Baurecht

Gebot der Rücksichtnahme, Gebietserhaltungsanspruch, Gebietsprägungserhaltungsanspruch, Posterioritätsgrundsatz

Aktenzeichen  W 4 S 21.40

Datum:
4.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 14177
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 30
BauNVO § 15

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Landratsamtes M. vom 19. August 2020, mit dem der Beigeladenen zu 1) die Baugenehmigung zum Neubau eines Wohnhauses mit fünf Wohneinheiten auf dem Grundstück Fl.Nr. …, O.-straße … in O., Ortsteil E., erteilt wurde.
Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. …, Gemarkung E.  Unmittelbar daneben, in südwestlicher Richtung, liegt das Baugrundstück.
Im Gegensatz zum Grundstück der Antragsteller befand sich das Baugrundstück ab dem 31. August 1995 randlich im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Zwischen den Wegen und Bangert“, der als Gebietsart ein allgemeines Wohngebiet festsetzte. Der damals auf dem Baugrundstück noch bestehende Rinderstall war als Bestand mit der Geschossigkeit E+1 festgesetzt. Die max. Anzahl zulässiger Wohnungen war auf vier Wohneinheiten je Grundstück festgesetzt.
Seit dem Inkrafttreten des einfachen Bebauungsplans „Ortsmitte“ am 16. April 1998 befindet sich das Baugrundstück in dessen Geltungsbereich und ist dort als Dorfgebiet (MG 2) mit einer Grundflächenzahl von max. 0,6 und einer Geschossigkeit von zwei Vollgeschossen zuzüglich Dachgeschoss (II+D) ausgewiesen.
Mit Bauantrag vom 17. April 2020 beantragte die Beigeladene den Neubau eines Wohnhauses mit fünf Wohneinheiten in zwei Vollgeschossen und einem als Vollgeschoss ausgebildeten Dachgeschoss sowie mit zehn Stellplätzen.
Die Stadt O. erteilte am 14. Mai 2020 hierzu das gemeindliche Einvernehmen.
Mit Bescheid vom 19. August 2020 erteilte das Landratsamt M. die beantragte Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren.
Unter dem 24. September 2020 ließen die Antragsteller Klage erheben, welche beim Verwaltungsgericht Würzburg unter dem Az. W 4 K 20.1398 geführt wird und über die noch nicht entschieden ist.
Zusätzlich ließen die Antragsteller durch ihre Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 8. Januar 2021 beantragen,
die Vollziehung der Baugenehmigung des Antragsgegners vom 19. August 2020 auszusetzen und zur Sicherung der Rechte der Antragsteller die Bauarbeiten zu stoppen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, das geplante Mehrfamilienhaus mit fünf Wohneinheiten verstoße gegen das Gebot der Rücksichtnahme, da es erdrückend wirke. Da gleich drei Stellplätze neben dem Mehrfamilienhaus angrenzend an das Grundstück der Antragsteller bei lediglich knapp 12 m Abstand zur Bebauung angeordnet seien, ergebe sich im Vergleich zu der im Plangebiet sonstigen Emissionsbelastung durch An- und Abfahrtsverkehr eine bisher nicht dagewesene Lärmbelästigung. Im Übrigen sei das Gebiet von Ein- und Zweifamilienhäusern geprägt. Das geplante Gebäude mit fünf Wohneinheiten und zehn Stellplätzen sprenge den vorherrschenden Charakter des Gebiets. Schließlich vertrete die Bauaufsichtsbehörde fälschlicherweise die Rechtsauffassung, dass der einfache Bebauungsplan „Ortsmitte“ gelte. Tatsächlich befinde sich das Grundstück im Gültigkeitsbereich des Bebauungsplans „Zwischen den Wegen und Bangert“.
Der Antragsgegner beantragte,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Vertreter der Beigeladenen zu 1) beantragte ebenso,
den Antrag zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren und im Verfahren W 4 K 20.1398 sowie auf die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag ist unbegründet.
Die Kammer sieht nach einer einem Eilverfahren wie diesem angemessenen summarischen Prüfung (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581) im Rahmen der von ihr eigenständig zu treffenden Ermessensentscheidung keine Notwendigkeit für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gemäß § 80a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, bzw. wie von den Antragstellern begehrt, für die Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung und die Einstellung der Bauarbeiten.
