Baurecht

Erlöschen einer altrechtlichen Dienstbarkeit

Aktenzeichen  3 U 667/16

Datum:
31.8.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 17438
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AGBGB Bay Art. 56 Abs. 3, Art. 57

 

Leitsatz

Die in Art. 57 BayAGBGB enthaltenen Regeln über die Aufhebung und das Erlöschen altrechtlicher Grunddienstbarkeiten stellen eine abschließende Regelung anstelle der altrechtlichen Erlöschensgründe dar und verdrängen insoweit das früher geltende Recht für altrechtliche Dienstbarkeiten, die im Grundbuch noch nicht eingetragen sind, indem sie das Erlöschen altrechtlicher Dienstbarkeiten durch 10-jährige Nichtausübung statuieren (Art. 56 Abs. 3 BayAGBGB). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

5 O 3108/14 2016-02-04 Urt LGTRAUNSTEIN LG Traunstein

Tenor

I.
Auf die Berufung der Kläger wird das Endurteil des Landgerichts Traunstein, Az.: 5 O 3108/14, vom 04.02.2016, berichtigt mit Beschluss vom 22.03.2016, aufgehoben.
II.
Die Beklagten werden verurteilt, es zu unterlassen, über den Weg zu fahren, der über die Flur N., Flurstück 299, 298/2, 298, Gemarkung F. zum Anwesen H.mühle 1, W., führt.
III.
Den Beklagten wird angedroht, dass gegen sie für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000,- € und für den Fall, dass es nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder alternativ Ordnungshaft bis zu 6 Monaten festgesetzt wird.
IV.
Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen, die Widerklagen werden abgewiesen.
V.
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
VI.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
VII.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das behauptete Bestehen eines Geh- und Fahrtrechtes der Beklagten an mehreren Flurstücken der Kläger sowie das Begehren der Beklagten, den Klägern die Benutzung des streitgegenständlichen Weges, soweit dieser über ein Grundstück der Beklagten verläuft, zu verbieten.
Das Erstgericht hatte über die angestrebte Unterlassung des Befahrens des laut Klage über 3 Flurstücke der Kläger verlaufenden Wegs seitens der Beklagten einschließlich einer bei Zuwiderhandlung erfolgende Androhung von Ordnungsgeld/Ordnungshaft zu befinden. Umgekehrt hatte das Erstgericht über die Widerklage auf Eintragung eines Geh- und Fahrtrechts als Grunddienstbarkeit zugunsten des jeweiligen Eigentümers zu entscheiden. Zudem wollten die Beklagten für den Fall eines der Unterlassungsklage stattgebenden Urteils die Kläger verurteilt wissen, die Wegefortsetzung auf einem den Beklagten gehörenden Flurstück zum Zwecke des Begehens oder Befahrens nicht nutzen zu dürfen.
Das Landgericht nahm am 27.03.2015 einen Augenschein ein, hörte die Klägerin und die Beklagten an, führte nach Richterwechsel am 11.12.2015 einen weiteren Hauptverhandlungstermin durch und wies mit am 04.02.2016 verkündetem Endurteil die Klage ab, verurteilte auf die Widerklage hin die Kläger und Widerbeklagten, die Eintragung eines Geh- und Fahrtrechts auf 4 Flurstücken ihres Grundstücks zu bewilligen und legte den Klägern die Kosten des Rechtsstreits auf. Auf die im Ersturteil (Bl. 107/116 d. A.) getroffenen tatsächlichen Feststellungen wird Bezug genommen.
Mit ihrer Berufung wenden sich die Kläger gegen die Annahme des Landgerichts, dass zugunsten der jeweiligen Eigentümer des Grundstücks der Beklagten ein Fahrtrecht über den „Mühlweg“ als altrechtliche Grunddienstbarkeit im Wege der Ersitzung durch mindestens 10-jährige Benutzung in der Zeit ab 1859 entstanden sei, das bis heute fortbestehe. Dieses Ergebnis beruhe auf einer fehlerhaften Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung.
Entgegen dem rechtlichen Ausgangspunkt des Landgerichts sei es nicht möglich gewesen, dass ein Geh- und Fahrtrecht im 19. Jahrhundert allein durch gutgläubige Ausübung hätte erworben werden können. Der gewohnheitsrechtliche Erwerb nach bayerischem allgemeinen Landrecht habe neben der Ingebrauchnahme auch eine schriftliche Bestellung vorausgesetzt, die nach dem 01.07.1862, dem Inkrafttreten des Bayerischen Notariatsgesetzes, in notarieller Form getroffen werden musste; eine schriftliche Vereinbarung hätten die Beklagten aber hier nicht nachgewiesen.
Das Landgericht führe zwar zutreffend aus, dass ein Fahrtrecht als altrechtliche Grunddienstbarkeit durch Ersitzung erworben werden konnte, wenn es vor Anlegung der Grundbücher im OLG-Bezirk München, also vor dem 01.05.1905, über einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren ausgeübt worden war; letztere bestrittene Tatsache habe das Landgericht fehlerhaft dadurch als erwiesen erachtet, weil sich aus der als Anlage K 4 vorgelegten Urkunde ergeben habe, „dass die Voraussetzungen einer solchen Ersitzung bereits im Jahre 1871 vorlagen.“ Das Schriftstück K 4 sei jedoch keine Urkunde im Sinne der §§ 415 f. ZPO, weder eine von den Ausstellern unterschriebene Privaturkunde noch eine öffentliche Urkunde. 1871 hätte ein solches Schriftstück nämlich gar nicht von Bürgermeistern „in den Grenzen ihrer Amtsbefugnisse“ wirksam aufgenommen werden können. Jedenfalls komme den Beklagten die Beweisregel des § 416 ZPO nicht zugute und sie hätten daher weiter vollen Beweis für die von ihnen behauptete mindestens 10-jährige Benutzung des Mühlwegs vor dem 01.05.1905 erbringen müssen, was sie nicht getan hätten.
Auch habe sich das Landgericht nicht damit auseinandergesetzt, dass die Behauptung der Beklagten, das Fahrtrecht sei 1859 von einem Herrn A., dem „Vorfahren“ eines Herrn Z. erworben worden, der die Mühle dann 1860 selbst „durch Kauf erworben habe“, sich mit einer Ersitzung des Fahrtrechts durch gutgläubigen Gebrauch nicht vereinbaren lasse. Die Entstehung eines Wegerechts als örtlich begrenztes Gewohnheitsrecht (Observanz) setze nämlich neben der langjährigen einvernehmlichen Ausübung auch voraus, dass die beteiligten „Rechtskreise, die diese langjährige Übung als rechtsverbindlich anerkennen, davon ausgehen, dass diese nicht lediglich auf einem schuldrechtlichen Vertrag beruht“. Aufgrund der Behauptung der Beklagten, das Fahrtrecht sei durch Vertrag erworben worden, sei der Erwerb durch Ersitzung ausgeschlossen.
Letztlich wäre eine – unterstellt altrechtlich durch Ersitzung begründete – Grunddienstbarkeit durch mehr als 10-jährige Nichtausübung erloschen, weil die Mühle nach der Behauptung der Kläger seit den 60er Jahren, nach Behauptung der Beklagten jedenfalls seit 1990 und damit seit mehr als 10 Jahren nicht mehr genutzt werde. Die vom Landgericht vertretene Auffassung, die angebliche altrechtliche Grunddienstbarkeit erlaube die Nutzung des Wegs „ohne Bezug zum Mühlenbetrieb“, sei rechtlich unzutreffend. Auch eine altrechtliche Grunddienstbarkeit, die zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs schon bestand, könne grundsätzlich nur zu dem Zweck ausgeübt werden, zu dem sie bestellt wurde, ungeachtet sich aus der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung ergebender Veränderungen. Mithin sei eine etwaige Grunddienstbarkeit nach Stilllegung der Mühle vor jedenfalls mehr als 10 Jahren nicht mehr unverändert genutzt worden und daher erloschen.
Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der Berufungsbegründung (Bl. 126/134 d. A.) verwiesen.
Die Kläger beantragen,
1. das Urteil des Landgerichts Traunstein aufzuheben,
2. die Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, über den Weg zu fahren, der über die Flur N., Flurstück 299, 298/2, 298, Gemarkung F. zum Anwesen H.-mühle 1, W., führt, und den Beklagten anzudrohen, dass gegen sie für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000,- € und für den Fall, dass es nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder alternativ Ordnungshaft bis zu 6 Monaten festgesetzt wird,
3. die Widerklage und die Hilfswiderklage der Beklagten aus dem Schriftsatz vom 20.10.2014 abzuweisen.
Die Beklagten beantragen,
1. die Berufung zurückzuweisen,
2. das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 11.12.2015 in Ziffer 2 dahin zu ergänzen, dass die Verurteilung der Kläger/Widerbeklagten zur Eintragung des Geh- und Fahrtrechtes als Grunddienstbarkeit auch zugunsten des jeweiligen Eigentümers von Flur-Nr. 1048, Gemarkung P., vorgetragen im Grundbuch des Amtsgerichts Landshut, für P., Band 12, Blatt 402 unter der laufenden BV-Nr. 1 zu bewilligen ist,
3. für den Fall eines klagestattgebenden Urteils die Kläger/Widerbeklagten zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall des Zuwiderhandelns festzusetzenden Ordnungsgeldes bis 250.000,- € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder alternativ Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen, die Fortsetzung des M.-wegs auf ihrem Grundstück über das Grundstück des Beklagten mit der Flur-Nr. 1048, Gemarkung P., wie vorstehend, zum Zwecke des Gehens oder Befahrens zu benutzen.
Die Beklagten verteidigen das Ersturteil.
Die ordentliche Ersitzung nach altem Recht habe keine wie auch immer definierte schriftliche Vereinbarung vorausgesetzt, was das Landgericht zutreffend festgestellt habe. Nach damaliger Rechtslage habe es zur Ersitzung eines Titels, d. h. eines Rechtsgrundes, bedurft, nicht aber der Schriftform. Zwar wäre ohne Schriftform der rechtsgeschäftliche Erwerb 1859 nicht wirksam gewesen. 1871 hätten indes die damaligen Beteiligten W. und Z. einvernehmlich bestätigt, dass der Vorgänger von Z. – A. – 1859 das Recht für 500 Gulden Kaufschilling erworben und Z. 1860 diese Berechtigung seinerseits mit dem Kauf der Mühle erworben habe. Damit liege ein Titel im Sinne eines Rechtsgeschäfts vor.
Eine schriftliche Vereinbarung als Titel zum Besitz sei, wie das Landgericht zu Recht festgestellt habe, nicht erforderlich gewesen. Der Erwerb der Servitut sei allein von einer 10-jährigen Nutzung und dem guten Glauben in der Überzeugung, ein eigenes privates Recht wahrzunehmen, abhängig gewesen. Diese Voraussetzungen seien erfüllt, die Überzeugung, ein eigenes Recht wahrzunehmen, habe sich aus der Niederschrift von 1871 ergeben, da zu diesem Zeitpunkt die Mühle von Z. schon über 10 Jahre erworben und natürlich auch betrieben worden sei.
Soweit die Berufung kritisiere, dass das Landgericht an die Vereinbarung von 1871 angeknüpft habe, weil diese im Rechtssinn keine Urkunde sei, sei diese Auffassung unrichtig. In rechtlicher Hinsicht handele es sich um eine öffentliche Urkunde im Sinne von § 415 ZPO. Dass die Vereinbarung zu Gemeindeprotokoll gewählt worden sei, zeige, dass nicht entgegen dem Beurkundungsgesetz etwas – unwirksam – geregelt werden sollte, sondern Sachverhalte geregelt worden seien, die unabhängig von notarieller Beurkundung hätten geregelt werden können. Die Beteiligten hätten damals zweifelsfrei bestimmte alte Rechtsvorgänge und Zustände einerseits festschreiben und zukunftsbezogene Regelungen bezüglich der Fahrt und ihrer Auswirkung andererseits treffen wollen.
Die Mühle sei bis 1990 noch in Betrieb gewesen, die Müllerwohnung werde bis heute, erweitert um die Betriebsleiterwohnung, genutzt. Unabhängig vom beim Landgericht gestellten Tatbestandsberichtigungsantrag werde mit der Anschlussberufung geltend gemacht, dass die Sachberechtigung aus dem Urteil auch zugunsten von Flur-Nr. 1048 auszusprechen sei. Im Übrigen werde der Antrag zur Eventualwiderklage vorsorglich weiterverfolgt, der Klagepartei für den Fall eines der Klage stattgebenden Urteils zu verbieten, über das Grundstück Flur-Nr. 1048 F. durchzuführen. Die Kläger hätten erstinstanziell bestätigt, dass sie über das Grundstück nach wie vor fahren würden, lediglich geltend gemacht, dies sei nur ein- oder zweimal im Jahr der Fall, wohingegen die Fahrtnahmen generell unzulässig seien.
Zur Anschlussberufung beantragen die Kläger,
diese zurückzuweisen.
Die Anschlussberufung enthalte in Ziffer 1 eine Klageänderung und in Ziffer 2 eine Widerklage, der die Kläger nicht zustimmten.
Die Kläger weisen darauf hin, dass es – auch wenn man die Richtigkeit des Urteils des Landgerichts im Übrigen unterstelle – keinen Rechtsgrund dafür gebe, dass eine Grunddienstbarkeit (auch) zugunsten der jeweiligen Eigentümer der Flurstücks-Nr. 279 eingetragen werde, da es sich unstreitig nicht um das herrschende Grundstück der behaupteten Grunddienstbarkeit handele.
Im Übrigen berufen sich die Kläger darauf, dass die vorgelegte Abschrift keine Privaturkunde im Sinne der §§ 415 f. ZPO und auch keine öffentliche Urkunde sei; zudem sei der Vertragsschluss im Jahre 1859 nicht bewiesen, eine Ersitzung damit ausgeschlossen. Auch sei der Beweis seitens der Beklagten nicht geführt, dass eine solche durch Verjährung erworbene Grunddienstbarkeit nicht nur „personaliter“ für den damaligen Müller, sondern „realiter“, also für den jeweiligen Eigentümer des Mühlgrundstücks bestehen sollte. Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt des klägerischen Schriftsatzes vom 24.03.2016 und dessen Erwiderung durch die Beklagtenvertreter mit Schriftsatz vom 27.04.2016 (Bl. 156/162 d. A.) Bezug genommen.
Ergänzend wird auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 31.08.2016 vor dem Senat verwiesen. Beweis wurde nicht erhoben.
II. Die Berufung der Kläger ist zulässig und begründet. Sie führte zur Aufhebung des mit Beschluss vom 22.03.2016 berichtigten Endurteils des Landgerichts Traunstein vom 04.02.2016, zur Verurteilung der Beklagten unter Ordnungsgeldandrohung, die Benutzung des streitgegenständlichen Wegs über die Flurstücke 299, 298/2, 298, Gemarkung F., zu unterlassen sowie zur Abweisung der Widerklage, soweit mit Ersturteil zuerkannt.
1. Das Erstgericht hat zum von ihm angenommenen Bestehen einer altrechtlichen Grunddienstbarkeit unter Ziffer II. 1. bis 8 der Urteilsgründe, umfängliche Ausführungen gemacht. Angesichts des zulässigen Bestreitens des Entstehens der altrechtlichen Dienstbarkeit durch die Kläger und den strittigen Beweiswert der als Anlage K 4 vorgelegten Abschrift des am 29. Juni 1871 aufgenommenen Protokolls mag es schon als zweifelhaft erscheinen, dass den Beklagten der Nachweis für das Entstehen dieses Rechts gelungen ist. Die abschließende Klärung dieser Frage in der Berufungsinstanz war jedoch nicht veranlasst, da – auch die Entstehung einer altrechtlichen Dienstbarkeit auf die vom Landgericht bzw. beklagtenseits angegebene Weise unterstellt – diese Dienstbarkeit nach Art. 57 AGBGB erloschen wäre.
Die in Art. 57 AGBGB enthaltenen Regeln über die Aufhebung und das Erlöschen altrechtlicher Grunddienstbarkeiten stellen eine abschließende Regelung anstelle der altrechtlichen Erlöschensgründe dar und verdrängen insoweit das früher geltende Recht für altrechtliche Dienstbarkeiten, die im Grundbuch noch nicht eingetragen sind, indem sie das Erlöschen altrechtlicher Dienstbarkeiten durch 10-jährige Nichtausübung statuieren.
Der Inhalt der streitgegenständlichen altrechtlichen Dienstbarkeit ist in der Urkunde vom 29.06.1871 bezeichnet. Balthasar Z. (angeblich Vorfahre des Beklagten L.) gibt die Erklärung ab, dass sein „Vorfahre Mathias A. diesen Fahrtweg von Josef W. zu einer Mühlfahrt 1859 um 500 Kreuzer gekauft“ habe. Aufgenommen ist weiter die Erklärung des Josef W., „dass nur diese Fahrt zu einer Mühlfahrt benutzt werden dürfe, nur ausgenommen was Z. zu seiner Mühle brauche, das Recht habe und ihm kein Hinderniß im Wege gelegt werden dürfe, damit ist aber niemand anderer berechtigt als die nehmlichen welche Malter zur und von der Mühle fahren.“ Bei den in der Urkunde erwähnten „Maltern“ handelt es sich um Getreidesäcke, deren Verbringung von und zur Mühle über diese „Fahrt“ gleichfalls gestattet war. Die zitierten Passagen, die den Hauptbestandteil der Urkunde darstellen, verweisen explizit auf die Zweckbestimmung der überlassenen „Fahrt“, nämlich dem Betrieb und dem Unterhalt der Mühle zu dienen. Inhalt der „Mühlfahrt“ war mithin, dem Berechtigten in der Ausübung seiner Tätigkeit als Müller die Durchfahrt zu ermöglichen, wobei die Belieferung der Mühle mit Getreidesäcken im Vordergrund stand. Mühlenbetrieb und Fahrt bilden in dieser Urkunde eine logische Einheit. Soweit das Erstgericht im Zusammenhang mit der Nutzung auf die Berücksichtigung der Entwicklung der wirtschaftlichen und technischen Verhältnisse abstellt, dahingehend, dass das Maß der Nutzung einem Wandel der wirtschaftlichen Verhältnisse unterworfen sei, ist diese Erwägung grundsätzlich richtig, greift hier aber zu kurz. Natürlich würden bei einem noch bestehenden Betrieb der Mühle heutzutage dem Mühlenbetrieb dienende Fahrten statt mit Fuhrwerken und Pferdegespannen mit Kraftfahrzeugen durchgeführt werden dürfen. Wird jedoch – wie hier – die Mühle nicht mehr betrieben, beruht dies nicht auf einem Wandel der wirtschaftlichen Verhältnisse, sondern auf einem Abbruch der bisherigen Nutzung. Die hier auch im Wege des Augenscheins festgestellte Nutzung der (ehemaligen) für den Mühlenbetrieb verwendeten Gebäude als Wohnungen ist schlechterdings nicht als „Mühlenbetrieb“ zu qualifizieren. Eine Fahrt der dortigen Wohnungsinhaber über die klägerischen Flurstücke zum Zwecke des Aufsuchens ihrer Wohnung ist keine „Mühlfahrt“.
Da der Mühlenbetrieb spätestens zu Beginn der 90er-Jahre eingestellt wurde, ist die altrechtliche Dienstbarkeit nach Art. 57 AGBGB erloschen.
Da sich die Beklagten weiterhin ihres Rechts zur Benutzung der streitgegenständlichen Fahrt berühmen und diese noch in Zukunft fortsetzen wollen, ist die Klage auf Unterlassung, ebenso wie die Androhung von Ordnungsgeld/Ordnungshaft gerechtfertigt. Das insoweit klageabweisende Ersturteil musste daher aufgehoben werden.
2. Die Verurteilung der Kläger und Widerbeklagten zur Eintragung der altrechtlichen Dienstbarkeit ins Grundbuch, sei es zugunsten des jeweiligen Eigentümers von Flur-Nr. 279, sei es (wie bereits Gegenstand des Berichtigungsbeschlusses) von Flur-Nr. 1048, war aus den unter Ziffer 1 vorstehend genannten Gründen aufzuheben, da die altrechtliche Dienstbarkeit spätestens mit Beendigung des Jahres 2001 erloschen ist.
III. Der beklagtenseits erhobenen Anschlussberufung – mit gleichzeitig vorgenommener Widerklageänderung und -erweiterung – standen zwar Zulässigkeitsbedenken nicht entgegen. Die Anschlussberufung erwies sich jedoch als unbegründet und war daher zurückzuweisen.
1. Zu dem unter Ziffer 2 der Berufungsanträge laut Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 15.03.2016 gestellten Antrag auf Eintragung der Servitut im Grundbuch ist auf die vorstehenden Ausführungen zur vom Erstgericht zuerkannten Widerklage Bezug zu nehmen. Er blieb erfolglos, weil den Beklagten das geltend gemachte Geh- und Fahrtrecht nicht zusteht.
2. Im Hinblick auf das klagestattgebende Berufungsurteil war auch über Ziffer 3 des vorgenannten Schriftsatzes zu entscheiden, mit dem den Klägern das Gehen und Befahren über das Grundstück „des Beklagten“ mit der Flur-Nr. 1048, Gemarkung P., unter Androhung von Ordnungsgeld/Ordnungshaft verboten werden sollte. Soweit die Kläger ein Endstück des M.-wegs befahren haben, das auf Flur-Nr. 1048 der Beklagten liegt, haben sie sich keines Fahrt- oder sonstigen Nutzungsrechts berühmt. Aus dem Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 09.12.2014 ergibt sich, dass die Beklagten „an eine bisherige Duldung … nicht gebunden“ seien, die Duldung „hiermit vorsorglich widerrufen“ werde. Nachdem die Kläger über eine Duldung verfügten, auf die Ankündigung der Widerklage hinsichtlich der Inanspruchnahme eines Teils eines Flurstücks der Beklagten erklärt haben, die weitere Benutzung zu unterlassen, sie vorprozessual auch keine entsprechende Aufforderung zur Einstellung des Befahrens erhalten haben, ist für eine Unterlassungsklage (mangels Besorgnis künftiger Beeinträchtigungen) kein Raum. Die diesbezügliche Widerklage war abzuweisen.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO. Gründe im Sinne von § 543 Abs. 2 ZPO, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich, zumal sich die wesentlichen Streitpunkte auf die Anwendung vorkonstitutionellen bzw. bayerischen Landesrechts fokussieren.


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