Baurecht

Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens in den Gründen des Baugenehmigungsbescheids für eine Werbeanlage

Aktenzeichen  W 5 K 16.177

Datum:
27.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 36
BayBO BayBO Art. 59 S. 1, Art. 67 Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

Es begegnet keinen verfahrensrechtlichen Bedenken, die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens in den Gründen des Baugenehmigungsbescheids (hier für eine Werbeanlage) vorzunehmen, weil weder § 36 BauGB noch Art. 67 BayBO eine bestimmte Form der Ersetzungsentscheidung vorgeben. Insbesondere muss die Ersetzung des Einvernehmens im Tenor der Baugenehmigung nicht eigens ausgesprochen werden. Vielmehr gilt die Baugenehmigung schon nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 67 Abs. 3 S. 1 BayBO zugleich als Ersatzvornahme. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Kostenbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet.
Die streitgegenständliche Baugenehmigung, die zugleich als Ersatzvornahme i.S.v. Art. 113 GO bezüglich der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens gilt (Art. 67 Abs. 3 Satz 1 BayBO), ist rechtmäßig. Die Klägerin wird durch sie nicht in ihrer durch Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 11 Abs. 2 BV geschützten und einfachgesetzlich durch § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB gewährleisteten kommunalen Planungshoheit verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die verfahrensrechtlichen Vorgaben des Art. 67 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 BayBO wurden gewahrt. In materiell-rechtlicher Hinsicht hält die angefochtene Baugenehmigung die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO zu prüfenden bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvorschriften – auf deren Verletzung sich die Klägerin allein berufen kann – in vollem Umfang ein. Das im Innenbereich geplante Vorhaben ist planungsrechtlich zulässig, weil es seiner Art nach in einem faktischen Mischgebiet bzw. faktischen Dorfgebiet zulässig ist, sich auch im Übrigen in seine nähere Umgebung einfügt und das planungsrechtliche Ortsbild nicht beeinträchtigt (vgl. § 34 Abs. 1, § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 bzw. § 5 und § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO).
1. Die formellen Voraussetzungen für die Ersetzung des Einvernehmens der Klägerin hat das Landratsamt eingehalten.
Die Klägerin wurde durch Schreiben des Landratsamts vom 25. September 2015 (Bl. 41 d. Behördenakte) zur geplanten Ersetzung des Einvernehmens angehört und es wurde ihr Gelegenheit gegeben, sich hierzu zu äußern. Die Klägerin hat daraufhin in der Gemeinderatssitzung am 19. November 2015 erneut ihr gemeindliches Einvernehmen versagt (Bl. 45 f. d. Behördenakte). Der Klägerin ist damit entsprechend Art. 67 Abs. 4 Satz 1 und 2 BayBO angehört und ihr Gelegenheit gegeben worden, binnen angemessener Frist erneut über das gemeindliche Einvernehmen zu entscheiden.
Eine Begründung gemäß Art. 67 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 BayBO zur Ersetzung des Einvernehmens erfolgte im Baugenehmigungsbescheid. Das Landratsamt hat insoweit in der Begründung, welche Bestandteil des Bescheids vom 13. Januar 2016 ist (Seiten 5 und 6 d. Bescheids, vgl. Bl. 54 und 54R der Bauakte) ausgeführt, dass die Klägerin ihr Einvernehmen rechtswidrig versagt habe und der Beigeladenen ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Baugenehmigung zustehe, da es den zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht entgegenstehe. Die gegebene Begründung entspricht den formell-rechtlichen Anforderungen des Art. 67 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 BayBO i.V.m. Art. 39 BayVwVfG, da sie die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe enthält, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Im Übrigen spricht einiges dafür, dass in Fällen, in denen es sich – wie vorliegend – um eine gebundene Entscheidung der Genehmigungsbehörde handelt (s. hierzu unter 6.) eine etwa fehlende oder fehlerhafte Begründung unbeachtlich wäre (vgl. dazu Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Stand: Januar 2017, Art. 67 Rn. 126).
