Aktenzeichen 6 ZB 21.2951
Leitsatz
Verfahrensgang
AN 3 K 20.1084, AN 3 K 20.1111, AN 3 K 20.1112 2021-09-20 Urt VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 20. September 2021 – AN 3 K 20.1084, 1111 und 1112 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 65.124,66 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, hat keinen Erfolg.
1. Der fristgerecht geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Dieser Zulassungsgrund läge vor, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würden (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642 m.w.N.). Die Richtigkeitszweifel müssen sich auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542 f.; BayVGH, B.v. 15.2.2018 – 6 ZB 17.2521 – juris Rn. 4). Das ist nicht der Fall.
Die beklagte Stadt zog die Klägerin mit Bescheiden vom 20. Juni 2018 für die erstmalige endgültige Herstellung der Erschließungsanlage K … als Eigentümerin von drei an diese Straße angrenzenden Grundstücken zu Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag in Höhe von insgesamt 65.124,66 € heran (FlNr. 430/16: 22.995,58 €, FlNr. 422/8: 14.445,94 € und FlNr. 430/2: 27.683,14 €). Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid der Regierung von Mittelfranken vom 27.5.2020) erhobenen Klagen, die zunächst auf Aufhebung der Vorausleistungsbescheide, nach Erlass der endgültigen Beitragsbescheide auf Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit gerichtet waren, hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Urteil vom 20. September 2021 für unbegründet erachtet und abgewiesen. Bei der rund 1.000 m langen Straße handele es sich um eine einzige durchgehende Erschließungsanlage, die erst durch die jüngsten Baumaßnahmen endgültig hergestellt worden sei. Sie sei trotz einer rund 100 m langen Engstelle im Bereich der klägerischen Grundstücke funktionsfähig. Die Beklagte sei bei Erhebung der Vorausleistungen nicht zu einer gemeinsamen Abrechnung des K …s mit den abzweigenden Straßen M … und F H1.weg verpflichtet gewesen.
Die Einwände, die der Zulassungsantrag den erstinstanzlichen Erwägungen entgegenhält, begründen weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, denen in einem Berufungsverfahren weiter nachzugehen wäre.
a) Nicht überzeugen kann der Einwand, der K … stelle entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts keine einheitliche Erschließungsanlage dar, vielmehr handele es sich bei dem etwa 100 m langen Bereich vor den klägerischen Grundstücken (vom Ellbogental bis zur Kuppe) bei einer Gesamtbetrachtung der maßgeblichen Umstände um eine eigenständige Anlage.
Wie weit eine Straße als einzelne Erschließungsanlage (nunmehr Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB) reicht und wo eine andere Verkehrsanlage beginnt, bestimmt sich grundsätzlich nach dem Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermitteln. Zu fragen ist dabei, inwieweit sich die zu beurteilende Straße als augenfällig eigenständiges Element des örtlichen Straßennetzes darstellt. Deshalb hat sich der ausschlaggebende Gesamteindruck nicht an Straßennamen, Grundstücksgrenzen oder dem zeitlichen Ablauf von Planung und Bauausführung auszurichten, sondern, ausgehend von einer natürlichen Betrachtungsweise, an der Straßenführung, der Straßenlänge, der Straßenbreite und der Straßenausstattung (ständige Rechtsprechung; etwa BayVGH, U.v. 30.11.2016 – 6 B 15.1835 – juris Rn. 23; B.v. 25.3.2019 – 6 ZB 18.1416 – juris Rn. 9).
Gemessen an diesem Maßstab ist das Verwaltungsgericht – nach Beweisaufnahme durch Einnahme eines Augenscheins – mit überzeugenden Gründen davon ausgegangen, dass es sich bei dem etwa 1.000 m langen K … um eine einzige, durchgehende Anbaustraße handelt. Der Zulassungsantrag weist zwar zurecht darauf hin, dass sich die etwa 100 m lange Engstelle im Bereich der klägerischen Grundstücke vom Rest der Strecke unterscheidet. Diese Unterschiede (insbesondere in Straßenbreite und -austattung) mögen zwar mehr oder weniger deutlich hervortreten, sie ergeben aber keine so augenfällige Zäsur, dass sie den Straßenzug in zwei oder gar mehrere eigenständige Anlagen aufspalten. Abgesehen davon, dass der in Rede stehenden Teilstrecke aufgrund ihrer eher geringen Länge kaum eigenständiges Gewicht zukommt, stellt sie sich aus beiden Richtungen als bloße, durch die straßennahe Bebauung und die Grundstückszuschnitte bedingte Engstelle innerhalb eines durchgehenden Straßenzugs dar. Daran ändert auch der Straßenverlauf über eine Kuppe mit einer leichten Schwenkung nach Süden nichts. Das ergibt sich hinreichend deutlich aus den bei den Akten befindlichen Unterlagen, insbesondere den beim gerichtlichen Augenschein gefertigten Lichtbildern, und bedarf keiner weiteren Klärung.
b) Entgegen der Sichtweise der Klägerin gibt es keine stichhaltigen Anhaltspunkte für die Annahme, der K … sei als Erschließungsanlage wegen der Engstelle funktionsunfähig und deshalb nicht beitragsfähig.
Um ihre gesetzliche Funktion („zum Anbau bestimmt“) zu erfüllen, muss die Verkehrsanlage objektiv in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht geeignet sein, den angrenzenden Grundstücken das an verkehrsmäßiger Erschließung zu geben, was für deren Bebaubarkeit oder vergleichbare Nutzbarkeit bebauungsrechtlich erforderlich ist. Das Erschließungserfordernis verlangt im Grundsatz, dass ein Grundstück über eine öffentliche Straße für Kraftfahrzeuge in der Form erreichbar ist, dass an ein Grundstück in tatsächlicher Hinsicht und rechtlich im Rahmen der Widmung für den öffentlichen Verkehr herangefahren werden kann und darf. Dem ist in der Regel und so auch in der vorliegenden Fallgestaltung (eines faktischen allgemeinen Wohngebiets im unbeplanten Innenbereich) genügt, wenn auf der Fahrbahn einer öffentlichen Straße bis zur Höhe des jeweiligen Anliegergrundstücks gefahren und dieses von da aus ohne weiteres betreten werden kann. Da das Heranfahrenkönnen mit Personen- und kleineren Versorgungsfahrzeugen ausreicht, kann in tatsächlicher Hinsicht schon ein Wohnweg mit einer befestigten Breite von nur 2,75 m befahrbar und damit zum Anbau bestimmt sein (vgl. BVerwG, U.v. 4.6.1993 – 8 C 33.91 – BVerwGE 92, 304; s. auch Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 6 Rn. 25 m.w.N.).
Vor diesem Hintergrund führt der Umstand, dass der K … an der Engstelle im Bereich der klägerischen Grundstücke nur zwischen 3,34 m und 4,64 m breit ist, keinen Begegnungsverkehr zulässt und keinen abgetrennten Gehweg aufweist, nicht zur Funktionslosigkeit, wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat. Bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung der Erschließungsanlage sind Engstellen vielmehr grundsätzlich auszublenden (BayVGH, B.v. 23.2.2015 – 6 ZB 13.978 – juris Rn. 16; B.v. 23.11.2020 – 6 ZB 20.2263 – juris Rn. 10). Das gilt auch für den K …, der nach seiner Lage im Straßennetz der Beklagten keine nennenswerte Bedeutung für den innerörtlichen oder gar überörtlichen Durchgangsverkehr hat. Dass die Straße auch von größeren Lastkraftwagen benutzt wird und diese gelegentlich „hängen bleiben“, führt beitragsrechtlich zu keiner anderen Bewertung.
c) Keine ausreichenden Anhaltspunkte sind dafür vorgetragen, dass die Beklagte rechtlich verpflichtet gewesen sein könnte, bereits bei Erhebung der in Streit stehenden Vorausleistungen eine gemeinsame Abrechnung der (voraussichtlichen) Herstellungskosten für den K … und die von diesem abzweigenden Straßen M … und/oder F … nach Art. 5a KAG in Verbindung mit § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB vorzunehmen.
Unterstellt, es bestünde zwischen den in Rede stehenden Straßen ein besonderer funktionaler Zusammenhang als Voraussetzung für die Annahme einer Erschließungseinheit im Sinn von § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB, käme eine Rechtspflicht zur gemeinsamen Abrechnung nur in Betracht, wenn im Zeitpunkt unmittelbar vor der endgültigen Herstellung der ersten Straße absehbar ist, dass bei getrennter Abrechnung der sich für die Hauptstraße (K …) ergebende Beitragssatz voraussichtlich um mehr als ein Drittel höher sein wird als die Beitragssätze für die Nebenstraßen (BVerwG, U.v. 30.1.2013 – 9 C 1.12 – BVerwGE 146, 1 Rn. 20). Hierzu bringt der Zulassungsantrag keine greifbaren Anhaltspunkte vor, zumal der Rechtsstreit nicht die endgültige Beitragserhebung, sondern „nur“ die Erhebung von Vorausleistungen betrifft.
d) Das Verwaltungsgericht hat schließlich zu Recht entschieden, dass die Beitrags- und Vorausleistungserhebung nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil der K … bereits seit mehreren Jahrzehnten angelegt ist.
Die Ausschlussfrist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG war nicht abgelaufen. Nach dieser Vorschrift ist die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig. Ob eine Erschließungsmaßnahme tatsächlich durchgeführt und die Vorteilslage folglich eingetreten ist, beurteilt sich nicht nach – kaum greifbaren – allgemeinen Vorstellungen von einer „Benutzbarkeit“ und „Gebrauchsfertigkeit“ der Anlage oder einer „ausreichenden Erschließung“ der angrenzenden Grundstücke. Beurteilungsmaßstab ist vielmehr die konkrete Planung der Gemeinde für die jeweilige Anlage. Die Vorteilslage tritt nach ständiger Rechtsprechung des Senats bei einer Anbaustraße (erst) dann ein, wenn sie endgültig technisch fertiggestellt ist, das heißt dem gemeindlichen Bauprogramm für die flächenmäßigen und sonstigen Teileinrichtungen sowie dem technischen Ausbauprogramm vollständig entspricht (BayVGH, U.v. 24.2.2017 – 6 BV 15.1000 – juris Rn. 31; U.v. 16.11.2018 – 6 BV 18.445 – juris Rn. 23 m.w.N.). Dabei ist auf die Straße insgesamt abzustellen, hier also auf den gesamten Straßenzug des K …s, nicht nur auf den Bereich der Engstelle vor den klägerischen Grundstücken. Der K … insgesamt wurde aber, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, erst durch die aktuellen Straßenbaumaßnahmen technisch fertiggestellt.
Inwiefern die 25-Jahres-Frist des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG zugunsten der Klägerin einer Vorausleistungs- und Beitragserhebung entgegenstehen könnte, ist weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich. Denn diese Vorschrift, die nicht an den Eintritt der Vorteilslage, sondern bereits an den Beginn der technischen Herstellung einer Erschließungsanlage anknüpft, ist erst am 1. April 2021 in Kraft getreten, also nach Erlass der streitigen Vorausleistungsbescheide und auch der endgültigen Beitragsbescheide. Ein gesetzlich oder verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen darauf, sie schon vor ihrem Inkrafttreten anzuwenden, besteht nicht.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, 52 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).