Baurecht

Erfolgloser Eilantrag gegen eine Baugenehmigung zur Errichtung eines neuen Daches und zum Ausbau des Dachgeschosses in einem Mehrfamilienhaus in Blockinnenlage

Aktenzeichen  W 5 S 17.942

Datum:
29.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 42 Abs. 2, § 80 Abs. 1, Abs. 5, § 80a Abs. 3, § 113 Abs. 1 S. 1
BayBO BayBO Art. 6 Abs. 1, Abs. 4, Abs. 5 S. 2, Abs. 8 Nr. 3, Art. 59 S. 1 Nr. 2, Art. 63 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, Art. 68 Abs. 1 S. 1, Art. 81
BauGB BauGB § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2, § 212a Abs. 1
BauNVO BauNVO § 15 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Für eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften müssen rechtlich erhebliche Umstände vorliegen, die das Vorhaben als einen atypischen Fall erscheinen lassen. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2 Derjenige, der mit einem Grenzanbau sein Grundstück intensiv baulich nutzt und nicht unter Wahrung gesetzlich vorgeschriebener Grenzabstände selbst für ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung seines Bauwerks sorgt, kann im Regelfall aus Billigkeitsgründen nicht die Einhaltung von Grenzabständen durch ein Gebäude des Nachbarn verlangen. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3 Örtliche Bauvorschriften über die äußere Gestaltung baulicher Anlagen wirken grundsätzlich nicht nachbarschützend. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
4 Für die Annahme einer erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes ist kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als das betroffene Gebäude. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen haben die Antragsteller als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich als Eigentümer des mit einem Mehrfamilien-Wohnhaus bebauten Grundstücks Fl.Nr. …2 der Gemarkung Würzburg, … in Würzburg, gegen die der Beigeladenen mit Bescheid vom 26. Juli 2017 erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines neuen Daches, Einbau einer Loggia, dreier Dachgauben und Dachliegefenster mit Einbau von zwei Wohnungen im Mehrfamilienhaus auf dem Grundstück Fl.Nr. …1 der Gemarkung Würzburg, … in Würzburg (Baugrundstück).
1. Das Baugrundstück befindet sich im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans „Sanierung G. – Block 8 – G. 11a/82“ vom 16. Januar 1992, der hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung ein Allgemeines Wohngebiet und hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung zwei Vollgeschosse, eine Grundflächenzahl von 0,7 sowie eine Geschossflächenzahl von 1,3 festsetzt.
Das streitgegenständliche Gebäude wurde mit Baugenehmigungsbescheid der Stadt W. vom 11. November 1959 als zweigeschossiges Werkstattgebäude mit einem flachgeneigten Satteldach genehmigt. Mit Baugenehmigung vom 8. April 1999 wurde an der Westfassade ein Aufzugsschacht genehmigt. Mit Bescheid vom 4. August 2011 wurden der Umbau und die Nutzungsänderung des Werkstattgebäudes in ein Wohngebäude mit vier Wohneinheiten bauaufsichtlich genehmigt. Das Baugrundstück der Beigeladenen grenzt im Westen an das Grundstück der Antragsteller an, das mit einem viergeschossigen Wohngebäude bebaut ist (Baugenehmigung vom 15.12.1955).
2. Mit Bauantrag vom 19. September 2016 beantragte die Beigeladene die Aufstockung und den Einbau von 2 Wohnungen in ein bestehendes Mehrfamilienhaus auf dem Baugrundstück. Mit Antrag vom 21. September 2016 begehrte sie die Erteilung einer Abweichung von den Vorschriften über die Abstandsflächen der Bayerischen Bauordnung. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Gebäude stehe dreiseitig auf den Grundstücksgrenzen. Die Abstandsflächen könnten nicht eingehalten werden, da das Gebäude auf der Grenze stehe. An der Nord- und Westseite entstünden durch die Aufstockung keine neuen Abstandsflächen, da die Wandhöhen nicht verändert würden.
Mit Bescheid vom 26. Juli 2017 erteilte die Stadt W. der Beigeladenen die Baugenehmigung nach den Plänen vom September 2016 mit Ergänzungen vom 22. März 2017. Des Weiteren wurden Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der festgesetzten Geschossflächenzahl (zulässig: 1,3, geplant: 1,43), von der festgesetzten Grundflächenzahl (zulässig: 0,7, geplant: 0,715) sowie von den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der Dachform (zulässig: Pultdach, geplant: Mansarddach) erteilt. Weiter wurden Abweichungen von der Tiefe der Abstandsfläche auf allen vier Seiten, so u.a. auf der Westseite (grundsätzlich erforderlich: 6,71 m – 6,89 m; Verkürzung auf: 1,43 m – 4,67 m) erteilt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Abweichungen von den gemäß Art. 6 BayBO festgesetzten Abstandsflächen sich aus der gewachsenen Struktur des Stadtteiles ergäben und bereits im Bestand lägen. Durch den Aufbau sei hier keine signifikante Veränderung zu verzeichnen. Die Durchführung der Vorschriften würde zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen. Die Abweichungen und Befreiungen seien auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar.
3. Gegen den Bescheid vom 26. Juli 2017 ließen die Antragsteller am 28. August 2017 durch ihre Bevollmächtigte Klage erheben (W 5 K 17.941). Sie stellten am gleichen Tag den  Antrag
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage der Antragsteller anzuordnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen: Der Antrag sei zulässig und begründet. Die Baugenehmigung erweise sich nach summarischer Prüfung als rechtswidrig, die Antragsteller würden dadurch in ihren Nachbarrechten beeinträchtigt. Das Vorhaben verstoße gegen Bauplanungsrecht, weil Festsetzungen des Bebauungsplans über die Geschossflächenzahl und die Grundflächenzahl nicht eingehalten seien und die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung nicht vorlägen. Das Vorhaben sei daher bauplanungsrechtlich unzulässig. Die städtebauliche Vertretbarkeit sei entgegen der nicht näher begründeten Auffassung der Antragsgegnerin nicht gegeben. Vorliegend würde der Rahmen einer Randkorrektur der vorgegebenen Planung durch die Erteilung einer Befreiung deutlich überschritten. Bei der erteilten Baugenehmigung handele es sich um die faktische Aufstockung einer klassischen zweite-Reihe-/Hinterhofbebauung. Ein Gebäude in zweiter Reihe einer Blockrandbebauung widerspreche bereits durch seinen Bestand dem Ziel der Verbesserung der Wohnraum- und Freiraumqualität durch entsprechende Blockentfernung. Darüber hinaus besage die Begründung des Bebauungsplans, die ausgewiesenen GFZ- und GRZ-Zahlen seien für den Fall des Ausbaus des Daches als Vollgeschoss so ausgelegt, dass ein Dachausbau innerhalb der Zahlenwerte möglich sei. Die erteilte Baugenehmigung überschreite allerdings die – eigentlich auf ein Vollgeschoss ausgelegten – Zahlen, obwohl nicht einmal ein Vollgeschoss gebaut werde. Die städtebauliche Vertretbarkeit sei damit nicht gegeben. Die Festsetzungen der Grund- und Geschossflächen seien vorliegend auch drittschützend. Denn ausdrückliches Ziel für den Geltungsbereich des Bebauungsplans sei die Verbesserung der Wohnraum- und Freiraumqualität durch entsprechende Blockentkernung. Die Blockentkernung solle gerade die Wohnraumqualität und die Freiraumqualität verbessern, diene damit unmittelbar auch nachbarlichen Interessen. Den Antragstellern drohten durch die Aufstockung des Gebäudes um nahezu ein Vollgeschoss erhebliche Mietminderungen aufgrund reduziertem Tageslicht. Die Sicht auf das gegenüberliegende Freigelände sei für ein weiteres Stockwerk des Gebäudes der Antragsteller nicht mehr vorhanden.
Das Vorhaben verstoße auch gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften, weil die erforderlichen Grenzabstände gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO nicht eingehalten würden und die Voraussetzungen für die Erteilung einer bauordnungsrechtlichen Abweichung entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht vorlägen. Die Zulassung der Abweichung setze Gründe von ausreichendem Gewicht voraus, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheide und die die Einbuße an Belichtung und Belüftung als vertretbar erscheinen ließen. Eine atypische Fallgestaltung liege schon nicht vor. Soweit die Antragsgegnerin vortrage, die Abweichungen von den festgesetzten Abstandsflächen ergäben sich aus der gewachsenen Struktur und lägen bereits im Bestand und es sei keine signifikante Veränderung zu erwarten, sei dies für das Wohngrundstück der Antragsteller unzutreffend. Die Antragsteller hätten Anspruch auf Einhaltung der Abstandsvorschriften. Eine weitere Unterschreitung wäre mit signifikanten Veränderungen dergestalt verbunden, dass auf sämtlichen Wohnungen der gesamten Ostseite in Höhe einer weiteren Etage keine direkte Besonnung mehr erfolge. Es entstehe durch die Aufstockung für das Wohngrundstück der Antragsteller aufgrund der Unterschreitung der Abstandsflächen eine gefängnishofartige Situation. Der Eindruck des Eingemauert-Seins sei insbesondere in den Wohnungen im Erdgeschoss und ersten Obergeschoss erdrückend.
4. Die Stadt W. stellte den Antrag,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen: Der Antrag sei nicht begründet. Die Baugenehmigung vom 26. Juli 2017 sei rechtsfehlerfrei im vereinfachten Genehmigungsverfahren ergangen. Sie begegne planungsrechtlich keinen Bedenken. Das Gebäude weise entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans zwei Vollgeschosse auf, da das Dachgeschoss entgegen der zunächst eingereichten Ausführung nunmehr in der genehmigten Form ein Nichtvollgeschoss sei. Die zugestandenen Überschreitungen von GRZ und GFZ seien geringfügig und ergäben sich im Wesentlichen bereits aus dem Bestand. Das Vorhaben widerspreche auch nicht den allgemeinen Sanierungszielen, insbesondere durch entsprechende Blockentkernung eine Verbesserung der Wohn- und Freiraumqualität zu erreichen. Es sei auch ein Planungsziel, das Wohnen zu stärken und ein zusätzliches Wohnraumangebot zu erhalten. Diesem Planungsziel entspreche gerade das Bauvorhaben, da eine Nachverdichtung ohne weiteren Flächenverbrauch erfolge.
Die Übereinstimmung des Bauvorhabens mit den Abstandsflächenvorschriften sei nur im Rahmen der hierzu beantragten Abweichungen geprüft worden. In Bezug auf das Grundstück der Antragsteller sei die auf der Westseite grundsätzlich erforderliche Abstandsflächentiefe von 6,89 m bzw. 6,71 m bis auf die gemeinsame Grundstücksgrenze verkürzt worden. Somit sei nach dem Grundriss UG eine Abstandsfläche mit einer Tiefe von 5,67 m bzw. 2,43 mtatsächlich vorhanden. Die Abweichung habe gewährt werden können, da durch das neue Dach mit einer Dachneigung von 45° die erforderliche Abstandsfläche im Vergleich zum Bestand gleich bleibe. Bei der früher genehmigten Nutzungsänderung des Werkstattgebäudes in ein Wohnhaus habe eine Abstandsfläche mit einer Tiefe von 6,81 m vorgelegen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass das genehmigte Gebäude der Antragsteller die nach heutigen Maßstäben erforderliche Abstandsfläche mit einer Tiefe von ca. 12 m zum Grundstück der Beigeladenen in gleichem Maße nicht einhalte.
5. Die Bevollmächtigten der Beigeladenen stellten den Antrag,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen: Der Antrag sei bereits unzulässig, weil die Antragsteller eine subjektive Rechtsverletzung nicht hinreichend nachvollziehbar vorgetragen hätten. Die vorgebrachten Argumente der Antragsteller hinsichtlich der Geschossflächenzahl und der Grundflächenzahl, der erdrückenden Wirkung, der Entkernung des Blockinnenbereichs, der genommenen Aussicht, der Mietminderung und Wertminderung und der Verletzung der Abstandsflächen lieferten insgesamt kaum genügend Raum, als dass man über die gefestigte Rechtsprechung hinwegsehen könnte, was vorliegend konkret bedeute, dass bereits die Antragsbefugnis fehle. Jedenfalls sei der Antrag bereits deshalb zurückzuweisen, weil die der Beigeladenen durch die Antragsgegnerin erteilten Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB rechtmäßig hätten erteilt werden können. Der gerügte Verstoß gegen die Grundzüge der Planung bestehe nicht, soweit dieser Verstoß auf die Abweichung von der Geschossflächenzahl und der Grundflächenzahl gestützt werde. Der Vorwurf, die Befreiungsvoraussetzungen lägen nicht vor, sei unbegründet, weil die Geschossflächenzahl und die Grundflächenzahl nicht drittschützend seien. Sie beträfen das Maß der baulichen Nutzung. Weiche ein Bauvorhaben von nicht drittschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans ab, könne der Nachbar lediglich eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme geltend machen. Aber auch dieses sei hier nicht verletzt. Die nur geringfügigen Abweichungen rechtfertigten nicht die Annahme einer unzumutbaren Beeinträchtigung. Auch der Umstand, dass das streitgegenständliche Grundstück früher als Schreinerei genutzt worden sei, mache deutlich, dass der Gewerbebetrieb störender gewesen sein dürfte als die jetzige Wohnnutzung. Hinsichtlich der von Antragstellerseite gerügten Entkernung des Blockinnenbereichs fehle es schon an einer Regelung, welche die Innensanierung und die Gebäudeerhöhung in einen kausalen Zusammenhang stelle. Jedenfalls seien aber die Festsetzungen des Bebauungsplans nicht drittschützend. Vielmehr lasse sich dem Bebauungsplan entnehmen, dass die entsprechenden Festsetzungen ausschließlich städtebaulicher Natur seien. Auch verstoße die Erhöhung des Daches nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Gleiches gelte für den Aspekt der erdrückenden Wirkung. Hier überrage das Gebäude der Antragsteller das der Beigeladenen. Sofern die Antragsteller die Verletzung des Ausblicks rügten, sei darauf zu verweisen, dass dieser rechtlich nicht geschützt sei. Eine Mietminderung bzw. Wertminderung sei nicht nachweisbar bzw. werde nicht eintreten. Der geltend gemachte Verstoß gegen Abstandsflächenrecht bestehe nicht. Abstandsflächen würden hier schon nicht neu ausgelöst, weil sich keine Veränderung ergebe. Jedenfalls verstoße wegen der massiveren Überschreitung der Abstandsflächen durch das Gebäude der Antragsteller die Behauptung der Verletzung der Abstandsflächen gegen Treu und Glauben. Die Befreiung von den Abstandsflächen verstoße auch nicht gegen Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Die Befreiungsvoraussetzungen dieser Norm lägen vor, so insbesondere die geforderte Atypik, die sich aus der Lage der betroffenen Grundstücke ergebe. Auch insoweit ergebe sich keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots. Abschließend sei darauf hinzuweisen, dass das Vorhaben im öffentlichen Interesse liege.
6. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig.
Entgegen der Meinung der Beigeladenenseite ist von einer Antragsbefugnis entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO auszugehen.
Gemäß § 42 Abs. 2 VwGO ist eine Anfechtungsklage, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Für ein Verfahren nach §§ 80a, 80 Abs. 5 VwGO gilt die Bestimmung im Hinblick auf die Akzessorietät des vorläufigen Rechtsschutzes zum Hauptsacheverfahren entsprechend (vgl. BVerwG, B.v. 30.10.1992 – 4 A 4/92 – juris; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 80 Rn. 134).
Die Bejahung der Klage- bzw. Antragsbefugnis setzt voraus, dass es auf der Grundlage des Tatsachenvorbringens des Betroffenen zumindest möglich erscheint, dass dieser durch den angefochtenen Verwaltungsakt in eigenen Rechten verletzt wird (sog. Möglichkeitstheorie, vgl. BVerwG, B.v. 21.1.1993 – 4 B 206/92 – juris).
Im Falle der Anfechtung eines an einen anderen gerichteten begünstigenden Verwaltungsakts durch einen Dritten kann sich eine eigene, die Klage- bzw. Antragsbefugnis begründende Rechtsposition aus einer im Verfahren zu prüfenden drittschützenden Norm ergeben. Ob eine die behördliche Entscheidung tragende Norm Dritten, die durch die Entscheidung betroffen werden, Schutz gewährt und Abwehrrechte einräumt, hängt vom Inhalt der jeweiligen Norm sowie davon ab, ob der Drittbetroffene in den mit der behördlichen Entscheidung gestalteten Interessenausgleich eine eigene schutzfähige Rechtsposition einbringen kann. Drittschutz vermitteln nur solche Vorschriften, die nach dem in ihnen enthaltenen, durch Auslegung zu ermittelnden Entscheidungsprogramm für die Behörde auch der Rücksichtnahme auf Interessen eines individualisierbaren, sich von der Allgemeinheit unterscheidenden Personenkreises dienen (st. Rspr. vgl. BVerwG, Ue.v. 19.9.1986 – 4 C 8/84 – u. 16.3.1989 – 4 C 36/85 – beide juris).
Die drittschützende Wirkung einer Norm wird also durch eine sachliche – Gebot der Rücksichtnahme auf bestimmte Interessen Dritter – wie auch eine personale Komponente – Betroffensein eines nach dem Schutzzweck der Norm zu ermittelnden Personenkreises – bestimmt. Im Hinblick auf die im Genehmigungsverfahren für das streitgegenständliche Vorhaben zu prüfenden Vorschriften verhält es sich so, dass diese Bestimmungen teilweise drittschützend sind – das gilt insbesondere für die Vorschriften des Abstandsflächenrechts und das in § 15 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BauNVO bzw. § 34 Abs. 1 BauGB verankerte Gebot der Rücksichtnahme – und sich die Antragsteller hierauf aber auch berufen können, da sie als Eigentümer eines Nachbargrundstücks zu dem Personenkreis gehören, dem nach den Bestimmungen Abwehrrechte gegen die Erteilung einer Baugenehmigung eingeräumt werden.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller (§ 80 Abs. 1 VwGO) entfällt vorliegend, weil sie sich gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens wenden (§ 212a BauGB). In einem solchen Fall kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs ganz oder teilweise anordnen (§ 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO). Ein derartiger Antrag kann unmittelbar bei Gericht gestellt werden.
2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unbegründet.
Im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage bzw. seines Widerspruchs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 68 und 73 ff.). Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
Die Baugenehmigung ist nur dann aufzuheben, wenn sie rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Nachbar eines Vorhabens kann eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn es das Vorhaben an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt.
Vorliegend lässt sich nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung anhand der Akten feststellen, dass die Anfechtungsklage der Antragsteller gegen die Baugenehmigung der Stadt W. vom 26. Juli 2017 voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, da der angefochtene Bescheid die Antragsteller nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Nach Art. 59 BayBO ist im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren der Prüfungsrahmen beschränkt. Die Übereinstimmung des Vorhabens mit den Vorschriften der Bayerischen Bauordnung wird grundsätzlich nicht mehr geprüft. Nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO hat die Bauaufsichtsbehörde aber die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die baulichen Anlagen nach § 29 bis 38 BauGB zu prüfen und nach Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO beantragte Abweichungen i.S.d. Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO.
2.1. Der Vortrag der Antragsteller, dass die Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO hier nicht eingehalten seien, kann nicht zum Erfolg des Antrags führen. Denn es liegt keine Verletzung abstandsflächenrechtlicher Vorschriften zu Lasten der Antragsteller vor.
2.1.1. Nach dem Grundsatz des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden einzuhalten. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO sind Abstandsflächen nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenzen gebaut werden muss oder darf. Diese Regelung räumt dem Städtebaurecht den Vorrang ein, soweit es die Errichtung von Gebäuden ohne Grenzabstand regelt. Hier wurde in dem Bebauungsplan „Sanierung G. – Block 8 – G. 11a/82“ vom 16. Januar 1992 sowohl hinsichtlich der östlichen als auch hinsichtlich der südlichen Grundstücksgrenze des Baugrundstücks die zeichnerische Festsetzung getroffen, dass ein „einseitiger Grenzanbau möglich“ ist, sich also „die Abstandsfläche (…) auf null“ reduziert. Insoweit gehen die von der Antragsgegnerin erteilten Abweichungen unter Ziffern 1303 und 1305 ins Leere. Darüber hinaus können die Antragsteller sich insoweit genauso wenig auf eine Verletzung eigener Rechte berufen wie hinsichtlich der von der Antragsgegnerin erteilten Befreiung von den Abstandsflächenvorschriften Richtung Norden (Ziffer 1302), da es sich bei allen drei Seiten nicht um die den Antragstellern zugewandte Seite handelt.
2.1.2. Allenfalls hinsichtlich der Erteilung der Abweichung von der gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO vorgeschriebenen Tiefe der Abstandsfläche auf der – dem Grundstück der Antragsteller zugewandten – Westseite (grundsätzlich erforderlich: 6,71 m – 6,89 m; Verkürzung auf 1,43 m – 4,67 m) unter Ziffer 1304 kommt eine Verletzung eigener Rechte der Antragsteller in Betracht.
Allerdings geht auch insoweit die unter Ziffer 1304 der streitgegenständlichen Baugenehmigung erteilte Abweichung ins Leere bzw. war überhaupt nicht notwendig.
Denn zum einen spricht vieles dafür, dass eine solche Abweichung überhaupt nicht von Seiten der Beigeladenen beantragt wurde. Nach Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO setzt aber die Zulassung von Abweichungen nach Abs. 1 Satz 1 einen gesonderten, also ausdrücklich gestellten schriftlichen Antrag mit Begründung voraus. Ein solcher wurde hier bzgl. der Westseite aber wohl gerade nicht gestellt. Denn ausweislich der Begründung des Antrags auf isolierte Abweichung vom 21. September 2016 (Bl. 21 f. der Bauakte) wird darauf hingewiesen, dass an der „Nord- und Westseite (…) durch die Aufstockung keine neuen Abstandsflächen (entstehen), da die Wandhöhen nicht verändert werden“. Weiter wird ausgeführt, dass die „durch die Aufstockung entstehenden neuen Abstandsflächen an der Ost- und Südseite (…) nicht nachgewiesen werden“ können. Die Bauherren gehen also gerade davon aus, dass eine Abweichung an der Nord- und – hier allein relevant – Westseite nicht erforderlich ist, sondern nur an der Ost- und Südseite und haben deshalb nur für diese beiden Seiten eine Abweichung beantragt, nicht aber hinsichtlich der Westseite.
Zum anderen ergibt sich auch tatsächlich gegenüber dem mit Baugenehmigung vom 8. April 1999 bzw. 4. April 2011 genehmigten Vorhaben keine Änderung der Abstandsflächen hinsichtlich der Westseite. Die Außenwand wurde hier gerade nicht erhöht, so dass eine abstandsflächenrelevante Veränderung i.S.v. Art. 6 Abs. 4 BayBO nicht erkannt werden kann. Soweit die streitgegenständliche Baugenehmigung den Einbau von zwei Dachgauben auf der Westseite beinhaltet, ist auch dies abstandsflächenrechtlich irrelevant. Denn gemäß Art. 6 Abs. 8 Nr. 3 BayBO bleiben bei der Bemessung der Abstandsflächen untergeordnete Dachgauben außer Betracht, wenn sie insgesamt nicht mehr als ein Drittel der Breite der Außenwand des jeweiligen Gebäudes, höchstens jedoch insgesamt 5 m, in Anspruch nehmen und ihre Ansichtsfläche jeweils nicht mehr als 4 m² beträgt und eine Höhe von nicht mehr als 2,5 m aufweist. Diesen Anforderungen genügen die beiden aufgeplanten Dachgauben mit einer Breite von jeweils 2,2 m und einer Höhe von jeweils 1,8 m und einer Ansichtsfläche von 3,96 m² bei einer Außenwandlänge von 22,5 m.
2.1.3. Abgesehen davon begegnet auch die Erteilung einer Abweichung durch die Antragsgegnerin nach Art. 63 Abs. 1 BayBO hinsichtlich der Westseite keinen Bedenken.
Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen u.a. von Anforderungen dieses Gesetzes zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 BayBO vereinbar sind. Da bei den Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO dem Schutzzweck der Norm nicht auf andere Weise entsprochen werden kann, muss es im Einzelfall besondere Gründe geben, die es rechtfertigen, dass die Anforderung zwar berücksichtigt, ihrem Zweck aber nur unvollkommen entsprochen wird. Es müssen rechtlich erhebliche Umstände vorliegen, die das Vorhaben als einen atypischen Fall erscheinen lassen und die dadurch eine Abweichung rechtfertigen können (König in Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 63 Rn. 12; Beck´scher Online-Kommentar Bauordnungsrecht Bayern, 4. Edition Stand Juni 2017, Art. 63 Rn. 41). Voraussetzung für einen atypischen Sachverhalt ist also, dass Gründe vorliegen, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die etwa bewirkte Einbußen an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris).
Anders als die Bevollmächtigte der Antragsteller meint, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung vorliegend zu bejahen, insbesondere liegt hier zur Überzeugung der Kammer, den diese aus den in den Behördenakten enthaltenen Katasterauszügen, einem Luftbild und dem vorgelegten Bebauungsplan gewinnen konnte, eine atypische Fallgestaltung vor. Die Besonderheit des Falles, die eine Abweichung von der Einhaltung der Regelabstandsflächen gegenüber dem Grundstück der Antragsteller rechtfertigt, ergibt sich jedenfalls aus der Lage der betroffenen Grundstücke und der hierauf errichteten (Wohn-)Gebäude auf dem Baugrundstück und dessen Umgriff im Stadtteil G.. Im fraglichen Bereich, sowohl innerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans „Sanierung G. – Block 8 – G. 11a/82“ als auch darüber hinaus halten – wenn überhaupt – nur verschwindend wenig Gebäude die nach heutigen Maßstäben erforderlichen Abstandsflächen ein. Jedwede bauliche Veränderung der bestehenden Anwesen ist in solchen Lagen aber geeignet, eine Abstandsflächenüberschreitung auszulösen (vgl. BayVGH v. 26.9.2016 – 15 CS 16.1348 – juris; BayVGH v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris). Soll in diesem Bereich eine zeitgemäße, den Wohnungsbedürfnissen entsprechende Sanierung, Instandsetzung, Aufwertung oder Erneuerung der zum Teil überalterten Bausubstanz ermöglicht werden, so kommt man nicht umhin, Ausnahmen vom generalisierenden Abstandsflächenrecht zuzulassen (BayVGH, B.v. 26.3.2015 – 2 ZB 2395; VG Würzburg, U.v. 23.5.2017 – W 4 K 16.737 – beide juris).
Eine Beeinträchtigung geschützter Nachbarbelange wie Belichtung, Belüftung, Besonnung und Erhaltung des Wohnfriedens ist nicht ersichtlich. Hierbei ist zum einen von Bedeutung, dass es zu keiner Erhöhung der Außenwand kommt und die Erhöhung des Daches auf eine Dachneigung von 45° beschränkt ist. Somit ist – worauf die Antragsgegnerin zu Recht hinweist – ein Lichteinfallswinkel von 45° für das westlich des Baugrundstücks gelegenen Anwesen der Antragsteller gewahrt, so dass allenfalls eine Verminderung der direkten Besonnung kurzzeitig in den frühen Morgenstunden eintritt. Des Weiteren ist hier von wesentlicher Bedeutung, dass das deutlich höhere (nämlich viergeschossige) Wohngebäude auf dem Grundstück der Antragsteller zum Grundstück der Beigeladenen selbst die nach heutigen Maßstäben erforderlichen Abstandsflächen nicht einhält. So kann aber derjenige, der mit einem Grenzanbau sein Grundstück intensiv baulich nutzt und nicht unter Wahrung gesetzlich vorgeschriebener Grenzabstände selbst für ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung seines Bauwerks sorgt, im Regelfall aus Billigkeitsgründen nicht auch noch die Einhaltung von Grenzabständen durch ein Gebäude des Nachbarn verlangen. Diese Billigkeitserwägung ist bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Einbeziehung der Umstände des einzelnen Falles mit zu beachten (BayVGH, B.v. 19.4.1994 – 2 CS 94.755 – BayVBl 1995, 22).
2.2. Auch aus bauplanungsrechtlichen Gründen spricht nach summarischer Prüfung nichts für einen Erfolg der Antragsteller im Hauptsacheverfahren.
2.2.1. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit richtet sich hier grundsätzlich nach § 30 Abs. 1 BauGB, da das Vorhaben im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans „Sanierung G. – Block 8 – G. 11a/82“ der Stadt W. vom 16. Januar 1992, liegt.
Nach diesem qualifizierten Bebauungsplan erweist sich das streitgegenständliche Vorhaben zwar nicht als allgemein zulässig nach § 30 Abs. 1 BauGB, denn es verstößt gegen die Festsetzungen dieses Bebauungsplans hinsichtlich der festgesetzten Geschoßflächenzahl (zulässig: 1,3, geplant: 1,43), der festgesetzten Grundflächenzahl (zulässig: 0,7, geplant: 0,715) sowie hinsichtlich der Dachform (zulässig: Pultdach, geplant: Mansarddach). Allerdings hat die Stadt W. für die abweichende Ausführung die erforderlichen Befreiungen erteilt.
Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und (1) Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern oder (2) die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder (3) die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
2.2.2. Hinsichtlich den bzgl. der Grundflächenzahl und der Geschossflächenzahl erteilten Befreiungen spricht vieles dafür, dass diese ins Leere gehen, weil insoweit eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB bzgl. der Geschossflächenzahl für eine solche von 1,47 bereits in der Baugenehmigung vom 4. August 2011 (vgl. Ziffer 1263 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 4.8.2011) erteilt wurde bzw. hinsichtlich der Grundflächenzahl im streitgegenständlichen Genehmigungsantrag gegenüber dem genehmigten Bestand keinerlei Änderungen vorgenommen wurden. Darüber hinaus ist auch nichts dafür ersichtlich, dass insoweit Befreiungen überhaupt – ausdrücklich – beantragt wurden. Eine gesonderte schriftliche Beantragung der Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans mit einer Begründung ist aber gemäß Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO erforderlich. Letztlich könnte dies auch offen bleiben, da eine Verletzung bauplanungsrechtlicher Vorschriften zu Lasten der Antragsteller schon aus anderen Gründen nicht gegeben ist.
2.2.3. Denn hinsichtlich des Nachbarschutzes bei Befreiungen von Festsetzungen des Bebauungsplans muss unterschieden werden, ob die Vorschrift, von der befreit wird, ihrerseits unmittelbar nachbarschützend ist oder nicht. Im ersten Fall kann das Fehlen einer der objektiven Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB für die Gewährung einer Befreiung zu einer Verletzung von Nachbarrechten führen, da ein Verstoß gegen eine unmittelbar nachbarschützende Vorschrift vorliegt. Im zweiten Fall fehlt es an einer solchen Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift aufgrund unzutreffender Annahme der Befreiungsvoraussetzungen. Nachbarschutz kommt hier nur im Rahmen des Rücksichtnahmegebots in Betracht (BVerwG, U. v. 19.9.1986 – 4 C 8/84 – juris). Grundsätzlich vermitteln Bebauungsplanfestsetzungen keinen allgemeinen auf Plangewährleistung gerichteten Anspruch. Die nachbarschützende Wirkung ist für jede einzelne Festsetzung zu überprüfen und durch Auslegung des jeweiligen Bebauungsplans sowie der Begründung zu ermitteln.
Hinsichtlich der nachbarschützenden Wirkung von Festsetzungen eines Bebauungsplans ist zu beachten, dass diese – mit Ausnahme der Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung – nicht schon kraft Gesetzes nachbarschützende Wirkung entfalten. Dies gilt namentlich für die Regelungen zu überbaubaren Grundstücksflächen (vgl. BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – BauR 1996, 82; U.v. 19.9.1986 – 4 C 8/84 – BauR 1987, 70; Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Stand Mai 2017, Art. 66 Rn. 368 ff.) und zum Maß der baulichen Nutzung (vgl. BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – BauR 1996, 82; B.v. 11.3.1994 – 4 B 53/94 – NVwZ 1994, 1008; Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 356 ff.), da sie grundsätzlich ausschließlich im öffentlichen Interesse zur städtebaulichen Ordnung erlassen werden. Die Frage der drittschützenden Wirkung solcher Regelungen hängt damit wesentlich von der Auslegung des Bebauungsplans und damit vom Willen der planenden Gemeinde ab. Ob eine Festsetzung nicht nur der Gestaltung des jeweiligen Ortsbilds, sondern auch dem Schutz eines bestimmbaren und von der Allgemeinheit abgrenzbaren Personenkreises dient, kann sich deshalb (nur) aus dem Bebauungsplan selbst oder aus seiner Begründung ergeben (vgl. BVerwG, B.v. 9.10.1991 – 4 B 137/91 – juris). Wie weit die drittschützende Wirkung einer Festsetzung reicht, muss sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Inhalt der erlassenen Vorschrift oder aus den übrigen, objektiv erkennbaren Umständen ergeben. Lässt sich daraus eine solche Zweckbestimmung nicht hinreichend erkennen, ist eine nachbarschützende Wirkung abzulehnen.
Bezüglich der Festsetzung der Dachform ist dies evident. Örtliche Bauvorschriften über die äußere Gestaltung baulicher Anlagen wirken grundsätzlich nicht nachbarschützend (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Art. 81 Rn. 314). Nichts anderes gilt hinsichtlich der Festsetzung der Grundflächenzahl und der Geschossflächenzahl. Diesen Festsetzungen kommt ebenfalls keine unmittelbar nachbarschützende Wirkung zu. Bei diesen Festsetzungen handelt es sich gemäß § 16 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BauNVO um Festsetzungen des Maßes der baulichen Nutzung. Diese sind grundsätzlich ausschließlich im öffentlichen Interesse an der Erhaltung und Fortentwicklung der städtebaulichen Ordnung erlassen und nicht (auch) dem Schutz der Nachbarn zu dienen bestimmt (Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 356 m.w.N. zur Rspr.). Sinn und Zweck dieser Festsetzungen, insbesondere über die maximal zulässigen Nutzungsziffern ist es, in den einzelnen Baugebieten ein ihrem jeweiligen Charakter angemessenes, generell ausgewogenes Verhältnis zwischen dem überbauten Raum und dem von Bebauung freibleibenden Raum herzustellen und zu bewahren (Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 357). Nichts anderes gilt im vorliegenden Fall. Denn aus der Begründung zum Bebauungsplan ergibt sich nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, dass die Festsetzungen zur Geschossflächenzahl wie auch zur Grundflächenzahl aus nachbarschützenden Gründen aufgenommen worden wären.
2.2.4. Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Antragsteller wird auch das Gebot der Rücksichtnahme durch die erteilte Befreiung nicht verletzt.
Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von – wie hier – nicht nachbarschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans die Rechte des Nachbarn verletzen kann, ist im Rahmen der Würdigung nachbarlicher Belange nach den Maßstäben zu beantworten, die das Bundesverwaltungsgericht zum Gebot der Rücksichtnahme i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO entwickelt hat (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98 – juris; vgl. auch BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris). Wird von nicht nachbarschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erteilt, so hat der Nachbar über die das Rücksichtnahmegebot konkretisierende „Würdigung nachbarlicher Interessen“ hinaus keinen Anspruch auf eine Einhaltung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98 – juris). Drittschutz im Falle einer Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung besteht vielmehr nur dann, wenn seine nachbarlichen Interessen nicht hinreichend berücksichtigt worden sind.
Das Gebot der Rücksichtnahme (grundlegend BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22/75 – BVerwGE 52, 122) soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten. Die an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellenden Anforderungen hängen im Wesentlichen von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die dem Kläger aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihm als Nachbarn billigerweise noch zumutbar ist (Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 35 Rn. 78).
Soweit von Seiten der Antragsteller gerügt wird, dass die Voraussetzungen für die Erteilung der Befreiungen hinsichtlich der Grundflächenzahl und der Geschossflächenzahl nicht gegeben seien, weil die städtebauliche Vertretbarkeit nicht gegeben sei, da die Genehmigung dem Ziel des Bebauungsplans, gerichtet auf Blockentkernung, entgegen stehe, können sie damit nicht durchdringen. Denn zum einen ist hier nicht das Geringste dafür ersichtlich, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans „Sanierung G. – Block 8 – G. 11a/82“ anderen als städtebaulichen Belangen, nämlich der Sanierung des fraglichen Bereichs, dienen sollten. So wird in der Begründung zum Bebauungsplan-Entwurf deutlich gemacht, dass es Ziel und Zweck des Bebauungsplans ist, „die städtebauliche Ordnung in diesem Bereich zu fixieren und die planungsrechtlichen Voraussetzungen für weitere Ordnungs- und Baumaßnahmen im Sanierungsgebiet zu erarbeiten“ (vgl. Begründung zum Bebauungsplan „Sanierung G. – Block 8 – G. 11a/82“, Stand September 1992, S. 2). Darüber hinaus stellt es gerade ein Planungsziel dar, das Wohnen zu stärken, wenn in der Begründung unter Ziffer „7.3. Dachausbauten“ als ein Ziel für den Bebauungsplan genannt wird, das Dach als Vollgeschoss auszubilden, um evtl. ein zusätzliches Wohnraumangebot zu erhalten und somit dem großen Wohnungsdruck in Würzburg Rechnung zu tragen. Weiter verkennt die Antragstellerseite, dass entsprechend dem Abbruch- und Neuordnungsplan zum Bebauungsplan „Sanierung G. – Block 8 – G. 11a/82“ die Bebauung auf dem streitgegenständlichen Grundstück Fl. Nr. …1 – im Unterschied zu der Bebauung auf dem südöstlich angrenzenden Grundstücken und auf weiteren, im zentralen Bereich der Blockrandbebauung gelegenen Grundstücken – gerade nicht abgebrochen werden soll.
In der Rechtsprechung zum Rücksichtnahmegebot ist anerkannt, dass eine Verletzung (auch) dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zu 2,5-geschossigem Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – juris Rn. 15: drei 11,05 mhohe Siloanlagen im Abstand von 6 mzu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; vgl. auch BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 23; B.v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris Rn. 21). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind u.a. die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung.
Dass das Bauvorhaben der Beigeladenen den Antragstellern gegenüber erdrückende Wirkung entfalten würde, hat von vornherein auszuscheiden. Eine erdrückende Wirkung des zweigeschossigen Wohnhauses der Beigeladenen mit einer Wandhöhe von unter 7 m und einer Firsthöhe von unter 10 m auf das viergeschossige Anwesen der Antragsteller mit einer Wandhöhe von ca. 12 m und einer Firsthöhe von ca. 15 m scheidet sowohl von den Ausmaßen als auch bzgl. der baulichen Gestaltung aus. Für die Annahme einer erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes ist kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als das betroffene Gebäude (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris). Vielmehr überragt hier das in seinen Grundmaßen und seiner Fassade größere Gebäude auf dem Grundstück der Antragsteller das Gebäude der Beigeladenen in der Höhe um einige Meter.
2.3. Soweit die Antragstellerseite eine Verletzung des Ausblicks durch die Erhöhung des Daches rügt („Sicht auf das gegenüberliegende Freigelände ist … nicht mehr vorhanden“), bleibt festzustellen, dass das öffentliche Recht grundsätzlich keinen Schutz darauf gewährt, dass die freie Aussicht auf Stadt-, Orts-, Straßen- und Landschaftsbilder nicht verbaut wird. Die Minderung der Aussicht und damit des Verkehrswertes des Grundstücks ist kein Eingriff in das Eigentumsrecht, da die Aufrechterhaltung einer ungeschmälerten Aussicht lediglich eine Chance ist (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.1969 – IV C 80.67 – DVBl 1970, 60; Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 441 f.).
Gleiches gilt für die von Antragstellerseite geltend gemachten finanziellen Einbußen in Gestalt von vermindertem Wohnwert und Mietzinsminderungen. Denn Grundstückseigentümer genießen öffentlich-rechtlich keinen Schutz, dass der Wert des Grundstücks durch Einwirkungen, die von einem Vorhaben auf ein Nachbargrundstück ausgehen, nicht gemindert wird, wenn dieses nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften zulässig ist (Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 451). Ein allgemeiner Rechtssatz, dass der Einzelne einen Anspruch darauf hat, vor jeglicher Wertminderung bewahrt zu bleiben, besteht nicht (vgl. BayVGH, B.v. 1.3.2016 – 15 CS 16.244 – juris). Für eine schwere und unerträgliche Nutzungsbeeinträchtigung ist weder etwas vorgetragen noch sonst wie ersichtlich.
3. Nachdem die Klage der Antragsteller nach allem voraussichtlich mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird, überwiegt das Interesse der Beigeladenen an einer baldigen Ausnutzung der Baugenehmigung das Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage. Somit konnte der Antrag keinen Erfolg haben und war mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO abzuweisen.
Da sich die Beigeladene durch eigene Antragstellung am Prozesskostenrisiko beteiligt hat, entsprach es der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Aufwendungen den Antragstellern aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 GKG. Nachbarklagen werden nach Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 mit 7.500,00 EUR bis 15.000,00 EUR im Hauptsacheverfahren bewertet. Die Kammer hält im vorliegenden Fall in der Hauptsache einen Streitwert von 10.000,00 EUR als angemessen, der für das vorliegende Sofortverfahren zu halbieren ist (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).


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