Baurecht

Ersetzung der vorhandenen Erschließung

Aktenzeichen  6 ZB 19.2115

Datum:
3.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1253
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG Art. 5a
BauGB § 131, § 133

 

Leitsatz

1. Erschließungsbeiträge werden nicht für die erstmalige Erschließung eines Grundstücks erhoben, sondern für die erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage. Deshalb ist es ohne weiteres möglich, dass ein Grundstück für mehrere Anbaustraßen gleichzeitig oder zeitlich aufeinanderfolgend beitragspflichtig wird.  (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Erschließungsbeitragsrecht sieht eine „Saldierung“ des früher gezahlten Erschließungsbeitrags mit dem nunmehr für eine andere Anlage entstehenden Erschließungsbeitrags nicht vor.  (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 28 K 18.1741 2019-07-17 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 17. Juli 2019 – M 28 K 18.1741 – wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 13.078,03 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg‚ weil die innerhalb der Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils, der besonderen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 VwGO) nicht vorliegen.
1. Die Kläger waren für das in ihrem Miteigentum stehende Grundstück von der beklagten Gemeinde mit bestandskräftigem Bescheid vom 18. März 2009 zu einem Erschließungsbeitrag für die Herstellung der Anbaustraße „…“ (FlNr. 452/9) in Höhe von 7.712,99 € (unter Anrechnung einer Vorausleistung) herangezogen worden, an das ihr Grundstück über eine unselbstständige Privatstraße angebunden war. Später stellte die Beklagte zur Erschließung eines mit Bebauungsplan vom 3. September 2015 neu ausgewiesenen Baugebiets auf der nordwestlich angrenzenden Fläche die Straße „…“ (FlNr. 452/27) her, die von der vorhandenen Straße „…“ (FlNr. 452/9) abzweigt, zunächst auf der Trasse der Privatstraße nach Nordwesten verläuft und sich auf Höhe des klägerischen Grundstücks verzweigt, wobei der eine Ast als kurze Stichstraße weiter nach Nordwesten führt und der andere Ast ringförmig auf die Straße … (FlNr. 4…2/9) zurückschwenkt.
Mit dem streitigen Bescheid vom 27. Juli 2015 zog die Beklagte die Kläger für die Herstellung der neuen Straße „…“ (FlNr. 452/27) zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 13.078,03 € heran, wobei sie eine Ermäßigung wegen Mehrfacherschließung nach § 5 Abs. 11 ihrer Erschließungsbeitragssatzung (EBS) ansetzte. Das nach erfolglosem Widerspruch angerufene Verwaltungsgericht hat die Klage gegen diesen Bescheid abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Beitragsfestsetzung sei dem Grunde und der Höhe nach rechtmäßig. Die nunmehr abgerechnete Straße stelle gegenüber der früher abgerechneten Straße eine eigenständige neue Erschließungsanlage (Anbaustraße im Sinn von Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG) dar, die das Grundstück der Kläger nunmehr erschließe. Die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB für eine Zusammenfassung beider Anlagen zur gemeinsamen Aufwandsermittlung und Abrechnung seien entgegen der Auffassung der Kläger nicht erfüllt. Die Beklagte habe auch zu Recht angenommen, dass hinsichtlich des klägerischen Grundstücks jedenfalls eine mit einer Mehrfacherschließung vergleichbare Konstellation vorliege, so dass den Klägern zutreffend eine entsprechende Beitragsermäßigung gewährt worden sei. Die beiden Erschließungsanlagen „…“ hätten dem klägerischen Grundstück nacheinander jede für sich die Bebaubarkeit vermittelt, so dass das Grundstück – wenn auch zeitlich gestaffelt – zweimal erschlossen worden sei.
2. Die von den Klägern gegen das erstinstanzliche Urteil vorgebrachten Einwände rechtfertigen die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 VwGO nicht.
a) An der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Kläger haben weder einen einzelnen tragenden Rechtssatz noch eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt (zu diesem Maßstab BVerfG‚ B.v. 21.1.2009 – 1 BvR 2524/06 – JZ 2009‚ 850/851). Der Senat teilt vielmehr die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der angefochtene Heranziehungsbescheid vom 27. Juli 2015 die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt.
Die Kläger machen unter verschiedenen Stichworten (Einmaligkeit der Beitragserhebung, Mehrfacherschließung, Anlagenbegriff) im Kern geltend, ihre Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für die neue Straße könne nur dann rechtmäßig sein, wenn der von ihnen für die alte Erschließungsanlage gezahlte Beitrag in voller Höhe angerechnet werde; denn es handele sich um einen atypischen Fall, weil die neue Erschließungsanlage die von den Klägern mitfinanzierte Privatstraße ersetzt habe, über die ihr Grundstück von der alten Erschließungsanlage nur mittelbar erschlossen worden sei. Dieser Einwand kann unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt überzeugen und bedarf keiner weiteren Prüfung in einem Berufungsverfahren.
Erschließungsbeiträge werden auf der Grundlage von Art. 5a KAG (i.V.m. §§ 128 ff BauGB) nicht etwa für die erstmalige Erschließung eines Grundstücks erhoben, sondern allein für die erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage. Deshalb ist es ohne weiteres möglich, dass ein Grundstück für mehrere Anbaustraßen gleichzeitig oder zeitlich aufeinanderfolgend beitragspflichtig wird (vgl. OVG NW, B.v. 14.3.2016 – 15 A 1038/15 – juris Rn. 3 f. m.w.N.). Das Erschließungsbeitragsrecht bietet keinen Raum für die Annahme, bei Wegfall einer bislang vorhandenen Erschließung und deren „Ersetzung“ durch die Herstellung einer anderen, das betroffene Grundstück anderweitig neu erschließenden Anbaustraße, liege „per saldo“ keine Veränderung der Erschließungssituation vor, die einen beitragsrelevanten Erschließungsvorteil begründe (vgl. BVerwG, B.v. 14.12.2010 – 9 B 58.10 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist die Heranziehung der Kläger zu einem Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung der neuen Straße „…“ (FlNr. 452/27) nicht zu beanstanden. Bei ihr handelt es sich, wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat, um eine – insbesondere im Vergleich zur vorhandenen Straße „…“ (FlNr. 452/9) – selbstständige Erschließungsanlage, für die nach den allgemeinen gesetzlichen Regeln ein eigener Erschließungsbeitrag zu erheben war. Bei der grundsätzlich maßgeblichen natürlichen Betrachtungsweise stellt sie offenkundig ein eigenständiges Element des örtlichen Straßennetzes der Beklagten dar und nicht lediglich ein bloßes „Anhängsel“ der vorhandenen Straße „…“ (FlNr. 452/9). Jedenfalls aber müsste sie aus Rechtsgründen als eigenständige Erschließungsanlage betrachtet werden, weil sie erst nachträglich angelegt worden ist (dazu etwa BayVGH, B.v. 25.3.2019 – 6 ZB 18.1416 – juris Rn. 9 f. m.w.N.). Ihre erstmalige endgültige Herstellung führt dementsprechend zu einer Beitragspflicht für alle Grundstücke, die von ihr erschlossen (im Sinn Art. 5a Abs. 9 KAG i.V.m. § 131 Abs. 1 Satz 1 und § 133 Abs. 1 BauGB) werden. Dazu gehört ohne jeden Zweifel auch das klägerische Grundstück, das unmittelbar an die neue Straße grenzt und von dieser nunmehr die verkehrsmäßige Erschließung erhält.
Dem Erschlossensein und der damit verbundenen Beitragspflicht steht nicht entgegen, dass das Grundstück der Kläger zuvor bereits anderweitig erschlossen war, nämlich über die – unselbstständige – Privat straße und die bereits 2009 hergestellte Anlage „…“ (FlNr. 452/9), und dass die Privat straße durch die neue Anlage ersetzt worden ist. Denn das Erschließungsbeitragsrecht sieht eine „Saldierung“ des früher gezahlten Erschließungsbeitrags (und des Finanzierunganteils für die Privat straße) mit dem nunmehr für eine andere Anlage entstehenden Erschließungsbeitrags, wie sie die Kläger anstreben, nicht vor.
Ob ein Grundstück durch eine weitere Anbaustraße erschlossen wird, beurteilt sich nach dem gleichen Maßstab, der für die Ersterschließung gilt. Maßgeblich ist nach dem Gesetz allein, ob jede einzelne Anbaustraße für sich, d.h. unabhängig von der jeweils anderen, geeignet ist, das Grundstück nach Maßgabe des Bebauungs- und Bauordnungsrechts bebaubar zu machen. Es muss also bei Prüfung des Erschlossenseins durch eine hinzutretende Anbaustraße die dem jeweiligen Grundstück bereits durch eine bestehende Anbaustraße vermittelte Bebaubarkeit hinweggedacht werden (s. allgemein Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2017, § 13 Rn. 89 f. m.w.N.). Ändert nach dieser „Wegdenkenstheorie“ das Hinzutreten einer – an sich „überflüssigen“ – Zweiterschließung nichts am Vorliegen eines beitragsrelevanten Erschließungsvorteils, so muss das erst recht bei einem Wegfall der Ersterschließung gelten (BVerwG, B.v. 14.12.2010 – 9 B 58.10 – juris Rn. 3). Daher kann eine nachträgliche Veränderung der Erschließungssituation, wie hier durch die Ersetzung der Privatstraße mit einer öffentlichen Anbaustraße, weder die Beitragserhebung für die hinzutretende Erschließungsanlage ausschließen noch nachträglich die früher entstandene – und hier im Übrigen bestandskräftig festgesetzte – Beitragspflicht für die alte Anlage entfallen lassen (vgl. BayVGH, U.v. 23.2.2006 – 6 B 03.371 – juris Rn. 35).
Aus dem Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung können die Kläger nichts für ihre Rechtsansicht herleiten. Dieser Grundsatz besagt lediglich, dass die Beitragspflicht für ein Grundstück bezogen auf die erstmalige Herstellung einer bestimmten Erschließungsanlage nur einmal und in der Höhe unveränderbar entsteht. Er schützt jedoch nicht vor einer (weiteren) Beitragspflicht für die Herstellung einer anderen Verkehrsanlage, die für das Grundstück ebenfalls Erschließungsfunktion hat. Für den Fall einer solchen Mehrfacherschließung sehen die Beitragssatzungen meist – allerdings ohne rechtliche Verpflichtung – in der Verteilungsregelung eine Beitragsermäßigung vor, wie sie hier den Klägern in Anwendung von § 5 Abs. 11 EBS gewährt worden ist, obwohl ihr Grundstück nicht gleichzeitig durch mehrere Anlagen erschlossen wird, sondern „nur“ zeitlich nacheinander durch jeweils eine einzige.
b) Die Berufung ist auch nicht wegen der weiter geltend gemachten besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die aufgeworfenen Fragen lassen sich aus den oben dargelegten Gründen ohne weiteres im Sinn des erstinstanzlichen Urteils beantworten und bedürfen keiner weiteren Klärung in einem Berufungsverfahren.
c) Die Rechtssache hat schließlich nicht die ihr von den Klägern zugemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Frage, „ob in Fällen wie dem vorliegenden eine Mehrfacherschließung vorliegt … oder ob der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung anzuwenden ist mit der Folge, dass der angefochtene Erschließungsbeitragsbescheid rechtswidrig … ist“, rechtfertigt die Berufungszulassung nicht. Abgesehen davon, dass sie nach dem Vorbringen in der Zulassungsschrift einen „völlig atypischen Fall“ trifft, also kaum eine den Einzelfall überschreitende Bedeutung haben kann, ist ein Klärungsbedarf nicht zu erkennen. Denn die Frage ist ohne weiteres aus dem Gesetz mit dem vom Verwaltungsgericht ausgesprochenen Ergebnis zu beantworten.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47‚ § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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