Baurecht

Erfolgreiche Nachbarklage: Unbestimmtheit einer Baugenehmigung in Bezug auf Einhaltung der Vorschriften zu den Abstandsflächen

Aktenzeichen  M 11 K 18.5124

Datum:
3.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 49713
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
BayBO Art. 6 Abs. 4, Art. 6 Abs. 5
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Lässt sich aus den Bauplänen die Einhaltung der Vorschriften über Abstandsflächen nicht mit der notwendigen Sicherheit feststellen, ist die Baugenehmigung zu unbestimmt iSv Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Baugenehmigungsbescheid des Beklagten vom September 2018, Az. …, wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

I. Die Klage ist zulässig und begründet. Die Baugenehmigung vom 13. September 2018 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt und im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Es genügt nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren aufgrund einer Nachbarklage keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung hat sich vielmehr darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln, verletzt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20 m.w.N.).
Die im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfenden Vorschriften ergeben sich aus Art. 59 BayBO. Danach sind hier insbesondere die Einhaltung von Abstandsflächen (Art. 59 Satz 1 Nr. 1b) BayBO) sowie die Zulässigkeit des Vorhabens im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB (Art. 59 Satz 1 Nr. 1a) BayBO) zu prüfen. Insbesondere bei den Vorschriften zur Einhaltung der Abstandsflächen handelt es sich um nachbarschützende Vorschriften (Simon/Busse/Kraus, 139. EL Oktober 2020, BayBO Art. 6 Rn. 3). Bei der Vorschrift des § 34 BauGB kommt es, wenn sich wie hier das Vorhaben nach der Art der baulichen Nutzung unzweifelhaft einfügt, für die Beurteilung einer Verletzung von nachbarlichen Rechten allein darauf an, ob das Vorhaben die mit dem Gebot des Einfügens (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) geforderte Rücksichtnahme wahrt (BayVGH B.v. 20.5.2020 – 9 ZB 18.2585 – juris Rn. 5 m.w.N.). Für die Frage des Einfügens nach dem Maß der baulichen Nutzung sowie der Grundstücksfläche, welche überbaut werden soll, vermittelt § 34 BauGB dagegen grundsätzlich keinen Drittschutz (BayVGH B.v. 20.5.2020 – 9 ZB 18.2585 – juris Rn. 5).
1. Die Baugenehmigung ist bereits zu unbestimmt. Insbesondere lässt sich aus den Bauplänen die Einhaltung der Vorschriften über Abstandsflächen nicht mit der notwendigen Sicherheit feststellen.
Eine Baugenehmigung ist auch dann aufzuheben, wenn aufgrund einer Unbestimmtheit der Baugenehmigung eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann (BayVGH, B.v. 16.4.2015 – 9 ZB 12.205 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 29.1.2016 – 15 ZB 13.1759 – juris Rn. 7). Eine Baugenehmigung muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG). Sie muss Inhalt, Reichweite und Umfang des genehmigten Vorhabens eindeutig erkennen lassen, damit die mit dem Bescheid getroffene Regelung für die Beteiligten des Verfahrens nachvollziehbar und eindeutig ist (vgl. BayVGH, B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 30). Zu einer Unbestimmtheit gelangt man dann, wenn sich der Aussagegehalt eines Verwaltungsakts – hier der Baugenehmigung – auch nicht durch Auslegung ermitteln lässt (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.1998 – 4 C 9/97 – juris Rn. 19).
Die Baugenehmigung ist aufgrund der Ergänzung einer Tekturklappe in den Bauplänen zu unbestimmt. Infolge derer enthalten die genehmigten Baupläne keine eindeutige Darstellung hinsichtlich des Erdgeschosses der DHH 1 und 2 und deren genauer Lage. Nach Einreichung der Bebauungspläne wurde das zur Genehmigung gestellte Vorhaben im Bereich der S.gasse vor den DHH 1 und 2 um zwei Besucherstellplätze ergänzt. Die Stellplätze wurden in einer Tekturklappe gemeinsam mit dem Grundriss der DHH 1 und 2 planerisch dargestellt. Hierbei ist der Grundriss der DHH 1 und 2 jedoch nicht vollständig auf der Tekturklappe abgebildet. Der nordöstliche Teil der Häuser, insbesondere die Außenwand und anschließende Freiflächen sind nicht dargestellt. Die Tekturklappe wurde über dem ursprünglichen Grundrissplan des Erdgeschosses der DHH 1 und 2 am 20. Dezember 2017 eingefügt und abgestempelt. Hierbei erfolgte die Einfügung erkennbar nicht direkt über der ursprünglichen Darstellung, sondern in Richtung Nordosten verschoben und verdeckt insoweit die ursprüngliche Darstellung der nordöstlichen Hauswand und des angrenzenden Freibereichs. Damit fehlt es in den genehmigten Bauplänen an einer eindeutigen Darstellung der Lage, Form und Gestaltung der nordöstlichen Außenwand. Dies ist insoweit problematisch, als damit aus diesem Bauplan die genaue Position und der genaue Abstand der Nordostseite der DHH 1 und 2 zu der nordwestlichen Hauswand des DHH 5 und 6 nicht ersichtlich ist. Anhand dieser Darstellung ist es dem Gericht damit nicht möglich für diese Stelle eine abschließende und vollumfängliche Beurteilung der Einhaltung der Vorschriften über Abstandsflächen vorzunehmen. Dies betrifft zwar eine Seite des DHH 5 und 6, welche nicht dem betroffenen Nachbargrundstück zugewandt ist. Allerdings macht das Gebäude in Richtung des klägerischen Grundstücks vom sog. 16-mPrivileg nach Art. 6 Abs. 5 BayBO Gebrauch. In einem solchen Fall muss ein Gebäude die Abstandsflächenvorschriften vor allen Außenwänden des Vorhabens, auch soweit diese Seiten vom betroffenen Nachbargrundstück abgewandt liegen, einhalten, um keine Verletzung nachbarschützender Rechte auszulösen (BayVGH, B.v. 17.4.2000 – GrS 1/1999, 14 B 97.2901 – juris Rn. 14 ff.). Diese Unbestimmtheit in Bezug auf die Abstandsflächenproblematik lässt sich auch nicht im Wege der Auslegung mit Hilfe der sonstigen Baupläne auflösen. Die Grundrisse der anderen Stockwerke sind nicht geeignet eine maßstabsgetreue Darstellung des Erdgeschosses zu ersetzten. Insbesondere kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Verlauf der nicht dargestellten Hauswand aufgrund von Ausbuchtungen oder Erkern gegenüber den anderen Geschossen abweicht. Dies gilt insbesondere, da die Darstellung des Kellergeschosses an der fraglichen Wand insgesamt vier Ausbuchtungen vorsieht. Sollten sich diese im Erdgeschoss fortsetzen, könnten diese zumindest teilweise in den der notwendigen Abstandsfläche der nordwestlichen Hauswand des DHH 5 und 6 liegen.
2. Das genehmigte Bauvorhaben hält hiervon unabhängig auch an der nordöstlichen Seite der Außenwand der DHH 5 und 6 die notwendige Abstandsfläche zum Grundstück der Kläger nicht ein und verletzt damit Rechte der Kläger.
Abstandsflächen sind in der Regel mit einer Tiefe einzuhalten, die der gem. Art. 6 Abs. 4 BayBO maßgeblichen Wandhöhe entspricht. Die zu beachtende Wandhöhe ergibt sich aus dem Maß des Abstands von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut (Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO). Auf Giebelseiten ist bis zu einer Dachneigung von 70 ° ein Drittel der Höhe der Giebelfläche hinzuzurechnen. Als unteren Bezugspunkt kommt es auf die Geländeoberfläche des Baugrundstücks und nicht des Nachbargrundstücks an (BayVGH, B.v. 31.3.2009 – 9 ZB 06.3073 – juris Rn. 3). Die relevante Geländeoberfläche kann dabei sowohl die natürliche als auch eine festgelegte Oberfläche sein (Simon/Busse/Kraus, 137. EL Juli 2020, BayBO Art. 6 Rn. 168). Hierbei ist grundsätzlich zunächst von der natürlichen, nicht durch Aufschüttungen oder Abgrabungen veränderten, Geländeoberfläche auszugehen (Simon/Busse/Kraus, 137. EL Juli 2020, BayBO Art. 6 Rn. 169). Abweichendes ergibt sich dann, wenn durch die Bauaufsichtsbehörde eine andere Geländeoberfläche festgesetzt wurde. Bei der Festlegung der Geländeoberfläche handelt es sich um eine eigenständige Ermessensentscheidung der Baubehörde, welche grundsätzlich auch mit einer Baugenehmigung verbunden werden kann (Simon/Busse/Kraus, 139. EL Oktober 2020, BayBO Art. 6 Rn. 171a). Eine solche Festlegung kann bereits dann angenommen werden, wenn – wie hier – in den Bauplänen eine Neugestaltung der Geländeoberfläche vorgesehen ist und das Vorhaben von der Genehmigungsbehörde entsprechend den Bauplänen genehmigt wird (vgl. Simon/Busse/Kraus, 139. EL Oktober 2020, BayBO Art. 6 Rn. 171a sowie der dortigen Abbildung). Mit Umsetzung des Vorhabens kommt es vorliegend zu einer massiven Umgestaltung des Geländes, welches teilweise deutlich um bis zu 1,25 m abgesenkt wird. In den Bauplänen wurde ein Bezugspunkt von +/- 0,00 m festgelegt, auf welchen sich die Darstellungen der neuen Geländeoberfläche und alle Höhenangaben der Gebäude beziehen. Hiervon ausgehend, ergibt sich für die Außenwand der DHH 5 und 6 in Richtung des klägerischen Grundstücks an der nordöstlichen Seite der Wand eine Abstandsfläche von 6,97 m und an der südöstlichen Seite der Wand von 6,99 m. Vor zwei Außenwänden genügt nach Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO auch die Hälfte der an sich einzuhaltenden Abstandsflächen, soweit die Außenwände nicht mehr als 16 m lang sind und die Abstandsflächen an den übrigen Wänden voll eingehalten werden (sog. 16-m-Privileg). In diesem Fall wären an der nordöstlichen Seite der Wand eine Abstandsfläche von 3,49 m und an der südöstlichen Seite der Wand von 3,50 m einzuhalten. Nach Messungen mit dem Lineal ergibt sich aus den genehmigten Bauplänen für die Außenwand der DHH 5 und 6 ein Abstand zur Grundstücksgrenze an ihrer südöstlichen Seite von 4 m und an der nordöstlichen Seite von etwa 3,35 m. Damit hält das Vorhaben an der nordöstlichen Außenwand auch bei Inanspruchnahme des 16-m-Privilegs die notwendige Abstandsfläche von 3,49 m zum Grundstück der Kläger nicht ein.
3. Soweit sich der Bevollmächtigte der Kläger darauf beruft, dass sich das Vorhaben zudem nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht einfüge, vermitteln solche etwaigen Verstöße bereits keinen Drittschutz (BayVGH B.v. 20.5.2020 – 9 ZB 18.2585 – juris Rn. 5). Hinsichtlich des ebenfalls gerügten Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme, erscheint ein solcher zweifelhaft. Auf die Frage der Verletzung von anderen drittschützenden Normen des Bauplanungsrechts und Bauordnungsrechts kommt es vor dem Hintergrund der Verletzung der Abstandsflächenvorschriften jedoch nicht mehr streitentscheidend an.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen, da sie keine Anträge gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben (§ 162 Abs. 3 und § 154 Abs. 3 VwGO).
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.


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