Baurecht

Herstellungsbeitrag für die öffentliche Entwässerungseinrichtung

Aktenzeichen  M 10 K 19.1886

Datum:
13.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 7933
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 88, § 113 Abs. 1 S. 1,§ 124, 124 a Abs. 4, § 154 Abs. 1, § 167 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
BGS/EWS § 5 Abs. 2 S. 4
RDGEG § 3, § 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 27. März 2019 wird insoweit aufgehoben, als ein Beitrag über 4.003,82 EUR hinaus festgesetzt worden ist.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

1. Die Klage richtet sich nach dem ausdrücklichen Rechtsschutzbegehren der Klägerin (§ 88 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) nur insoweit gegen den Bescheid der Beklagten vom 27. März 2019, als darin aufgrund der Berücksichtigung der Durchfahrt bei der Beitragsberechnung ein Herstellungsbeitrag für die öffentliche Entwässerungseinrichtung über 4.003,82 EUR hinaus festgesetzt worden ist.
2. Insoweit ist die Klage zulässig und vollumfänglich begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27. März 2019 ist in dieser Hinsicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Unabhängig von Fragen der Wirksamkeit der zugrunde liegenden Satzungen scheidet eine Heranziehung der Durchfahrt mit 33,03 m² als beitragspflichtige Geschossfläche im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 BGS/EWS jedenfalls aus, da die Durchfahrt nach § 5 Abs. 2 Satz 4 BGS/EWS als selbstständiger Gebäudeteil ohne Anschlussbedarf und ohne tatsächlichen Anschluss anzusehen ist. Der Herstellungsbeitrag war demgemäß um 589,58 EUR (33,03 m² x 17,85 EUR/Beitragssatz gemäß § 6 Abs. 1b) BGS/EWS) zu mindern. Der angefochtene Bescheid war daher insoweit aufzuheben, als ein Herstellungsbeitrag über 4.003,82 EUR hinaus festgesetzt wurde.
Nach § 5 Abs. 2 Satz 4 BGS/EWS werden Gebäude oder selbstständige Gebäudeteile, die nach der Art ihrer Nutzung keinen Bedarf nach Anschluss an die Schmutzwasserableitung auslösen oder nicht angeschlossen werden dürfen, nicht herangezogen; das gilt nicht für Gebäude oder selbstständige Gebäudeteile, die tatsächlich eine Schmutzwasserableitung haben.
a) Selbstständige Gebäudeteile sind nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. grundlegend: BayVGH, U.v. 17.7.2002 – 23 B 02.594 – BeckRS 2002, 26664 Rn. 27) solche Gebäudeteile, die baulich und funktionell vom restlichen Gebäude abgegrenzt sind. Der selbstständige Gebäudeteil kann sowohl vertikal wie auch horizontal vom Rest des Gebäudes abgegrenzt sein. Selbstständig sind jedenfalls funktionell unterschiedlich genutzte Gebäudeteile, die etwa durch Brandwände abgeteilt sind und über einen eigenen Zugang verfügen.
Bei Garagen, die mit Wohnhäusern verbunden sind, lässt eine Tür in der Garage, die eine Verbindung zu den Wohnräumen schafft, die Selbstständigkeit der Garage grundsätzlich entfallen (BayVGH, B.v. 30.12.2004 – 23 ZB 04.2995 – BeckRS 2004, 34192; BayVGH, U.v. 1.3.2012 – 20 BV 11.2536 – BeckRS 2012, 51969). Garage und Wohnhaus haben in einem solchen Fall einen funktionellen Zusammenhang, insbesondere da sich Einkaufsgut einfacher ins Wohnhaus verbringen lässt und bei ungünstiger Witterung ein leichterer Zugang zum Haus besteht.
In anderen Fällen wird dagegen angenommen, dass bauliche Verbindungen von Gebäudeteilen oder Gebäuden, die funktionell nicht notwendig sind, die Selbstständigkeit des Gebäudeteils nicht aufheben (vgl. BayVGH, B.v. 14.11.2005 – 23 ZB 05.2520 – BeckRS 2005, 39658 zu einem Parkdeckgebäude, das über einen Zugang zu einem direkt angebauten Kaufhaus verfügt; BayVGH, U.v. 21.10.2003 – 23 BV 03.940 – BeckRS 2003, 31484 zu Hackschnitzellagerhallen; s. auch den Grenzfall BayVGH, B.v. 17.1.2007 – 23 ZB 06.2936 – BeckRS 2007, 28981 zu einem Getränkemarkt mit angeschlossenem Lager). Eine funktionelle Trennung zwischen den Gebäudeteilen kann so stark sein, dass eine gleichwohl vorhandene bauliche Verbindung in den Hintergrund tritt (vgl. hierzu: Wuttig/Thimet, Gemeindliches Satzungsrecht und Unternehmensrecht, Stand: Oktober 2019, Teil IV, Frage 27, Nr. 3.3.1).
Im konkreten Fall geht es um eine Pkw-Durchfahrt, bei der wegen der auf dem klägerischen Grundstück anderweitig ausreichend vorhandenen Stellplätze (vgl. den genehmigten Bauplan) nicht von einer Garagennutzung auszugehen ist. Auf eine solche Durchfahrt ist insbesondere die vorgenannte Rechtsprechung zu Garagen nicht unmittelbar anwendbar. Einschlägige diesbezügliche Rechtsprechung existiert, soweit ersichtlich, nicht.
Unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Maßstäbe, die sich aus der oben dargestellten Rechtsprechung entnehmen lassen, ist die Pkw-Durchfahrt vorliegend als selbstständiger Gebäudeteil im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 4 BGS/EWS anzusehen.
Zwar bewirken die zwei Türen zu den Wohngebäuden, die in die Seitenwände der Durchfahrt eingelassen sind, einen baulichen Zusammenhang zwischen den Wohneinheiten und der Durchfahrt, zumal dadurch eine Durchgangsmöglichkeit zwischen den beiden Wohngebäuden geschaffen wird.
Aber diese bauliche Verbindung zwischen Durchfahrt und Wohngebäuden ist funktionell nicht notwendig und tritt überdies angesichts der starken funktionellen Trennung von Durchfahrt und Wohngebäuden in den Hintergrund. Vorliegend haben die Wohngebäude und die Durchfahrt verschiedene, voneinander abgrenzbare und nicht aufeinander bezogene Funktionen. Die Durchfahrt ist von ihrem Zweck her gerade nicht auf eine bestimmte Nutzung bezogen. Sie soll gerade für die Pkw-Durchfahrt freigehalten werden. Der Durchfahrtsbereich ist nicht funktionell mit den Wohngebäuden verbunden, da er dazu dient, in den hinteren Teil des Gartens (zu dem Nebengebäude) zu gelangen. Hier verhält es sich gerade anders als in den Fällen der Garagen, die durch eine Tür mit einem Wohnhaus verbunden sind; bei diesen besteht der oben beschriebene funktionelle Zusammenhang zum Wohnhaus. Für eine funktionelle Trennung von Wohnen und Durchfahrt spricht vorliegend auch, dass sich die Hauseingangstüren nicht im Durchfahrtsbereich befinden (in diese Richtung auch die – nicht unmittelbar einschlägigen – Beispiele zu einem Durchgang zwischen Garage und Wohngebäude bei Wuttig/Thimet, a.a.O., Abbildungen 9, 10). Hinzu kommt, dass die Türen keinen bestimmungsgemäßen Durchgang zwischen den Wohnräumen der verschiedenen Wohneinheiten ermöglichen, da jeweils Funktionsräume dazwischen liegen.
Der Annahme der Selbstständigkeit der Durchfahrt steht vorliegend auch nicht entgegen, dass die Durchfahrt nach ihrem äußeren Erscheinungsbild in die Wohngebäude integriert und optisch nicht als selbstständiger Gebäudeteil wahrnehmbar ist (vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 14.11.2005, a.a.O.).
b) Der selbstständig zu beurteilende Durchfahrtsbereich löst nach der Art seiner Nutzung auch keinen Anschluss an die Schmutzwasserableitung aus und ist auch nicht tatsächlich angeschlossen (§ 5 Abs. 2 Satz 4 Hs. 2 BGS/EWS).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung fußt auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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