Baurecht

Herstellungsbeiträge für Wasserversorgungs- und Entwässerungsanlage

Aktenzeichen  M 10 K 16.5347

Datum:
1.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AO AO § 119 Abs. 1, § 169 Abs. 1 S. 1, § 170 Abs. 1
BGS/WAS § 3 Abs. 2, § 15
BGS/EWS BGS/EWS § 6, § 16
KAG Art. 5 Abs. 2, Abs. 6, Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 lit. b, Nr. 4 lit. b

 

Leitsatz

1 Grundsätzlich sind bei Wohnungs- und Teileigentum nach Art. 5 Abs. 6 S. 2 KAG die einzelnen Wohnungs- und Teileigentümer zwar nur entsprechend ihrem Miteigentumsanteil beitragspflichtig. Liegen jedoch alle WEG-Anteile in einer Hand und besteht „in der Summe“ die Beitragspflicht bei einem Schuldner, wäre die Forderung nach gesplitteten Festsetzungen entsprechend den Miteigentumsanteilen reine „Förmelei“. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Behörde erlangt erst dann positive Kenntnis von Tatsachen, die den Erlass eines Verwaltungsaktes rechtfertigen, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zum Erlass berufene Beamte oder ein sonst innerbehördlich zur rechtlichen Überprüfung des Verwaltungsaktes berufener Amtswalter die den Erlass des Verwaltungsaktes rechtfertigenden Tatsachen feststellt (Anschluss an BayVGH BeckRS 2005, 28958). (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Bescheide der Beklagten vom 19. September 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … vom 20. Oktober 2016 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Beklagte hat die Klägerin zu Recht zu einem zusätzlichen Herstellungsbeitrag für die Wasserversorgung in Höhe von 9.385,52 Euro (brutto) und für die Entwässerungseinrichtung in Höhe von 26.084,02 Euro herangezogen.
1. Rechtsgrundlage für die Festsetzung der streitgegenständlichen Beiträge ist Art. 5 Bayerisches Kommunalabgabengesetz (KAG) in Verbindung mit der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung (BGS/WAS) der Stadt … vom 7. Juli 2000 in der Fassung vom 29. Juni 2005 bzw. mit der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung (BGS/EWS) der Stadt vom 7. Juli 2000 in der Fassung vom 6. Februar 2006. Für das anwendbare Satzungsrecht maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt der Entstehung der (zusätzlichen) Beitragsschuld, hier folglich die Fertigstellung der An- und Umbaumaßnahmen des Gewerbegebäudes …-straße 19 am 1. Juli 2009 (vgl. die Anzeige der Klägerin über die Nutzungsaufnahme an die untere Bauaufsichtsbehörde im Landratsamt …*).
Bedenken gegen die Wirksamkeit der BGS/WAS oder der BGS/EWS jeweils vom 7. Juli 2000 sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere ist die Bemessung des Beitrags nach der Grundstücksfläche und der Geschossfläche der vorhandenen Gebäude (vgl. § 5 BGS/WAS 2000 und § 5 BGS/EWS 2000) gemäß Art. 5 Abs. 2 KAG nicht zu beanstanden. Auch die der Veranlagung zu Grunde gelegten Beitragssätze gemäß § 6 BGS/WAS bzw. § 6 BGS/EWS wurden nicht gerügt.
Die Beklagte ist zum Vollzug dieser städtischen Satzungen ermächtigt. Auf der Grundlage ihrer Unternehmenssatzung für das Kommunalunternehmen Stadtwerke … vom 30. November 2011 (UntS) hat die Stadt … gemäß Art. 23 Satz 1, 86 Nr. 2, 89 Abs. 3 und 4 Gemeindeordnung (GO) und der Verordnung über Kommunalunternehmen (KUV) erstmals mit Wirkung ab dem 1. Januar 2012 die Aufgaben der Wasserversorgung und der Entwässerung der Beklagten übertragen und sie berechtigt, an ihrer Stelle Satzungen für diese Bereiche zu erlassen und zu vollziehen (§ 2 Abs. 1, 5 UntS). Nach § 11 UntS tritt die Beklagte im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in alle bestehenden Rechte und Pflichten des bisherigen Eigenbetriebs der Stadt … ein, die im Zusammenhang mit den übertragenen Aufgaben stehen.
2. Die Vorschriften der BGS/WAS sowie der BGS/EWS in der jeweils maßgeblichen Fassung wurden in den angefochtenen Bescheiden fehlerfrei vollzogen.
Die Bescheide vom 19. September 2016 sind jeweils hinreichend bestimmt im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG i.V.m. § 119 Abs. 1 Abgabenordnung (AO). Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Bestimmbarkeit der zum Beitrag herangezogenen Geschossflächen, die durch den An- und Umbau des Gewerbegebäudes …-straße 19 mit Verwaltung, Ausstellung und Betriebsinhaberwohnung auf dem Grundstück hinzugekommen sind. Insoweit reicht es aus, wenn – wie hier – aus dem Bescheid oder aus ihm beigefügten oder in der Behördenakte befindlichen Aufmaßblättern entnehmbar ist, welche Geschossflächen veranlagt wurden.