Es begegnet schließlich auch keinen verfahrensrechtlichen Bedenken, die Ersetzung des Einvernehmens – wie hier geschehen – in den Gründen des Bescheids vorzunehmen, weil weder § 36 BauGB noch Art. 67 BayBO eine bestimmte Form der Ersetzungsentscheidung vorgeben (vgl. VG Augsburg, U.v. 18.8.2016 – Au 5 K 14.810 – juris). Insbesondere muss die Ersetzung des Einvernehmens im Tenor der Baugenehmigung nicht eigens ausgesprochen werden (Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 67 Rn. 129; Greim-Diroll in BeckOK BayBO, Stand Juni 2017, Art. 67 Rn. 19). Vielmehr gilt die Baugenehmigung schon nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 67 Abs. 3 Satz 1 BayBO zugleich als Ersatzvornahme. Die Ersatzvornahme ist damit integraler Bestandteil der Baugenehmigung (vgl. Möstl in BayVBl. 2003, 225), weshalb ein ausdrücklicher Ausspruch nicht erforderlich ist.
2. Die Ersetzung des Einvernehmens ist auch in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden, da das Bauvorhaben der Beigeladenen im hier vorliegenden unbeplanten Innenbereich bauplanungsrechtlich zulässig ist (§ 34 Abs. 1 und 2 BauGB).
a) Die geplante Werbeanlage ist vorliegend hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung gem. § 34 Abs. 2 BauGB allgemein zulässig. Ob es sich bei der näheren Umgebung um das Baugrundstück um ein faktisches Mischgebiet oder – wie die Klägerin meint – um ein faktisches Dorfgebiet handelt, muss nicht abschließend entschieden werden. Jedenfalls liegt unstreitig kein Gebiet vor, in dem Anlagen der Fremdwerbung nicht allgemein zulässig wären.
Die nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB maßgebende nähere Umgebung reicht so weit, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann und soweit die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch mit beeinflusst (vgl. BayVGH, B.v. 20.9.2012 – 15 ZB 11.460 – juris Rn. 6). Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich dabei nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74/03 – juris). Prägend für das Baugrundstück kann nicht nur die Bebauung wirken, die gerade in dessen unmittelbarer Nachbarschaft überwiegt, sondern auch diejenige der weiteren Umgebung. Für die räumliche Abgrenzung der näheren Umgebung kann etwa eine natürliche oder künstliche Trennlinie, aber auch eine unterschiedliche Siedlungsstruktur maßgeblich sein (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003, a.a.O.).
Nach diesen Maßstäben ist im vorliegenden Fall als maßgebliche Umgebung die beiderseitige Bebauung der O. D. Straße bis zum Einmündungsbereich der B. Straße am K. Platz anzusehen. Die danach maßgebliche Umgebungsbebauung ist der Art der baulichen Nutzung nach auf Grundlage der Feststellungen im gerichtlichen Augenscheinstermin überwiegend durch Wohnnutzung aber auch durch nicht nur der Gebietsversorgung dienende gewerbliche Nutzungen geprägt. So befindet sich entlang der Ortsdurchfahrt auf dem Anwesen O. D. Straße 17 ein Transportunternehmen und ein Kfz-Reparaturunternehmen (Quad-Tuning und Zubehör), am Anwesen O. D. Straße 6 ein Gerüstbau- und Verputzerbetrieb sowie am Anwesen O. D. Straße 14 ein privater Betrieb, der Oldtimer und Traktoren repariert (vgl. Niederschrift vom 9.5.2017). Angesichts dieser vorhandenen Nutzungen kann von einer nur der Gebietsversorgung dienenden gewerblichen Nutzung und damit von einem Wohngebiet i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 3 oder § 4 BauNVO nicht die Rede sein. In Betracht kommt daher (nur) ein Mischgebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO oder ein Dorfgebiet gem. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO, wobei vorliegend viel für das Vorliegen eines Mischgebiets spricht, zumal nach den Feststellungen im Augenscheinstermin in der näheren Umgebung nur ein einziger landwirtschaftlicher Betrieb vorhanden ist; ansonsten wird die Landwirtschaft derzeit im fraglichen Bereich an keiner Stelle aktiv betrieben. Ob die im Übrigen noch vorhandenen (ehemals) landwirtschaftlichen Gebäude durch Umbau, wie beispielsweise Umwandlung einer Scheune in Wohnungen, gänzlich und auf Dauer einer landwirtschaftlichen Nutzung entzogen sind, kann aber letztlich dahinstehen.
