingen, weitere Schallschutzmaßnahmen gefunden werden. Auch verstoße die Ausnahmegenehmigung nach § 78 Abs. 3 WHG gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Die Schutzvorschriften für festgesetzte Überschwemmungsgebiete seien drittschützend. Sie stellten einen öffentlichen Belang i.S.v. § 35 Abs. 3 Nr. 6 BauGB dar. Es fehle an einem hydrologischen Gutachten und die Genehmigung sei ins Blaue hinein erteilt worden, da ihre gesetzlichen Voraussetzungen fachlich nicht in ausreichender Weise nachgewiesen worden seien. Der Verlust von Retentionsraum werde nicht ausgeglichen, es sei zu befürchten, dass sich der Hochwasserabfluss durch die weitere Bebauung und eine zu erwartende Aufschüttung zulasten der Antragsteller verändere. Die Baugenehmigung sei im Übrigen formell rechtswidrig. Sie gebe nicht die Wirklichkeit wieder, weil der östliche Grenzstein auf FlNr. 1773/7, Gem. Kr., widerrechtlich versetzt worden sei. Die Zufahrt würde ohne diese Versetzung im Biotop enden.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Durch das Bauvorhaben sei nicht von einer immissionsschutzrechtlichen Zusatzbelastung auszugehen, da etwaige Lärmbelastungen durch die Abschirmwirkung der Halle sowie durch die Verlegung der Zufahrt kompensiert würden. Auch der Natur- und der Hochwasserschutz profitierten von den Maßnahmen. Durch die Renaturierung eines Teils der bestehenden Lagerfläche und der Uferbereiche werde die Beeinträchtigung durch das Bauwerk mehr als ausgeglichen. Hinsichtlich des Retentionsraumausgleichs betrage die Fläche der Aufschüttung nach den genehmigten Plänen rund 100 m², während die abzugrabende Fläche in unmittelbarer Nähe rund fünfmal so groß sei (ca. 500 m²). Beide Maßnahmen hätten eine annähernd gleiche Tiefe, weswegen das Verhältnis auch für das Volumen gelte.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichts- sowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der zwar mit „Wiederherstellung“ überschriebene, aber nach Auslegung, §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO, auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gerichtete Antrag ist zulässig. Den Vortrag des Bevollmächtigten zugrunde gelegt gehören alle Antragsteller – entweder als Eigentümer oder als Nießbrauchberechtigte – grundsätzlich zum durch das Bauplanungsrecht geschützten Personenkreis, der eine dingliche Rechtsposition an benachbarten Grundstücken voraussetzt (BVerwG, B.v. 11.7.1989 – 4 B 33/89 – juris; U.v. 11.5.1989 – 4 C 1/88 – juris). Es ist aber darauf hinzuweisen, dass nur das im Eigentum der Antragsteller zu 2. und zu. 3. stehende Flurstück 1773/7, Gem. Kr., überhaupt eine Nachbarstellung aufweist und auch das nur als sog. Punktnachbar. Noch im Verwaltungsverfahren gerügte Abstandsflächenverstöße – auch im Hauptsacheverfahren berufen sich die Antragsteller bspw. auf eine unzulässige „Dominanz“ der Halle in der Landschaft – u.Ä. scheiden mithin von vorn herein als Angriffspunkte aus. Es besteht aber zumindest die (entfernte) Möglichkeit, dass das bauplanungsrechtliche und/ oder das wasserrechtliche Gebot der Rücksichtnahme tangiert sein könnte, womit den Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 VwGO analog noch Genüge getan ist.
2. Der Antrag ist aber unbegründet.
Nach § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB ganz oder teilweise anordnen. Es trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung dahingehend, ob das öffentliche und das private Vollzugsinteresse der Bauherrin oder das Aussetzungsinteresse der Antragsteller überwiegt. Die vorzunehmende Interessenabwägung orientiert sich maßgeblich an den summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs.
Die Drittanfechtungsklage wird voraussichtlich erfolglos bleiben. Die streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt die Antragsteller nach summarischer Prüfung nicht in subjektiv-öffentlichen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen eine Baugenehmigung kann nur dann Erfolg haben, wenn die Baugenehmigung Vorschriften verletzt, die dem Schutz des Dritten zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im vorliegenden gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung beschränkt sich vielmehr darauf, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln und die im Baugenehmigungsverfahren prüfungsgegenständlich sind, verletzt sind (statt aller VG München, B.v. 26.10.2017 – M 9 S 17.3585 – juris m.w.N.).
Eine derartige Verletzung drittschützender Vorschriften ist nach der ständigen Rechtsprechung auch der entscheidenden Kammer vorliegend nicht ersichtlich.
Von vorn herein untunlich ist der Vortrag zur formellen Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung. Die mit der Baugenehmigung zugelassene Verlegung der Zufahrt führt an FlNr. 1773/7, Gem. Kr., vorbei und tangiert dessen Grenzen nicht. Etwaige Fehler bei der Bauausführung – so die gerügte Grenzsteinversetzung – erlauben keinen Angriff auf die Baugenehmigung. Gleiches gilt – mangels Möglichkeit einer Verletzung in drittschützenden Vorschriften – für die im Verwaltungsvorgang diskutierte Frage, ob das Bauvorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert ist oder nicht (siehe z.B. BayVGH, B.v. 7.2.2013 – 15 CS 12.743 – juris) und für die in der Klagebegründung im Hauptsacheverfahren angeführten naturschutzrechtlichen Belange; auch ist es entgegen der Meinung der Antragstellerseite irrelevant, ob es „die Halle überhaupt braucht“ (vgl. Ziff. IV der Klagebegründung, S. 7) – ein Nachbar ist nicht berechtigt, die fehlende Zweckmäßigkeit eines Bauvorhabens zu rügen.
Die Baugenehmigung verletzt voraussichtlich weder das bauplanungsrechtliche (a) noch das wasserrechtliche Gebot der Rücksichtnahme (b).
a) Das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme wird durch die Genehmigung(en) voraussichtlich nicht verletzt.
Das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme folgt vorliegend aus § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB. Es soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten und vermittelt insofern Drittschutz, als die Genehmigungsbehörde in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Belange eines erkennbar abgrenzbaren Kreises Dritter zu achten hat. Die Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und was dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Begünstigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständiger und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (statt aller BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist verletzt, wenn durch das geplante Vorhaben die Nutzung des Nachbargrundstücks unzumutbar beeinträchtigt wird.
Die Argumentation der Antragsteller, das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme sei verletzt, weil das Landratsamt keine schalltechnische Untersuchung eingeholt habe, geht aus mehreren Gründen fehl.
Zum einen beschäftigte sich die Fachstelle des Landratsamts – Technischer Umweltschutz, Fachbereich 33.1 – mit dem Bauvorhaben und stellte fest (Bl. 117f. d. BA), dass die Verlegung der Zufahrt und die Errichtung der geschlossenen und fugendichten Halle wirksame Lärmschutzmaßnahmen für das Wohnhaus auf FlNr. 1773/4, Gem. Kr., seien. Sie wirkte auf ausdifferenzierte Auflagen hin (Bl. 119ff. d. BA), um den Lärmschutz auch rechtlich sicherzustellen. Diese Auflagen haben über die Verweisung in Ziff. 2 allesamt Eingang in den Baugenehmigungsbescheid gefunden. Eine immissionsschutztechnische Bewertung hat also gerade stattgefunden; es ist dabei nicht zwingend erforderlich, bspw. Berechnungen aktenkundig zu machen, wenn die Fachstelle zum Ergebnis kommt, dass im Regelbetrieb nicht mit einer Überschreitung der Immissionsrichtwerte zu rechnen ist (dazu sogleich). Die Antragstellerseite zeigt keine Fehler dieser Stellungnahme auf, sondern beschränkt sich darauf, eine (weitere) schalltechnische Untersuchung zu fordern. Damit kann ein Angriff auf die Baugenehmigung nicht geführt werden (vgl. BVerwG, B.v. 3.2.2010 – 7 B 35/09 – juris; B.v. 13.3.1992 – 4 B 39/92 – juris).
Zum anderen reicht eine sog. zielorientierte Festlegung nach ständiger Rechtsprechung der Kammer und aller Obergerichte aus, wenn im Regelbetrieb nicht mit Überschreitungen zu rechnen ist (z.B. VG München, B.v. 2.7.2018 – M 9 SN 18.2593 – juris m.w.N.; U.v. 23.11.2016 – M 9 K 15.4614 – juris m.w.N.). Zielorientierte Festlegung des Immissionsschutzes meint dabei, dass dem Emittenten im Baugenehmigungsbescheid aufgegeben wird, beim Betrieb seiner Anlage näher bestimmte Richtwerte einzuhalten. Dies ist vorliegend geschehen; Ziff. 2 der Auflagen enthält eine klare und konkrete Bezugnahme auf Grenzwerte in der schalltechnischen Untersuchung der Fachstelle vom 17. Januar 2018. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die Fachstelle den im Außenbereich eigentlich geltenden Immissionsrichtwert von 60 db(A) unter Rückgriff auf Ziff. 3.2.1 TA Lärm ohnehin weiter – antragstellergünstig – reduziert hat, nämlich auf 54 dB(A). Vorliegend ergeben sich weder aus dem Vorbringen der Antragsteller noch im Übrigen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass beim Regelbetrieb der Anlage mit Überschreitungen der im angefochtenen Bescheid festgesetzten reduzierten Immissionsrichtwerte gerechnet werden müsste. Dies ergibt sich bereits aus den geplanten Lärmschutzmaßnahmen, v.a. aus der vorgesehenen Wall-Wand-Kombination in Höhe von 3 m bzw. 6,60 m, wobei die Hallenrückwand und das Hallendach mit hohen Schalldämmmaßen auszuführen sind, und aus der Verlegung der Kieswerkszufahrt Richtung Osten. Die Baugenehmigung enthält weiter eine Reihe vollstreckbarer Auflagen, die die genehmigte Nutzung zusätzlich einschränken, bspw. Betriebszeitenbeschränkungen (Ziff. 3 und Ziff. 4 des Auflagenkatalogs in der Stellungnahme vom 17. Januar 2018: Lagerung von Materialien ausschließlich aus dem nahegelegenen Kieswerk, Lkw-Lieferverkehr und Verladezeiten nur von 07.00 Uhr bis 17:00 Uhr werktags), die im Zusammenspiel mit der in Bezug genommenen Betriebsbeschreibung eine rücksichtsvolle Betriebsweise sicherstellen. Letztere legt bspw. genaue Verladezeiten fest, an denen der Gabelstapler zum Einsatz kommt (Montag bis Donnerstag, 07:00-12:00 und 13:00-17:00, und Freitag 07:00-12:00 und 13:00-16:00). Eine von den Antragstellern wohl befürchtete Ausuferung des (Regel-) Betriebs stellt demgegenüber ein reines Vollzugsproblem dar.
Schließlich sind Immissionen im Umfang einer Vorbelastung nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung zumutbar, auch wenn sie sonst in einem vergleichbaren Gebiet und in einer vergleichbaren Situation nicht (mehr) hinzunehmen wären (bspw. bei BVerwG, U.v. 27.6.2017 – 4 C 3.16 – juris; U.v. 27.8.1998 – 4 C 5.98 – juris; auch: OVG SH, U.v. 26.7.2012 – 1 LC 130/09 – juris; Brügelmann, BauNVO, Stand: 81. Lfg., Februar 2012, § 15 Rn. 164). Das bedeutet, dass eine nähere Untersuchung der Immissionsbelastung – anders als vorliegend geschehen – sogar gänzlich entfallen könnte, wenn sich die immissionsschutzrechtliche Situation nicht verschlechtert. Das ist vorliegend offensichtlich der Fall. Die neu entstehende, geschlossene Halle samt Lärmschutzwall und die Verlegung der Zufahrt werden die Lärmsituation für die Antragsteller gegenüber dem Status Quo – offener, nicht abgeschirmter Lagerplatz – erheblich verbessern. Auch dass nur legale Anlagen bei der Festlegung einer etwaigen Vorbelastung angesetzt werden können (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 11.7.1994 – 4 B 134/94 – juris; Brügelmann, BauNVO, Stand: 81. Lfg., Februar 2012, § 15 Rn. 164), steht vorliegend nicht entgegen. Nach Aktenlage genießen beide Lagerplätze wohl bereits formellen Bestandsschutz, wenn man von der „Ausuferung“ des östlichen Lagerplatzes Richtung Norden absieht: So konnte das Bauamt in Erfahrung bringen, dass in Genehmigungen aus den Jahren 1971 und 1984 sowohl die FlNr. 1548/5, Gem. Kr., als auch das Baugrundstück als Lagerfläche dargestellt und solchermaßen genehmigt wurden (Bl. 62 d. BA).
Die immissionsschutzrechtlichen Bedenken der Antragstellerseite sind nach alledem nicht nachvollziehbar.
Wenn die Antragsteller den Verlust von Retentionsraum bemängeln, so tragen sie damit nichts vor, was im Rahmen des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme fruchtbar gemacht werden könnte. Die Anwendung desselben findet nämlich dort seine Grenze, wo der Gesetzgeber eine spezielle Inhalts- und Schrankenbestimmung des Bodeneigentums getroffen und ein Verfahren zur Prüfung dieses Belangs festgelegt hat. Für den Hochwasserschutz in einem Überschwemmungsgebiet existiert gemäß § 78 WHG ein solches Verfahren. Die Anforderungen des § 78 Abs. 5 WHG zielen darauf ab, jede Verschlechterung der Hochwassersituation zu vermeiden. Damit geht die wasserrechtliche Regelung gemäß § 78 WHG deutlich über die allgemeine Zumutbarkeitsgrenze des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme hinaus. Für die Anwendung des baurechtlichen Gebots der Rücksichtnahme als Zulässigkeitsmaßstab für bauliche Anlagen in einem – festgesetzten oder vorläufig gesicherten – Überschwemmungsgebiet bleibt daneben kein Raum (so schon OVG Hamburg, B.v. 28.1.2016 – 2 Bs 254/15 – juris m. Anm. v. Thies, jurisPR-UmwR 5/2016 Anm. 3, zu § 78 WHG a.F. und damit vor der klarstellenden Gesetzesänderung).
b) Auch das wasserrechtliche Gebot der Rücksichtnahme, mittlerweile festgeschrieben in § 78 Abs. 5 Satz 2 WHG, ist nicht verletzt.
Der Fachbereich 32 – Wasser, Abfall, Bodenschutz – hat das Bauvorhaben daraufhin untersucht (vgl. Stellungnahme vom 29. September 2017, Bl. 102 d. BA), ob eine – mit streitgegenständlichem Bescheid dann auch gewährte – Ausnahme vom Bauverbot nach § 78 Abs. 5 Satz 1 WHG n.F. (wortgleich zu § 78 Abs. 3 Satz 1 WHG a.F., weswegen dessen Heranziehung im Bescheid unschädlich ist) erteilt werden kann und kam zum Ergebnis, dass dessen Voraussetzungen eingehalten bzw. nicht betroffen sind. Dies ist ohne weiteres nachvollziehbar. Durch das im öffentlich-rechtlichen Vertrag vom 7. August 2017 (Bl. 73ff. d. BA) fixierte Gesamtkonzept wird – so auch das Landratsamt in seiner Antragserwiderung – im Zuge des Bauvorhabens ein Vielfaches dessen an Retentionsraum neu geschaffen, was durch das Bauvorhaben eingebüßt wird. Dies ergibt sich nachvollziehbar aus den zugrunde liegenden Lageplänen, die sowohl die HQ 100-Linie als auch die Bestandsböschung und die nördlich zu renaturierende Fläche darstellen, die vom Baugrundstück abgeteilt wird und aus dem öffentlich-rechtlichen Vertrag samt Anlage, auf den auch die Stellungnahme des Fachbereichs 32 verweist (vgl. Ziff. 9 des Auflagenkatalogs zum Genehmigungsbescheid und Bl. 103 d. BA).
Im Übrigen könnten sich die Beigeladenen auf einen Verstoß gegen das wasserrechtliche Gebot der Rücksichtnahme auch nicht berufen. Ein Nachbar kann sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben, § 242 BGB entsprechend, dann nicht auf nachbarschützende Vorschriften stützen, wenn er selbst die insoweit geltenden gesetzlichen Vorgaben nicht einhält. Nachbarn müssen sich eine Begrenzung treuwidriger Rügen nach allgemeinen Grundsätzen entgegen halten lassen, wenn sie quantitativ und qualitativ in vergleichbarem Maß von den maßgeblichen Regelungen abgewichen sind (so zum wasserrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme SächsOVG, U.v. 9.6.2011 – 1 A 504/09 – juris). So liegt der Fall hier: Die Antragsteller befinden sich mit ihrem Wohnhaus selbst im Überschwemmungsgebiet und haben Retentionsraum in erheblichem Ausmaß in Anspruch genommen.
Die Kostenentscheidung fußt auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO; die Beigeladene hat sich mangels Antragstellung keinem Kostenrisiko ausgesetzt, weswegen es nicht der Billigkeit entspräche, den Antragstellern auch ihre außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1, 1.5 Streitwertkatalog.


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