Baurecht

Funktionslosigkeit eines Baulinienplans und Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans

Aktenzeichen  2 B 16.1574

Datum:
14.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2016, 115537
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 1 Abs. 3, § 30 Abs. 3, § 31 Abs. 2, § 34 Abs. 1 S. 1
BayBO Art. 71 S. 1

 

Leitsatz

1 Eine bauplanerische Festsetzung tritt wegen Funktionslosigkeit nur dann außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sich die Festsetzung bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und die Erkennbarkeit dieser Tatsache einen Grad erreicht hat, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt (hier verneint für Baulinienplan).  (redaktioneller Leitsatz)
2 Mit den Grundzügen der Planung umschreibt das Gesetz in § 31 Abs. 2 BauGB die planerische Grundkonzeption, die den Festsetzungen eines Bebauungsplans zu Grunde liegt und in ihnen zum Ausdruck kommt. Hierzu gehören die Planungsüberlegungen, die für die Verwirklichung der Hauptziele der Planung sowie den mit den Festsetzungen insoweit verfolgten Interessenausgleich und damit für das Abwägungsergebnis maßgeblich sind. (redaktioneller Leitsatz)
3 Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Veränderung der Planungskonzeption nahe, die nur im Weg der (Um-)Planung möglich ist. Ob eine Befreiung die Grundzüge der Planung berührt oder von minderem Gewicht ist, beurteilt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, nämlich dem im Bebauungsplan zum Ausdruck gebrachten planerischen Wollen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 8 K 14.1480 2015-03-16 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. In Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 16. März 2015 wird die Klage auch hinsichtlich der Beantwortung der Vorbescheidsfragen 3 und 5 im Vorbescheid vom 20. März 2014 abgewiesen. Die Anschlussberufung der Kläger wird zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Kläger als Gesamtschuldner vier Fünftel und die Beklagte ein Fünftel. Die Kläger tragen gesamtschuldnerisch die Kosten der Berufung sowie der Anschlussberufung.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg. Die Klage ist auch hinsichtlich der negativen Beantwortung der Vorbescheidsfragen 3 und 5 im Vorbescheid vom 20. März 2014 unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf eine positive Beantwortung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die zulässige Anschlussberufung der Kläger ist unbegründet, weil ihre Klage hinsichtlich der negativen Beantwortung der Vorbescheidsfragen 2 und 4 zu Recht abgewiesen wurde.
1. Die Beklagte hat die Frage 4 „Ist die Lage auf dem Grundstück wie dargestellt möglich?“ zu Recht verneint. Eine Bebauung widerspricht bauplanerischen Festsetzungen. Eine Befreiung kann nicht erteilt werden.
a) Auf dem Vorhabensgrundstück verläuft im hinteren Bereich eine rückwärtige Baugrenze. Der beantragte Anbau soll vollständig hinter dieser Baugrenze errichtet werden. Die überbaubare Grundstücksfläche bestimmt sich gemäß § 30 Abs. 3 BauGB nach dem gemäß § 173 BBauG 1960 und § 233 Abs. 3 BauGB als einfacher Bebauungsplan übergeleiteten Bauliniengefüge. Regelungen eines auf der Grundlage der Münchner Bauordnung vom 29. Juli 1895 (BayBS II S. 430) erlassenen Baulinienplans gelten als Festsetzungen eines einfachen Bebauungsplans weiter, soweit es sich um verbindliche Regelungen der in § 9 BBauG 1960 bezeichneten Art handelt (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2007 – 2 ZB 05.476 – juris; U.v. 26.10.2004 – 2 B 03.321 – juris; U.v. 11.9.2003 – 2 B 00.1400 – juris).
Die Regelungen des Baulinienplans sind nicht funktionslos geworden. Eine bauplanerische Festsetzung tritt wegen Funktionslosigkeit nur dann außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sich die Festsetzung bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und die Erkennbarkeit dieser Tatsache einen Grad erreicht hat, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt. Entscheidend ist dabei, ob die jeweilige Festsetzung überhaupt noch geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im Sinn des § 1 Abs. 3 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen sinnvollen Beitrag zu leisten (vgl. BVerwG, B.v. 9.10.2003 – 4 B 85.03 – BauR 2014, 1128; BayVGH, B.v. 9.9.2013 – 2 ZB 12.1544 – juris). Dies ist hier der Fall.
