Baurecht

Kein Nachbarschutz der Festsetzungen für öffentliche Park- und Verkehrsflächen

Aktenzeichen  2 CS 16.836

Datum:
14.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 11, § 31 Abs. 2
BauNVO BauNVO § 1 Abs. 2

 

Leitsatz

Dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, ist eine Tatbestandsvoraussetzung für eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB, die nicht durch sonstige Überlegungen zu den weiteren Voraussetzungen nach den Nummern 1 bis 3 dieser Vorschrift überwunden werden kann. (redaktioneller Leitsatz)
Bei der Festsetzung von öffentlichen Park- und Verkehrsflächen nach § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB steht regelmäßig der Nutzen für die Allgemeinheit im Vordergrund. Ein Nachbarschutz der Festsetzungen für öffentliche Park- und Verkehrsflächen kann sich deshalb allenfalls aus den Umständen des konkreten Bebauungsplans ergeben. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

8 SN 16.841 2016-04-04 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 4. April 2016 wird aufgehoben.
II.
Der Antrag der Antragstellerin wird abgelehnt.
III.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
IV.
Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf jeweils 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde der Antragsgegnerin nach § 146 VwGO ist zulässig und begründet. Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 21. Januar 2016 gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzuordnen, ist abzulehnen.
Der Senat sieht in einer einem Eilverfahren wie diesem angemessenen summarischen Prüfung (vgl. BVerfG, B. v. 24.2.2009 – 1 BvR 165.09 – NVwZ 2009, 581) im Rahmen der von ihm eigenständig zu treffenden Ermessensentscheidung keine Notwendigkeit für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage der Antragstellerin. Die Antragstellerin als Nachbarin kann eine Baugenehmigung mit dem Ziel ihrer Aufhebung nur dann erfolgreich angreifen, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch ihrem Schutz dienen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klage der Antragstellerin wird aller Voraussicht nach jedoch erfolglos bleiben, weil der angefochtene Bescheid nicht an einem derartigen Mangel leidet.
1. Der Erstgericht geht wohl zu Recht davon aus, dass der angefochtene Bescheid objektiv rechtswidrig ist. Die Antragsgegnerin führt selbst in ihrem Bescheid vom 21. Januar 2016 aus: „Für die geplante Nutzung sind die Grundlagen der Planung zwar tangiert.“ Sie geht dann aber rechtsirrig davon aus, der Verstoß gegen § 31 Abs. 2 BauGB könne dadurch ausgeglichen werden, dass aufgrund sorgfältiger Vorprüfungen (Machbarkeitsstudien, Vorberatungen unter Einbeziehung der Gremien und Fachdienststellen) im Rahmen der Ausbauoffensive/Bauprogramm 2014 Gründe des Wohls der Allgemeinheit für die beantragte Nutzung im beantragten Teilbereich des Bebauungsplans geltend gemacht werden. Dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, ist jedoch eine Tatbestandsvoraussetzung für eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB, die nicht durch sonstige Überlegungen zu den weiteren Voraussetzungen nach den Nummern 1 bis 3 dieser Vorschrift überwunden werden kann. Auf diese Rechtsverletzung kann sich die Antragstellerin – soweit sie Eigentümerin eines Grundstücks im Plangebiet ist – jedoch nur berufen, wenn die Festsetzung des Bebauungsplans, von der befreit werden soll, nachbarschützenden Charakter hat. Dies ist hier nicht der Fall. Die Festsetzung „P – Öffentliche Parkfläche“ sowie einer Verkehrsfläche im Bebauungsplan Nr. 10a hat – seine Wirksamkeit unterstellt – keine nachbarschützende Wirkung.
Kraft Bundesrechts hat die Festsetzung von Baugebieten im Sinn von § 1 Abs. 2 BauNVO grundsätzlich nachbarschützende Funktion. Durch sie werden die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des eigenen Grundstücks wird dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer diesen Beschränkungen unterworfen sind. Soweit die Gemeinde durch die Baunutzungsverordnung zur Festsetzung von Baugebieten ermächtigt wird, schließt die Ermächtigung deshalb ein, dass die Gebietsfestsetzung grundsätzlich nachbarschützend sein muss (vgl. BVerwG, U. v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – BVerwGE 94, 151/155; U. v. 23.8.1996 – 4 C 13.94 – BVerwGE 101, 364/374; B. v. 18.12.2007 – 4 B 55.07 – BayVBl 2008, 765). Ein Baugebiet wird im Bebauungsplan Nr. 10a jedoch nicht festgesetzt. Auch eine Festsetzung nach § 12 Abs. 2 BauNVO liegt nicht vor. Vielmehr werden lediglich öffentliche Parkflächen und eine öffentliche Verkehrsfläche im Sinn von § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB festgesetzt.
Auf andere, die Nutzungsart im weiteren Sinn regelnde flächenhafte Festsetzungen, wie die Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB, lassen sich die Grundsätze des bundesrechtlichen Nachbarschutzes und des darauf fußenden Gebietserhaltungsanspruchs nicht übertragen (vgl. König, Baurecht Bayern, 5. Auflage 2015, Rn. 944). Entsprechendes gilt für die vorliegende Festsetzung von Verkehrsflächen und Parkflächen im Sinn von § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB. Ein wechselseitiges Austauschverhältnis im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist hier nicht gegeben. Zutreffend weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass gerade bei der Festsetzung von öffentlichen Park- und Verkehrsflächen regelmäßig der Nutzen für die Allgemeinheit im Vordergrund steht. Diese Flächen können grundsätzlich von jedermann ohne besondere Voraussetzungen genutzt werden. Ein Nachbarschutz der Festsetzungen für öffentliche Park- und Verkehrsflächen kann sich ebenso wie bei der Festsetzung von Gemeinbedarfsflächen deshalb allenfalls aus den Umständen des konkreten Bebauungsplans ergeben (vgl. BVerwG, B. v. 21.12.1994 – 4 B 261.94 – juris; VGH BW, B. v. 14.10.1999 – 8 S 2396.99 – BRS 62 Nr. 183; NdsOVG, B. v. 12.3.2009 – 1 LA 184.06 – NVwZ-RR 2009, 630). Hierfür sind im vorliegenden Fall jedoch keine Anhaltspunkte gegeben. Vielmehr wird in der Begründung zum Bebauungsplan Nr. 10a ausgeführt: „Die Parkflächen werden eine Kapazität von rund 7.000 Fahrzeugen besitzen und hauptsächlich während der Fußballspiele im Stadion an der G. Straße benötigt werden“. Auch im Vortrag des Referenten wird zum Planungsvorschlag der Errichtung einer automatischen Auto-Waschanlage ausgeführt, dass dies auch aus sachlichen Gründen zurückzuweisen sei, da auf öffentlichem Parkplatzgelände Auto-Waschanlagen grundsätzlich unerwünscht seien und im vorliegenden Fall der für Sportveranstaltungen im Stadion an der G. Straße benötigte Parkraum unnötig vermindert werden würde. Zu Recht stellt sich deshalb die Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren auf den Standpunkt, dass bereits die konkrete Festsetzung als öffentliche Parkfläche eindeutig auf eine öffentliche Zweckbestimmung für die Allgemeinheit hinweise. Es lässt sich nicht im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 19.9.1986 – 4 C 8.84 – BayVBl 1987, 151) aus individualisierenden Tatbestandsmerkmalen der Norm ein Personenkreis entnehmen, der sich von der Allgemeinheit unterscheidet. Somit lässt sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin im vorliegenden Fall keine bestimmbare Nachbarschaft erkennen, die sich nach dem Inhalt der Norm auf die Festsetzungen öffentliche Parkfläche und öffentliche Straßenfläche berufen können soll.
2. Die Antragstellerin kann sich gegenüber den erteilten Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 10a nur auf eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme berufen, wenn die nachbarlichen Interessen nicht ausreichend gewürdigt worden sind (vgl. BVerwG, U. v. 19.9.1986 – 4 C 8.84 – BayVBl 1987, 151; U. v. 23.8.1996 – 4 C 13.94 – BVerwGE 101, 364/380). Hierzu trägt die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren jedoch nichts vor.
Im Klageverfahren beruft sie sich auf Lärmbelästigungen durch Kinderlärm. Hierzu ist in § 22 Abs. 1a Satz 1 BImSchG geregelt, dass Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen durch Kinder hervorgerufen werden, im Regelfall keine schädlichen Umwelteinwirkungen sind. Dass hier ein Sonderfall vorliegen könnte, wird seitens der Antragstellerin nicht substantiiert dargetan. Allein die Tatsache, dass die Mietshäuser der Antragstellerin im Bereich stark befahrener Straßen liegen und das Bauvorhaben „L-förmig“ umgeben, besagt noch nichts. Vielmehr kann die Kindertagesstätte teilweise auch lärmabschirmende Wirkung gegenüber den Straßen haben. Zudem hat das Grundstück der Antragstellerin mit der Fl. Nr. … zum Teil auch eine trennende Wirkung zwischen der Wohnbebauung und dem Bauvorhaben.
Soweit sich die Antragstellerin auf den Wegfall öffentlicher Parkplätze in der Nähe ihrer Mietshäuser beruft, ist es nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin der Errichtung dringend benötigter Kindertagesstätten den Vorrang einräumt. Es ist in erster Linie Sache der Antragstellerin selbst, für ihre Mietshäuser die erforderlichen Parkplätze vorzuhalten. Zudem entfallen nicht alle bisherigen Parkplätze im Plangebiet. Ferner ist durch die bestehenden Gebäudecontainer eines Kindergartens, die abgebrochen werden sollen, bereits jetzt der Parkraum eingeschränkt. Demgegenüber legt die Antragstellerin nicht einmal nachvollziehbar dar, wie viele öffentliche Parkplätze durch das Bauvorhaben tatsächlich zusätzlich im Plangebiet entfallen werden.
3. Hinsichtlich der nicht im Plangebiet gelegenen Grundstücke der Antragstellerin ist darauf hinzuweisen, dass es einen plangebietsüberschreitenden Nachbarschutz aus den Festsetzungen eines Bebauungsplans grundsätzlich nicht gibt. Dass die Antragsgegnerin vorliegend ausnahmsweise durch die Festsetzungen des Bebauungsplans den Schutz angrenzender Wohnbebauung erreichen wollte, ist – wie bereits unter Ziffer 1. ausgeführt – nicht ersichtlich. Bezüglich der behaupteten Verletzung des Rücksichtnahmegebots gilt das unter Ziffer 2. Gesagte.
4. Eine Verletzung der Abstandsflächenvorschriften aus Art. 6 Abs. 1 BayBO zulasten der Antragstellerin ist nicht ersichtlich. Die geplante 4 m hohe Lärmschutzwand läuft mit ihrer Breite von ca. 0,5 m senkrecht auf die Grenze zum Grundstück Fl. Nr. … der Antragstellerin zu. Es handelt sich demnach gegenüber der Antragstellerin bereits nicht um eine andere Anlage im Sinn von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO, von der eine Wirkung wie von Gebäuden ausgeht. Denn bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung ist insbesondere auch die Breite der geplanten Anlage einzubeziehen. Insoweit ist davon auszugehen, dass eine Schallschutzwand mit einer gegenüber der Antragstellerin wirksamen Breite von ca. 0,5 m die Belichtung, Besonnung und Belüftung auf ihrem Grundstück nicht nachteilig beeinflussen kann. So wurde bereits keine gebäudegleiche Wirkung für einen konisch zulaufenden Betonschleudermast mit einem Durchmesser von 1,10 m an der Fundamentoberkante und 0,44 m an der Spitze in 50,18 m Höhe angenommen (vgl. BayVGH, B. v. 14.6.2013 – 15 ZB 13.612 – NVwZ 2013, 1238). Hinter diesen Maßen bleibt die geplante Schallschutzwand gegenüber dem Grundstück der Antragstellerin noch deutlich zurück.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, § 47 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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