Aktenzeichen 9 CS 16.2477
Leitsatz
1. Eigentümer von Wohngrundstücken am Rande des Außenbereichs können nicht damit rechnen, dass in ihrer Nachbarschaft keine emittierenden Nutzungen entstehen. Sie dürfen nur darauf vertrauen, dass keine mit der Wohnnutzung unverträgliche Nutzung entsteht. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die von landwirtschaftlichen Betrieben üblicherweise ausgehenden Beeinträchtigungen sind in einem Dorfgebiet gebietstypisch und daher in der Regel von der dort vorhandenen Wohnnutzung hinzunehmen. (redaktioneller Leitsatz)
3. Die baurechtliche Prüfung ist an das aus dem Bauantrag ersichtliche Vorhaben gebunden und kann nicht durch den Hinweis auf möglicherweise besser geeignete Alternativstandorte zu Fall gebracht werden. (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Wertminderung eines Grundstücks als Folge der Ausnutzung der einem Dritten erteilten Baugenehmigung ist kein Maßstab dafür, ob Beeinträchtigungen zumutbar sind oder nicht. Ein allgemeiner Rechtssatz, dass der einzelne einen Anspruch darauf hat, vor jeglicher Wertminderung bewahrt zu werden, existiert nicht. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
W 4 S 16.1144 2016-11-16 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Beigeladene trägt seine im Beschwerdeverfahren angefallenen außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.250,– Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Erteilung einer Baugenehmigung durch das Landratsamt M … für den Neubau einer landwirtschaftlichen Maschinenhalle an den Beigeladenen.
Der Beigeladene betreibt auf dem östlichen Teil der FlNr. … Gemarkung W … einen landwirtschaftlichen Betrieb in Ortsrandlage. Der Antragsteller ist Eigentümer des nordöstlich gelegenen Grundstücks FlNr. … Gemarkung W …, das mit einem Wohngebäude bebaut ist und das sowohl im Süden als auch im Westen an das Baugrundstück angrenzt. Östlich der genannten Grundstücke verläuft die Orts Straße.
Mit Unterlagen vom 29. März 2016 beantragte der Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung zum Neubau einer Maschinenhalle als Ersatz für ein – an anderer Stelle, südlich des Antragstellers gelegenes – im Juli 2015 abgebranntes Gebäude. Das Landratsamt M … erteilte hierzu mit Bescheid vom 11. Juli 2016 die Baugenehmigung.
Gegen den Baugenehmigungsbescheid hat der Antragsteller Klage (Az. W 4 K 16.833) erheben lassen, über die noch nicht entschieden ist. Seinen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. November 2016 abgelehnt, weil sich das Bauvorhaben in die nähere Umgebung einfügt und das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde.
Er beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses vom 16. November 2016 die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers vom 11. August 2016 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Beigeladene hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt, weil die Klage des Antragstellers voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Die angefochtene Baugenehmigung vom 11. Juli 2016 verstößt – worauf es allein ankommt – nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften, die zumindest auch dem Schutz des Antragstellers zu dienen bestimmt sind.
1. Ausweislich der vorgelegten Luftbildaufnahme und der Lagepläne spricht zwar einiges dafür, dass das Bauvorhaben nicht (vollständig) im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB), sondern – wie auch der Markt K … in seiner Stellungnahme vom 5. April 2016 angibt – zumindest teilweise im Außenbereich (§ 35 BauGB) liegt. Dieser zutreffende Einwand des Antragstellers führt aber gleichwohl nicht zum Erfolg seiner Beschwerde, weil sich allein aus einer fehlerhaften Gebietseinstufung kein Drittschutz ableiten lässt (vgl. BayVGH, B.v. 23.3.2016 – 9 ZB 13.1877 – juris Rn. 5 m.w.N.). Gleiches gilt für die – ausweislich der Lagepläne nicht nachvollziehbare – Behauptung, das Bauvorhaben liege im Landschaftsschutzgebiet „Naturpark Bayerischer Odenwald“ (vgl. BayVGH, B.v. 27.7.2010 – 15 CS 10.37 – juris Rn. 23 ff.).
Im Beschwerdevorbringen wird nicht bestritten, dass sich das Wohngebäude des Antragstellers in einem faktischen Dorfgebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO) befindet. Ein Gebietserhaltungsanspruch wird insoweit nicht geltend gemacht und könnte auch nicht geltend gemacht werden, weil der Neubau einer landwirtschaftlichen Maschinenhalle dort nach der Art der baulichen Nutzung ohne weiteres zulässig ist (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO), wie auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Sofern das Bauvorhaben (ganz oder teilweise) im Außenbereich liegen sollte, folgt die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit aus § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB. Unabhängig davon, ob das Bauvorhaben aber dem unbeplanten Innenbereich oder dem Außenbereich zuzuordnen ist, richtet sich der Drittschutz des Antragstellers hier ausschließlich nach dem Gebot der Rücksichtnahme (vgl. BayVGH, B.v. 23.3.2016 – 9 ZB 13.1877 – juris Rn. 5; B.v. 3.5.2016 – 15 CS 15.1576 – juris Rn. 11).
