Baurecht

Ermittlung der Wandhöhe einer Grenzgarage

Aktenzeichen  1 CS 21.1294

Datum:
27.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22472
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1 (idF bis zum 31.1.2021)
BayBO Art. 54 Abs. 2 S. 2 Hs. 1

 

Leitsatz

1. Für die Bemessung der Wandhöhe ist grundsätzlich auf die natürliche Geländeoberfläche, also auf die gewachsene und nicht die durch Aufschüttungen oder Abgrabungen veränderte Geländeoberfläche, als unterer Bezugspunkt abzustellen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist das ursprüngliche Gelände nicht mehr feststellbar oder wäre es mit Blick auf die Belange des Nachbarn nicht sachgerecht, auf die natürliche Oberfläche abzustellen, kann die Bauaufsichtsbehörde die für die Berechnung der Wandhöhe maßgebliche Geländeoberfläche gestützt auf Art. 54 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BayBO festlegen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 SN 21.1078 2021-03-24 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Beigeladenen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 19. November 2020 für die Errichtung eines Einfamilienhauses mit einer Einliegerwohnung und einer grenzständigen Doppelgarage auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung U … am S …see. Sie sind Eigentümer des unmittelbar östlich angrenzenden Grundstücks FlNr. …
Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. Die Erfolgsaussichten der Klage seien offen. Bedenken bestünden im Hinblick auf die einzuhaltende Abstandsfläche auf der Nordseite des geplanten Anwesens. Die Abstandsfläche der nördlichen Außenwand des geplanten Gebäudes überschreite die Mitte des angrenzenden Straßengrundstücks um ca. 15 cm. Zwar sei diese Seite nicht dem Nachbargrundstück zugewandt, allerdings machten die Beigeladenen von dem 16 m-Privileg nach Art. 6 Abs. 5 BayBO a.F. Gebrauch, sodass ein Gebäude die Abstandsflächenvorschriften vor allen Außenwänden des Vorhabens einhalten müsse, um keine Verletzung nachbarschützender Vorschriften auszulösen. Auf die weiteren Rügen der Antragsteller in Bezug auf die Bestimmtheit der Baugenehmigung komme es daher nicht entscheidungserheblich an, wenngleich sich die für die Mittelung angesetzten Wandhöhen an der Südost- bzw. Nordostecke der geplanten, zur Seite der Antragsteller hin gelegenen Grenzgarage aus den genehmigten Eingabeplänen nicht ohne weiteres nachvollziehen ließen. Im Rahmen der Interessenabwägung überwiege das Aussetzungsinteresse der Antragsteller, da durch den Bau irreversible Zustände geschaffen würden, die durch einen (Teil-) Abbruch nur schwer rückgängig gemacht werden könnten.
Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Beigeladenen, die insbesondere eine Änderung der Rechtslage im Hinblick auf die Abstandsflächen zur Straßenseite geltend machen. Die Standortgemeinde habe ihre Satzung über abweichende Maße der Abstandsflächentiefe nach Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO n.F. während des anhängigen Beschwerdeverfahrens mit Wirkung zum 31. Mai 2021 aufgehoben, sodass das Hauptgebäude nunmehr lediglich 0,4 H nach allen Seiten einzuhalten habe, was hier unproblematisch der Fall sei. Die Grenzgarage wahre ebenfalls die zulässigen Maße nach Art. 6 Abs. 9 Nr. 1 BayBO a.F. bzw. nunmehr Art. 6 Abs. 7 BayBO n.F..
Die Antragsteller treten der Beschwerde entgegen. Der Antragsgegner stellte keinen Antrag.
Ergänzend wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Erfolgsaussichten der Nachbarklage der Antragsteller im Hauptsacheverfahren nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung jedenfalls offen sind und bei einer Interessenabwägung ihr Suspensivinteresse überwiegt.
Es kann offenbleiben, ob die zwischenzeitlich erfolgte Rechtsänderung infolge der Aufhebung der “Satzung über abweichende Maße der Abstandsflächentiefe” der Gemeinde U …, bekanntgemacht am 20. Mai 2021, im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen ist und die Abstandsflächen an der Straßenseite nunmehr eingehalten werden, da jedenfalls weiterhin Zweifel daran bestehen, ob die Grenzgarage im nordöstlichen Bereich des Vorhabengrundstücks die Voraussetzungen einer privilegierten Grenzgarage nach Art. 6 Abs. 9 Nr. 1 BayBO in der bis zum 31. Januar 2021 gültigen Fassung wahrt. Weiter bedarf es hier keiner Entscheidung, ob sich die Beigeladenen einerseits für die Grenzgarage auf die für sie günstigere Regelung des Art. 6 Abs. 9 BayBO in der bis zum 31. Januar 2021 geltenden Fassung (a.F.) und andererseits hinsichtlich des Hauptgebäudes auf die Neuregelung des Art. 6 Abs. 3 BayBO in der Fassung ab 1. Februar 2021 berufen können. Zweifel an der Zulässigkeit der Heranziehung der jeweils günstigeren Regelung sind bei einem einheitlichen Bauvorhaben veranlasst, da durch die Kombination der jeweils günstigeren Regelung ein Vorhaben zugelassen würde, das in dieser Form weder nach der früheren noch nach der neuen Rechtslage zulässig ist. Die Frage kann aber offenbleiben, da selbst bei Anwendung der für die Beigeladenen im Hinblick auf die Privilegierung der Grenzgarage günstigeren Regelung des Art. 6 Abs. 9 Satz Nr. 1 Halbs 2 BayBO a.F. (im Gegensatz zur Neuregelung ist keine Berücksichtigung der Giebelflächen bei einer Dachneigung unter 70 Grad erforderlich) die Beschwerde keinen Erfolg hat.
Die Frage, ob die Grenzgarage den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO a.F. entspricht, ist offen. Die abstandsflächenrechtliche Privilegierung nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO a.F. setzt insbesondere voraus, dass eine mittlere Wandhöhe von 3 m eingehalten wird. Den unteren Bemessungspunkt für die Berechnung der Wandhöhe bildet dabei die Geländeoberfläche (Art. 6 Abs. 4 Satz 1 und 2 BayBO). Auch wenn der Gesetzgeber nicht mehr zwischen natürlicher oder festgelegter Geländeoberfläche differenziert, ist grundsätzlich auf die natürliche Geländeoberfläche, also auf die gewachsene und nicht die durch Aufschüttungen oder Abgrabungen veränderte Geländeoberfläche als unterer Bezugspunkt für die Bemessung der Wandhöhe abzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 23.2 2021 – 15 CS 21.403 – juris Rn. 98, B.v. 12.2.2020 – 15 CS 20.45 – BayVBl 2020, 444; B.v. 12.11.2020 – 1 CS 20.1796 – juris Rn. 11). Eine natürliche Geländeoberfläche ist im Bereich der nordöstlichen Ecke der geplanten Garage nicht vorhanden. Dort befindet sich entlang der Grundstücksgrenze seit geraumer Zeit eine Stützmauer sowie eine aufgeschüttete, asphaltierte Fläche, die bislang als Stellplatz dient. Zwar kann eine veränderte Geländeoberfläche nach längerer Zeit, die sich nach den Umständen des Einzelfalls bestimmt, zur natürlichen Geländeoberfläche werden (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2020 – a.a.O.; B.v. 7.11.2017 – 1 ZB 15.1839 – juris Rn. 5). Angesichts der massiven Stützmauer und der erheblichen Aufschüttungen nebst Asphaltierung im dortigen Bereich handelt es sich hier nicht um eine als Geländeoberfläche zu behandelnde Fläche, sondern um eine bauliche Anlage. Ist das ursprüngliche Gelände nicht mehr feststellbar oder wäre es mit Blick auf die Belange des Nachbarn nicht sachgerecht, auf die natürliche Oberfläche abzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 30.5.2016 – 15 ZB 16.630 – juris Rn. 16), kann die Bauaufsichtsbehörde die für die Berechnung der Wandhöhe maßgebliche Geländeoberfläche gestützt auf Art. 54 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BayBO festlegen. Eine Festsetzung der Geländeoberfläche ist hier nach den Angaben des Landratsamts in der Antragserwiderung vom 15. März 2021 nicht erfolgt und lässt sich den genehmigten Plänen ebenso wenig entnehmen wie die nach Art. 54 Abs. 2 BayBO hierfür erforderliche Ermessensausübung. Mangels natürlicher Geländeoberfläche sowie mangels festgesetzter Geländeoberfläche lässt sich die Frage, ob die Garage die Voraussetzungen im Hinblick auf Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO a.F. einhält, derzeit nicht beantworten. Zweifel hieran sind angesichts der Ausführungen der Genehmigungsbehörde in dem nach Erteilung der Genehmigung erstellten Vermerk vom 24. November 2020 (BA Bl. 132 f.) veranlasst, wonach eine mittlere Wandhöhe von ca. 3,15 m möglich erscheint. Auch der im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vorgelegte Absteckplan der … M. GmbH vom 8. Juli 2021 (Anlage BGL 23) weist in der nordöstlichen Ecke der geplanten Garage nunmehr einen Höhenpunkt von 677,96 ü.N.N. aus, während sich aus dem genehmigten Plan (vgl. Eingabeplan E-05 vom 10.8.2020) dort ausgehend von dem oberen Bezugs 681,72 ü.N.N. und einer Wandhöhe von 3,36 m ein Höhenpunkt von 678,36 ü.N.N. errechnet. Der nunmehr im Tekturantrag (Anlage BGL 20-7) im Wege der Interpolation ermittelte untere Bezugspunkt im Bereich der nordöstlichen Ecke der Garage läge hingegen bei 678,88 ü.N.N, sodass entweder die Angabe der Wandhöhe oder der obere Bezugspunkt in der Baugenehmigung nicht stimmig ist.
Dieser Mangel der Baugenehmigung kann auch nicht durch die Auflagen in der Baugenehmigung kompensiert werden, da sie ebenfalls auf den natürlichen Geländeverlauf abstellen, der im streitigen Bereich der nordöstlichen Ecke der Grenzgarage nicht mehr vorhanden ist (vgl. auch den Hinweis in Auflage Nr. 1, wonach eine Abnahme nicht erfolgen kann, wenn der in den Ansichtszeichnungen dargestellte Geländeverlauf nicht mit der Örtlichkeit übereinstimmt).
Die anzustellende Interessensabwägung fällt aus den vom Verwaltungsgericht dargestellten Gründen zu Lasten der Beigeladenen aus.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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