Baurecht

Fehlende Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren

Aktenzeichen  9 N 15.1106

Datum:
18.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2018, 489
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
BauGB § 1 Abs. 7

 

Leitsatz

Wenn eine nur ca. 12 m lange geplante Erschließungsstraße mit Gehweg in eine grüne Wiese “läuft” und eine verkehrliche Nutzung auf diesem Teilstück deshalb nach dem Bebauungsplan nicht stattfindet, kann sich eine etwaige Betroffenheit von Eigentümern, deren Grundstücke nicht im Geltungsbereich des Bebauungsplans liegen, deshalb erst aus einer späteren Planung mit anderem Geltungsbereich realisieren; die Abwägung der betroffenen Eigentümerbelange ist folglich erst in diesem Stadium vorzunehmen (vgl. BVerwG BeckRS 2011, 53550). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Normenkontrollanträge werden abgelehnt.
II. Die Antragsteller zu 1 und 2 tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Antragsteller darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Normenkontrollanträge sind mangels Antragsbefugnis unzulässig.
Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann einen Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder verletzt zu werden. Ist ein Bebauungsplan Gegenstand der Normenkontrolle und der Betroffene nicht Eigentümer von Grundstücken im Plangebiet, so kann die Antragsbefugnis insbesondere aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung der eigenen Belange aus § 1 Abs. 7 BauGB folgen (BVerwG, B.v. 30.11.2016 – 4 BN 16.16 – NVwZ 2017, 563 = juris Rn. 7 m.w.N.).
1. Die Antragsbefugnis der Antragsteller ergibt sich nicht aus einer möglichen Eigentumsverletzung, die grundsätzlich zu bejahen ist, wenn eine planerische Festsetzung den Inhalt des Grundeigentums bestimmt (vgl. BVerwG, B.v. 25.9.2013 – 4 BN 15.13 – BauR 2014, 90 = juris Rn. 2 m.w.N.). Denn die Grundstücke der Antragsteller liegen weder im Geltungsbereich des Änderungsbebauungsplans noch betreffen die Festsetzungen des Änderungsbebauungsplan unmittelbar die Grundstücke der Antragsteller. Hiervon gehen auch die Antragsteller aus (vgl. Antragsbegründung v. 22.5.2015 S. 5).
2. Die Antragsteller können die Antragsbefugnis auch nicht aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung ihrer eigenen Belange nach § 1 Abs. 7 BauGB herleiten.
Zwar reicht es aus, wenn ein Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch den zu prüfenden Rechtssatz in einem subjektiven Recht verletzt wird. Ein verletztes Recht kann auch das in § 1 Abs. 7 BauGB normierte bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot sein. Es verleiht Privaten ein subjektives Recht darauf, dass ihre Belange in der Abwägung ihrem Gewicht entsprechend „abgearbeitet“ werden. Der Antragsteller im Normenkontrollverfahren kann sich deshalb darauf berufen, dass seine abwägungsrelevanten Belange möglicherweise fehlerhaft abgewogen wurden. Drittschützenden Charakter hat das Abwägungsgebot aber nur hinsichtlich solcher privater Belange, die für die Abwägung erheblich sind. Deshalb muss ein Antragsteller, der in einem Normenkontrollantrag eine Verletzung des Abwägungsgebots geltend machen will, einen eigenen Belang als verletzt bezeichnen, der für die Abwägung beachtlich war. Abwägungsbeachtlich sind dabei nur private Belange, die in der konkreten Planungssituation einen städtebaulich relevanten Bezug haben und schutzwürdig sind. Nicht abwägungsbeachtlich sind insbesondere geringwertige oder mit einem Makel behaftete Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren (vgl. BVerwG, B.v. 12.1.2016 – 4 BN 11.15 – ZfBR 2016, 263 = juris Rn. 4 m.w.N.; BVerwG, U.v. 24.9.1998 – 4 CN 2.98 – BVerwGE 107, 215). Abwägungsbeachtliche Belange in diesem Sinn haben die Antragsteller nicht geltend gemacht.
a) Hinsichtlich der Festsetzung eines allgemeinen Wohngebiets für eine Garagenfläche mit vorgelagertem Stauraum machen die Antragsteller schon nicht geltend, in eigenen abwägungsbeachtlichen Belangen verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Davon abgesehen ist auszuschließen, dass das nach den Festsetzungen zulässige Garagengebäude, das Raum für vier Garagenabstellplätze lässt, oder dessen nach § 4 BauNVO i.V.m. § 12 Abs. 2 BauNVO eingeschränkte Nutzung mehr als nur geringfügige nachteilige Auswirkungen auf die Grundstücke der Antragsteller und ihre Nutzung haben könnten.
b) Bei der Festsetzung der „geplanten Erschließungs Straße mit Gehweg“ konnten die geltend gemachten Belange der Antragsteller, von verkehrsbedingten Immissionen und einer Überbelastung der G…straße verschont zu bleiben, außer Betracht gelassen werden, weil das festgesetzte nur ca. 12 m lange Teilstück für die Planung einer möglicherweise künftig in ein angrenzendes Baugebiet führenden Erschließungs Straße für sich keine verkehrliche Funktion hat und demgemäß auch keine dem Verkehr zurechenbaren Beeinträchtigungen zulasten der Antragsteller auslösen wird.
aa) Etwaige künftige Betroffenheiten der Antragsteller im Fall der späteren Erschließung eines etwaigen Baugebiets über die im Änderungsbebauungsplan festgesetzte „geplante Erschließungs Straße mit Gehweg“ hinaus führen auf keinen abwägungsbeachtlichen Belang hin, weil eine Beeinträchtigung der vonseiten der Antragsteller geltend gemachten Belange des Schutzes vor relevantem Verkehrslärm, vor Luftschadstoffen und vor einer Überbelastung der G…straße aufgrund der Festsetzungen des gegenständlichen Änderungsbebauungsplans ausgeschlossen ist.
Die nur ca. 12 m lange „geplante Erschließungs Straße mit Gehweg“ läuft, wie die Antragsteller zutreffend vortragen, „in eine grüne Wiese“. Eine verkehrliche Nutzung findet auf diesem Teilstück der Erschließungs Straße deshalb nach dem gegenständlichen Änderungsbebauungsplan nicht statt (vgl. auch Abwägungs- und Satzungsbeschluss vom 12.1.2015 S. 10, 11). Eine etwaige Betroffenheit der Antragsteller kann sich deshalb erst aus einer späteren Planung mit anderem Geltungsbereich realisieren; die Abwägung der betroffenen Eigentümerbelange ist folglich erst in diesem Stadium vorzunehmen (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.2011 – 4 CN 1.10 – BVerwGE 140, 41 = juris Rn. 20).
bb) Von dem Grundsatz, dass die planende Gemeinde solche Betroffenheiten unberücksichtigt lassen kann, die sich unmittelbar erst in anderen, regelmäßig späteren Planungen mit anderem Geltungsbereich realisieren, ist hier auch keine Ausnahme geboten.
Ein solcher Ausnahmefall liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus Gründen der Effektivität von Abwägungsanspruch und Rechtsschutz des Betroffenen nur vor, „wenn die Betroffenheit im späteren Plangebiet zwangsläufige Folge der vorausgehenden Planung ist“, oder „wenn die spätere Betroffenheit zwar nicht zwangsläufig eintritt, wohl aber Folge des planerischen Konzepts der Gemeinde ist, das der Baugebietsausweisung zugrunde liegt und deshalb als Ausdruck ihrer planerischen Selbstbindung auch in die bauleitplanerische Abwägung einbezogen werden muss“ (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.2011, a.a.O., juris Rn. 20 ff. zum Eigentümerinteresse wegen Inanspruchnahme eines Grundstücks für die verkehrliche Erschließung; im Ergebnis ebs. BayVGH, U.v. 8.11.2011 – 15 N 11.344 – BayVBl 2012, 723 für den Fall einer zu erwartenden zusätzlichen Verkehrslärmbelastung).
Eine etwaige Immissionsbetroffenheit der Antragsteller, die bereits im gegenständlichen Änderungsbebauungsplan zu berücksichtigen wäre, ist weder die zwangsläufige Folge des Änderungsbebauungsplans noch Folge eines planerischen Konzepts der Antragsgegnerin, das eine irgendwie geartete planerische Selbstbindung auslösen könnte. Ausweislich des Planungsziels der Antragsgegnerin, das im Abwägungs- und Satzungsbeschluss vom 12. Januar 2015 dokumentiert wurde, dient die Festsetzung der 7 m breiten und ca. 12 m langen Erschließungs Straße mit Gehweg lediglich als „‘Platzhalter‘, damit eine andere Nutzung dieser Fläche