Baurecht

Funktionslosigkeit von bauplanerischen Festsetzungen zum Schallschutz

Aktenzeichen  1 ZB 15.1038

Datum:
31.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2104
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 24, § 31 Abs. 2

 

Leitsatz

Festsetzungen im Bebauungsplan zum Schallschutz sind nicht mehr erforderlich und damit funktionslos, wenn eine lärmintensive Nutzung nicht mehr ausgeübt wird. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 1 K 14.2363 2015-03-03 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht vorliegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Soweit die Klägerin in wesentlichen Teilen (S. 2, 4. Absatz bis S. 4, 6. Absatz und S. 5, 3. Absatz bis S. 6, 3. Absatz) wörtlich die Ausführungen aus der Klageschrift vom 19. Dezember 2014 (dort: S. 9, 2. Absatz bis S. 12, 2. Absatz) übernimmt, entsprechen diese Darlegungen nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Nicht anders als im Falle einer pauschalen Bezugnahme auf erstinstanzliches Vorbringen fehlt es dabei an der erforderlichen fallbezogenen und substanziellen Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil (vgl. zum Darlegungserfordernis Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, Rn. 194 f., 206 zu § 124a), die es dem Senat erst ermöglicht zu erkennen, welche Argumente der Begründung des erstinstanzlichen Urteils entgegengesetzt werden. Eine erneute Überprüfung identischen Vorbringens unter Außerachtlassung der ergangenen Entscheidung kann die Klägerin nicht beanspruchen. Auch die weiteren Darlegungen sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zu wecken.
Die Klägerin wendet sich als Grundstücksnachbarin eines südlich eines Sportgeländes befindlichen Grundstücks gegen die Genehmigung der im Grundsatz bereits im Bebauungsplan aus dem Jahr 1993 festgesetzten, bisher aber noch nicht errichteten, Lärmschutzwand. Nach den Festsetzungen des Bebauungsplans soll die Lärmschutzwand, die durch eine Zufahrts Straße zum Sportgelände unterbrochen wird, an den nördlichen Grundstücksgrenzen der angrenzenden Wohnbebauung errichtet werden. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin weder durch die angefochtene Baugenehmigung, mit der die Errichtung einer Lärmschutzwand nur für den nördlich des Grundstücks der Klägerin maßgeblichen Bereich genehmigt wurde, noch durch die in diesem Zusammenhang erteilte Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans in ihren Rechten verletzt wird.
Der Einwand der Klägerin, die Beklagte habe das städtebauliche Ziel der Errichtung der im Bebauungsplan vorgesehenen Lärmschutzwand verwirkt, weil diese mehr als zwanzig Jahren nicht verwirklicht worden sei und die nunmehr vorgesehene teilweise Realisierung unter Abweichung von den Festsetzungen im Bebauungsplan erfolgen solle, trifft nicht zu. Damit stellt sie auf eine Funktionslosigkeit der bauplanerischen Festsetzungen ab. Eine bauplanerische Festsetzung tritt erst dann außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt, und wenn diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.1977 – IV C 39.75 – BVerwGE 54, 5). Das gilt auch für Festsetzungen zum Schallschutz nach § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB. Diese sind u.a. nicht mehr erforderlich, wenn eine lärmintensive Nutzung nicht mehr ausgeübt wird. Nach den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts wird das Planungskonzept der im Geltungsbereich des Bebauungsplans befindlichen Sportanlagen – wie auch das vorgelegte neuere Lärmschutzgutachten belegt – aber weiterhin umgesetzt. Dazu verhält die Klägerin sich nicht. Demgegenüber kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Klägerin subjektiv die Errichtung der Lärmschutzwand für erforderlich hält oder nicht.
Im Übrigen besteht kein Anspruch auf Aufhebung der Baugenehmigung, da ein Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erkennbar ist (vgl. BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84 – BauR 1987, 70). Insbesondere werden durch die abweichende Ausführung der Lärmschutzwand die Grundzüge der Planung nicht berührt, da der geringfügig abweichende Verlauf der Lärmschutzwand im Vergleich zu dem im Bebauungsplan festgesetzten Verlauf nicht die planerische Grundkonzeption in Frage stellt (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1999 – 4 B 5.99 – NVwZ 1999, 1110). Der Argumentation des Verwaltungsgericht ist zu folgen, dass die Lagekorrektur der Lärmschutzwand zur Herstellung gleichartiger Grenzabstände vertretbar ist, zumal die im Bebauungsplan festgesetzte leicht schräge Errichtung der Lärmschutzwand weder nach dem damals zugrunde liegenden Lärmschutzgutachten erforderlich noch aus städtebaulichen Gründen geboten war. Durch die geringfügig abweichende Ausführung wird im Ergebnis die planerische Grundkonzeption nicht tangiert (vgl. BVerwG, B.v. 19.5.2004 – 4 B 35.04 – juris Rn. 3 m.w.N.). Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass (antragsgemäß) nur eine teilweise Errichtung der Lärmschutzwand erfolgen soll. Der nachvollziehbaren Begründung des Verwaltungsgerichts, die teilweise Errichtung der Lärmschutzwand sei aufgrund der vorliegenden (trennenden) Zufahrts Straße möglich, vermag die Klägerin nichts entgegenzusetzen. Auch eine Ungleichbehandlung ist insoweit nicht erkennbar. Einer Atypik bedarf es im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1999 a.a.O.; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand August 2017, § 31 Rn. 29 mit Verweis auf BT-Drs. 13/6392 S. 56).
Die Klägerin kann auch aus dem im Verlauf der vergangenen Jahre entstandenen Baum- und Strauchbewuchs im maßgeblichen Bereich sowie im Hinblick auf die vorgetragenen Fledermausbestände nichts zu ihren Gunsten herleiten. Denn es ist nicht Sache der Klägerin, die Einhaltung des Naturschutzes oder des Artenschutzes zu verfolgen. Insoweit handelt es sich um Rechtsmaterien, die ausschließlich im Interesse der Allgemeinheit und nicht im spezifischen Interesse der Nachbarn stehen. Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen hat die Beklagte aber unter Bezugnahme auf die naturschutzrechtliche Stellungnahme vom 12. Januar 2015 dargelegt, dass etwaige Belange des Artenschutzes durch die Lärmschutzwand bzw. durch die Befreiung nicht beeinträchtigt werden. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Entfernung des entstandenen Baum- und Strauchbewuchs bei jeder Umsetzung des Vorhabens – unabhängig von einem geringfügig abweichenden Verlauf der Lärmschutzwand – erfolgen müsste.
Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 1 sowie § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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