Baurecht

keine Beeinträchtigung der Hochwasserrückhaltung, wasserrechtliches Rücksichtnahmegebot

Aktenzeichen  AN 9 K 19.00494

Datum:
22.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6140
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WHG § 78 Abs. 5
WHG § 78 a Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

A.
Streitgegenstand sind die mit Bescheid vom 4. Februar 2019 erteilten Ausnahmegenehmigungen nach § 78 Abs. 5 und § 78a Abs. 2 WHG für die Errichtung einer Zufahrtsstraße und für Geländeveränderungen.
B.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1.
Ein Rechtsanspruch eines Nachbarn auf Aufhebung einer erteilten Ausnahmegenehmigung besteht nicht schon dann, wenn die erteilte Genehmigung objektiv rechtswidrig ist. Der Anspruch auf Aufhebung setzt vielmehr voraus, dass der Nachbar durch die Genehmigung zugleich in seinen Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies ist nur dann der Fall, wenn die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient, mithin also drittschützende Wirkung hat.
§ 78 Abs. 5 Satz 2 WHG und § 78a Abs. 2 Satz 3 WHG kommt eine derartige drittschützende Funktion zu (vgl. BT-Drs. 18/10879, S. 27 f.). Der Gesetzgeber wollte durch die 2018 erfolgte Neufassung dieser Regelungen die drittschützende Wirkung, die bis zu diesem Zeitpunkt in der Rechtsprechung uneinheitlich gesehen wurde (vgl. Czychowski/Reinhardt in Czychowski/Reinhardt WHG, 12. Auflage 2019, § 78 Rn. 25), gesetzlich verankern, da die Gewährleistung eines schadlosen Wasserabflusses als Teilelement des Hochwasserschutzes auch dem Schutz der Individualinteressen – Leben, Gesundheit und Eigentum – der jeweils betroffenen Menschen dient (vgl. VG Trier, U.v. 20.11.2018 – 9 K 2623/18.TR – juris Rn. 29). § 78 Abs. 5 Satz 2 WHG und § 78a Abs. 2 Satz 3 WHG stellen sich somit als Ausprägungen des drittschützenden wasserrechtlichen Rücksichtnahmegebotes dar, auf das sich Dritte grundsätzlich berufen können.
Eine Verletzung diese Rücksichtnahmegebotes ist dann anzunehmen, wenn dem Betroffenen ein qualifizierter, somit ein nicht nur unerheblicher Nachteil in Form einer mehr als nur geringfügigen Beeinträchtigung droht (vgl. zur alten Rechtslage VHG München, B.v. 7.5.2018 – 8 CS 18.455 – juris Rn. 10; siehe auch BT-Drs. 18/10879, S. 28), bzw. wenn durch das entsprechende Vorhaben eine unzumutbare Verschärfung der Hochwassergefahr entstehen würde (vgl. Rossi in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp WHG, Stand August 2019, § 78 Rn. 74; Hünnekens in Landmann/Rohmer Umweltrecht, Stand August 2020, § 78 Rn. 52).
2.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Kammer insbesondere unter Würdigung der fachlichen Einschätzung des Wasserwirtschaftsamtes als amtlichem Sachverständigen zu der Überzeugung gelangt, dass für den Kläger keine erheblichen, qualifizierten Nachteile durch das streitgegenständliche Vorhaben zu erwarten sind. Auch sind keine Anhaltspunkte für eine unzumutbare Verschärfung der Hochwassergefahr anzunehmen.
2.1
Den Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamtes als amtlichem Sachverständigen i.S.d. Art. 63 Abs. 3 BayWG kommt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren besondere Bedeutung zu, da diese Stellungnahmen auf jahrelanger Bearbeitung eines bestimmten Gebiets und nicht nur auf der Auswertung von Aktenvorgängen im Einzelfall beruhen. Aufgrund dessen bedarf es zur ernsthaften Erschütterung der Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamtes eines qualifizierten Vortrags, der sich nicht nur in ausreichendem Maß mit dem behördlichen Vorbringen auseinandersetzt, sondern zudem auch schlüssig darlegt, warum das dort gefundene Ergebnis nicht als vertretbar anzusehen ist (vgl. dazu: BayVGH, B.v. 17.12.2014 – 8 ZB 14.661 – juris Rn. 6; B.v. 17.7.2012 – 8 ZB 11.1285 – juris Rn. 13; B.v. 31.8.2011 – 8 ZB 10.1961 – juris Rn. 17; B.v. 2.5.2011 – 8 ZB 10.2312 – juris Rn. 11; VG Bayreuth, U.v. 13.10.2014 – B 2 K 14.313 – juris Rn. 37, VG Augsburg, B.v. 11.12.2015 – Au 3 S 15.1633 – juris Rn. 53).
In der Rechtsprechung ist hinreichend geklärt, dass sich ein Tatsachengericht ohne einen Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht grundsätzlich auf gutachtliche Stellungnahmen anderer Behörden stützen kann, und zwar auch dann, wenn sie von der federführenden Behörde bereits im Verwaltungsverfahren eingeholt wurden (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2011 – 8 ZB 10.2312 – juris Rn. 11; B.v. 26.2.2007 – 8 ZB 06.879 – juris). Die Notwendigkeit einer Abweichung und einer eventuellen Einholung weiterer Gutachten zur Aufhellung des Sachverhalts ist lediglich dann geboten, wenn sich dem Gericht der Eindruck aufdrängen muss, dass das Gutachten des Wasserwirtschaftsamtes unvollständig, widersprüchlich oder aus sonstigen Gründen nicht überzeugend ist, wenn es auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen beruht, wenn Zweifel an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Sachverständigen bestehen, wenn ein anderer Gutachter über neuere oder überlegene Forschungsmittel verfügt oder wenn die Erkenntnisse, die in dem Gutachten ihren Niederschlag gefunden haben, durch substantiierte Einwände der Beteiligten ernsthaft in Frage gestellt erscheinen (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2011, a.a.O.).
2.2
Gemessen hieran sind die gutachterlichen Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamtes plausibel, nachvollziehbar und überzeugend. Eine Abweichung und Einholung weiterer Gutachten war nicht erforderlich. Der klägerische Vortrag hat auch gerade nicht aufgezeigt, warum die Ergebnisse des Wasserwirtschaftsamtes als nicht vertretbar anzusehen sein sollten.
2.2.1
Das Wasserwirtschaftsamt stellt in seinem Gutachten vom 16. November 2018 fest, dass die Hochwasserrückhaltung nur unwesentlich beeinträchtigt werde und der Retentionsraumausgleich umfangs-, funktions- und zeitgleich geplant sei.
Das Gericht sieht keinen Anlass, diese Feststellungen anzuzweifeln, insbesondere erscheinen die Berechnungen zum Retentionsausgleich im Rahmen des hydraulischen Nachweises nachvollziehbar. Wie durch den Vertreter des Wasserwirtschaftsamtes in der mündlichen Verhandlung bestätigt, findet sich im hydraulischen Nachweis (Blatt 107 f. der Behördenakte) bezüglich der Oberkannte der Retentionsraumes ein Schreibversehen, da diese mit 297,90 müNN angegeben wird, anstelle von 287,90 müNN. Dieses Schreibversehen hat aber nicht in die Berechnungen des Retentionsvolumens Eingang gefunden, dort wurde ersichtlich jeweils nur der Differenzwert zu einer Oberkante von 287,90 müNN zugrunde gelegt. Der Nachweis von 271 m³ zusätzlichem Retentionsraum, der zu den bereits nachgewiesenen 850 m³ hinzutritt, ist damit geführt.
Soweit die Klägerbevollmächtigte darauf hinweist, dass der auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, lagernde Oberboden dazu verwendet werden könnte, das fragliche Gebiet um 34 cm aufzufüllen, ist auf die Auflage 2.20 des streitgegenständlichen Bescheides zu verweisen, wonach anfallendes Aushubmaterial, das nicht im Rahmen der planmäßigen Geländeveränderungen verwendet wird, außerhalb des Überschwemmungsgebietes zu lagern oder zu entsorgen ist. Der Bescheid geht gerade nicht von einer vollständigen Nutzung des gelagerten Materials zu Auffüllungszwecken aus.
Auch eventuelle Veränderungen des Wasserstandes durch die sich im Überschwemmungsgebiet befindlichen Biberbauten führen zu keiner anderen Beurteilung. Im Rahmen des Retentionsausgleiches ist es hier allein entscheidend, dass das verloren gegangene Volumen im gleichen Umfang ausgeglichen wird. Hiervon ist vorliegend auszugehen.
2.2.2
Nach den nachvollziehbaren und plausiblen Aussagen des Wasserwirtschaftsamtes ist auch ein ausreichender Hochwasserabfluss gegeben, insbesondere werden entgegen den Ausführungen der Klägerbevollmächtigten auch sämtliche Retentionsbecken erreicht, so dass deren Wirksamkeit gegeben ist (vgl. Bl. 178 der Behördenakte).
Hinsichtlich der Frage der Versickerung bejaht das Wasserwirtschaftsamt die Geeignetheit der Versickerung. Das Wasserwirtschaftsamt hat mit Stellungnahme vom 9. April 2018 in dem die Einleitung von Niederschlagswasser betreffenden Verfahren (AN 9 K 18.00596) lediglich eine dezentrale Versickerung sämtlicher Niederschlagswasser ausgeschlossen. Eine solche ist indes aber nicht beabsichtigt, da ja gerade ein Teil der Niederschlagswasser eingeleitet wird und nur der verbleibende Rest versickert wird. Zweifel an der grundsätzlichen Versickerungsfähigkeit des Bodens bestehen aufgrund des beklagtenseits dargelegten Übergangs von Talsediment zu wasseraufnahmefähiger Braunerde gerade nicht.
Zudem gilt es das vorhandene Hochwasserschütz zu berücksichtigen. Die Überschwemmungegebietsberechnung geht von einem „Worst-Case-Szenario“ in Form des vollständig geschlossenen Schützes aus (vgl. Bl. 380 der Behördenakte). Der Kläger hat aber die Möglichkeit, mittels des gezogenen Schützes im Hochwasserfall das an der Mühle vorbeifließende Gewässer zu entlasten. Wenn aber sogar bei einem vollständig geschlossenen Schütz der Hochwasserabfluss und die Hochwasserrückhaltung durch das streitgegen-ständliche Vorhaben nur unwesentlich beeinträchtigt werden und keine nachteiligen Auswirkungen auf die Nachbarschaft zu erwarten sind, so muss dies erst recht gelten, wenn die Hochwassergefahr für das klägerische Grundstück mittels des Schützes noch weiter verringert werden kann.
2.2.3
Hinsichtlich des geänderten Verlaufs der Straße …nahm das Wasserwirtschaftsamt mit Schreiben vom 20. August 2020 (Bl. 390 der Behördenakte) dahingehend Stellung, dass durch den Straßenneubau keine signifkanten Abweichungen bezüglich der hydraulichen Berechnungeen zu erwarten seien.
2.2.4
Es sind auch keine Anhaltspunkte für einen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu berücksichtigenden, unzumutbaren Abfluss von Niederschlagswasser vom Anwesen …auf das klägerische Grundstück gegeben; die Becken V2 und V3 geben nach dem Gutachten … vom 20. Juli 2018 und der Einschätzung der Beklagten das Wasser in westliche Richtung weiter. Die Bildung von neuen, zum klägerischen Grundstück laufenden Abflussrinnen ist daher nicht zu erwarten.
2.2.5
Hinsichtlich der vorgetragenen Geruchsbelästigungen und Insektenentwicklung in den Retentionsmulden ist angesichts der Entfernung der Mulden zum klägerischen Anwesen nicht von einer relevanten Beeinträchtigung auszugehen. Dies entspricht auch der Einschätzung des Wasserwirtschaftsamtes, das mit Gutachten vom 16. November 2018 ausführt, dass Beeinträchtigungen durch Geruchsbelästigungen und Insekten, wenn überhaupt, nur in unmittelbarer Nähe der Sickermulden zu erwarten seien. Eine Verschlechterung zur bisherigen Situation ist für den Kläger damit gerade nicht zu erwarten.
2.3
Eine den Nachbarn betreffende Rechtsverletzung ergibt sich auch nicht aufgrund der Tatsache, dass die Genehmigung erst nach Errichtung der Zufahrtsstraße erteilt wurde. Die nachträgliche Legalisierung eines formell rechtswidrigen, aber materiell rechtmäßigen Vorhabens stellt sich als milderes Mittel im Vergleich zu Rückbau oder Beseitigung dar, so dass die Genehmigung bei der vorliegenden materiellen Rechtmäßigkeit sogar geboten war.
Ebenso wenig vermag die Tatsache, dass die Auflage, die Ablagerungen auf FlNr. …, Gemarkung … seien spätestens mit Beginn der Bautätigkeit zu entfernen, aufgrund der bereits erfolgten Aufnahme der Bautätigkeit nicht mehr erfüllt werden kann, die Rechtswidrigkeit des Bescheides zu begründen. Die Nichterfüllung bzw. Nichterfüllbarkeit einer Auflage vermag die Wirksamkeit des Bescheides nicht zu berühren; anders kann dies im Falle einer Bedingung sein, eine solche wurde jedoch gerade nicht formuliert. 2.4 Soweit klägerseits eine abweichende Ausführung gerügt wird, ist darauf hinzuweisen, dass streitgegenständlich allein die Genehmigung mit ihrem jeweiligen Regelungsinhalt ist. Eine von der Genehmigung abweichende Ausführung berührt die Rechtmäßigkeit der Genemigung gerade nicht. Sofern eine abweichenden Ausführung erfolgt ist, kann diese im Wege von aufsichtlichen Maßnahmen überprüft werden und gegebenenfalls eine Anpassung an den genehmigten Stand gefordert werden.
C.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich die Beigeladene durch Antragstellung am Prozessrisiko beteiligt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Kosten ebenfalls dem Kläger aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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