Baurecht

Keine Befreiung von Festsetzungen über die Baugrenze

Aktenzeichen  M 8 K 14.5120

Datum:
1.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2

 

Leitsatz

Eine Befreiung von Festsetzungen der Baugrenzen kommt nicht in Frage, wenn diese die Funktion haben, einen durchgrünten, von Bebauung freigehaltenen Vorgartenbereich zu schaffen. Dadurch hätten auch die übrigen im Plangebiet liegenden Grundstücke einen Befreiungsanspruch, was die planerischen Festsetzungen beseitigen würde (ebenso BVerwG NVwZ 1990, 556). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Verpflichtungsklage ist in der Sache unbegründet, da dem Kläger kein Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung zusteht, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Der Kläger hat keinen Rechtsanspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO, da das beantragte Vorhaben wegen Überschreitung der festgesetzten Baugrenze gem. § 23 Abs. 3 BauNVO 1990 bauplanungsrechtlich unzulässig ist und damit gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Das Vorhaben widerspricht insoweit den Festsetzungen des Bebauungsplans und ist damit gemäß § 30 Abs. 1 BauGB unzulässig.
Dem Kläger steht insoweit auch kein Anspruch auf Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB zu. Danach kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und
1. Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, die Befreiung erfordern oder
2. die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder
3. die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde
und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Vorliegend steht dem Kläger schon deswegen kein Anspruch auf die Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von der Festsetzung der Baugrenze zu, weil durch die Befreiung von der Baugrenze die Grundzüge der Planung berührt würden.
Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Was zum planerischen Grundkonzept zählt, beurteilt sich nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Planungswillen der Gemeinde. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die Befreiung in den mit der Planung gefundenen Interessenausgleich eingreift, desto eher liegt es nahe, dass das Planungskonzept in einem Maße berührt wird, das eine (Um-)Planung erforderlich macht (vgl. BVerwG, B. v. 5.3.1999 – 4 B 5.99, NVwZ 1999, 1110 – juris; B. v. 19.5.2004 – 4 B 35.04 – juris; U. v. 18.11.2010 – 4 C 10/09 – juris RdNr. 37; U. v. 2.2.2012 – 4 C 14/10 – juris RdNr. 22). Was den Bebauungsplan in seinen „Grundzügen“, was seine „Planungskonzeption“ verändert, lässt sich nur durch (Um-)Planung ermöglichen und darf nicht durch einen einzelfallbezogenen Verwaltungsakt der Baugenehmigungsbehörde zugelassen werden. Denn die Änderung eines Bebauungsplans obliegt nach § 2 BauGB der Gemeinde und nicht der Bauaufsichtsbehörde; hierfür ist ein bestimmtes Verfahren unter Beteiligung der Bürger und der Träger öffentlicher Belange vorgeschrieben, von dem nur unter engen Voraussetzungen abgesehen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 9.6.1978 – 4 C 54.75 – juris RdNr. 27; U. v. 2.2.2012 – 4 C 14/10 – juris RdNr. 22). Von Bedeutung für die Beurteilung, ob die Zulassung eines Vorhabens im Wege der Befreiung die Grundzüge der Planung berührt, können auch Auswirkungen des Vorhabens im Hinblick auf mögliche Vorbild- und Folgewirkungen für die Umgebung sein. Eine Befreiung von einer Festsetzung, die für die Planung tragend ist, darf nicht aus Gründen erteilt werden, die sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen Grundstücke anführen ließen (vgl. BVerwG, B. v. 5.3.1999 – 4 B 5.99 – juris RdNr. 6; B. v. 29.7.2008 – 4 B 11/08 – juris RdNr. 4; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: August 2015, § 31 RdNr. 36).
Insbesondere für vordere Baugrenzen ist anerkannt, dass diese einen Grundzug der Planung darstellen können, der einer Befreiungserteilung entgegensteht (vgl. BVerwG, B. v. 20.11.1989 – 4 B 163/89 – juris Rn. 19).
Vorliegend kommt der Festsetzung der straßenseitigen Baugrenze erkennbar die Funktion zu, in der …-straße einen durchgrünten, von Bebauung freigehaltenen Vorgartenbereich zu schaffen. Würde für das Vorhaben des Klägers eine Befreiung erteilt, so müsste auch für alle anderen Grundstücke im Plangebiet eine entsprechende Befreiung erteilt werden, da sich diese in ihrer Belegenheit zur Straßenfront nicht unterscheiden. Damit würde aber eine planerische Situation entstehen, die die ursprüngliche planerische Festsetzung der Baugrenze und die damit intendierte Freihaltung eines Vorgartenbereichs faktisch beseitigen würde (vgl. BVerwG, B. v. 20.11.1989 – 4 B 163/89 – juris Rn. 17).
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. mit §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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