Baurecht

Keine Befreiung für den Mobilfunkmasten im allgemeinen Wohngebiet – Textliche Festsetzungen des Bebauungsplanes stehen entgegen

Aktenzeichen  1 ZB 16.1634

Datum:
30.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 28739
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 31 Abs. 2
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3, § 124a Abs. 5 S. 4
BauNVO§ 14

 

Leitsatz

1 Ob die Voraussetzungen für die Funktionslosigkeit von textlichen Festsetzungen des Bebauungsplanes erfüllt sind, ist für jede Festsetzung gesondert zu prüfen. Eine Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, wird nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann. (Rn. 5) (red. LS Alexander Tauchert)
2 Es ist keine Frage der Planungskonzeption, ob die Beklagte angesichts der heutigen Bedeutung der Technik an dieser Entscheidung (hier: Aussschluss für Nebenanlagen) festhalten will, sondern eine Frage der etwaigen Überarbeitung des Bebauungsplans. (Rn. 6) (red. LS Alexander Tauchert)

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Die Darlegungen der Klägerin sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils zu wecken (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Klägerin begehrt eine isolierte Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans zur Legalisierung eines seit 1998 betriebenen und 2014 mit neuen Antennen ertüchtigten Mobilfunkmastens auf dem Dach eines Wohngebäudes im allgemeinen Wohngebiet. Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Ablehnung des Antrags gerichtete Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine erforderliche Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von den nicht funktionslos gewordenen textlichen Festsetzungen Ziffern 2 und 11 des Bebauungsplans nicht gegeben seien, weil die Mobilfunkanlage die Grundzüge der Planung berühre.
1.1 Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass eine Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB für die Legalisierung des Mobilfunkmastens nicht in Betracht kommt. Entgegen der Auffassung der Klägerin stehen dem die textlichen Festsetzungen in Ziffern 2 und 11 des Bebauungsplans entgegen. Die textliche Festsetzung in Ziffer 2 des Bebauungsplans schließt in Satz 1 Nebenanlagen nach § 14 BauNVO aus, in Satz 2 Kleintierställe im allgemeinen Wohngebiet. Die von der Klägerin angeführte Beschränkung des Ausschlusses von Nebenanlagen in der textlichen Festsetzung 2 auf die Frage der ausnahmsweisen Zulässigkeit von Kleintierställen (§ 14 Abs. 1 Satz 2 BauNVO) liegt nicht vor. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut der textlichen Festsetzung stellt die Festsetzung in Satz 2 lediglich klarstellend fest, dass (auch) Kleintierställe im allgemeinen Wohngebiet nicht erwünscht sind, ohne dass damit der Ausschluss der in § 14 Abs. 1 BauNVO aufgeführten Nebenanlagen und damit auch der fernmeldetechnischen Nebenanlagen aufgehoben wird. Soweit die Klägerin zur Untermauerung ihrer Einwendungen auf die Begründung zur Änderung des Bebauungsplans 1992 abstellt, wonach neben der Erhaltung der ortstypischen Wohnstruktur trotz erforderlicher Nachverdichtung auf eine ausreichende Infrastruktur abgestellt werden solle und daraus die Schlussfolgerung zieht, damit sollten insbesondere Nebenanlagen, die der Versorgung der Baugebiete dienen, zulässig sein, übersieht sie, dass die Beklagte in diesem Zusammenhang wesentlich auf die Versorgungs- und Entsorgungsanlagen wie Wasserleitung und Kanalisation abgestellt hat, die für eine Nachverdichtung ausreichend vorhanden sein müssen, ohne das dem Bebauungsplan zugrunde liegende Konzept der Erhaltung einer ortstypischen, ländlichen Struktur aufzugeben. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, dass der Mobilfunkmast auch der Versorgung der umliegenden Umgebung dient. Die textliche Festsetzung in Ziffer 11 genügt entgegen der Auffassung der Klägerin den aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgenden Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit bauleitplanerischer Festsetzungen (vgl. BVerwG, B.v. 20.1.1995 – 4 NB 43.93 – NVwZ 1995, 692 m.w.N. zur Bestimmtheit von Bebauungsplänen und zum notwendigen Maß einer Konkretisierung ihrer Festsetzungen). Denn sie schließt die in § 4 BauNVO vorgesehenen Ausnahmen für Gewerbebetriebe und somit auch für solche des Abs. 3 Nr. 2 dieser Vorschrift sowie Tankstellen aus. Nach der Plankonzeption der Beklagten soll damit ein homogenes, ortstypisch ländliches Erscheinungsbild einer ruhigen Wohnsiedlung abgesichert werden. Zur Erreichung dieser städtebaulich grundsätzlich zulässigen Zielsetzung ist die vorgenommene Beschränkung von Nebenanlagen geeignet. Es liegt auf der Hand, dass mit einer Zulassung von Art und Gestaltungsformen der Nebenanlagen eine gewisse optische Unruhe in das Baugebiet hineingetragen wird.
Die vorgenannten Festsetzungen stehen auch nicht in einem Widerspruch zueinander. Der Klägerin mag zugestanden werden, dass die Festsetzung in Ziffer 11 in der hier maßgeblichen Fassung der BauNVO 1968 Kleintierställe (§ 4 Abs. 3 Nr. 6 BauNVO 1968) nicht ausdrücklich ausschließt. Dies ist aber im Hinblick auf die in Ziffer 2 getroffenen Regelung, wonach Nebenanlagen für die Kleintierhaltung ausdrücklich ausgeschlossen werden, unschädlich. Ein Widerspruch ergibt sich daraus jedenfalls nicht.
1.2 Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die textlichen Festsetzungen in Ziffern 2 und 11 des Bebauungsplans weiterhin wirksam sind. Festsetzungen eines Bebauungsplans werden nur dann funktionslos, wenn die tatsächliche Entwicklung einen Zustand erreicht hat, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und wenn die dadurch fehlende Steuerungsfunktion der Festsetzung offenkundig ist, so dass ein Vertrauen auf die Fortgeltung der Festsetzung nicht mehr schutzwürdig ist (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.1977 – IV C 39.75 – BVerwGE 54, 5; U.v. 3.8.1990 – 7 C 41-43.89 u.a. – juris Rn. 16). Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist für jede Festsetzung gesondert zu prüfen. Eine Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, wird nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann. Erst wenn die tatsächlichen Verhältnisse vom Planinhalt so massiv und so offenkundig abweichen, dass der Bebauungsplan insoweit seine städtebauliche Gestaltungsfunktion unmöglich zu erfüllen mag, kann von einer Funktionslosigkeit gesprochen werden (vgl. BVerwG, B.v. 17.2.1997 – 4 B 16.97 – NVwZ-RR 1997, 512). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder sind nach dem Planungskonzept unerwünschte gewerbliche Nutzungen vorhanden, noch hat die Klägerin vorgetragen, dass die tatsächliche Entwicklung in Bezug auf die unerwünschten Nebenanlagen in einem erkennbaren Umfang über das Planungskonzept hinweggegangen wäre. Davon, dass die Beklagte ihre Planungskonzeption endgültig aufgegeben hat oder die tatsächliche Entwicklung einem Ausschluss entgegensteht, kann daher nicht die Rede sein. Auch die auf den Dächern anderer Wohngebäude errichteten Photovoltaikanlagen stehen der Planungskonzeption nicht entgegen, weil für diese Anlagen keine Befreiungen erteilt wurden und diese gegebenenfalls beseitigt werden können.
1.3. Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt für den Mobilfunkmasten auch keine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB in Betracht, weil durch das Vorhaben die Freihaltung des Wohngebiets von gewerblichen und sonstigen ausnahmsweise zulässigen Nutzungen sowie der Erhalt einer möglichst großen tatsächlichen und optischen Wohnruhe in Frage gestellt würde und dadurch Grundzüge der Planung berührt würden. Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1999 – 4 B 5.99 – NVwZ 1999, 1110; B.v. 19.5.2004 – 4 B 35.04 – juris Rn. 3). Das Grundkonzept der Bauleitplanung beansprucht im entscheidungserheblichen Umfang nach wie vor Geltung. Auch soweit das Verwaltungsgericht dazu u.a. auf die textliche Ziffer 8 des Bebauungsplans abgestellt hat, die die gärtnerische Gestaltung der nicht überbauten Grundstücksflächen sowie die Bepflanzung mit Bäumen regelt, bestehen keine Zweifel daran, dass dies dem Konzept des Erhalts einer möglichst großen tatsächlichen und optischen Wohnruhe geschuldet ist. Die von der Klägerin begehrte Abweichung ginge in einem Maße darüber hinaus, welches Veranlassung für eine Änderung der entsprechenden Festsetzungen böte. Zu den durch die Ertüchtigung des Mastens bewirkte deutlich massivere Antennenausführung verhält die Klägerin sich nicht. Damit wäre der Rahmen einer Randkorrektur der vorgegebenen Bauleitplanung der „Erhaltung einer ortstypischen Wohnqualität“ durch die Erteilung einer Befreiung deutlich überschritten. Auch soweit die Klägerin im Hinblick auf Mobilfunkmasten auf die Akzeptanz der Bevölkerung und die grundsätzliche Wertung des Verordnungsgebers nach § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO hinweist und damit sinngemäß geltend macht, dass Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB erforderten, ergeben sich keine rechtlichen Zweifel an der angefochtenen Entscheidung. Zu den Grundzügen der Planung gehört die Entscheidung des Satzungsgebers, durch den Ausschluss von Nebenanlagen derartige Anlagen von dem festgesetzten Wohngebiet fernzuhalten. Wenn – wie hier – die Grundzüge der Planung berührt werden, scheidet eine Befreiung aus (vgl. BVerwG, B.v. 24.0.2009 – 4 B 29.09 – juris Rn. 5). Ob die Beklagte angesichts der heutigen Bedeutung der Technik an dieser Entscheidung festhalten will, ist entgegen der Auffassung der Klägerin keine Frage der Planungskonzeption, sondern der etwaigen Überarbeitung des Bebauungsplans. Zudem entfaltet die Zulassung des Mobilfunkmastens Vorbildwirkung für andere Grundstücke. Denn die Gründe, die für eine solche Befreiung tragend wären, ließen sich für eine Vielzahl von Grundstücken im Plangebiet anführen. Daran vermögen auch die in nicht geringer Anzahl vorhandenen Photovoltaikanlangen, die nicht über Befreiungen legalisiert wurden, nichts zu ändern, weil es für die Frage, ob Grundzüge der Planung berührt werden, alleine darauf ankommt, ob das mit dem Bebauungsplan verfolgte Konzept noch realisiert werden kann. Weder war insoweit eine weitere Aufklärung dazu, ob die Photovoltaikanlagen illegal errichtet wurden, erforderlich, noch kommt es entscheidend darauf an, ob das Wohngebäude sich – wie vorliegend – am Rand des Plangebiets befindet. Die Rüge der Klägerin, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht von einer geringen Anzahl von Photovoltaikanlagen ausgegangen, ist unzutreffend. Das Gericht legt seiner Entscheidung vielmehr eine nicht geringe Anzahl von Photovoltaikanlagen zugrunde (UA S. 13).
Schließlich kann der Auffassung der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass im allgemeinen Wohngebiet nicht alle gewerblichen Nutzungen ausgeschlossen werden können mit der Folge der Herbeiführung einer Veränderung des Gebietscharakters hin zu einem reinen Wohngebiet, nicht gefolgt werden. Damit zielt die Klägerin auf einen Verstoß gegen die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebietstypus ab (vgl. BVerwG, B.v. 8.2.1999 – 4 BN 1.99 – NVwZ 1999, 1340). Ein solcher Verstoß gegen das hier festgesetzte allgemeine Wohngebiet liegt nicht vor. Die allgemeine Zweckbestimmung des allgemeinen Wohngebiets normiert § 4 Abs. 1 BauNVO. Danach dient dieses Gebiet vorwiegend dem Wohnen. Näheres ergibt sich aus § 4 Abs. 2 BauNVO, dessen Nutzungen die Beklagte jedoch nicht ausgenommen hat. Die Beklagte hat daher nicht die Wirkung eines reinen Wohngebiets hergestellt, ohne dies so festzusetzen. Dies hat das Verwaltungsgericht ungeachtet dessen, dass es zur Wohnnutzung auch ausgeführt hat, dass diese „kompromisslos reingehalten werden solle“ (UA S. 13), nicht verkannt.
2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn eine im Zulassungsantrag formulierte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus relevant ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (vgl. BVerwG, B.v. 30.3.2005 – 1 B 11.05 – NVwZ 2005, 709; B.v. 9.6.1999 – NVwZ 1999, 1231). Die von der Klägerin als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Fragen stehen sämtlich im Zusammenhang mit der Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine erforderliche Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB und textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans. Diese Fragen sind aus den vorstehend unter Nummer 1 ausgeführten Gründen nicht entscheidungserheblich (vgl. BVerwG, B.v. 30.3.2005 a.a.O.).
3. Angesichts der Ausführungen unter Nummern 1 und 2 weist die Rechtssache auch keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, weil er sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 1 sowie § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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