Die städtebauliche Funktion des Bauliniengefüges ist es, die rückwärtigen Grundstücksbereiche im Interesse einer Durchgrünung des Geviertsinneren von Bebauung freizuhalten (vgl. BayVGH, B.v. 22.2.2011 – 2 ZB 10.166 – juris). Dieses Ziel wurde bis auf die Ausnahme des Anwesens F.-straße … (FlNr. …) und geringfügige Überschreitungen erreicht. Wie der Senat beim Augenschein festgestellt hat, haben die Anwesen, die das Grundstück der Kläger umgeben, größere Gärten mit Gartenhäuschen und ähnlichem. Allein das rückwärtige Gebäude auf dem Anwesen F.-straße … (FlNr. …) steht im hinteren Bereich; es handelt sich hierbei um ein Wohngebäude mit Erdgeschoss und ausgebautem Dachgeschoss (Niederschrift über den Augenschein vom 5.12.2016, S. 2). Die rückwärtige Bebauung auf dem Grundstück F.-straße … (FlNr. …) ist als Ausreißer nicht geeignet, die Funktionslosigkeit des Bauliniengefüges zu begründen. Unabhängig davon, ob dieses Anwesen ein Fremdkörper ist, stellt es sich als einziger gewichtiger Ausreißer der im Übrigen im nördlichen Bereich des Gevierts weitestgehend intakten rückwärtigen Baugrenze dar. Die übrigen, in der unmittelbaren Umgebung des Vorhabens im nördlichen Geviert vorhandenen Überschreitungen der rückwärtigen Baugrenze (S.-weg, FlNr. …; K.-straße, FlNr. …) sind flächenmäßig absolut untergeordnet oder betreffen relativ geringfügige Überschreitungen durch untergeordnete Nebenanlagen (F.-straße …, FlNr. …). Der Senat teilt die Einschätzung des Erstgerichts, dass diese Überschreitungen nicht geeignet sind, die Wirksamkeit des übergeleiteten Bauliniengefüges in Frage zu stellen. Es kann keine Rede davon sein, dass die Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen ist. Vielmehr leistet die Festsetzung auch heute noch zur städtebaulichen Ordnung einen sinnvollen Beitrag.
Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Beklagte im südlichen Teil des Quartiers mit dem Bebauungsplan Nr. 568 vom 2. April 1970 gemäß § 1 Abs. 3 der Bebauungsplansatzung den Umgriff des gemäß § 173 Abs. 3 BBauG 1960 übergeleiteten Bebauungsplans aufgehoben und eine eigenständige Festsetzung zu den überbaubaren Grundstücksflächen getroffen hat. Denn damit wurde nur im südlichen Teil des Quartiers eine neue städtebauliche Ordnung begründet, die jedoch die städtebaulichen Zielsetzungen im nördlichen Teil des Quartiers und das dort geltende Bauliniengefüge unberührt lässt.
b) Die Kläger haben keinen Anspruch darauf, dass ihnen eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen des Bebauungsplans erteilt wird. Gemäß § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern (Nr. 1) oder die Abweichung städtebaulich vertretbar ist (Nr. 2) oder die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde (Nr. 3), und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Mit den Grundzügen der Planung umschreibt das Gesetz in § 31 Abs. 2 BauGB die planerische Grundkonzeption, die den Festsetzungen eines Bebauungsplans zu Grunde liegt und in ihnen zum Ausdruck kommt (vgl. BVerwG, B.v. 19.5.2004 – 4 B 35.04 – BRS 67, 83). Hierzu gehören die Planungsüberlegungen, die für die Verwirklichung der Hauptziele der Planung sowie den mit den Festsetzungen insoweit verfolgten Interessenausgleich und damit für das Abwägungsergebnis maßgeblich sind (vgl. BayVGH, U.v. 30.3.2009 – 1 B 05.616 – BauR 2009, 1414). Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Veränderung der Planungskonzeption nahe, die nur im Weg der (Um-)Planung möglich ist. Ob eine Befreiung die Grundzüge der Planung berührt oder von minderem Gewicht ist, beurteilt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, nämlich dem im Bebauungsplan zum Ausdruck gebrachten planerischen Wollen.