verhindert werden kann“. Eine Verlängerung der G…straße findet deshalb nach den Planvorstellungen der Antragsgegnerin noch nicht statt; hierfür bedarf es nach den Ausführungen der Antragsgegnerin vielmehr einer umfassenden Bauleitplanung, welche derzeit noch nicht angedacht ist. Dabei werde bei einer möglichen Verkleinerung des Baugebiets M… II zu prüfen sein, „inwieweit eine verkehrstechnische Erschließung gebietsverträglich ist“; „auch für diesen Fall wurde die Verkehrsfläche mit einer Breite von 5,5 m Straße und 1,5 m Fußweg festgesetzt“. Weiterhin diene die festgesetzte Verkehrsfläche dafür, dass der im Bebauungsplanentwurf „M… II“ geplante Fußweg mit einer Breite von 2,5 m verwirklicht werden könne. Eine darüber hinausgehende Erschließung des möglichen Bebauungsplangebiets „M… II“ über die G…straße sei demgegenüber nicht zielführend, sofern dieses Baugebiet nicht verkleinert werde (vgl. insgesamt Abwägungs- und Satzungsbeschluss vom 12.1.2015 S. 10, 11).
Diese Überlegungen der Antragsgegnerin zeigen, dass im für die Abwägung maßgebenden Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses (§ 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB) noch völlig offen war, ob und „inwieweit eine Zuwegung überhaupt erforderlich ist“, was zu gegebener Zeit entschieden werde, und die Festsetzung der Erschließungs Straße als Teilstück einer künftigen Straßenplanung lediglich der Freihaltung dieser Fläche von einer anderweitigen baulichen Nutzung dienen soll. Von einem Planungskonzept oder auch nur einer bloßen Planungspräferenz für eine künftige Erschließungs Straße, die das im Änderungsbebauungsplan festgesetzte ca. 12 m lange Teilstück in ein künftiges Baugebiet fortführen soll, kann vor diesem Hintergrund nicht die Rede sein. Selbst Planungspräferenzen der Gemeinde, die sich im Laufe eines Planungsverfahrens erst bewähren müssen, reichen aber nicht für die Annahme eines planerischen Konzepts aus, das Ausdruck einer planerischen Selbstbindung sein könnte (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.2011, a.a.O., juris Rn.22; BVerwG, B.v. 14.7.2005 – 9 VR 23.04 – juris Rn. 5 f., jeweils m.w.N.). Die Antragsteller sind aufgrund der Festsetzung der ca. 12 m langen Erschließungs Straße, die derzeit „in eine grüne Wiese“ läuft, nicht daran gehindert, künftige Planungen der Antragsgegnerin, die das für sich gesehen verkehrlich funktionslose Teilstück zur Erschließung eines künftigen Baugebiets fortführen, mit der Normenkontrolle anzugreifen. Insbesondere hat die Antragsgegnerin mit ihrer Straßenfestsetzung weder einen Zwangspunkt noch eine Planungsbindung geschaffen, denen zufolge die künftige Erschließung eines weiteren Baugebiets über das festgesetzte Straßenstück führen müsste; die Antragsgegnerin hat sich vielmehr sämtliche Optionen – auch die einer künftigen Funktionslosigkeit der Straßenfestsetzung – offen gehalten. Die Effektivität des Rechtsschutzes der Antragsteller gegenüber einer späteren Bauleitplanung ist daher nicht beeinträchtigt.
c) Das Interesse der Antragsteller auf Beibehaltung eines Wendehammers am nordöstlichen Ende der G…straße als deren Abschluss ist als bloße Erwartung an den unveränderlichen Fortbestand einer bestimmten Straßenführung und Straßengestaltung nicht schutzwürdig und damit auch nicht abwägungsbeachtlich.
Insbesondere dient die im Ursprungsbebauungsplan zeichnerisch festgelegte Wendefläche am nordöstlichen Ende der G…straße nicht etwa dem Interesse der Anlieger, von einer künftigen Fortführung der G…straße verschont zu bleiben, sondern entspricht schlicht einer Verkehrsführung, die an den durch den Ursprungsbebauungsplan ausgelösten Bedarf angepasst wurde. Schon in Nr. 6 der Begründung zum Ursprungsbebauungsplan wird ausgeführt, dass die Erweiterung des Baugebiets gemäß Flächennutzungsplan in Richtung Nordosten über die neu geplante G…straße möglich ist.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).


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