Baurecht

Erfolgreicher Eilrechtsschutz des Nachbarn bei Unbestimmtheit der Baugenehmigung

Aktenzeichen  9 CS 18.2610

Datum:
15.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 2300
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Eine Baugenehmigung ist aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Maßgebend für die Frage der Bestimmtheit ist die genehmigte Planung und das mitgenehmigte Betriebskonzept. Insoweit ist es zunächst Sache des Bauherrn, ein genehmigungsfähiges Betriebskonzept mittels hinreichend bestimmter Betriebsbeschreibung vorzulegen. (Rn. 11 – 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 5 S 18.1387 2018-11-20 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die der Beigeladenen vom Landratsamt B … mit Bescheid vom 6. September 2018 erteilte Baugenehmigung zur Errichtung einer gewerblichen Küche mit Büro auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung E …
Gegen die Baugenehmigung vom 6. September 2018 erhob der Antragsteller Klage (W 5 K 18.1275), über die noch nicht entschieden ist. Auf seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hin, ordnete das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. November 2018 die aufschiebende Wirkung seiner Klage an. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Bauvorhaben der Beigeladenen bereits nach der Art der baulichen Nutzung nicht zulässig sei und den Gebietserhaltungsanspruch des Antragstellers verletze. Die nähere Umgebung stelle sich als faktisches allgemeines Wohngebiet dar. Das Bauvorhaben sei dort nicht als sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb (ausnahmsweise) zulässig, weil die Betriebsbeschreibung bezüglich des konkreten Störpotentials der genehmigten Anlage nicht hinreichend bestimmt sei. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beigeladenen.
Die Beigeladene ist der Ansicht, es liege kein faktisches allgemeines Wohngebiet, sondern ein faktisches Mischgebiet vor, da innerhalb der vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten näheren Umgebung mehrere gewerbliche Nutzungen vorhanden seien und das Bauvorhaben als sonstiger das Wohnen nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb zulässig sei. Das Bauvorhaben sei aber auch bei Zugrundelegung eines faktischen allgemeinen Wohngebiets als nicht störender Gewerbebetrieb zulässig, weil die Betriebsbeschreibung nicht unbestimmt sei und sich daraus ergebe, dass es sich um einen Kleinstbetrieb handle und keine Betriebszeiten an Sonn- und Feiertagen vorgesehen seien. Aber auch bei offenen Erfolgsaussichten müsse die Interessenabwägung zu Gunsten des Bauherrn ausfallen, weil die Beigeladene erhebliche finanzielle Aufwendungen getätigt habe, bestehende Lieferverträge erfüllen müsse und – auch nach Angaben des Verwaltungsgerichts – durch entsprechende Einschränkungen ein gebietsverträglicher Betrieb erreicht werden könne.
Die Beigeladene beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 20. November 2018 aufzuheben und den Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Landratsamts B … vom 6. September 2018 abzulehnen.
Der Antragsteller stellt keinen Antrag. Er hält die Beschwerde für unbegründet.
Der Antragsgegner stellt ebenfalls keinen Antrag, hält die Beschwerde aber für begründet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf die die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, wie sie das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnet, hat das Verwaltungsgericht dem Antrag des Antragstellers zu Recht stattgegeben, weil die Klage im Hauptsacheverfahren unter den derzeitigen Gegebenheiten voraussichtlich erfolgreich sein wird. Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 6. September 2018 verletzt den Antragsteller voraussichtlich in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil sie in nachbarrelevanter Weise zu unbestimmt ist.
Nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss die Baugenehmigung hinreichend bestimmt sein, d.h. die im Bescheid getroffene Regelung muss für die Beteiligten – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich sein. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft. Eine Baugenehmigung ist daher aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann. Der Inhalt der Baugenehmigung bestimmt sich nach der Bezeichnung und den Regelungen im Baugenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2015 – 9 CS 15.1633 – juris Rn. 18 m.w.N.). Danach ist die vorliegende Baugenehmigung vom 6. September 2018 in einer für den Antragsteller nachteiligen Weise unbestimmt, weil der Nutzungsumfang der genehmigten Anlage nicht erkennbar ist und die auf ihn von der genehmigten Anlage einwirkenden Immissionen nicht eindeutig absehbar sind.
Maßgebend für die Frage der Bestimmtheit ist die genehmigte Planung und das mitgenehmigte Betriebskonzept (vgl. BayVGH, B.v. 2.3.2015 – 9 ZB 12.1377 – juris Rn. 7). Daraus ergeben sich hier aber keinerlei Einschränkungen des Betriebs, wie sie der Betriebsbeschreibung vom 6. August 2018 (Bl. 42 der Behördenakte) oder der fachtechnischen Stellungnahme des Immissionsschutzes vom 28. August 2018 (Bl. 36 der Behördenakte) zugrundeliegen. Abgesehen davon, dass die Betriebsbeschreibung vom 6. August 2018 erst nach der fachtechnischen Stellungnahme des Immissionsschutzes vom 28. August 2018 beim Landratsamt eingegangen ist und deren Angaben den Angaben des Telefonats (vgl. Bl. 37 der Behördenakte), das der fachtechnischen Stellungnahme des Immissionsschutzes zugrunde liegt, widersprechen sowie dessen wesentliche Angaben zu Lärm (Nr. 4 der Betriebsbeschreibung), zu Geräuschen einschließlich Fahrzeugverkehr (Nr. 6.2 der Betriebsbeschreibung) und dem Umfang der Lieferverpflichtungen sowie zusätzlicher An- oder Ablieferungen (vgl. Nr. 1 der Betriebsbeschreibung) fehlen, entspricht der genehmigte Nutzungsumfang keiner dieser (rudimentären) Angaben. Denn die Betriebsbeschreibung vom 6. August 2018 ist weder gem. Art. 68 Abs. 2 Satz 3 BayBO gestempelt, noch zum Gegenstand der Baugenehmigung vom 6. September 2018 gemacht worden. Auch die fachtechnische Stellungnahme des Immissionsschutzes vom 28. August 2018 ist – anders als die Stellungnahme der Lebensmittelüberwachung vom 17. August 2018 (vgl. Auflage Nr. 1 zur Baugenehmigung) – nicht zum Gegenstand der Baugenehmigung gemacht worden. Aufgrund dieser fehlenden Angaben, die alle Nutzungsmöglichkeiten einer gewerblichen Küche denkbar erscheinen lassen, ist es daher dem Nachbarn nicht möglich, die Auswirkungen des Bauvorhabens zu beurteilen.
Ob der Antragsteller mit Erfolg eine Verletzung des Gebietsbewahrungsanspruchs geltend machen kann, kann offen bleiben. Zwar sind die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Abgrenzung der näheren Umgebung unklar, weil einerseits die Formulierung „jenseits der Bebauung der G …straße“ (BA S. 13, mittlerer Absatz) darauf hindeuten könnte, dass nur die Bebauung auf dem Grundstück FlNr. … und (einer Teilfläche des Grundstücks) FlNr. … Gemarkung E … einbezogen wird, also südlich der G …straße FlNr. … Gemarkung E … Andererseits aber stellt das Verwaltungsgericht (BA S. 13 unterer Absatz, S. 14 oben) auf die gewerblichen Nutzungen nordöstlich der G …straße FlNr. … Gemarkung E … und südwestlich der S … Straße ab und zieht damit einen größeren Rahmen. Zur Einbeziehung dieser Grundstücke in die nähere Umgebung, die sich danach bestimmt, inwieweit sich das geplante Vorhaben auf die Umgebung und andererseits die Umgebung auf das Baugrundstück auswirken kann (vgl. BVerwG, B.v. 16.7.2018 – 4 B 51.17 – juris Rn. 6), bedarf es aber möglicherweise aufgrund der Entfernung zur G …straße FlNr. … Gemarkung E … und möglicherweise unterschiedlicher tatsächlicher Nutzung, weiterer Begründung. Unabhängig davon, ob die nähere Umgebung – gegebenenfalls nach einem notwendigen Augenscheinstermin – als faktisches allgemeines Wohngebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO, einem faktischen Mischgebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO oder einer Gemengelage nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB einzustufen ist, ist aber nach jeder Variante das Störpotential des genehmigten Vorhabens im Hinblick auf die vorhandene Wohnbebauung des Antragstellers mangels Bestimmtheit der Baugenehmigung nicht abschätzbar.
Damit geht die Interessenabwägung zu Lasten der Beigeladenen aus. Auch im Hinblick darauf, dass die Beigeladene finanzielle Belastungen eingegangen ist und bestehende Lieferverpflichtungen erfüllen muss, überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehbarkeit ihrer Baugenehmigung. Denn im Hinblick auf den von der Beigeladenen angeführten Kleinstbetrieb erscheint eine Konkretisierung der Betriebsbeschreibung und erneute immissionsschutzrechtliche fachtechnische Überprüfung, die dann zum Gegenstand der Baugenehmigung gemacht werden können, kurzfristig möglich und die aufgrund der Unbestimmtheit der bisherigen Baugenehmigung eintretende Verzögerung zumutbar. Selbst wenn das Bauvorhaben unabhängig von der konkreten Beurteilung der näheren Umgebung als faktisches allgemeines Wohngebiet, faktisches Mischgebiet oder Gemengelage gegebenenfalls mit entsprechenden Auflagen genehmigungsfähig wäre, ist es zunächst Sache des Bauherrn, ein genehmigungsfähiges Betriebskonzept mittels hinreichend bestimmter Betriebsbeschreibung vorzulegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben