Baurecht

Klage gegen Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens und Abgrenzung des Innenbereichs vom Außenbereich

Aktenzeichen  M 11 K 18.112

Datum:
5.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 23379
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34, § 36
BayBO Art. 67

 

Leitsatz

1 Ein Bebauungszusammenhang ist gegeben, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Dabei kommt es darauf an, dass das betreffende Grundstück selbst einen Bestandteil des Zusammenhangs bildet, also selbst am Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit teilnimmt. Diese Frage wird nicht nach geographisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Wertung und Bewertung des im Einzelfall gegebenen konkreten Sachverhalts entschieden. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Mit Rücksicht auf die Rechtsfolge der Anwendbarkeit des § 34 BauGB, nämlich aus der Eigenart der näheren Umgebung, insbesondere der vorhandenen Bebauung, die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben bestimmen zu können, setzt der Bebauungszusammenhang voraus, dass das betreffende Grundstück oder seine Fläche durch die Eigenart der näheren Umgebung entsprechend geprägt wird.  (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die nach Maßgabe des Art. 67 BayBO erfolgte Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten aus § 36 BauGB, weil das Vorhaben bauplanungsrechtlich zulässig ist.
Die Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich vorliegend nach § 34 BauGB, da der Vorhabenstandort dem Innenbereich zuzurechnen ist.
Strittig ist vorliegend lediglich, ob der östliche Teil des Vorhabengrundstücks noch dem Bebauungszusammenhang, der durch die vorhandene Umgebungsbebauung vermittelt wird, angehört.
Ein Bebauungszusammenhang ist gegeben, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt (st. Rspr., z.B. BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5/14 – juris Rn. 11 m.w.N.). Dabei kommt es darauf an, dass das betreffende Grundstück selbst einen Bestandteil des Zusammenhangs bildet, also selbst am Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit teilnimmt (BVerwG Urt. v. 22.6.1990 – 4 C 6.87). Diese Frage wird nicht nach geographisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Wertung und Bewertung des im Einzelfall gegebenen konkreten Sachverhalts entschieden (BVerwG Urt. v. 6.12.1967 – 4 C 94.66; Urt. v. 6.11.1968 – 4 C 2.66; Urt. v. 12.12.1990 – 4 C 40.87; Urt. v. 14.11.1991 – 4 C 1.91; Beschluss vom 18.6.1997 – 4 B 238.96; Beschluss vom 2.4.2007 – 4 B 7.07; Beschluss vom 1.9.2010 – 4 B 21.10; Urt. v. 16.9.2010 – 4 C 7.10; Beschluss vom 15.9.2011 – 9 B 11.11; Urt. v. 19.4.2012 – 4 C 10.11). Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist gerichtlich voll überprüfbar; der Gemeinde und der Baugenehmigungsbehörde stehen insofern kein Beurteilungsspielraum, auch nicht in Grenzen, zu (ständige Rechtsprechung des BVerwG, z.B. Beschluss vom 4.10.2006 – 4 BN 26.06). Mit Rücksicht auf die Rechtsfolge der Anwendbarkeit des § 34 BauGB, nämlich aus der Eigenart der näheren Umgebung, insbesondere der vorhandenen Bebauung, die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben bestimmen zu können, setzt der Bebauungszusammenhang voraus, dass das betreffende Grundstück oder seine Fläche durch die Eigenart der näheren Umgebung entsprechend geprägt wird (BVerwG Urt. v. 1.12.1972 – 4 C 6.71; Urt. v. 26.5.1978 – 4 C 9.77).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe und nach dem allein entscheidenden optischen Gesamteindruck im konkreten Fall folgt hieraus, dass der Bereich des Vorhabengrundstücks vollständig dem Innenbereich zuzuordnen ist. Unstreitig ist jedenfalls der größte Teil des streitgegenständlichen Grundstücks, jedenfalls bis auf Höhe der östlichen Außenwand des aktuell noch vorhandenen Hauptgebäudes dem Innenbereich zuzuordnen. Der über die östliche Außenwand hinausragende Bereich gehört jedoch ebenfalls dem Innenbereich an, da er nach dem optischen Gesamteindruck von der umliegenden Bebauung geprägt ist. Insbesondere das Wohngebäude auf FlNr. … tritt bei Augenscheinnahme vom rückwärtigen (östlichen) Grundstücksbereich des Vorhabengrundstücks aus derart massiv und zentral in Erscheinung, dass dieser rückwärtige Grundstücksbereich hiervon geradezu dominiert wird. In Zusammenschau mit der im nördlichen Bereich recht dichten Bebauung sowie der Bebauung im Nordwesten, Westen, Süden und nicht zuletzt der auf dem Vorhabengrundstück selbst vorhandenen Bebauung, die auch im Falle des baldigen Abbruchs nach den Maßgaben der diesbezüglichen Rechtsprechung ohnehin noch eine Weile „nachwirken“ würde, erscheint das gesamte Vorhabengrundstück, einschließlich des östlichen Teils von Bebauung geprägt. Das Gericht verkennt zwar nicht, dass nach ständiger Rechtsprechung der Innenbereich grundsätzlich an der Außenwand des letzten Gebäudes endet und die sich hieran anschließenden selbstständigen Flächen dem Außenbereich zuzuordnen sind. Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht auch in derartigen Fällen in ständiger Rechtsprechung immer betont, dass letztendlich in jedem Falle die Umstände des Einzelfalls maßgeblich sind. Ob der o.g. Grundsatz, dass der Innenbereich grundsätzlich an der Außenwand des letzten Hauses endet, in derartigen Fällen wie dem vorliegenden, wenn es mithin um etwaige Außenbereichsinseln in einer sonst kompakt bebauten und dicht besiedelten Ortschaft geht, möglicherweise weniger streng zu handhaben ist, als wenn es um das klassische „Ausufern“ des Innenbereichs in den Außenbereich in Ortsrandlagen geht, kann letztlich dahinstehen. Dies folgt daraus, dass wegen der zuvor genannten Gründe und des letztlich entscheidenden optischen Gesamteindrucks vor Ort der Vorhabenstandort ohnehin bereits schon deshalb dem Innenbereich zuzuordnen ist.
Auch fügt sich das Vorhaben nach dem allein strittigen Maß der baulichen Nutzung ein.
Unstreitig handelt es sich bei dem unmittelbar angrenzenden ehemaligen Jugendzentrum um das hinsichtlich Grundfläche und Höhenentwicklung größte Gebäude in der Umgebung. Aufgrund des im Rahmen des Augenscheins gewonnenen Eindrucks der Kammer ist auch nicht, wie der Kläger meint, davon auszugehen, dass das ehemalige Jugendzentrum auf FlNr. … einen Fremdkörper darstellt, der nicht in der Lage wäre, die Eigenart der näheren Umgebung mitzuprägen. Es handelt sich zwar um ein stattliches Gebäude, das jedoch weder was Grundfläche und absolute Höhe noch die Art der Nutzung angeht, völlig aus dem Rahmen fiele, da es im Vergleich zur Umgebungsbebauung überdimensioniert wirken würde. Insbesondere hinsichtlich der Art der Nutzung kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Nutzung als Jugend- und Freizeitheim bzw. aktuell Asylbewerberunterkunft, was beides selbst in einem reinen Wohngebiet zumindest ausnahmsweise nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zulässig wäre, und im Falle der aktuellen Nutzung in jedem Fall auch zumindest als wohnähnlich einzustufen und zu behandeln wäre, derart aus dem Rahmen fällt, dass es außer Acht gelassen werden müsste.
Die Klage war deshalb abzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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