Die geplante Anlage der Fremdwerbung ist ihrer Art nach in dem v.g. Umfeld in jedem Fall zulässig. Werbeanlagen, welche als Außenwerbung der Fremdwerbung zu dienen bestimmt sind, sind als ein Fall der gewerblichen Nutzung zu betrachten (vgl. BVerwG, U.v. 3.12.1992 – 4 C 27/91 – juris). Innerhalb eines faktischen Mischgebiets sind Gewerbebetriebe und damit auch Anlagen der Fremdwerbung allgemein zulässig, weil sie das Wohnen nicht wesentlich stören, § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 1 BauNVO. Anhaltspunkte dafür, dass die Plakatanschlagtafel der Eigenart des Baugebiets widersprechen könnte, bestehen nicht, § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO.
Nichts anderes gilt – entgegen der Rechtsauffassung des Klägerbevollmächtigten –, wenn man davon ausgeht, dass es sich bei der näheren Umgebung um ein faktisches Dorfgebiet handelt. Denn auch in (faktischen) Dorfgebieten sind Fremdwerbeanlagen gem. § 34 Abs. 1 und 2 BauGB i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO ohne jeden Zweifel allgemein zulässig. Der vom Klägerbevollmächtigten ins Feld geführte Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 15. Dezember 1989 (Az. 8 S 3006/89 – VBlBW 1990, 228), wonach sich eine großflächige Werbetafel ihrer Art nach in der Regel nicht in eine durch landwirtschaftliche Hofstellen und Wohngebäude geprägte Umgebung einfüge, betrifft ganz augenfällig die Rechtslage vor Erlass der BauNVO vom 23.1.1990 (BGBl. I 1990, 132) und ist mithin seit langem überholt. Dienten Dorfgebiete nach Maßgabe der Baunutzungsverordnungen 1962, 1968 und 1977 noch „vorwiegend der Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe und dem Wohnen“, so dienen sie seit Inkrafttreten der Baunutzungsverordnung von 1990 (sic) auch der „Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben“ (vgl. § 5 Abs. 1 BauNVO in den jeweiligen Fassungen; s. hierzu auch BayVGH, B.v. 29.6.2015 – 1 ZB 13.1903 – juris Rn. 4). Dorfgebiete weisen (seither) schon nach dieser Charakteristik, einem Mischgebiet vergleichbar, eine gemischte Struktur aus Elementen der Wohnnutzung und der gewerblichen Nutzung auf (vgl. BVerwG, B.v. 7.9.1995 – 4 B 200/95 – NVwZ-RR 1996, 251; vgl. auch: BVerwG, B.v. 4.12.1995 – 4 B 258/95 – UPR 1996, 112; BR-Drs. 354/89 S. 49). Fremdwerbeanlagen sind damit auch in Dorfgebieten ohne weiteres zulässig (so nach der aktuellen Gesetzeslage auch der VGH BW, B.v. 15.2.2017 – 3 S 1748/14 – juris Rn. 42). Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs, des erkennenden Gerichts sowie der übrigen bayerischen Verwaltungsgerichte (vgl. exemplarisch BayVGH, B.v. 20.1.2015 – 15 ZB 13.2245 – BeckRS 2015, 42449; BayVGH, B.v. 29.6.2015 – 1 ZB 13.1903 – juris Rn. 4; VG Würzburg, U.v. 8.5.2014 – W 5 K 12.575 – juris Rn. 32; VG München, U.v. 26.11.2015 – M 11 K 15.815 – juris Rn. 22; VG Ansbach, U.v. 22.11.2016 – AN 9 K 16.00421, AN 9 K 15.02380, AN 9 K 15.02299 – juris Rn. 29; VG Regensburg, U.v. 12.12.2013 – RO 2 K 13.1669 – BeckRS 2013, 59778; VG Augsburg, U.v.. 12.9.2013 – 5 K 12.1588, – BeckRS 2013, 57328).
b) Das Vorhaben fügt sich angesichts seiner geringen Abmessungen auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung ein.
Fügt sich ein Vorhaben seiner Art nach ein, so kommt es im Rahmen der Prüfung, ob es sich auch seinem Maße nach einfügt, nicht mehr erneut auf seine Art an, nämlich darauf, welches Maß von anderen baulichen Anlagen gleicher Art in der näheren Umgebung bereits verwirklicht ist. Für die Beurteilung des Maßes der baulichen Nutzung ist damit nicht auf bereits in der näheren Umgebung vorhandene Werbeanlagen abzustellen. Beurteilungsmaßstab sind vielmehr alle in der näheren Umgebung anzutreffenden baulichen Anlagen, insbesondere auch Gebäude (BayVGH, U.v. 7.7.2004 – 26 B 03.2798 – juris). Es spielt auch keine Rolle, ob die Werbeanlage an einer Hauswand angebracht wird oder frei steht. Eine derartige Differenzierung nimmt weder das Bundesverwaltungsgericht vor, noch ergibt sich eine solche aus dem Gesetz. Großflächige Werbeanlagen für wechselnde Plakatwerbung der üblichen Art liegen allgemein von der Flächengröße in dem Rahmen, der sich aus dem in der Umgebung verwirklichten Maß der baulichen Nutzung ergibt. Sie fügen sich deshalb vom Maß der baulichen Nutzung regelmäßig in die Eigenart der näheren Umgebung ein (vgl. BVerwG, U.v. 15.12.1994 – 4 C 19.93 – juris).
Die streitgegenständliche Werbeanlage hat die Standard-Größe „Euro-Format“ (3,80 m x 2,70 m) und ist in einer Höhe von 0,4 m Höhe freistehend angebracht. Damit überschreitet sie nicht die Ausmaße der Umgebungsbebauung. Da sie außerdem die normalen Ausmaße von Wechselwerbeträgern einhält und in einer Höhe angebracht werden soll, in der sich Werbetafeln üblicherweise befinden, fügt sie sich nach den oben dargelegten Grundsätzen ohne weiteres auch nach ihrem Maß in die Umgebungsbebauung ein.
c) Das streitgegenständliche Vorhaben, das unmittelbar an der Grundstücksgrenze straßenseitig verwirklicht werden soll, fügt sich auch hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die maßgebliche Umgebungsbebauung ein. Insbesondere ist eine faktische (vordere) Baugrenze entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten nicht vorhanden.
Für den Planbereich enthält § 23 BauNVO Regelungen zur überbaubaren Grundstücksfläche. Auch im – hier vorliegenden – unbeplanten Innenbereich kann für das Zulässigkeitsmerkmal „überbaubare Grundstücksfläche“ auf die dort bezeichneten Begriffsbestimmungen von Baulinie, Baugrenze und Bebauungstiefe zurückgegriffen werden, sofern die Eigenart der näheren Umgebung faktisch hiervon geprägt wird (vgl. hierzu BayVGH, Be.v. 12.1.2012 – 15 ZB 10.445 und 28.1.2002 – 20 ZB 01.3161 – beide juris; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: Februar 2017, § 34 Rn. 47). Zwar bezieht sich § 23 Abs. 3 BauNVO, der die Festsetzung einer Baugrenze regelt, ausdrücklich nur auf Gebäude und Gebäudeteile. Unabhängig davon, ob es sich um eine in einem Bebauungsplan festgestellte oder um eine tatsächliche Baugrenze handelt, gilt eine (faktische) Baugrenze aber auch für Werbeanlagen, die – wie im vorliegenden Fall – eine gewerbliche Hauptnutzung darstellen (vgl. VG Augsburg, U.v. 20.3.2013 – Au 4 K 12.1583 – juris).
Vorliegend kommt jedoch eine faktische Baugrenze entsprechend § 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO nicht in Betracht. Dies würde voraussetzen, dass die tatsächlichen Verhältnisse eine einheitliche Linie vorgeben, welche von Gebäude und Gebäudeteilen nicht überschritten wird (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 1). Das ist bereits aus den bei den Behördenakten befindlichen Lageplänen ersichtlich nicht der Fall. Der maßgebliche Bereich reicht insoweit von dem nördlichen Ortsrand von K. entlang der Ortsdurchfahrt bis zum K. Platz (Kreuzung … …straße/B. …straße). Eine faktische Baugrenze lässt sich aus der Bebauung in diesem Bereich aber nicht ableiten. Die Umgebungsbebauung weist keinen einheitlichen Mindestabstand zur vorderen Grundstücksgrenze entlang der Ortsdurchfahrt auf. Vielmehr hat die Kammer im Ortstermin festgestellt, dass in der näheren Umgebung auf beiden Straßenseiten der Ortsdurchfahrt die Bebauung teilweise hinter dem Gehsteig zurück bleibt, teilweise bis an den Gehsteig heranreicht und teilweise auch bis unmittelbar an die Straße (bis auf wenige Zentimeter) reicht. Eine Bebauung bis unmittelbar an die Grundstücksgrenze, wie für das streitgegenständliche Vorhaben geplant ist, findet sich etwa auch auf den Grundstücken Fl.Nrn. 3*, *8, *9, *6, *5 und 9*. Von einer einheitlichen Baugrenze kann demnach nicht die Rede sein.
d) Auch eine Ortsbildbeeinträchtigung i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB, wie sie die Klägerin annimmt, ist nicht zu befürchten.
Das im Baugesetzbuch verankerte und damit den Kompetenztitel des Bodenrechts entstammende Beeinträchtigungsverbot des Ortsbildes erfasst nur solche Beeinträchtigungen, die in der Lage sind, bodenrechtliche Spannungen zu erzeugen. Diese ergeben sich jedoch nicht schon aus jeder ästhetisch unschönen Baugestaltung, sondern nur, wenn eine größere Umgebung der Gemeinde tangiert ist, die über den Umgriff der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB hinausreicht (vgl. BVerwG, U.v. 11.5.2000 – 4 C 14/98 – juris). Bei dem bundesrechtlich geschützten sog. „großen Ortsbild“ kommt es insoweit auf einen zumindest größeren Bereich der jeweiligen Gemeinde an. Entscheidend ist, ob sich das Vorhaben in diese weite Umgebung einpasst. Da die negativen Auswirkungen des Vorhabens den Grad einer Beeinträchtigung erreichen müssen, muss eine Störung eines Gesamtbildes, das durch unterschiedliche Elemente geprägt sein kann, vorliegen. Ferner ist zu beachten, dass nicht jedes Ortsbild schützenswert ist. Vielmehr muss das Ortsbild, um schützenswert zu sein und die Baugestaltungsfreiheit des Eigentümers einschränken zu können, eine gewisse Wertigkeit für die Allgemeinheit haben, einen besonderen Charakter, eine gewisse Eigenheit, die dem Ort oder dem Ortsteil eine über dem Üblichen herausragende Prägung verleiht (vgl. BVerwG, U.v. 11.5.2000, a.a.O.).
Nach diesen Maßstäben ist schon nicht zu sehen, dass das Ortsbild von K. im maßgebenden Bereich eine gewisse Wertigkeit für die Allgemeinheit hätte. Die Umgebung des Standorts ist vielmehr durch ein Ortsbild geprägt, wie es in ländlichen Gemeinden häufiger anzutreffen ist (vgl. BVerwG, U.v. 11.5.2000 – 4 C 14/98 – juris). Der im Ort angelegte R. Weg, welcher die Dauerausstellung zur Geschichte der Juden im Ort ergänzt, kann dem Ortsbild nach dem im Augenscheinstermin gewonnenen Eindruck der Kammer keine ausreichende Aufwertung vermitteln.
Überdies ist das so genannte „große“ Ortsbild durch das Vorhaben ersichtlich nicht berührt. Die Zweckbestimmung von Werbeanlagen liegt darin, auf ihre Werbebotschaft aufmerksam zu machen. Dies erschließt sich auch dem für ästhetische Eindrücke offenen Durchschnittsbetrachter. Werbeanlagen liegt deshalb regelmäßig die Tendenz zugrunde, aus ihrer Umgebung hervorzustechen. Daraus darf aber nicht der Schluss gezogen werden, dass sie ebenso in einem auffälligen Kontrast zu ihrer Umgebung stehen. Ernstliche Anhaltspunkte dafür, die Werbetafel würde ihre Umgebung dominieren, wie die Klägerin offenbar meint, oder als wesensfremdes Gebilde beziehungslos zu ihrer Umgebung stehen, bestehen aus der Sicht des Gerichts insbesondere nach dem im Augenscheinstermin gewonnen Eindruck eindeutig nicht. Dass bislang keine Werbeeinrichtungen im verfahrensgegenständlichen Bereich vorhanden sind, ist für die Beurteilung des Ortsbildes nicht ausschlaggebend (vgl. VG Augsburg, U.v. 7.11.2012 – Au 4 K 12.960 – juris Rn. 30).
e) Weitere öffentlich-rechtliche Vorschriften, insbesondere des Bauordnungsrechts, sind schon aufgrund des Prüfungsmaßstabs des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 BayBO i.V.m. Art. 59 Satz 1 BayBO nicht zu prüfen. Das Landratsamt hat insoweit auch keine Feststellungen in der streitgegenständlichen Baugenehmigung getroffen. Zudem kann die Klägerin bauordnungsrechtliche Vorschriften nicht als zulässige Grundlage der Einvernehmensverweigerung geltend machen (vgl. z.B. Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 67 Rn. 73 und Art. 8 Rn. 258; Molodovsky/Famers, BayBO, Stand Februar 2017, Art. 67 Ziff. 6.5.3).
Im Übrigen bestehen vorliegend keinerlei Anhaltspunkte für eine störende Häufung von Werbeanlagen i.S.d. Art. 8 Satz 3 BayBO, zumal nach dem eigenen Vortrag der Klägerin – abgesehen von der vorhandenen Plakatanschlagtafel in der Ortsmitte – in K. bislang keine weiteren Fremdwerbeanlagen vorhanden sind.
3. Die Klägerin hat ihr Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BauGB damit zu Unrecht verweigert.
Das Landratsamt H. hat das rechtswidrig verweigerte Einvernehmen zu Recht ersetzt, weil der Beigeladenen ein Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung zusteht (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 BayBO). Ein Ermessen der Behörde bestand, da es sich um das gemeindlichen Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB handelt, – entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten – nach dem nunmehr eindeutigen Wortlaut des Art. 67 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 BayBO in der seit 1. Januar 2013 gültigen Fassung („ist“) nicht (vgl. dazu Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 67 Rn. 100; Greim-Diroll in BeckOK BayBO, Art. 67 Rn. 7; Molodovsky/Famers, BayBO, Art. 67 Ziff. 2).
Nach alldem war die Klage mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich somit nicht am Kostenrisiko beteiligt hat, trägt sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO). Der Ausspruch über die sofortige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben