Baurecht

Kein Einfügen iSv § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB – Ausbrechen aus Hausgruppe

Aktenzeichen  2 ZB 16.912

Datum:
20.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 21868
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 30 Abs. 3, § 34 Abs. 1 S. 1
VwGO § 113 Abs. 5, § 124, § 124a Abs. 4
GKG § 47, § 52 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Ein Doppelhaus bzw. eine Hausgruppe entsteht nur, wenn die Gebäude derart zusammengebaut werden, dass sie einen Gesamtbaukörper bilden. (Rn. 6) (red. LS Alexander Tauchert)
2 Würde mit der Verwirklichung des Bauvorhabens kein einheitlicher Baukörper mehr bestehen (hier: wegen der Massivität und der Vielzahl der Veränderungen gegenüber den Bestandsgebäuden), der eine wechselseitig verträgliche Beziehung zu den übrigen Gebäuden innehat, bricht das Gebäude aus einer Häusergruppe aus. (Rn. 8) (red. LS Alexander Tauchert)

Verfahrensgang

8 K 14.5736 2016-03-07 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgelegt.

Gründe

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung nach §§ 124, 124a Abs. 4 VwGO hat keinen Erfolg, weil das Urteil des Verwaltungsgerichts keinen ernstlichen Zweifel an seiner Richtigkeit im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO begegnet.
1. Der Senat teilt die Rechtsauffassung des Erstgerichts, dass die Kläger keinen Anspruch auf Erteilung eines positiven Vorbescheids (§ 113 Abs. 5 VwGO) haben.
a) Es kann dahingestellt bleiben, ob der Zulassungsantrag den Darlegungsanforderungen nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entspricht. Beruht das angegriffene Urteil auf zwei selbständig tragenden Gründen (Mehrfachbegründungen), darf die Berufung nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jedes der beiden Gründe ein Zulassungsgrund besteht (BayVGH, B.v. 30.10.2003 – 1 ZB 01.1961 – NVwZ-RR 2004, 391). Ob das Verwaltungsgericht sein Urteil neben der planungsrechtlichen Unzulässigkeit auch auf das Fehlen ordnungsgemäßer Bauvorlagen, wogegen die Kläger keine Einwände erhoben haben, in diesem Sinn gestützt hat, kann aber offen bleiben, da jedenfalls die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Hinblick auf die Frage der planungsrechtlichen Zulässigkeit von den Klägern nicht durchgreifend in Frage gestellt wird.
b) Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass sich das Bauvorhaben nicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB einfügt, weil es durch seine Verwirklichung aus der bestehenden Hausgruppe einer siebenteiligen Reihenhauszeile in einer Weise ausbricht, dass es sich nicht nach der vorhandenen offenen Bauweise in die nähere Umgebung einfügt.
Die geplante Baumaßnahme sieht die Aufstockung des bisher zweigeschossigen Reihenmittelhauses um ein drittes Geschoss vor. Das bestehende Flachdach soll durch ein Pultdach (mit einer Neigung von 6%) ersetzt werden. Das Gebäude soll eine Wandhöhe von 8,91 m im Süden und eine Wandhöhe von 7,97 m im Norden erhalten. Die jetzige Wandhöhe beträgt 5,53 m. Die südliche Außenwand soll zurückversetzt und eine Dachterrasse errichtet werden.
Das Bauvorhaben bestimmt sich bauplanungsrechtlich nach § 30 Abs. 3, § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Danach ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Ist ein unbeplanter Innenbereich in offener Bauweise wie vorliegend bebaut, fügt sich nach entsprechender Anwendung der sog. Doppelhausrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein grenzständiges Vorhaben nicht nach der Bauweise im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB ein, wenn es grenzständig errichtet wird, ohne mit dem angrenzenden Gebäude ein Doppelhaus bzw. eine Hausgruppe zu bilden (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290). Ein Doppelhaus bzw. eine Hausgruppe entsteht demnach nur, wenn die Gebäude derart zusammengebaut werden, dass sie einen Gesamtbaukörper bilden. Die Beurteilung eines einheitlichen Gesamtbaukörpers bedarf einer Würdigung des Einzelfalls unter Betrachtung quantitativer und qualitativer Gesichtspunkte (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.2015 – 4 C 12.14 – BauR 2015, 1309; B.v. 14.9.2015 – 4 B 16.15 – BRS 83 Nr. 116). Das bedeutet nicht, dass die Häuser völlig deckungsgleich sein müssen. Die einzelnen Gebäude müssen aber quantitativ zu einem wesentlichen Teil und qualitativ in wechselseitig verträglicher und „harmonischer“ Weise aneinandergebaut werden (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 12.98 – BVerwGE 110, 335). Quantitativ sind dabei insbesondere die Geschosszahl, die Gebäudehöhe, die Bebauungstiefe und –breite sowie das durch diese Maße im Wesentlichen bestimmte oberirdische Brutto-Raumvolumen zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, U.v. 11.12.2014 – 2 BV 13.789 – juris; B.v. 15.9.2015 – 2 CS 15.1793 – juris). Qualitativ kommt es unter anderem auch auf die Dachgestaltung und die sonstige Kubatur an (vgl. BayVGH, U.v. 11.12.2014 a.a.O.; B.v. 15.9.2015 a.a.O.).
Das Erstgericht hat diese Grundsätze beachtet, indem es maßgebliche quantitative Kriterien wie die Geschosszahl und Gebäudehöhe und qualitative Kriterien wie die Dachgestaltung und Kubatur zur Beurteilung herangezogen und richtig gewürdigt hat. Subjektive oder gar geschmackliche Erwägungen haben entgegen der Behauptung der Kläger bei der Bewertung durch das Erstgericht keinen Eingang gefunden. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die geplante Aufstockung zu einer deutlich unterschiedlichen Höhenentwicklung innerhalb der Hausgruppe (Unterschied von 2,44 m im Norden und 3,38 m im Süden) und zu einem zusätzlichen, bei der Reihenhauszeile im Übrigen nicht vorhandenen Geschoss führen würde. Darüber hinaus würde hierdurch und durch die Errichtung eines Pultdachs statt des bestehenden Flachdachs die bisher harmonische Gesamtkubatur der Reihenhauszeile verändert sowie die optische Abschlussfunktion der mansardenartig gestalteten Obergeschossbereiche durchbrochen werden. Entgegen der klägerischen Auffassung ist insoweit nicht maßgeblich, dass die Kläger ein Pultdach und nicht zum Beispiel ein Spitzdach gewählt haben. Ausschlagend ist allein, ob der Charakter als einheitlicher Baukörper gewahrt wird. Dies ist aber unter anderem hinsichtlich der geplanten Dachgestaltung nicht der Fall. Hinzu kommt, dass die beabsichtigte Erweiterung auch das Brutto-Raumvolumen erheblich erhöhen würde (um 159 m³ bei zuvor 584 m³).
Mit der Verwirklichung des Bauvorhabens würde somit kein einheitlicher Baukörper mehr bestehen, der eine wechselseitig verträgliche Beziehung zu den übrigen Gebäuden innehat. Vielmehr würde das bisher harmonische nachbarschaftliche Austauschverhältnis aus dem Gleichgewicht gebracht werden, weil die geplanten Veränderungen sich in ihrer Massivität und Vielzahl gegenüber den Bestandsgebäuden nicht unterordnen.
In diesem Zusammenhang machen die Kläger geltend, dass ein Gebäude nur dann keine bauliche Einheit mit der Hausgruppe mehr bilde, wenn es sich sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht um mehr als die Hälfte von seinen angrenzenden Gebäuden unterscheide. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich aber gerade nicht abstrakt-generell oder sogar mathematisch-prozentual bestimmen, ob ein einheitlicher Gesamtbaukörper vorliegt (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.2015 – 4 C 12.14 – BauR 2015, 1309; B.v. 14.9.2015 – 4 B 16.15 – BRS 83 Nr. 116).
Darüber hinaus rügen die Kläger, das Gericht habe fälschlicherweise für die Beurteilung des „Einfügens“ im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur auf die Hausgruppe, zu der das klägerische Gebäude gehört, und nicht auf die nähere Umgebung abgestellt. Hierzu ist festzustellen, dass das Gericht bei der Frage des Einfügens nach der Bauweise in richtiger Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lediglich die Hausgruppe in den Blick genommen hat (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2015 – 4 B 65.14 – ZfBR 2015, 702). Mit dem soweit „engeren“ Rahmen trägt das Bundesverwaltungsgericht dem besonderen Verhältnis des gegenseitigen Interessenausgleichs bei einer Hausgruppe bzw. einem Doppelhaus im Hinblick auf die Bauweise Rechnung, das von einem wechselseitigen Verzicht auf einen seitlichen Grenzabstand an der gemeinsamen Grundstücksgrenze geprägt ist (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 12.98 – BVerwGE 110, 355; U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290), und das daher nicht einseitig aufgehoben oder aus dem Gleichgewicht gebracht werden darf (vgl. BayVGH, U.v. 11.12.2014 – 2 BV 13.789 – juris). Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht für die Beurteilung des Maßes der baulichen Nutzung richtigerweise wieder einen weiteren Umgriff gewählt. Auf den Einwand der Kläger, dass das Erstgericht dabei die gegenüberliegende Straßenseite außer Acht gelassen habe, kommt es hier nicht an, weil nach den vorstehenden Ausführungen bereits kein Einfügen des Bauvorhabens nach der Bauweise gegeben ist.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.


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