Baurecht

Erfolgreicher Normenkontrollantrag gegen Bebauungsplan – Heranrücken von Wohnbebauung an landwirtschaftlichen Betrieb

Aktenzeichen  9 N 14.2674

Datum:
10.5.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2017, 413
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 47
BauGB BauGB § 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3, § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 2

 

Leitsatz

1. Durch eine Bauvoranfrage zur Errichtung eines (weiteren) Schweinestalls wird ein konkretes und klares Interesse an der Ausweitung einer Tierhaltung dokumentiert. Eine solche geplante Betriebserweiterung eines bestehenden landwirtschaftlichen Betriebs ist bei der Aufstellung eines Bebauungsplans in die Abwägungsentscheidung einzustellen und zu bewerten. (redaktioneller Leitsatz)
2. Das sich aus § 1 Abs. 7 BauGB ergebende Gebot der Konfliktbewältigung wird verletzt, wenn die Gemeinde bei Erlass des Satzungsbeschlusses nicht davon ausgehen kann, dass das für ein Baugebiet notwendige Entwässerungssystem in dem Zeitpunkt tatsächlich vorhanden und funktionstüchtig sein wird, zu dem die nach dem Bebauungsplan zulässigen baulichen Anlagen fertiggestellt und nutzungsreif sein werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bebauungsplan „An der Brachgasse – Abschnitt 2“ des Antragsgegners ist unwirksam.
II.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Antragsgegner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Antragsteller vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Normenkontrollantrag ist zulässig und begründet.
I. Der Normenkontrollantrag ist zulässig. Der Antragsteller ist insbesondere gem. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt, da er hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird (vgl. BVerwG, B. v. 2.3.2015 – 4 BN 30.14 – juris Rn. 3). An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind grundsätzlich auch dann keinen höheren Anforderungen zu stellen, wenn es – wie hier – um das Recht auf gerechte Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) der Interessen eines Eigentümers geht, dessen Grundstück außerhalb des Bebauungsplangebiets liegt (vgl. BVerwG, B. v. 14.9.2015 – 4 BN 4.15 – juris Rn. 10). Zu den abwägungserheblichen Belangen zählt auch das Interesse eines Landwirts, vor dem Heranrücken einer schutzbedürftigen Bebauung verschont zu bleiben (vgl. BVerwG, B. v. 2.12.2013 – 4 BN 44.13 – juris Rn. 3) ebenso wie der Schutz des Grundeigentums vor Niederschlagswasser, das aus dem Plangebiet abließt (vgl. BVerwG, U. v. 4.11.2015 – 4 CN 9.14 – juris Rn. 13). Beide Interessen sind hier aufgrund der örtlichen und topografischen Situation, insbesondere im Hinblick auf die geringe Versickerungsrate des Bodens und die Entfernung des Schweinemastbetriebs zum geplanten Wohngebiet, auch nicht offensichtlich ausgeschlossen.
Der Antragsteller hat sowohl im Planaufstellungsverfahren als auch im ergänzenden Verfahren rechtzeitig Einwendungen erhoben (§ 47 Abs. 2a VwGO). Die Antragsfrist (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO) ist ebenfalls sowohl hinsichtlich der ersten Bekanntmachung des Bebauungsplans vom 21. November 2014 als auch hinsichtlich der erneuten Bekanntmachung vom 28. Oktober 2015 nach Abschluss des ergänzenden Verfahrens gewahrt.
II. Der Normenkontrollantrag ist begründet. Der Bebauungsplan „An der Brachgasse – Abschnitt 2“ ist ungültig und gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO insgesamt für unwirksam zu erklären.
Der Bebauungsplan leidet an erheblichen Abwägungsfehlern, die auch beachtlich sind. Der Antragsgegner hat zum einen die abwägungserheblichen Belange hinsichtlich der Erweiterungsabsichten des Schweinemastbetriebs des Antragstellers nicht entsprechend § 2 Abs. 3 BauGB hinreichend ermittelt und bewertet (1.) und zum anderen hinsichtlich des Konzepts der Niederschlagswasserbeseitigung und der Oberflächenwasserableitung das sich aus § 1 Abs. 7 BauGB ergebende Gebot der Konfliktbewältigung verletzt (2.).
1. Der Antragsgegner hat die Erweiterungsabsichten des Antragstellers hinsichtlich seines Schweinemastbetriebs nicht hinreichend ermittelt und bewertet.
a) Nach § 2 Abs. 3 BauGB sind bei der Aufstellung von Bauleitplänen die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind, zu ermitteln und zu bewerten. Die Ermittlung ist insbesondere unvollständig und fehlerhaft, wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss (vgl. Gierke in Brügelmann, BauGB, Stand Dez. 2015, § 2 Rn. 280).
In der Begründung zum Bebauungsplan (Nr. 2.3.1) und in der zusammenfassenden Erklärung gem. § 10 Abs. 4 BauGB (Nrn. 2 und 3) wird ausgeführt, dass durch den Schweinemastbetrieb des Antragstellers „keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geruchsimmissionen für das neue Wohnbaugebiet zu erwarten sind. Genauso wenig sieht der Markt G. durch die Entwicklung des Neubaugebiets eine Gefährdung der betrieblichen Entwicklung oder eine wirtschaftliche Beeinträchtigung des Schweinemastbetriebs“. Diese Formulierungen wurden im Rahmen des ergänzenden Verfahrens nicht überarbeitet; auch entspricht die Abwägungsentscheidung des Marktgemeinderats des Antragsgegners vom 13. August 2015 inhaltlich der Abwägungsentscheidung vom 18. September 2014. Dabei wurde jedoch übersehen, dass der Antragsteller unter dem 19. Dezember 2014 eine Bauvoranfrage zur Errichtung eines weiteren Stalles mit 80 Abferkelplätzen gestellt hat, der über eine normale, geringfügige betriebliche Erweiterung hinausgeht.
Bei dem hier durchgeführten ergänzenden Verfahren wird das ursprüngliche Bauleitplanverfahren an der Stelle fortgesetzt, an der der (tatsächliche oder vermeintliche) zu korrigierende Fehler unterlaufen ist. Bisherige Verfahrensschritte bleiben unberührt, nachfolgende Verfahrensabschnitte müssen wiederholt werden (vgl. BVerwG, U. v. 18.8.2015 – 4 CN 10.14 – juris Rn. 9; Kalb/Külpmann in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Nov. 2015, § 214 Rn. 242 f). Im vorliegenden Fall hat der Antragsgegner ein ergänzendes Verfahren zur Nachholung der Bekanntgabe und Auslegung des Umweltberichts und der sonstigen vorliegenden umweltbezogenen Informationen durchgeführt und nach erneuter Auslegung vom 2. Juli 2015 bis 3. August 2015 im Marktgemeinderat am 13. August 2015 über die Einwendungen des Antragstellers und die Satzung beschlossen.
Im Rahmen dieser (erneuten) Abwägung hätte der Antragsgegner jedoch die vom Antragsteller geplante Betriebserweiterung um 80 Abferkelplätze, die dieser in Form einer Bauvoranfrage mit Unterlagen vom 19. Dezember 2014 vor Durchführung des ergänzenden Verfahrens beim Landratsamt W.-… eingereicht hat und auf die dieser in seiner Einwendung vom 21. Juli 2015 hingewiesen hat, in seine Abwägungsentscheidung einstellen und bewerten müssen. Neben den Nutzungskonflikten durch den bestehenden Schweinemastbetrieb des Antragstellers und möglichen Einschränkungen durch eine heranrückende Wohnbebauung ist in die Abwägungsentscheidung grundsätzlich auch das Interesse eines Antragstellers an der Erhaltung seines landwirtschaftlichen Aussiedlerhofs einschließlich einer normalen Betriebsentwicklung einzustellen (vgl. BVerwG, B. v. 10.11.1998 – 4 BN 44.98 – juris Rn. 3), nicht jedoch eine unklare oder unverbindliche Absichtserklärung hinsichtlich der Entwicklung des landwirtschaftlichen Betriebs (vgl. BVerwG, B. v. 5.9.2000 – 4 B 56.00 – juris Rn. 7).
Im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses (vgl. § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB) nach Durchführung des ergänzenden Verfahrens am 13. August 2015 waren dem Antragsgegner die konkreten Erweiterungsabsichten des Antragstellers sowohl aus der ursprünglichen Antragsbegründung im Normenkontrollverfahren als auch in Form der Einwendungen des Antragstellers im Rahmen des Planaufstellungsverfahrens (vgl. Schriftsatz vom 21. Juli 2015 unter Bezugnahme und Beifügung des Antragsschriftsatzes im Normenkontrollverfahren vom 18. März 2015) bekannt. Wie der Niederschrift über die Sitzung des Marktgemeinderats vom 26. Februar 2015 entnommen werden kann, hat sich der Antragsgegner zudem in dieser Sitzung mit der entsprechenden Bauvoranfrage des Antragstellers befasst. Unerheblich ist hierbei, dass diese Erweiterungsabsichten – worauf der Vertreter der Regierung von Mittelfranken in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 9. Mai 2016 hingewiesen hat – eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Gesamtbetriebs erfordern, weil damit erstmalig die nach Anhang 1 der 4. BImSchV maßgebliche Anlagengröße überschritten wird (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG, § 1 Abs. 5 4. BImSchV). Durch die Bauvoranfrage wurde jedenfalls ein konkretes und klares Interesse an der Ausweitung der Tierhaltung und der Anpassung an rechtliche Vorgaben durch den Antragsteller dokumentiert. Allein das Ruhen des Verfahrens zur Erteilung eines Bauvorbescheids, das der Antragsteller im Hinblick auf das Normenkontrollverfahren beantragt hat, lässt seine konkreten Erweiterungsabsichten nicht entfallen.
Der Antragsgegner hat sich weder bei seiner Abwägungsentscheidung noch in seinem Vorbringen im Normenkontrollverfahren ausdrücklich darauf berufen, dass auf die Berücksichtigung der Erweiterungsabsichten verzichtet werden konnte, weil bei einer groben Abschätzung eindeutig erkennbar gewesen sei, dass wegen des geringen Ausmaßes der zusätzlichen Geruchsimmissionen eine Beeinträchtigung der gemeindlichen Interessen und der geplanten Wohnbebauung ausgeschlossen seien. Soweit der Antragsgegner vorträgt, dass auch von der geplanten Erweiterung keine erhebliche Geruchsbelästigung zu erwarten sei, mag zwar nach dem vom Landratsamt W.-… im Rahmen seiner Stellungnahme vom 15. April 2014 bewerteten Bericht über Geruchsimmissionen im Umfeld der geänderten Schweinehaltungsanlage S. in G. des Büros … vom 30. Januar 2013 einiges dafür sprechen, dass wohl auch durch die geplante Erweiterung der nach Tabelle 1 zu Nr. 3.1 der Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) in der Fassung der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) vom 29. Februar 2008 mit einer Ergänzung vom 10. September 2008 für Wohn-/Mischgebiete angegebene Immissionswert von 10 v. H. der Jahresgeruchsstunden am Ostrand des geplanten Wohngebiets unterschritten wird. Denn in dem Gutachten des Büros … wird festgestellt, dass die relative Geruchsstundenhäufigkeit an dem beurteilungsrelevanten Immissionsort an der östlichen Grenze der im Flächennutzungsplan dargestellten Wohnbaufläche für den 2013 genehmigten geänderten Zustand- also ohne die nunmehr geplante Betriebserweiterung – 7 v. H. der Jahresgeruchsstunden beträgt und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Gesamtbelastung der Geruchsimmissionen die in der GIRL genannten Immissionswerte überschreitet. Unabhängig davon, dass sich diesem Bericht und den sonstigen Planunterlagen keine Aussagen dazu finden, ob hinsichtlich des geplanten Wohngebiets weitere emittierende (landwirtschaftliche) Betriebe im Rahmen der Gesamtbelastung zu berücksichtigen sind, hat der Marktgemeinderat des Antragsgegners aber im Rahmen der Behandlung der Bauvoranfrage des Antragstellers vom 19. Dezember 2014 im Beschluss vom 26. Februar 2015 darauf abgestellt, dass durch dieses Bauvorhaben „eine künftige Beeinträchtigung der Planungen der Gemeinde nicht ausgeschlossen werden kann“. Ausgeführt wurde ferner, dass durch ein Heranrücken der Intensivtierhaltung an das vorhandene Wohnbaugebiet „An der Brachgasse“ und einer Intensivierung des derzeitigen Tierbestandes mit einer Zunahme der Geruchsimmissionen zu rechnen sei. Unter diesen Umständen und Annahmen waren die Belange des Antragstellers hinsichtlich seiner Betriebserweiterung in die Abwägungsentscheidung vom 13. August 2015 einzustellen.
b) Der Verstoß gegen § 2 Abs. 3 BauGB ist auch beachtlich.
Nach § 214 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist eine Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften des Baugesetzbuchs für die Rechtswirksamkeit eines Bebauungsplans u. a. nur beachtlich, wenn entgegen § 2 Abs. 3 BauGB die von der Planung berührten Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt oder bewertet worden sind und wenn der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis von Einfluss gewesen ist (§ 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB). Bei dem Interesse des Antragstellers, durch eine heranrückende Wohnbebauung nicht in seiner konkreten betrieblichen Erweiterung eingeschränkt zu werden, handelt es sich um einen Belang, der nach den obigen Ausführungen in der konkreten Planungssituation abwägungsbeachtlich war und damit um einen wesentlichen Punkt gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB ist (vgl. BVerwG, U. v. 9.4.2008 – 4 CN 1.07 – juris Rn. 19). Der Mangel bei der Ermittlung und Bewertung dieses Belangs ist offensichtlich, denn er beruht auf objektiven Umständen und ist ohne Ausforschung der Mitglieder des Marktgemeinderats des Antragsgegners über deren Planungsvorstellungen erkennbar (vgl. BVerwG, U. v. 13.12.2012 – 4 CN 1.11 – juris Rn. 16).
Der Mangel ist auch auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen, denn nach den festzustellenden Umständen besteht hier die konkrete Möglichkeit, dass ohne den Mangel die Planung anders ausgefallen wäre. Eine solche konkrete Möglichkeit besteht immer dann, wenn sich anhand der Planunterlagen oder sonst erkennbarer oder nahe liegender Umstände die Möglichkeit abzeichnet, dass der Mangel im Abwägungsvorgang von Einfluss auf das Abwägungsergebnis sein kann (vgl. BVerwG, B. v. 30.1.2016 – 4 B 21.15 – juris Rn. 10). Dies ist vorliegend der Fall, da der Antragsgegner im Planaufstellungsverfahren geeignete Möglichkeiten zur Lösung des Konflikts zwischen Landwirtschaft und Wohnbebauung in seine Überlegungen einbezogen hat. Dies zeigt sich beispielsweise in der Prüfung eines Verzichts auf die Parzellen 20 bis 23 oder der Festsetzung einer Streuobstwiese zur „Minimierung möglicher Immissionen“ (vgl. Begründung Nr. 2.3.1). Darüber hinaus enthalten die Planaufstellungsakten keine Aussagen zum Umfang des Schutzanspruchs der Eigentümer an der Grenze zum Außenbereich (vgl. OVG RhPf, U. v. 23.1.2013 – 8 C 10782/12 – juris Rn. 37), aus denen gegebenenfalls eine Berücksichtigung der Belange des Antragstellers abgeleitet werden könnte. Die Unbeachtlichkeitsklausel des § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die Ergebniskausalität des Fehlers nur dadurch verneint werden könnte, dass das Gericht eine eigene hypothetische Abwägungsentscheidung an die Stelle der Gemeinde setzen würde (vgl. BVerfG, B. v. 16.12.2015 – 1 BvR 685/12 – juris Rn. 23).
Die Verletzung von § 2 Abs. 3 BauGB ist auch nicht nach § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB unbeachtlich geworden. Der Antragsteller hat die Verletzung dieser Vorschrift vielmehr innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung des Bebauungsplans schriftlich geltend gemacht.
c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn der Mangel im Abwägungsvorgang als unter § 1 Abs. 7 BauGB fallender Fehler in Form eines Abwägungsdefizits oder -ausfalls anzusehen und im Sinne des § 214 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB zu bewerten wäre (vgl. BayVGH, U. v. 16.11.2015 – 2 N 14.181 – juris Rn. 36; BVerwG, U. v. 22.9.2010 – 4 CN 2.10 – juris Rn. 22). Denn diese Vorschrift enthält für die Erheblichkeit des Mangels keine über § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB hinausgehenden Anforderungen (BVerwG, U. v. 22.3.2007 – 4 CN 2.06 – juris Rn. 23).
2. Der Bebauungsplan des Antragsgegners verletzt hinsichtlich des Konzepts der Niederschlagswasserbeseitigung und der Oberflächenwasserableitung das sich aus § 1 Abs. 7 BauGB ergebende Gebot der Konfliktbewältigung.
a) Im Rahmen des Bauleitplanverfahrens sind nach § 1 Abs. 7 BauGB die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Im Rahmen einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle ist eine Verletzung des Gebots gerechter Abwägung feststellbar, wenn eine sachgerechte Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn Belange in die Abwägung nicht eingestellt werden, die nach Lage der Dinge eingestellt werden müssen, wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtung einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot jedoch nicht verletzt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet (BayVGH, U. v. 24.9.2015 – 9 N 12.2303 – juris Rn. 21).
Das Gebot der Konfliktbewältigung bedeutet dabei, dass der Bebauungsplan Konflikte, die er selber schafft, nicht unbewältigt lassen darf (vgl. Gaentzsch in Berliner Kommentar zum BauGB, Stand Dez. 2015, § 1 Rn. 84; Battis in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 1 Rn. 115); mithin muss jeder Bebauungsplan grundsätzlich die von ihm selbst geschaffenen oder ihm sonst zurechenbaren Konflikte lösen, in dem die von der Planung berührten Belange zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden. Die Planung darf nicht dazu führen, dass Konflikte die durch sie hervorgerufen werden, zulasten Betroffener letztlich ungelöst bleiben. Dies schließt eine Verlagerung von Problemlösungen aus dem Bebauungsplanverfahren auf nachfolgendes Verwaltungshandeln indes nicht aus. Die Grenzen zulässiger Konfliktverlagerung auf die Ebene des Planvollzugs sind allerdings überschritten wenn bereits im Planungsstadium absehbar ist, dass sich der offen gelassene Interessenkonflikt in einem nachfolgenden Verfahren nicht sachgerecht wird lösen lassen. Ein Konflikttransfer ist damit nur zulässig, wenn die Durchführung der Maßnahmen zur Konfliktbewältigung auf einer nachfolgenden Stufe möglich und sichergestellt ist (vgl. BVerwG, B. v. 16.3.2010 – 4 BN 66.09 – juris Rn. 27; Battis in Battis/Krautzberger/Löhr, a. a. O., § 1 Rn. 118). Ob eine Konfliktbewältigung durch späteres Verwaltungshandeln gesichert oder wenigstens wahrscheinlich ist, hat die Gemeinde prognostisch zu beurteilen, da es um den Eintritt zukünftiger Ereignisse geht. Ist insoweit bereits im Zeitpunkt der Beschlussfassung die künftige Entwicklung hinreichend sicher abschätzbar, so darf sie dem bei ihrer Abwägung Rechnung tragen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U. v. 5.5.2015 – 4 CN 4.14 – juris Rn. 14).
Bei der Aufstellung von Bauleitplänen gehört die Abwasserbeseitigung zu den Belangen, die nach Lage der Dinge regelmäßig in die nach § 1 Abs. 7 BauGB gebotene Abwägung einzustellen sind. Abwasser, zu dem auch das Niederschlagswasser gehört, ist so zu beseitigen, dass das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt wird. Zur Beachtung der allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse und den Eigentumsschutz hat die Gemeinde schon bei der Planung und nicht erst bei der bauordnungsrechtlichen Prüfung der Zulässigkeit eines Bauvorhabens auch insoweit Gefahrensituationen zu ermitteln und in die planerische Abwägung einzustellen, die als Folge der Planung entstehen oder verfestigt werden können (vgl. BVerwG, U. v. 21.3.2002 – 4 CN 14.00 – juris Rn. 13). Zu den einzustellenden Belangen gehören auch die Rechtspositionen Dritter, deren Grundeigentum zwar außerhalb der Plangrenzen, jedoch in der Nachbarschaft des Plangebiets bzw. in der Umgebung liegt und das belastenden Einwirkungen der durch den Plan ermöglichten Nutzungen, z. B. durch Überschwemmungen oder Wasserschäden, ausgesetzt sein wird (vgl. BVerwG, U. v. 21.3.2002 – a. a. O. – juris Rn. 14f; BayVGH, U. v. 11.2.2014 – 1 N 10.2254 – juris Rn. 38). Derartige Gefahren sind vorliegend auch nicht offensichtlich ausgeschlossen, da der Boden nur eine geringe Versickerungsrate aufweist, worauf das Wasserwirtschaftsamt A… in seiner Stellungnahme vom 7. April 2014 hinweist.
Ob und gegebenenfalls welche rechtlichen Mittel die Gemeinde zur Beseitigung des im Baugebiet anfallenden Niederschlagswassers einzusetzen hat, hängt von den tatsächlichen Verhältnissen im Einzelfall, insbesondere von den abwasserwirtschaftlichen und abwassertechnischen Erfordernissen sowie von den topographischen Gegebenheiten ab. Bei Erlass des Satzungsbeschlusses muss die Gemeinde aber davon ausgehen können, dass das für das Baugebiet notwendige Entwässerungssystem in dem Zeitpunkt tatsächlich vorhanden und funktionstüchtig sein wird, indem die nach dem Plan zulässigen baulichen Anlagen fertiggestellt und nutzungsreif sein werden (vgl. BVerwG, U. v. 21.3.2002 – 4 CN 14.00 – juris Rn. 16).
Im vorliegenden Fall wird in der Begründung unter Nr. 4.1 zum Bebauungsplan u. a. ausgeführt, dass das unbelastete Niederschlagswasser des westlichen Baugebietsbereichs (ca. 70 v. H.) in einem separaten Oberflächenwasserkanal gesammelt und am südlichen Ortsrand in den vorhandenen Oberflächenwasserkanal eingeleitet werde. Das im östlichen und südlichen Baugebietsbereich anfallende Niederschlagswasser (ca. 30 v. H.) könne aus topographischen Gründen nicht in Richtung Kreisstraße entwässert werden. Das Niederschlagswasser werde daher in die angrenzenden Grünflächen eingeleitet, wo es in Schotterrigolen versickert werde. Gleichzeitig sei geplant, das bislang zugeleitete Flur- und Niederschlagswasser aus dem Außeneinzugsgebiet des S. Hanges über ein Grabensystem westlich an G. vorbei zu führen und außerhalb der Ortschaft in den W.bach einzuleiten. Das Wasserwirtschaftsamt A… hat bereits in seiner Stellungnahme vom 7. April 2014 darauf hingewiesen, dass für den vorhandenen Oberflächenwasserkanal die ausreichende hydraulische Leistungsfähigkeit unter Berücksichtigung der vorhandenen Einzugsgebiete und Einleitungen nach dem Stand der Technik bis zur Einleitungsstelle in den W.bach nachzuweisen ist. Für das im östlichen und südlichen Baugebiets Bereich anfallende Niederschlagswasser, das in die angrenzende Grünfläche eingeleitet und über ein Mulden-Rigolen-System versickern solle, könne aufgrund der örtlichen Bodenverhältnisse nur von einer geringen Versickerungsrate ausgegangen werden. Die Durchlässigkeit des Sickerraumes sei belastbar „in situ“ zu ermitteln. In der Abwägungsentscheidung vom 13. August 2015 zu den Einwendungen des Antragstellers vom 21. Juli 2015 wiederholt der Marktgemeinderat des Antragsgegners inhaltsgleich die Abwägung vom 18. September 2014 und verweist auf eine eigenständige Entwässerungsplanung durch das Ingenieurbüro K…, die sich allerdings nicht in den Planunterlagen befindet. Zudem würden für die Ableitung des Oberflächenwassers aus dem Abfanggraben verschiedene Varianten erarbeitet und geprüft.
Mit dieser Vorgehensweise und Begründung genügt der Antragsgegner nicht dem Gebot der Konfliktbewältigung. Aus dem der Abwägung zugrunde liegenden Entwässerungskonzept wird insbesondere im Hinblick auf die Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamts und die in den Planunterlagen fehlende Entwässerungsplanung des Ingenieurbüros K… nicht ersichtlich, dass die Durchführung der als notwendig erkannten Maßnahmen zur Konfliktlösung außerhalb des Planungsverfahrens auf der Stufe der Verwirklichung der Planung sichergestellt oder mindestens wahrscheinlich sind. Obwohl das Wasserwirtschaftsamt A… in seiner Stellungnahme vom 7. April 2014 ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Ermittlung der Versickerungsfähigkeit „in situ“ hingewiesen hat, fehlen neben einer solchen Ermittlung in den Planunterlagen und der Abwägungsentscheidung jegliche Anhaltspunkte dafür, dass mindestens eine der dargestellten Varianten die oben genannten Anforderungen sicherstellen kann. Ergänzungen oder Änderungen des Konzepts wurden in den Planunterlagen und auch im Abwägungsbeschluss vom 13. August 2015 nicht mehr dargestellt oder aktualisiert. Eine (ergänzende) Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamts, aus der sich die Realisierbarkeit der Entwässerungsplanung ergeben würde, wurde im Rahmen des ergänzenden Verfahrens nicht mehr eingeholt. Der bloße Verweis auf eine Verbesserung der bisherigen Situation wegen der Ableitung des Hangwassers (vgl. zusammenfassende Erklärung vom 4.11.2014 Nr. 3.) ist nicht ausreichend (vgl. BVerwG, U. v. 21.3.2002 – 4 CN 14.00 – juris Rn. 21).
b) Der Verstoß gegen das Gebot der Konfliktbewältigung ist nach § 214 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB beachtlich.
Mängel im Abwägungsvorgang sind nach § 214 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Die Offensichtlichkeit ergibt sich hier bereits aus der Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamtes vom 7. April 2014, weil der Antragsgegner im Planaufstellungsverfahren keine weiteren Ermittlungen oder Konkretisierungen des Konzepts veranlasst oder dargestellt hat (vgl. BayVGH, U. v. 9.2.2009 – 14 N 06.1716 – juris Rn. 35). Eine konkrete Möglichkeit, dass der Mangel von Einfluss auf das Abstimmungsergebnis gewesen ist, besteht immer dann, wenn anhand der Planunterlagen oder erkennbarer oder naheliegender Umstände die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Mangel die Planung anders ausgefallen wäre (vgl. BVerwG, U. v. 13.12.2012 – 4 CN 1.11 – juris Rn. 16). Dies liegt bei einem unvollständigen und ohne Alternativenprüfung oder -darstellung zugrunde gelegtem Entwässerungskonzept auf der Hand.
Der Abwägungsmangel ist auch nicht nach § 215 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB unbeachtlich geworden. Der Antragsteller hat den Mangel im Abwägungsvorgang hinsichtlich der Entwässerung innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung des Bebauungsplans schriftlich geltend gemacht.
3. Der verfahrensgegenständliche Bebauungsplan ist im Ganzen unwirksam.
Von einer Teilunwirksamkeit eines Bebauungsplans kann nur dann ausgegangen werden, wenn der Rechtsfehler nur eine einzelne Festsetzung oder einen in anderer Weise abgrenzbaren Teil des Bebauungsplans betrifft (vgl. BayVGH, U. v. 9.2.2009 – 14 N 06.1716 – juris Rn. 37). Maßgeblich ist, ob der gültige Teil eine den Anforderungen des § 1 BauGB gerecht werdende, sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken kann und ob die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck kommenden Willen im Zweifel auch einen Plan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (BVerwG, U. v. 5.5.2015 – 4 CN 4.14 – juris Rn. 19).
Im vorliegenden Fall kann offenbleiben, ob die fehlende Berücksichtigung der Erweiterungsabsichten des Antragstellers nur zu einer Teilunwirksamkeit des Bebauungsplans hinsichtlich der Parzellen 20 bis 23 führen würde, denn jedenfalls das Entwässerungskonzept betrifft den gesamten Bebauungsplan. Zwar differenziert das Konzept zwischen Flächen im westlichen Baugebietsbereich (ca. 70 v. H.) und Flächen im östlichen und südlichen Baugebietsbereich (ca. 30 v. H.). Weder aus den Planunterlagen noch aus den Planaufstellungsakten ist jedoch ersichtlich, welche Flächen konkret gemeint sind und wie sich die Baugebietsbereiche insoweit konkret teilen lassen könnten.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
Die Nr. I. Der Entscheidungsformel ist nach Rechtskraft des Urteils ebenso zu veröffentlichen, wie die Rechtsvorschrift bekannt zu machen wäre (§ 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 20.000,- Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 1 und 8 GKG).


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