Baurecht

Kein Bebauungszusammenhang bei nicht angrenzendem Grundstücks

Aktenzeichen  15 ZB 20.1949

Datum:
13.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28629
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, § 35 Abs. 2, § 35 Abs. 3 Nr. 5, 7
BayBO Art. 71 S. 1

 

Leitsatz

Ein Baugrundstück nimmt am Bebauungszusammenhang nicht teil, wenn es nicht unmittelbar an den Planbereich angrenzt, sondern durch ein unbebautes Grundstück davon getrennt ist und etwas abgesetzt vom Planbereich liegt. (Rn. 8 – 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 6 K 19.875 2020-07-07 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Berufungszulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt die Erteilung eines Vorbescheids für den Neubau eines Wohnhauses mit Garage auf FlNr. … Gemarkung D … (Baugrundstück).
Die Beigeladene verweigerte bezüglich der Bauvoranfrage vom 7. September 2018 die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens, da das Vorhaben im Außenbereich liege und öffentliche Belange beeinträchtige. Der Bebauungsplan „D … – S …straße Teilabschnitt 1“ umfasse das Grundstück nicht. Der mögliche Teilabschnitt 2 des Bebauungsplans, der das Grundstück des Klägers erfassen würde, sei bisher nicht verwirklicht worden. Mit Bescheid vom 10. April 2019 stellte das Landratsamt Landshut (im Folgenden: Landratsamt) fest, das Bauvorhaben sei nicht zulässig. Zur Begründung führte das Landratsamt aus, das Vorhaben liege im Außenbereich und sei nicht genehmigungsfähig. Die Gemeinde habe ihr Einvernehmen verweigert. Anhaltspunkte dafür, dass dies rechtswidrig sein könnte, lägen nicht vor.
Die Klage auf Erteilung des Vorbescheids hat das Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 7. Juli 2020 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten Bauvorbescheids, weil der geplante Neubau eines Wohnhauses mit Garage bauplanungsrechtlich unzulässig sei. Das Grundstück liege im Außenbereich. Das Vorhaben beeinträchtigte die natürliche Eigenart der Landschaft und ihres Erholungswerts und lasse die Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt. Es treffe zwar zu, dass das streitgegenständliche Grundstück nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans liege, es seien aber sämtliche Versorgungseinrichtungen vorhanden und der Flächennutzungsplan weise ein allgemeines Wohngebiet aus. Das Grundstück liege im Innenbereich, da die Gemeinde fast alles gemacht habe, um einen fertigen Bebauungsplan vorlegen zu können. Die Sichtweise des Verwaltungsgerichts, aufgrund der eingesehenen Luftbilder und Lagepläne sei es zur Überzeugung gelangt, dass das Grundstück im Außenbereich liege, verbiete sich. Das Grundstück sei in die Beurteilung der Ortsteileigenschaft einzubeziehen, weil der städtebaulich maßgebliche Zusammenhang nicht unterbrochen werde. Maßgeblich sei, dass ein nach der Zahl seiner Bauten nicht ungewichtiger Bebauungszusammenhang Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur sei. Die im nördlichen Bereich des Ortsteils D … entstandene Siedlungsstruktur entspreche einer solchen organischen Siedlungsstruktur. Aus welchen Gründen eine Splittersiedlung entstehen oder sich verfestigen sollte, werde im Urteil nicht hinreichend begründet. Um den Ortsteil D … herum seien eine Vielzahl von Splittersiedlungen erkennbar, die keinerlei Beziehung zu einem Ortsteil hätten. Etwas weiter östlich habe der Beklagte an der Straße B … eine Vielzahl von Ein- und Zweifamilienhäusern zugelassen. Die geplante Erweiterung der bereits vorhandenen Struktur in der S …straße stelle jedenfalls keine Splittersiedlung dar.
Die Beigeladene hat sich nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Mit der Antragsbegründung, auf die sich gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Prüfung im Zulassungsverfahren beschränkt (BayVerfGH, E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI-04 – VerfGHE 59, 47/52; E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 124a Rn. 54), werden die geltend gemachten Berufungszulassungsgründe nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Solche Zweifel liegen (nur) vor, wenn der Rechtsmittelführer einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453.12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16; B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587.17 – DVBl 2019, 1400 Rn. 32 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall.
Soweit der Kläger einwendet, das Baugrundstück liege im Innenbereich, sein Vorhaben sei daher nach § 34 BauGB genehmigungsfähig und der beantragte Vorbescheid müsse ihm nach Art. 71 Satz 1 BayBO erteilt werden, kann dem nicht gefolgt werden. Die Anwendbarkeit des § 34 BauGB setzt über das Vorliegen eines Ortsteils hinaus voraus, dass das betreffende Vorhaben innerhalb des im Zusammenhang bebauten Ortsteils verwirklicht werden soll. Ortsteileigenschaft und Bebauungszusammenhang sind zwei verschiedene Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 34 BauGB (vgl. Söfker in Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand Mai 2020, § 34 Rn. 18). Ein Ortsteil ist dabei jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist (Söfker a.a.O. Rn. 14). Der Bebauungszusammenhang im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB reicht dann so weit, wie die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Dabei muss das betreffende Grundstück selbst einen Bestandteil des Zusammenhangs bilden (Söfker a.a.O.). Darüber, wo die Grenze des Bebauungszusammenhangs verläuft, ist nicht nach geographisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden, die gesamten örtlichen Gegebenheiten erschöpfend würdigenden Bewertung des konkreten Sachverhalts zu befinden. Eine unbebaute Fläche ist – als „Baulücke“ – Teil des Bebauungszusammenhangs, wenn sie von der angrenzenden zusammenhängenden Bebauung so stark geprägt wird, dass die Errichtung eines Gebäudes auf dieser Fläche als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung erscheint. Am Ortsrand endet der Bebauungszusammenhang – unabhängig vom Verlauf der Grundstücksgrenzen – grundsätzlich hinter dem letzten Gebäude (vgl. BVerwG, B.v. 18.6.1997 – 4 B 238.96 – ZfBR 1997, 324 = juris Rn. 4; B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – ZfBR 2016, 67 = juris Rn. 5 f.; BayVGH, B.v. 18.2.2019 – 15 ZB 18.2509 – juris Rn. 7 m.w.N.). Ob die Grundstücke erschlossen sind, spielt dabei keine Rolle.
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben bestehen keine Zweifel an der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass das Baugrundstück im Außenbereich liegt. Unabhängig davon, ob es sich bei dem mit dem qualifizierten Bebauungsplan „D … – S …straße Teilabschnitt 1“ überplanten und mit sieben Wohnhäusern bebauten Bereich überhaupt um einen Ortsteil i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB handelt (vgl. Söfker a.a.O. Rn. 14, 27), nimmt das Baugrundstück am Bebauungszusammenhang nicht teil, denn es grenzt schon nicht unmittelbar an den Planbereich an, sondern ist durch ein unbebautes Grundstück (FlNr. …) davon getrennt und liegt etwas abgesetzt vom Planbereich. Es handelt sich daher gerade nicht um eine Baulücke, die den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit nicht unterbricht. Ob es sich bei den Wohngebäuden auf den Grundstücken an der östlichen Seite der S …straße von FlNr. … bis …, ggf. in Zusammenschau mit dem Plangebiet, um einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil handelt, kann ebenfalls dahinstehen, denn das Baugrundstück wäre auch nicht Teil dieses Bebauungszusammenhangs. Es liegt nicht an der S …straße an, sondern ist von der S …straße durch einen mindestens ca. 15 m breiten bewachsenen Grünstreifen auf FlNr. … getrennt. Auch in dieser Richtung fehlt es daher an einem Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit. Ob der Bebauungszusammenhang im südlichen Teil der S …straße schon mit dem Gebäude auf FlNr. … oder erst weiter südlich beginnt, kann ebenfalls offenbleiben. Denn zwischen dem Baugrundstück und der FlNr. … liegt auf FlNr. … ein Feld, das den Bebauungszusammenhang auf jeden Fall unterbricht.
Auch die weiteren Einwände des Klägers können die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass es sich um eine Außenbereichslage handelt, nicht erschüttern. Dass das Landratsamt möglicherweise an anderer Stelle (B …) von einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil ausgegangen ist und die Errichtung von Wohnhäusern genehmigt hat, führt nicht dazu, dass auch das Baugrundstück als Innenbereichslage zu beurteilen wäre.
Auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, das Vorhaben sei im Außenbereich nicht nach § 35 Abs. 2 BauGB genehmigungsfähig, da öffentliche Belange i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 und 7 BauGB beeinträchtigt seien, hat der Kläger nicht substantiiert in Zweifel gezogen. Selbst wenn es sich bei der Bebauung im Plangebiet des Bebauungsplans „D … – S …straße Teilabschnitt 1“ um einen Ortsteil handeln sollte, ist die Ausweitung eines solchen Ortsteils in den Außenbereich hinein ein Vorgang der städtebaulich unerwünschten, unorganischen Siedlungsweise, die zu vermeiden ein öffentlicher Belang i.S.d. § 35 Abs. 2 und 3 BauGB ist (vgl. BayVGH, B.v. 12.5.2017 – 15 ZB 16.1567 – juris Rn. 39 m.w.N.). Auch die möglicherweise in der Straße B … im Außenbereich zugelassene Bebauung kann nicht dazu führen, dass das klägerische Vorhaben genehmigt werden könnte.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Dazu müsste das Verfahren das normale Maß erheblich übersteigende Schwierigkeiten aufweisen (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 15 ZB 17.635 – juris Rn. 37; B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.673 – juris Rn. 42 m.w.N.). Solche Schwierigkeiten werden mit der Antragsbegründung nicht substantiiert aufgezeigt und liegen auch nicht vor.
3. Die Berufung kann auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zugelassen werden. Zur Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung ist erforderlich, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 72; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Januar 2020 § 124a Rn. 102 ff.). Dem genügt die Antragsbegründung nicht, denn es wird schon keine konkrete Frage formuliert.
4. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 2 VwGO) zu tragen. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, § 162 Abs. 3 VwGO, denn ein Beigeladener setzt sich im Berufungszulassungsverfahren unabhängig von einer Antragstellung grundsätzlich keinem eigenen Kostenrisiko aus (vgl. BayVGH, B.v. 6.3.2017 – 15 ZB 16.562 – juris Rn. 18 m.w.N.). Ein Grund, der es gebieten würde, die außergerichtlichen Kosten aus Billigkeitsgründen ausnahmsweise als erstattungsfähig anzusehen, ist nicht ersichtlich.
5. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 9.2 und 9.1.1.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Eyermann, VwGO, Anhang) und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag, gegen den die Beteiligten keine Einwände erhoben haben.
6. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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