Auch inhaltlich wurde der Umfang der nach § 5 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 5 Satz 2 BGS/WAS bzw. BGS/EWS zum Beitrag herangezogenen Geschossflächenvergrößerung von insgesamt 1.213,21 qm (Erd-, Ober- und Dachgeschoss) nicht beanstandet.
Die Klägerin war bei Fertigstellung der An- und Umbaumaßnahme am 1. Juli 2009 Eigentümerin des Grundstücks Flur-Nr. … Gemarkung … und damit Schuldnerin der durch die Geschossflächenerweiterung zusätzlich entstandenen Beiträge (§ 5 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 3 Abs. 2 und § 4 BGS/WAS bzw. BGS/EWS).
Auch wenn zu diesem Zeitpunkt das Grundstück möglicherweise bereits in Miteigentumsanteile nach dem Wohnungseigentumsgesetz geteilt war, durfte die Veranlagung jeweils in einem einheitlichen Bescheid an die Klägerin erfolgen. Grundsätzlich sind bei Wohnungs- und Teileigentum nach Art. 5 Abs. 6 Satz 2 KAG die einzelnen Wohnungs- und Teileigentümer zwar nur entsprechend ihrem Miteigentumsanteil beitragspflichtig (grundlegend: BayVGH, U.v. 12.1.1990 – 23 B 88.01295 – juris). Dies gilt auch für eine durch Erfüllung des Nacherhebungstatbestandes entstandene Beitragspflicht (BayVGH a.a.O. juris Rn. 24 f.). Liegen jedoch – wie hier – alle WEG-Anteile in einer Hand und besteht „in der Summe“ die Beitragspflicht bei einem Schuldner, wäre die Forderung nach gesplitteten Festsetzungen entsprechend den Miteigentumsanteilen reine „Förmelei“.
3. Der Beitragserhebung durch die Beklagte steht auch nicht der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen.
Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb KAG i.V.m. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Beitragsfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist beträgt gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Sp. Straße 3 KAG i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 1 AO vier Jahre. Sie beginnt nach § 170 Abs. 1 AO grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Beitrag entstanden ist; wenn allerdings die Forderung im Zeitpunkt des Entstehens aus tatsächlichen Gründen noch nicht berechnet werden kann, beginnt sie erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Berechnung möglich ist (Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. cc Sp. Straße 1 KAG).
Vorliegend war die Festsetzungsfrist für den nachzuerhebenden Geschossflächenbeitrag bei Erlass der streitigen Beitragsbescheide am 19. September 2016 noch nicht abgelaufen, weil sie in ihrem Anlauf gehemmt worden ist.
In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 4.3.1988 – 23 B 87.02994 – BayVBl 1989, 17; B.v. 28.7.1999 – 23 ZB 99.1553 – juris) hat die Stadt … in § 15 BGS/WAS 2000 und in § 16 BGS/EWS 2000 die Abgabeschuldner verpflichtet, ihr für die Höhe der Schuld maßgebliche Veränderungen unverzüglich zu melden und über den Umfang dieser Veränderungen Auskunft zu erteilen.
Dieser Anzeigenpflicht hat die Klägerin nach Fertigstellung des An- und Umbaus des Gewerbegebäudes …-straße 19 im Jahre 2009 unstreitig nicht genügt, so dass nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. cc Sp. Straße 1 KAG die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahrs beginnen konnte, in dem der Stadt … bzw. der Beklagten als ihrer Rechtsnachfolgerin die Berechnung der Forderung möglich war.
Die Berechenbarkeit in diesem Sinne ist nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung erst dann möglich, wenn beim Einrichtungsträger positive Kenntnis vom Vorliegen von Nacherhebungstatbeständen gegeben ist.
Eine Behörde erlangt aber erst dann positive Kenntnis von Tatsachen, die den Erlass eines Verwaltungsaktes rechtfertigen, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zum Erlass berufene Beamte oder ein sonst innerbehördlich zur rechtlichen Überprüfung des Verwaltungsaktes berufener Amtswalter die den Erlass des Verwaltungsaktes rechtfertigenden Tatsachen feststellt (BayVGH, B.v. 28.7.1999 – 23 ZB 99.1553 – juris Rn. 4 f.; BayVGH, U.v. 20.2.1991 – 4 B 87.3487 – NVwZ-RR 1992, 451; BVerwG, B.v. 19.12.1984 – GrSen 1/84, GrSen 2/84 – NJW 1985, 819; vgl. auch VG München, U.v. 24.3.2011 – M 10 K 09.5883 u.a. – juris Rn. 37).
Vorliegend hat zur Überzeugung des Gerichts der zuständige Sachbearbeiter der Beklagten erst 2016 tatsächliche positive Kenntnis von der beitragspflichtigen Geschossflächenerweiterung auf dem klägerischen Grundstück erlangt.
Die Genehmigung der von der Klägerin eingereichten Entwässerungsplanung, in der der streitgegenständliche Anbau dargestellt war, erfolgte durch die Stadt … als Rechtsvorgängerin der Beklagten mit Bescheid vom 30. Juni 2008, mithin noch vor der Baugenehmigung. Allein aus der Planung konnte die Stadt nicht auf die tatsächliche Durchführung und Fertigstellung der Baumaßname schließen.
Die Anzeige über die Nutzungsaufnahme war allein an das Landratsamt … in seiner Funktion als untere Bauaufsichtsbehörde (vgl. Art. 78 Abs. 2 Bayerische Bauordnung -BayBO-), nicht aber an die Stadt … gerichtet.
Auch im Zusammenhang mit dem Schreiben der Stadt vom 25. Februar 2011 an die Klägerin ergibt sich nicht, dass der oder die für die Beitragserhebung nach der BGS/WAS bzw. BGS/EWS zuständige städtische Mitarbeiter positiv von der beitragspflichtigen Geschossflächenmehrung infolge der vollendeten Baumaßnahme auf dem klägerischen Grundstück wusste.
In dem Schreiben ging es um die Forderung des Dichtigkeitsnachweises nach § 12 EWS betreffend die gesamte auf den Grundstücken Flur-Nr. … und Flur-Nr. … Gemarkung … bestehenden Grundstücksentwässerungsanlage, insbesondere die Dichtheit aller dort verlegten Schmutzwassergrundleitungen und Schächte.
Nach § 9 Abs. 2 EWS ist die Grundstücksentwässerungsanlage vom jeweiligen Grundstückseigentümer nach den satzungsrechtlichen Bestimmungen und den allgemein anerkannten Regeln der Technik, insbesondere den technischen Bestimmungen der DIN-Normen, herzustellen, zu betreiben, zu verbessern, zu erneuern, zu ändern und zu unterhalten. Flankierend hierzu sieht § 12 EWS im Sinne des Umwelt- und v.a. Gewässerschutzes eine Verpflichtung der Eigentümer zu einer regelmäßigen bautechnischen Überprüfung ihrer Grundstücksentwässerungsanlagen durch eine Fachfirma vor (Eigenüberwachung).
Nach der schlüssigen und nachvollziehbaren Darstellung der Beklagten waren bzw. sind mit dem Vollzug dieser bautechnischen Anforderungen nach den §§ 9 ff. EWS Mitarbeiter der technischen Abteilung der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin, namentlich der Dipl.-Ing. Herr K., betraut. Dieser hat nach den Angaben der Beklagten in der mündlichen Verhandlung mit dem kaufmännischen Bereich, also der Beitragserhebung, nichts zu tun.
Eine solche Aufspaltung eines Aufgabenbereichs in „Technik“ und „Verwaltung“ innerhalb einer Behörde ist insbesondere mit Blick auf die unterschiedlichen Anforderungen an die Qualifikation der Mitarbeiter – gerade im Baubereich – durchaus üblich. Selbst wenn Herr K. also im Zusammenhang mit der Forderung des Dichtheitsnachweises und ggf. auch durch Ortsbegehungen von der Fertigstellung des An- und Umbaus des Gewerbegebäudes …-straße 19 wusste, kommt es mangels seiner innerbehördlichen Zuständigkeit nicht entscheidungserheblich auf seine eventuelle positive Kenntnis an.
Eine positive Kenntnis des zuständigen Verwaltungssachbearbeiters lässt sich auch nicht aus dem aus dem Ausdruck aus dem Geoinformationssystem der Stadtwerke, welcher dem Schreiben der Stadt vom 25. Februar 2011 beigefügt war, herleiten. Zwar war in diesem Lageplan der „Anbau …str. 19“ tatsächlich unstreitig dargestellt.
Zum einen erfolgte der Ausdruck jedoch im Zusammenhang mit der Forderung des Dichtheitsnachweises des Grundstücksentwässerungsanlage durch die technische Abteilung der Stadtwerke.
Zum anderen reicht die bloße Kenntnismöglichkeit des zuständigen Sachbearbeiters nach der dargestellten Rechtsprechung gerade nicht aus. Die Beklagte hat vorgetragen, dass das Geoinformationssystem auf Daten des Vermessungsamts beruhe, die viermal jährlich aktualisiert und automatisch in das Programm der Stadtwerke eingespielt würden; ein Abgleich von Veränderungen könne seitens der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin schon vor dem Hintergrund von mehr als 5.000 Baugrundstücken in der Stadt … nicht stattfinden, und selbst wenn wäre aus dem Plan nicht ersichtlich, ob ein ggf. neu hinzugekommenes Gebäude beitragspflichtig oder – wie etwa eine Lagerhalle – beitragsfrei wäre. Diese Argumentation ist schlüssig und nachvollziehbar.
Im Ergebnis ist somit davon auszugehen, dass der für den Vollzug der Beitragssatzungen zuständige Sachbearbeiter der Beklagten erst bei einer Ortsbesichtigung des streitgegenständlichen Grundstücks im Juli 2016 positive Kenntnis von der Fertigstellung der Baumaßnahme als die Beitragserhebung rechtfertigenden Tatsache erlangte.
Die Festsetzungsfrist begann folglich erst mit Ablauf des 31. Dezember 2016. Die Beitragsfestsetzungen in den Bescheide vom 19. September 2016 waren rechtzeitig.
4. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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