Baurecht

Kein Primärrechtsschutz nach Zuschlagserteilung im Vergabeverfahren – Fortsetzungsfeststellungsantrag

Aktenzeichen  Verg 28/19

Datum:
30.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
VergabeR – 2021, 136
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GWB § 168 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

Das Nachprüfungsverfahren sichert den Primärrechtsschutz des Bieters, der auf diese Weise seine Chance auf die Erteilung des Auftrags durch den öffentlichen Auftraggeber wahrt. Kommt eine Auftragsvergabe nicht (mehr) in Betracht, weil der Auftraggeber bereits anderweitig einen Zuschlag erteilt hat, er das Vergabeverfahren aufhebt oder einstellt, dann erledigt sich ein laufendes Nachprüfungsverfahren. Für einen Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 168 Abs. 2 S. 2 GWB ist hierbei nur dann Raum, wenn sich ein Nachprüfungsverfahren nach seiner Einleitung erledigt hat, nicht hingegen bei Erteilung des Zuschlags (Anschluss an BGH BeckRS 2001, 861). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Antragstellerin wird darauf hingewiesen, dass der Senat der sofortigen Beschwerde nach vorläufiger Würdigung keine Erfolgsaussichten beimisst.
II. Die Antragstellerin wird bis 28. Februar 2020 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Gründe

I.
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 8. November 2019, den sie am 12. November 2019 per Fax eingereicht hat, bei der Vergabekammer einen „Antrag im Fortsetzungsfeststellungsverfahren gemäß § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB“ gestellt.
Ein vorangegangenes Nachprüfungsverfahren, das bei der Vergabekammer unter dem Aktenzeichen Z3-3-3194-1-34-10/19 geführt worden war, war dadurch beendet worden, dass die Antragstellerin ihren Nachprüfungsantrag vom 2. Oktober 2019 – nach einem Hinweis der Vergabekammer auf die Unzulässigkeit des Antrags im Hinblick auf den bereits am 23. September 2019 erfolgten Zuschlag – am 9. Oktober 2019 zurückgenommen hatte.
Zur Begründung des Fortsetzungsfeststellungsverfahrens hat die Antragstellerin ausgeführt, das Rechtsschutzinteresse ergebe sich daraus, dass sie durch das Vorgehen der Antragsgegnerin in erheblichem Maße wirtschaftlich geschädigt worden sei. Die Antragsgegnerin, die ihr am 20. September 2019 mitgeteilt habe, dass ihrer Rüge nicht abgeholfen werde, hätte ab diesem Zeitpunkt die Frist des § 160 Abs. 3 GWB abwarten müssen und den Zuschlag nicht am 23. September 2019 erteilen dürfen.
Die Antragstellerin, die am 27. August 2019 ein Angebot abgeben hatte, war am 11. September 2019 gemäß § 134 GWB informiert worden.
Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag mit Beschluss vom 20. November 2019, der der Antragstellerin am 25. November 2019 zugestellt worden ist, zurückgewiesen. Der erst nach wirksamer Zuschlagserteilung eingereichte Feststellungsantrag sei offensichtlich unzulässig; die Wartefrist des § 134 Abs. 2 GWB werde von der in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB geregelten 15-Tages-Frist nicht berührt.
Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 9. Dezember 2019, die am selben Tag bei Gericht eingegangen ist.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde hat keine Erfolgsaussichten. Der Nachprüfungsantrag im Form eines isolierten Fortsetzungsfeststellungsantrags ist unzulässig.
1. Wie sich aus § 168 Abs. 2 GWB ergibt, sichert das Nachprüfungsverfahren den Primärrechtsschutz des Bieters, der auf diese Weise seine Chance auf die Erteilung des Auftrags durch den öffentlichen Auftraggeber wahrt. Kommt eine Auftragsvergabe nicht (mehr) in Betracht, weil der Auftraggeber bereits anderweitig einen Zuschlag erteilt hat, er das Vergabeverfahren aufhebt oder einstellt, dann erledigt sich ein laufendes Nachprüfungsverfahren. Über etwaige Sekundäransprüche (Schadensersatz wegen Verletzung von Vorschriften zur Vergabe) entscheiden dagegen die ordentlichen Gerichte. Für einen Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB ist nach dem Gesetzeswortlaut nur dann Raum, wenn sich ein Nachprüfungsverfahren nach seiner Einleitung erledigt hat (vgl. Fett in Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2018, GWB § 168 Rn. 54 m. w. N.; BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000, X ZB 14/00, BGHZ 146, 202 [juris] Rn. 25 ff.).
Die in § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB eröffnete Möglichkeit eines Feststellungsantrags stellt unter dem Gesichtspunkt des Primärrechtsschutzes eine Ausnahmevorschrift dar, die gewährleisten soll, dass eine Partei nicht um die Früchte des bisherigen Prozesses gebracht wird, insbesondere dann nicht, wenn das Verfahren unter entsprechendem Aufwand einen bestimmten Stand erreicht hat. Ohne Erfolg wendet die Antragstellerin insoweit ein, bei den entsprechenden Ausführungen der Vergabekammer handele es sich offensichtlich um einen „Textbaustein“. Die Erwägungen der Vergabekammer stehen vielmehr im Einklang mit der Rechtsprechung und der Kommentarliteratur. Abgesehen davon kann auch dem Vorbringen der Antragstellerin nicht entnommen werden, in welcher Weise ein Prozessstoff bereits erarbeitet gewesen sein soll.
Damit stehen genau genommen mehrere Gründe der Zulässigkeit des nunmehrigen Antrags entgegen:
Zum einen hat die Antragstellerin ein neues Nachprüfungsverfahren mit einem isolierten Feststellungsantrag eingeleitet. Das Ziel dieses Verfahrens war nicht die Wahrung von Primärrechtsschutz, wie die Antragstellung und das Vorbringen der Antragstellerin belegen, und es hat sich auch keinerlei Erledigung in diesem Verfahren ereignet.
Soweit die Antragstellerin in ihrem Vorbringen vor der Vergabekammer auf das vorangegangene Nachprüfungsverfahren abstellt, hat sie dies durch ihre Rücknahmeerklärung Wochen vor dem neuen Verfahren selbst beendet.
Ob ihr vormaliger Nachprüfungsantrag Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, zumal sie selbst die Entscheidung getroffen hat, dass sie ihren Antrag nicht mehr aufrecht erhält. Vorsorglich wird allerdings auch darauf hingewiesen, dass der Senat die Beurteilung der Vergabekammer teilt, wonach am 23. September 2019 (mithin vor Einleitung des vormaligen Nachprüfungsantrags) wirksam ein Zuschlag erteilt werden konnte. Dies stellt im Übrigen nicht einmal die Antragstellerin in Frage (Seite 5 der sofortigen Beschwerde). Die Vergabestelle war – entgegen der Meinung der Antragstellerin – auch nicht verpflichtet, wegen der Rüge der Antragstellerin länger mit der Zuschlagserteilung zu warten. Vielmehr musste die Antragstellerin damit rechnen, dass der Zuschlag nach Ablauf der Frist des § 134 GWB erteilt wird. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz, vgl. § 160 Abs. 3 Nr. 1, letzter HS i. V. m. § 134 Abs. 2 GWB.
2. Für eine analoge Anwendung des § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB ist mangels planwidriger Regelungslücke kein Raum (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000, X ZB 14/00, BGHZ 146, 202 [juris] Rn. 35 ff.).
Der Feststellungsantrag der Beschwerdeführerin soll ausschließlich der Vorbereitung der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften dienen. Schadensersatzansprüche gegen den Auftraggeber wegen Vergaberechtsverstößen können jedoch auch unmittelbar vor den Zivilgerichten geltend gemacht werden; der Feststellungsantrag nach § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Schadensersatzklage (vgl. Antweiler in Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2017, GWB § 168 Rn. 57). Nicht einmal die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens sieht der Bundesgerichtshof unter dem Gesichtspunkt des § 839 BGB als zwingende Voraussetzung für einen erfolgversprechenden Schadensersatzprozess an (vgl. BGH, Urt. v. 17. September 2019, X ZR 124/18, juris Rn. 16).
Auch dem Standpunkt der Antragstellerin, sie sei so zu stellen, als sei der (erste) Nachprüfungsantrag vor der Zuschlagserteilung gestellt, der Vergabestelle aber erst Zuschlagserteilung übermittelt worden, kann nicht gefolgt werden. Die Interessenlage ist keineswegs identisch. Ein Feststellungsantrag, der erst nach Zuschlagserteilung bei der Vergabekammer eingereicht wird, ist als unzulässig anzusehen (vgl. Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 168 Rn. 83). Für eine analoge Anwendung ist vorliegend kein Raum.
Der Antragstellerin wird bis 28. Februar 2020 Gelegenheit gegeben, zu diesem Hinweis Stellung zu nehmen, insbesondere mitzuteilen, ob die Beschwerde zurückgenommen wird.


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