Gemessen an diesen Vorgaben würde eine Befreiung hier Grundzüge der Planung berühren. Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Befreiung nicht mehr im Bereich dessen läge, was der Planer gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er die weitere Entwicklung einschließlich des Grundes für die Abweichung erkannt hätte (vgl. BVerwG, U.v. 4.8.2009 – 4 CN 4.08 – juris). Insbesondere können sich die Kläger in diesem Zusammenhang nicht auf die rückwärtige Bebauung des Grundstücks F.-straße … (FlNr. …) berufen. Denn dieses stellt sich aufgrund seiner Eingeschossigkeit und seiner Situierung inmitten des Gevierts als Ausreißer dar, der nicht die Kraft hat, die durchweg zweigeschossige und unter weitestgehender Einhaltung des Bauliniengefüges bebaute nähere Umgebung zu prägen. Die Zulassung einer weiteren Hauptnutzung in Form des streitgegenständlichen Bauvorhabens hinter der rückwärtigen Baugrenze könnte nicht mehr als Ausreißer angesehen werden und würde somit im Gegensatz zum Anwesen F.-straße … (FlNr. …) eine Bezugsfallwirkung entfalten. Dies würde die Grundzüge der Planung berühren, da die Beklagte weiteren Bauwünschen jenseits der rückwärtigen Baugrenze nicht mehr entgegentreten könnte.
Die Anwesen S.-weg … (FlNr. …) und … (FlNr. …) spielen für die Frage der Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB keine Rolle, da sie in einem anderen Plangebiet liegen. Gleiches gilt für die Bebauung auf dem Grundstück F.-straße … (FlNr. …). Dabei ist es in diesem Zusammenhang unerheblich, ob der Bebauungsplan Nr. 568 eventuell funktionslos ist. Selbst wenn er funktionslos wäre, hätte dies keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Bauliniengefüges im nördlichen Teil des Quartiers und die Frage der Erteilung einer Befreiung. Denn wie oben dargelegt wurde, ist der übergeleitete Baulinienplan im nördlichen Teil des Quartiers wirksam.
Zudem geht der Senat davon aus, dass zwischen der Bebauung im Gebiet des Bebauungsplans Nr. 568 und der Bebauung im nördlichen Teil des Quartiers auch ein struktureller Unterschied besteht, der trennende Wirkung hat. Denn die Bebauungsdichte im Gebiet des Bebauungsplans Nr. 568 ist viel höher, als im nördlichen Teil des Quartiers, das durch Reihenhäuser, Doppelhäuser und Einfamilienhäuser geprägt ist. Dieser strukturelle Unterschied wird dadurch unterstrichen, dass der große westliche Teil des Grundstücks FlNr. … unbebaut ist und die beiden Gebiete voneinander trennt. Auch von daher kann die Bebauung auf dem Gebiet des Bebauungsplans Nr. 568 keine Auswirkungen auf die Frage der Befreiung haben.
2. Die Frage 2 „Ist das Maß der Nutzung (GRZ, siehe beiliegende Berechnungen) wie in den Plänen dargestellt, planungsrechtlich möglich?“ wurde von der Beklagten ebenfalls zu Recht negativ beantwortet. Dabei ist fraglich, ob die Beklagte und das Erstgericht die Frage richtig dahingehend verstanden haben, dass das Maß der baulichen Nutzung allein anhand der Grundflächenzahl abgefragt werden soll. Nach Art. 71 Satz 1 BayBO ist auf Antrag vor Einreichung des Bauantrags zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens ein Vorbescheid zu erteilen. Bei Fragen zur bauplanungsrechtlichen Bebaubarkeit nach § 34 BauGB kann entweder die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach den §§ 30 ff. BauGB in Form einer „Bebauungsgenehmigung“ abgefragt werden, oder aber es können, sofern sie selbständig prüfungsfähig sind, einzelne Zulässigkeitskriterien des § 34 BauGB, etwa das Maß der baulichen Nutzfläche (vgl. Schwarzer/König, BayBO, 4. Auflage 2012, Art. 71 Rn. 4). Der Senat legt zugunsten der Kläger die Frage 2 so aus, dass das Maß der baulichen Nutzung abgefragt werden soll und der Klammerzusatz „GRZ, siehe beiliegende Berechnungen“ die Frage nach dem Maß der baulichen Nutzung – ohne eine genaue GRZ-Berechnung – lediglich verdeutlicht.
Die so verstandene Frage wurde von der Beklagten im Ergebnis zu Recht verneint. Denn jede Einzelfrage muss einer separaten Entscheidung zugänglich sein (vgl. Decker in Simon/Busse, Bayer. Bauordnung, Stand: Februar 2015, Art. 71 BayBO Rn. 73). Eine Frage ist nur dann als Einzelfrage zulässig, wenn die Frage unabhängig von den sonst gestellten Fragen beantwortet werden kann. Dies ist hier nicht der Fall. Denn das Vorhaben ist als einheitliches Vorhaben anzusehen, das nicht aufgespaltet werden darf (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.1998 – 1 B 93.274 – juris Rn. 41). Die Fragen nach der Situierung des Gebäudes außerhalb des Bauraums (Frage 4) und des Maßes der baulichen Nutzung (Frage 2) außerhalb des Bauraums sind untrennbar miteinander verbunden, da außerhalb des Bauraums überhaupt kein Baukörper zulässig ist. Ein Bauantrag und damit auch die Baugenehmigung sind nur dann teilbar, wenn sie getrennt voneinander genehmigbare Bauteile betreffen (vgl. BayVGH, B.v. 10.2.2014 -2 CS 13.2472 – juris; BayVGH, U.v. 18.4.2013 – 2 B 13.423 – juris). Entsprechendes muss bei einem Vorbescheid gelten, wenn den Fragen ein einheitliches Bauvorhaben zugrunde liegt und mit der negativen Beantwortung einer Frage alle anderen Fragen negativ beantwortet werden müssen. So liegt es hier. Vorliegend ist bei einem Anbau an ein bereits bestehendes Gebäude der Ort des Bauwerks festgelegt. Der Genehmigungsbehörde wurde ein einheitliches Bauvorhaben zur Beurteilung vorgelegt. Dies ergibt sich aus den Akten, in denen als Art des Vorhabens ein Anbau an ein Einfamilienhaus genannt wird. Zur Auslegung der Vorbescheidsfragen dienen die textliche Formulierung der Frage und die Planunterlagen. In den Ansichten und Grundrissen zum Vorbescheidsantrag ist ein einheitlicher Baukörper dargestellt. Ausweislich der vorgelegten Pläne soll der Anbau aus Untergeschoss, Erdgeschoss und Obergeschoss bestehen. Über dem Obergeschoss von Anbau und Bestand soll eine Dachterrasse situiert werden, wobei im Bereich der Dachterrasse über dem Bestand zusätzlich ein Dachgeschoss errichtet werden soll. Durch die Dachterrasse sind im vorliegenden Fall die einzelnen Komponenten – insbesondere das geplante Dachgeschoss mit dem geplanten Anbau – so miteinander verwoben, dass für den Fall der Unzulässigkeit des Anbaus wegen negativer Beantwortung der Frage 4 eine positive Beantwortung etwa hinsichtlich des Teils der Planung, der sich mit der Errichtung des Dachgeschosses befasst, nicht möglich ist. Das Bauvorhaben kann nicht in verschiedene Komponenten aufgespaltet werden. Mithin ist die Frage 2 bereits deshalb negativ zu beantworten, weil die Frage 4 zutreffenderweise negativ beantwortet wurde.
3. Die Beklagte hat die Frage 3 „Ist die in den Plänen dargestellte Höhenentwicklung des Anbaus planungsrechtlich möglich?“ zutreffenderweise verneint.
Ausgehend von dem soeben Dargelegten war auch die Frage 3 zu verneinen. Denn die Frage nach der zulässigen Höhenentwicklung des Anbaus kann ohne die Frage zu dessen Situierung nicht selbständig beantwortet werden. Die Beklagte hat daher zu Recht die Vorbescheidsfrage 3 mit Verweis auf die negative Beantwortung der Vorbescheidsfrage 4 zur überbaubaren Grundstücksfläche negativ beantwortet. Auch hier sind die Fragen nach der Situierung des Gebäudes außerhalb des Bauraums und nach der Gebäudehöhe außerhalb des Bauraums untrennbar miteinander verbunden, weil außerhalb des Bauraums überhaupt kein Baukörper zulässig ist.
4. Die Frage 5 „Ist der in den Plänen dargestellte Dachaufbau planungsrechtlich möglich?“ wurde zu Recht negativ beantwortet. Der auf dem Bestandsgebäude vorgesehene Dachaufbau bzw. das in den Plänen dargestellte Terrassengeschoss mit einer Höhe von 8,73 m stellt sich als planungsrechtlich unzulässig dar. Vorrangig ist bei der Prüfung des Einfügens im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB auf diejenigen Maßkriterien abzustellen, in denen die prägende Wirkung besonders zum Ausdruck kommt. Das ist in Fällen wie diesem vor allem die (absolute) Grundfläche, die Anzahl der Vollgeschosse und die Höhe des Gebäudes (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.1994 – 4 C 17.92 – juris; BayVGH, U.v. 18.12.2009 – 2 B 08.2154 – juris).
Wie oben dargelegt wurde, kann der Anbau nicht außerhalb des Bauraums situiert werden. Denkt man den Anbau hinweg, schließt das Terrassengeschoss auf einer Breite von 5,34 m bündig mit der Ostfassade des Bestandsgebäudes ab. Damit handelt es sich um ein teilweise dreigeschossiges Gebäude mit einer Wandhöhe von bis zu 8,73 m und einem Flachdach. Dieses Bauvorhaben überschreitet den vorgegebenen Rahmen im Sinn des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB.
a) Der maßgebliche Bereich der näheren Umgebung beschränkt sich hier auf die Wohnbebauung im nördlichen Bereich des Gevierts K.-straße, F.-straße, H.-weg und S.-weg sowie die dem Bauvorhaben gegenüberliegende Bebauung. Die Gebäude im Bereich des Bebauungsplans Nr. … sind nicht mehr zum Umgriff der prägenden näheren Umgebung zu zählen. Es handelt sich wegen ihrer im Vergleich zu den nördlichen Gebäuden deutlich größeren Ausmaße, ihrer Massivität und ihrer andersartigen Nutzung um eine Bebauung mit deutlich unterschiedlichem Gepräge. Entlang der F.-straße folgt ein großflächiges Autohaus (Audi und VW) mit Hallen und Bürogebäuden (Niederschrift über den Augenschein vom 5.12.2016, S. 3). Beim Anwesen S.-weg … (FlNr. …) und … (FlNr. …) handelt es sich um ein zweigeschossiges Mehrfamilienhaus mit ausgebautem Dachgeschoss (Niederschrift über den Augenschein vom 5.12.2016, S. 3). Die mit diesem Bebauungsplan beabsichtigten städtebaulichen Zielsetzungen sind noch erkennbar. Sie können sich nicht auf das Bauvorhaben auswirken.
b) Das Bauvorhaben überschreitet sowohl hinsichtlich der Geschossigkeit als auch bezüglich der Wandhöhe den vorgegebenen Rahmen.
aa) Im maßgeblichen Bereich finden sich zweigeschossige Wohngebäude mit einem flachen Walmdach (S.-weg …, FlNr. …). Beim Anwesen S.-weg … (FlNr. …) handelt es sich um ein entsprechendes Gebäude. Die Anwesen S.-weg (FlNr. …) und … (FlNr. …) sind zwei Doppelhaushälften mit jeweils zwei Geschossen und ausgebautem Dachgeschoss. Bei den Anwesen S.-weg, … und … (alle auf FlNr. …) handelt es sich um Reihenhäuser mit zwei Geschossen und ausgebautem Dachgeschoss. Das Anwesen S.-weg … (FlNr. …) ist ein größeres Wohnhaus mit zwei Geschossen und ausgebautem Dachgeschoss. Bei den Anwesen K.-straße … bis … (FlNrn. …, …, …, …, …, …) handelt es sich um zweigeschossige Reihenhäuser. Die Anwesen F.-straße … (FlNr. …) bis … (FlNr. …) stellen zweigeschossige Reihenhäuser dar, wobei bei F.-straße … (FlNr. …) das ausgebaute Dachgeschoss aufgesetzt ist. Bei den Anwesen F.-straße … (FlNr. …) und … (FlNr. …) handelt es sich um zwei Doppelhaushälften mit zwei Geschossen sowie ausgebautem Dachgeschoss. Das Anwesen F.-straße … (FlNr. …) ist ein zweigeschossiges Wohnhaus. Das Anwesen F.-straße … (FlNr. …) stellt ein zweigeschossiges Wohnhaus mit ausgebautem Dachgeschoss dar. Beim Vordergebäude des Anwesens F.-straße … (FlNr. …) handelt es sich um ein kleines eingeschossiges Wohngebäude mit ausgebautem Dachgeschoss und kleinerem Anbau. Auf der gegenüberliegenden Seite des S.-wegs findet sich zweigeschossige Wohnbebauung, teilweise mit ausgebautem Dachgeschoss (Niederschrift über den Augenschein vom 5.12.2016, S. 2 und 3). In der Umgebung sind somit keine dreigeschossigen Baukörper vorhanden. Bereits von daher überschreitet das Bauvorhaben den vorgegebenen Rahmen.
bb) In der näheren Umgebung sind auch keine Wandhöhen von 8,73 m vorhanden. Das Verwaltungsgericht hat zwar zur Begründung seiner Entscheidung auf die Firsthöhen der näheren Umgebung abgestellt. Die Gebäude in der näheren Umgebung weisen danach folgende Höhen auf:
S.-weg … (FlNr. …) Firsthöhe 8,70 m,
S.-weg … (FlNr. …) Firsthöhe 10,50 m,
S.-weg … (FlNr. …) Firsthöhe 10,50 m,
F.-straße … (FlNr. …) Firsthöhe 8,60 m,
F.-straße … (FlNr. …) Firsthöhe 9,55 m,
F.-straße … (FlNr. …) Firsthöhe 9,80 m,
F.-straße … (FlNr. …) Firsthöhe 8,60 m,
F.-straße … (FlNr. …) Firsthöhe 8,60 m,
S.-weg … (FlNr. …) Firsthöhe 8,30 m,
K.-straße … (FlNr. …) Firsthöhe ca. 8,25 m.
Im vorliegenden Fall können Wand- und Firsthöhen aber nicht miteinander verglichen werden. Denn die nähere Umgebung ist von Satteldächern geprägt. Die Wandhöhe liegt bei Satteldächern naturgemäß wesentlich niedriger als bei entsprechenden Flachdächern. Nach der nicht bestrittenen Darlegung der Beklagten beträgt die Wandhöhe in der Umgebungsbebauung 6,00 m bis 6,50 m. Bei Satteldächern ist für die Frage nach dem Einfügen nicht nur auf die Firsthöhe, sondern auch auf die Wandhöhe abzustellen. Es liegt auf der Hand, dass ein Gebäude mit Flachdach bei einer Wandhöhe von 8,73 m wesentlich massiver wirkt, als ein Gebäude mit Satteldach und einer entsprechenden Firsthöhe. Da sich in der näheren Umgebung keine Wandhöhen von 8,73 m finden, überschreitet das Bauvorhaben auch insofern den vorgegebenen Rahmen.
c) Ein Vorhaben kann gleichwohl zulässig sein, wenn es weder selbst noch infolge einer nicht auszuschließenden Vorbildwirkung geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – juris; BayVGH, U.v. 18.12.2009 – 2 B 08.2154 – juris). Die Zulassung des Vorhabens wäre hier geeignet, städtebauliche Spanungen auszulösen. Die Wandhöhe von 8,73 m und die Dreigeschossigkeit würden sich im Osten auf einer Breite von 5,34 m und damit über mehr als die Hälfte der Ostfassade von 9,74 m erstrecken. Das Dachgeschoss wirkt aufgrund seiner Dimensionierung nicht mehr wie ein bloßer Dachaufbau, sondern wie eine neue prägende Wandhöhe. Der Senat ist der Auffassung, dass die Wandhöhe und die Dreigeschossigkeit des Vorhabens bei Bauvorhaben in der für eine Nachverdichtung offenen näheren Umgebung zum Vorbild genommen werden könnten. Insofern besteht die Gefahr, dass das Vorhaben eine ungesteuerte Bezugsfallwirkung auslöst.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 2, § 155 Abs. 1 Satz 1, § 159 Satz 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


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