2. Das Gebot der Rücksichtnahme wird gegenüber dem Antragsteller durch das Bauvorhaben nicht verletzt.
Soweit der Antragsteller abhängig von der Gebietseinstufung einen unterschiedlichen Prüfungsmaßstab im Gebot der Rücksichtnahme und insbesondere hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung ableitet, geht diese Ansicht hier fehl, insbesondere weil sich das Grundstück des Antragstellers unstreitig in einem faktischen Dorfgebiet befindet. Maßgebend für die Frage der Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme durch das Bauvorhaben des Beigeladenen gegenüber dem Antragsteller sind die Umstände des Einzelfalls (vgl. BVerwG, U.v. 2012.2012 – 4 C 11.11 – juris Rn. 32). Das Verwaltungsgericht ist hierbei im Rahmen einer Würdigung der Gesamtumstände zu dem Ergebnis gekommen, dass das genehmigte Bauvorhaben gegenüber dem Antragsteller nicht rücksichtslos ist. Hiergegen ist auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nichts zu erinnern.
a) Das Maß der baulichen Nutzung ist regelmäßig nicht drittschützend (BayVGH, B.v. 4.7.2016 – 15 ZB 14.891 – juris Rn. 8). Anhaltspunkte dafür, dass das Maß der baulichen Nutzung der in der näheren Umgebung vorhandenen Gebäude durch das Bauvorhaben nicht eingehalten wäre oder der Neubau der landwirtschaftlichen Maschinenhalle unabhängig von seiner Nutzungsart den vorhandenen Rahmen in unangemessener Weise überschreitet, sind weder vorgetragen noch ersichtlich (vgl. BayVGH, B.v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 26). Die geographische Lage und bauplanungsrechtliche Gebietseinstufung ist hierbei irrelevant.
b) Auch die Rüge, das Bauvorhaben führe zu zusätzlichem, nicht unerheblichem Lärm, führt nicht zum Erfolg der Beschwerde.
Wenn das Bauvorhaben im Außenbereich liegen sollte, bestimmt die Lage des Wohnanwesens des Antragstellers am Ortsrand dessen Schutzwürdigkeit hinsichtlich der (Lärm-) Beeinträchtigungen, die durch die Maschinenhalle verursacht werden. Eigentümer von Wohngrundstücken am Rande des Außenbereichs können aber nicht damit rechnen, dass in ihrer Nachbarschaft keine emittierenden Nutzungen entstehen; sie dürfen nur darauf vertrauen, dass keine mit der Wohnnutzung unverträgliche Nutzung entsteht. Dies ist nicht der Fall, wenn die Lärmbelastung nicht über das in einem – ebenso dem Wohnen dienenden – Misch- oder Dorfgebiet zulässige Maß hinausgeht (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.1990 – 4 N 6.88 – juris Rn. 29). Sie müssen ferner damit rechnen, dass sich landwirtschaftliche Betriebe, die sich in einer vergleichbaren Ortsrandlage befinden, in den Außenbereich hinein erweitern (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2002 – 2 CS 02.247 – juris Rn. 11).
Der Neubau der Maschinenhalle stellt keine Betriebserweiterung, sondern den Ersatz für eine im Juli 2015 abgebrannte Halle dar. Auch wenn sich dieser Ersatzbau nunmehr an anderer Stelle befindet, ist zu berücksichtigen, dass in einem Dorfgebiet, in dem sich auch das Grundstück des Antragstellers unwidersprochen befindet, der Schutz des Wohnens wegen der den landwirtschaftlichen Betrieben zukommenden Vorrangstellung (§ 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO) eingeschränkt ist. Die von landwirtschaftlichen Betrieben üblicherweise ausgehenden Beeinträchtigungen sind insoweit gebietstypisch und daher in der Regel von der dort vorhandenen Wohnnutzung hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2016 – 15 CS 15.1576 – juris Rn. 24 m.w.N.). Das bezieht sich auf alle landwirtschaftlichen Immissionen, wie Traktorengeräusche, den Lärm in der Landwirtschaft üblicher Maschinen und Gerätschaften sowie die Bewegungsgeräusche der Tore (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2002 – 2 CS 02.247 – juris Rn. 12). Dem Beschwerdevorbringen lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass von der Maschinenhalle das übliche Maß auf einem Bauernhof übersteigende Emissionen ausgehen und damit unzumutbare Lärmimmissionen für das benachbarte Grundstück des Antragstellers hervorgerufen werden könnten.
c) Dem Bauvorhaben kommt auch keine „erdrückende“ Wirkung zu.
Für die Beurteilung, ob einem Vorhaben „abriegelnde“ oder „erdrückende“ Wirkung zukommt, ist eine Gesamtschau der Umstände maßgeblich (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2016 – 9 ZB 14.2808 – juris Rn. 6). Eine solche erdrückende Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Bauvolumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 20.12.2016 – 9 CS 16.2088 – juris Rn. 20 m.w.N.).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Verwaltungsgericht zu Recht eine erdrückende Wirkung der genehmigten Maschinenhalle verneint. Das Bauvorhaben stellt gegenüber dem Wohngebäude des Antragstellers keine übermächtige Erscheinung dar mit der Folge, dass dieses überwiegend wie eine von einem „herrschenden“ Gebäude dominierte Fläche ohne eigene baurechtliche Charakteristik wahrgenommen wird (vgl. BayVGH, B.v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 32). Die genehmigte Maschinenhalle befindet sich im Nordwesten des Grundstücks des Antragstellers. Der Abstand des Bauvorhabens zu seiner Grundstücksgrenze beträgt mehr als 8 m und sein Wohngebäude ist weitere ca. 17 m von der Grundstücksgrenze entfernt. Abgesehen von einer westlich gelegenen landwirtschaftlichen Halle sind nördlich, südlich und östlich des Wohngebäudes des Antragstellers ausweislich der vorgelegten Pläne, Bilder und Akten keine weiteren größeren Gebäude in geringerem Abstand vorhanden. Über eine Sichtbeeinträchtigung und mögliche Verschattung hinaus sind mit dem Bauvorhaben damit keine Beeinträchtigungen verbunden, wie sie regelmäßig mit baulichen Anlagen und deren Nutzung einhergehen (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2011 – 15 ZB 11.286 – juris Rn. 13).
d) Die vom Antragsteller geltend gemachten Einwände anderer Standortalternativen, der freien Aussicht und einer Wertminderung seines Grundstücks sind nicht durchgreifend.
Die Argumentation, das Bauvorhaben des Beigeladenen könnte ohne Schwierigkeiten auch an einem anderen Standort errichtet werden, geht schon im Ansatz fehl. Die baurechtliche Prüfung ist an das aus dem Bauantrag ersichtliche Vorhaben gebunden und kann nicht durch den Hinweis auf möglicherweise besser geeignete Alternativstandorte zu Fall gebracht werden (BVerwG, B.v. 26.6.1997 – 4 B 97.97 – juris Rn. 6).
Der Antragsteller kann sich auch nicht auf eine Beeinträchtigung des bislang freien Ausblicks nach Nordwesten berufen. Die Aufrechterhaltung einer ungeschmälerten Aussicht stellt eine durch die Baugenehmigung vermittelte Chance dar, deren Vereitelung grundsätzlich nicht dem Entzug einer Rechtsposition gleichkommt (vgl. BayVGH, B.v. 17.6.2010 – 15 ZB 09.2132 – juris Rn. 13). Der Antragsteller, der sich seine Bauwünsche erfüllt hat, hat es auch nicht in der Hand, durch die Art und Weise seiner Bauausführung unmittelbaren Einfluss auf die Bebaubarkeit anderer Grundstücke zu nehmen. Die Baugenehmigung schafft keine Grundlage dafür, weitere (Nachbar-) Vorhaben mit dem Argument abzuwehren, für das behördlich gebilligte eigene Baukonzept sei von ausschlaggebender Bedeutung gewesen, dass der Eigentümer des angrenzenden Grundstücks die Nutzungsmöglichkeiten, die das Baurecht an sich eröffnet, nicht voll ausschöpft (BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215.96 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 23.12.2016 – 9 CS 16.1672 – juris Rn. 22).
Schließlich ist die vom Antragsteller angeführte Wertminderung seines Grundstücks als Folge der Ausnutzung der einem Dritten erteilten Baugenehmigung kein Maßstab dafür, ob Beeinträchtigungen zumutbar sind oder nicht (BVerwG, B.v. 6.12.1996, 4 B 215.96 – juris Rn. 9). Ein allgemeiner Rechtssatz, dass der einzelne einen Anspruch darauf hat, vor jeglicher Wertminderung bewahrt zu bleiben, besteht nicht (vgl. BayVGH, B.v. 20.12.2016 – 9 CS 16.2088 – juris Rn. 21). Anhaltspunkte für eine unzumutbare Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten des Grundstücks des Antragstellers sind hier weder dargelegt noch ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass der Beigeladene seine ihm im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten selbst trägt, weil er keinen wesentlichen Beitrag im Beschwerdeverfahren geleistet hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).