Der angefochtene Baugenehmigungsbescheid vom 19. August 2020 erweist sich nach der im Rahmen der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig und verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 212a Abs. 1 BauGB i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO hat die Anfechtungsklage von Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht der Hauptsache kann in einem solchen Fall auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage aufgrund einer eigenen, originären Ermessensentscheidung ganz oder teilweise anordnen. Hierbei hat das Gericht eine Interessenabwägung vorzunehmen, bei der sich das Suspensivinteresse des Nachbarn und das Interesse des Bauherrn, von der Baugenehmigung sofort Gebrauch zu machen, grundsätzlich gleichwertig gegenüberstehen.
Bei der Entscheidung über den Antrag nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO ist in erster Linie auf die Erfolgsaussichten des Nachbarrechtsbehelfs abzustellen. Fällt die Erfolgsprognose zu Gunsten des Nachbarn aus, erweist sich die angefochtene Baugenehmigung also nach summarischer Prüfung gegenüber dem Nachbarn als rechtswidrig, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig auszusetzen (BayVGH, B.v. 12.4.1991 – 1 CS 91.439 – BayVBl 1991, 720). Hat die Anfechtungsklage des Nachbarn – wie hier – mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, so ist das im Rahmen der vorzunehmenden und zu Lasten der Antragsteller ausfallenden Interessenabwägung ein starkes Indiz für ein überwiegendes Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris).
Gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Bei dem streitgegenständlichen Vorhaben handelt es sich nicht um einen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO, sodass sich der Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde aus Art. 59 BayBO ergibt.
Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung können sich Dritte gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit auf der Verletzung öffentlich-rechtlicher Vorschriften beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind, weil dieser in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise in einem schutzwürdigen Recht betroffen ist (vgl. BVerwG, U.v. 26.9.1991 – 4 C 5/87 – BVerwGE 89, 69; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris).
Auf Grund der vorliegenden Unterlagen und Pläne ist die Kammer nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Auffassung, dass die angefochtene Baugenehmigung keine Nachbarrechte der Antragsteller verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Fasst man die Schriftsätze des Antragstellervertreters im vorliegenden Verfahren, wie auch im Klageverfahren zusammen, so sind es im Wesentlichen drei Einwendungen, die die Antragsteller gegen das Bauvorhaben vortragen. Sie meinen einerseits, tatsächlich sei nicht der Bebauungsplan „Ortsmitte“, sondern der Bebauungsplan „Zwischen den Wegen und Bangert“ vorliegend maßgeblich, was die Behörde verkannt habe. Des Weiteren berufen sie sich auf das Gebot der Rücksichtnahme. Schließlich meinen sie, dass das Gebiet vorliegend von Ein- und Zweifamilienhäusern geprägt sei und das geplante Gebäude hinsichtlich seiner Ausmaße und Ausgestaltung den vorherrschenden Charakter des Gebiets sprenge.
Mit diesen Einwendungen vermögen die Antragsteller allerdings nicht durchzudringen, da eine Verletzung nachbarschützender Normen zugunsten der Antragsteller bei der hier gebotenen summarischen Überprüfung nicht gegeben ist.
2. Soweit die Antragsteller zunächst vortragen, vorliegend sei nicht der Bebauungsplan „Ortsmitte“, sondern der Bebauungsplan „Zwischen den Wegen und Bangert“ anzuwenden, kann dem seitens der Kammer nicht gefolgt werden. Der Antragsgegner weist zurecht darauf hin, dass das streitgegenständliche Baugrundstück sich zwar ab dem 31. August 1995 randlich im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Zwischen den Wegen und Bangert“ befunden hat, es sich aber seit dem Inkrafttreten des einfachen Bebauungsplans „Ortsmitte“ am 16. April 1998 nunmehr im Geltungsbereich dieses Bebauungsplans befindet. Es gilt der gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtssatz, dass die spätere Norm die frühere verdrängt. Wird also der Geltungsbereich eines vorhandenen Bebauungsplans durch einen neuen Bebauungsplan überplant, tritt grundsätzlich der vorhandene Bebauungsplan mit Inkrafttreten eines neuen Bebauungsplans außer Kraft (vgl. BVerwG v. 10.8.1990 – 4 C 3/90 – E 85, 289 = DÖV 1991, 123). Es bedarf demgemäß auch keines besonderen Aufhebungsverfahrens oder eines auf Aufhebung des bisherigen Bebauungsplans gerichteten Satzungsbeschlusses (BVerwG, a.a.O.). Voraussetzung ist allerdings, dass der planenden Gemeinde sowie allen Verfahrensbeteiligten in allen Stadien des Verfahrens zur Aufstellung des neuen Bebauungsplans bewusst ist, dass ein alter Bebauungsplan vorhanden ist und dieser nicht gelten soll. Fehlt es hieran, kann die Neuplanung an einem Abwägungsmangel gemäß § 1 Abs. 7 BauGB leiden, denn die Neuplanung kann bestehende Rechte und Belange berühren oder verändern. Ein solcher Fall ist vorliegend allerdings nicht gegeben. Bereits die Begründung des Bebauungsplans zeigt, dass sich der Plangeber durchaus bewusst war, dass ein rechtskräftiger Bebauungsplan besteht, der in den Geltungsbereich des neuen Bebauungsplans „Ortsmitte“ mitaufzunehmen sei, um ein konsequent strukturiertes Nutzungskonzept für den Ortskernbereich entwickeln zu können.
3. Die Antragsteller können sich auch nicht auf den Gebietsprägungserhaltungsanspruch berufen. Unter dem Begriff des Gebietsprägungserhaltungsanspruchs wird in der jüngeren Rechtsprechung der Anspruch eines Nachbarn gegen eine schleichende Veränderung des Gebietscharakters durch Vorhaben diskutiert, die zwar an sich im Gebiet zulässig wären, aber gleichwohl als gebietsunverträglich beurteilt werden, weil sie der allgemeinen Zweckbestimmung des maßgebenden Baugebietstyps zuwiderlaufen bzw. weil sie aufgrund ihrer typischen Nutzungsweise störend wirken (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris, Rn. 9, m.w.N.). Da vorliegend das Bauvorhaben des Beigeladenen die Errichtung von Wohnungen zu Wohnzwecken betrifft und keinerlei Anhaltspunkte für eine andere Nutzungsweise bestehen, ist ein Widerspruch zum Zweck des Bebauungsplans nicht erkennbar. Demnach kann auch dahingestellt bleiben, ob und unter welchen genauen Voraussetzungen ein solcher Gebietsprägungserhaltungsanspruch überhaupt anzuerkennen ist, wo er gegebenenfalls dogmatisch einzuordnen ist und ob ihm unmittelbarer Drittschutz zukommt.
4. Auch eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs scheidet vorliegend aus. Der Gebietserhaltungsanspruch ist darauf gerichtet, dass sich ein Nachbar in einem Baugebiet i.S.v. § 1 Abs. 2 und 3 BauNVO auch ohne konkrete Beeinträchtigung gegen die Zulassung einer in dem Baugebiet gebietswidrigen Nutzung wenden kann. Diese weitreichende nachbarschützende Wirkung beruht auf der Erwägung, dass die Grundstückseigentümer durch die Lage ihrer Grundstücke in demselben Baugebiet zu einer Gemeinschaft verbunden sind, bei der jeder in derselben Weise berechtigt und verpflichtet ist (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.2007 – 4 B 55/07 – juris; BayVGH, B.v. 29.4.2015 – 2 ZB 14.1164 – juris).
Die offensichtlich jeweils mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücke der Antragsteller und das Baugrundstück liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Ortsmitte“. Dieser sieht für den betreffenden Bereich als Art der baulichen Nutzung ein Dorfgebiet (MD 2) mit einer Grundflächenzahl von max. 0.6 und einer Geschossigkeit von zwei Vollgeschossen zuzüglich Dachgeschoss (II+D) vor. In einem Dorfgebiet sind gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 BauNVO sonstige Wohngebäude allgemein zulässig. Das der Beigeladenen genehmigte Wohnhaus mit fünf Wohneinheiten stimmt somit mit den Festsetzungen des Bebauungsplans zur Art der baulichen Nutzung überein. Der Gebietserhaltungsanspruch ist deshalb nicht verletzt.
5. Schließlich ist nach der im vorliegenden Verfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung auch eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme, wie es vorliegend in den Regelungen des § 31 Abs. 2 BauGB, § 15 Abs. 1 BauNVO sowie des Art. 63 Abs. 1 BayBO zum Ausdruck kommt, zu verneinen (grundlegend hierzu BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22/75 – BVerwGE 52, 122). Das Gebot der Rücksichtnahme soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten. Die an dieses Gebot zu stellenden Anforderungen hängen im Wesentlichen von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die dem Antragsteller aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihm als Nachbarn billigerweise noch zumutbar ist (Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Aufl. 2016, § 35 Rn. 78).
In der Rechtsprechung ist insbesondere anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78; B.v. 20.9.1984 – 4 B 181/84; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – alle juris). Ob dies der Fall ist, hängt ganz wesentlich von der konkreten Situation im Einzelfall ab.
Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich das Bauvorhaben der Beigeladenen in seinen Auswirkungen auf die Nachbargrundstücke der Antragsteller im Ergebnis nicht als rücksichtslos. Eine solche erdrückende Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78, DVBl. 1981, 928 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85, NVwZ 1987, 34 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; vgl. auch BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770, BayVBl. 2009, 751 – juris Rn. 23; B.v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris Rn. 21). Ein solcher Fall ist offensichtlich nicht gegeben, zumal, wie oben gezeigt, die Beigeladene, was von den Antragstellern auch nicht bestritten wird, die Abstandsflächen eingehalten hat und, was von den Antragstellern ebenso nicht bestritten wird, der Abstand von der Grundstücksgrenze des Baugrundstücks bis zum Wohnhaus O* …straße … zwischen 12 m und 13 m beträgt. Dass das auf dem Grundstück der Antragsteller stehende Wohngebäude durch den geplanten Neubau „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird, ist nicht ersichtlich. Insoweit scheidet eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots nach Auffassung des Gerichts bei der vorliegend gebotenen summarischen Überprüfung aus.
Darüber hinaus gibt das Gebot der Rücksichtnahme den Nachbarn auch nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sichtachsen von ihrem Grundstück aus verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17). Eine Veränderung der Verhältnisse durch ein Vorhaben, das den Rahmen der Umgebungsbebauung wahrt und städtebaulich vorgegeben ist, ist aber regelmäßig als zumutbar hinzunehmen (BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 6). Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben stellt sich das Bauvorhaben der Beigeladenen unter den Gesichtspunkten der Belichtung, Belüftung, Besonnung und des sozialen Wohnfriedens auch nicht als unzumutbar dar. Eine solche Unzumutbarkeit wird von den Antragstellern auch nicht substantiiert dargelegt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem weiteren Vortrag des Antragstellervertreters, das Gebot der Rücksichtnahme werde jedenfalls deshalb verletzt, da gleich drei Stellplätze neben dem geplanten Mehrfamilienhaus angrenzend an das Grundstück der Antragsteller geplant seien.
Grundsätzlich hat ein Grundstücksnachbar die Errichtung notwendiger Garagen und Stellplätze für ein Wohnbauvorhaben und die mit ihrem Betrieb üblicherweise verbundenen Belastungen durch Kraftfahrzeuge des Anwohnerverkehrs sowohl tagsüber, als auch nachts – vorbehaltlich besonderer Verhältnisse im Einzelfall – als sozialadäquat hinzunehmen, wie sich schon der gesetzlichen Wertung des § 12 Abs. 2 BauNVO unschwer entnehmen lässt (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 30.7.2019 – 15 CS 19.1227 – juris Rn. 20). Ein besonderer Ausnahmefall kann vorliegend schon aufgrund des oben bereits angesprochenen Abstands nicht angenommen werden und wird auch sonst nicht vom Antragstellervertreter substantiiert dargelegt.
6. Da folglich keine Verletzung nachbarschützender Vorschriften vorliegt, wird die Hauptsacheklage der Antragsteller voraussichtlich erfolglos bleiben. Damit überwiegt auch unter Berücksichtigung der Gesamtumstände das Interesse des Beigeladenen an der sofortigen Vollziehbarkeit der ihm erteilten Baugenehmigung das Aussetzungsinteresse der Antragsteller. Der Antrag ist daher abzulehnen.
7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO. Da die Beigeladene zu 1) im Verfahren einen eigenen Antrag gestellt hat, entspricht es der Billigkeit, dass die Antragsteller auch deren außergerichtliche Kosten zu tragen haben (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben