Baurecht

Leistungen, Vergabekammer, Beschwerde, Vergabeunterlagen, Bieter, Fahrtkosten, Vorabentscheidung, Ausschluss, Auslegung, Zuschlag, Zuschlagserteilung, Angebot, Vergabe, Angebotswertung, sofortige Beschwerde, Aussicht auf Erfolg, Entscheidung der Vergabekammer

Aktenzeichen  Verg 6/21

Datum:
17.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 21102
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

3194.Z3-3_01-20-49 — VKSUEDBAYERN Vergabekammer München

Tenor

1. Der Antrag der Antragsgegnerin auf vorzeitige Gestattung des Zuschlags wird abgelehnt.
2. Der Senat weist darauf hin, dass er den Schriftsatz der Antragstellerin vom 10. Juni 2021 nicht als Anschlussbeschwerde auslegt.
3. Der Senat beabsichtigt, das Beschwerdeverfahren auf den 17. oder 18. August 2021 zu terminieren.
Die Verfahrensbevollmächtigen werden gebeten, etwaige Verhinderungen möglichst kurzfristig mitzuteilen.

Gründe

I.
Mit Auftragsbekanntmachung Nr. 2020/S. 118-285367 vom 19. Juni 2020 schrieb die Antragsgegnerin, ein Klinikum, im Wege eines offenen Verfahrens einen Bauauftrag über die De- und Neumontage von Leitungen für medizinische Gase einschließlich Entnahmestellen und Ventilkästen aus.
Nach Ziffer 7 der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots ist Zuschlagskriterium der Preis.
Gemäß Abschnitt A) der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots sind das Formblatt 212EU (Teilnahmebedingungen EU [Ausgabe 2019]) und das Formblatt 242.H (Instandhaltung) im Vergabeverfahren zu beachten. Nach Ziffer 2 des Formblatts 242.H ist Gegenstand des Angebots sowohl die Erstellung der Anlage als auch deren Inspektion und Wartung. Ist der Angebotsteil Instandhaltung nicht wertbar, wird das Angebot nach Ziffer 4 des Formblatts 242.H insgesamt (und damit auch der Angebotsteil Erstellung der Anlage) ausgeschlossen; Positionen, die nur auf besondere Aufforderung durch den Auftraggeber zur Ausführung kommen, werden nach dieser Regelung nicht gewertet, es sei denn, in den Vergabeunterlagen wird ein Wertungsmodus genannt. Gemäß Abschnitt C) der Aufforderung zur Abgabe des Angebots ist neben dem Angebotsschreiben (Formblatt 213.H) insbesondere das Vertragsformular für Instandhaltung einzureichen, dessen Ziffer 2 die Leistungen des Auftragnehmers regelt. Nach Ziffer 2.4 ist der Auftragnehmer – auch außerhalb der regelmäßigen Wartungstermine – verpflichtet, Störungen, die die Anlagensicherheit beeinträchtigen oder die Gebäudenutzung gefährden, nach Aufforderung zu beseitigen. Zur Vergütung dieser Leistungen enthält das vom Bieter auszufüllende Vertragsformular unter Ziffer 5.2 folgende Vorgaben:
„Leistungen nach Nr. 2.4 werden wie folgt vergütet (netto)
Stundenverrechnungssatz: Obermonteur € Monteur € Helfer €
… Fahrtkosten (An- und Abfahrt): €/Auftrag
… km-Pauschale pro Fahrtkilometer €/km Für die Fahrtzeit werden keine Arbeitsstunden vergütet.“
Bezüglich der die „Bereichsabsperreinheit-Brandschutzkassette“ betreffenden Positionen 1.4.13 und 1.4.14 des Leistungsverzeichnisses wird auf den Beschluss der Vergabekammer Bezug genommen.
Innerhalb der Angebotsfrist, die auf den 21. Juli 2020 14.00 Uhr festgesetzt worden war, reichten sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladene ein Angebot ein, wobei das Angebot der Antragstellerin preislich vor jenem der Beigeladenen lag.
Mit Schreiben vom 3. August 2020 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin zur Vorlage fehlender Unterlagen auf. Die Antragstellerin reichte daraufhin weitere Unterlagen und Nachweise ein. Mit Informationsschreiben gemäß § 134 GWB vom 3. September 2020 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, ihr Angebot werde von der Wertung ausgeschlossen, weil die geforderte technische Klärung nicht vollständig erbracht worden sei. Der Rüge der Antragstellerin vom 8. September 2020 half die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 11. September 2020 dahingehend ab, dass sie an die Antragstellerin ein gesondertes Aufklärungsverlangen richten werde. Mit Schreiben vom 14. September 2020 (Anlage AS 12, Bl. 84 f. d. A. VK) forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin auf, zusätzliche Informationen und Unterlagen zu ihrem Angebot bis spätestens 21. September 2020, 12:00 Uhr, zu übermitteln. Die Antragstellerin legte mit Schreiben vom 21. September 2020 (Anlage AS 13, Bl. 89 ff. Bl. d. A VK) weitere Unterlagen vor und wies insbesondere darauf hin, dass ihr die Vorlage eines Beflammungstests, den sie als „technisch sinnlos“ ansehe, nicht zumutbar sei.
Mit Schreiben vom 2. Oktober 2020 (Anlage AS 14, Bl. 140 ff. d. A VK) teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot von der Wertung ausgeschlossen werde. In ihrer Begründung stellte sie darauf ab, dass die Antragstellerin zu LV-Position 1.4.13 kein Brandschutzgutachten mit Brandschutzzertifikat vorgelegt habe, sondern lediglich eine „brandschutztechnische Stellungnahme“, die keine abschließende Aussage über den Brandschutz in Bezug auf die Brandschutzkassette treffe.
Die Antragstellerin rügte den Ausschluss ihres Angebots mit Schreiben vom 7. Oktober 2020 (Anlage AS 15, Bl. 149 ff. d. A. VK). Die vorgelegte brandschutztechnische Stellungnahme stelle das geforderte Brandschutzgutachten mit Brandschutzzertifikat dar, da es bei vernünftiger Lesart bestätige, dass hinsichtlich der Brandschutzkassetten bzw. Brandschutzplatten keine Bedenken aus brandschutztechnischer Sicht bestünden. Die Forderung nach einem Beflammungstest sei vergaberechtswidrig .
Mit Schreiben vom 9. Oktober 2020 (Anlage AS 16, Bl. 154 ff. d. A. VK) half die Antragsgegnerin der Rüge nicht ab. Im Übrigen erfüllten die Ausführungen der Antragstellerin im Schreiben vom 7. Oktober 2021 den Ausschlusstatbestand nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. a) und b) GWB.
Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit E-Mail vom 12. Oktober 2020 (Anlage AS 17, Bl. 158 d. A. VK).
Mit Schreiben vom 12. Oktober 2020 (Bl. 21 ff. d. A. VK) hat sie einen Nachprüfungsantrag gemäß § 160 Abs. 1 GWB gestellt, mit dem sie ihr bisheriges Vorbringen vertieft hat.
Die Antragstellerin hat beantragt,
1.der Antragsgegnerin zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen;
2.die Antragsgegnerin anzuweisen, eine neue Angebotswertung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer durchzuführen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Zur Begründung hat sie vorgetragen, der Nachprüfungsantrag sei schon unzulässig, jedenfalls unbegründet. Es liege ein Lieferauftrag im Sinne von § 103 Abs. 2 GWB vor, sodass die öffentliche Auftraggebereigenschaft nach § 99 Nr. 4 GWB nicht greife. Sie hat ferner ihre Begründung vertieft, mit der sie die Rügen der Antragstellerin zurückgewiesen hat.
Mit Beschluss vom 20. Januar 2021 hat die Vergabekammer die für den Zuschlag vorgesehene Bieterin zum Verfahren beigeladen.
Am 22. März 2021 (Bl. 412 ff. d. A. VK) hat die Vergabekammer den rechtlichen Hinweis erteilt, das Angebot der Beigeladenen sei gemäß § 16 EU Nr. 2, § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A auszuschließen, da es Abweichungen von den Vergabeunterlagen enthalte. Das dem Angebot der Beigeladenen beigefügte, von ihr ausgefüllte Formular des Wartungsvertrags habe in Ziffer 5.2 folgende Änderungen enthalten: Das Wort „Obermonteur“ sei durchgestrichen und durch das Wort „Servicetechniker“ ersetzt worden. Ein Stundenverrechnungssatz für Monteur und Helfer sei nicht angegeben. Bei den Fahrtkosten sei ein Eurobetrag pro Stunde angegeben und die vorgegebene Bezugsgröße „€/Auftrag“ durchgestrichen worden. Bei der Kilometerpauschale sei ebenfalls ein Eurobetrag pro Stunde angegeben und die vorgegebene Bezugsgröße „€/km“ durchgestrichen worden. Während die von der Beigeladenen vorgenommenen Änderungen in Bezug auf die geforderten Stundenverrechnungssätze bei einer Auslegung am objektiven Empfängerhorizont gemäß §§ 133, 157 BGB möglicherweise noch dahingehend vorgabenkonform interpretiert werden könnten, dass hiermit zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass ein einheitlicher Stundenverrechnungssatz angeboten werde unabhängig davon, welche Qualifikation der den Wartungs- bzw. Inspektionsservice durchführende Techniker aufweise, sei dies bei den vorgenommenen Änderungen in Bezug auf die geforderten Fahrtkosten- und Kilometerpauschalen anders. Diesbezüglich sei dem Vertragsformular bei objektiver Betrachtung eindeutig der Erklärungsgehalt zu entnehmen, dass die Beigeladene die Fahrtkosten stundenweise abrechnen werde und damit von der vom Auftraggeber formulierten Vorgabe abweiche, eine Fahrtkosten- und Kilometerpauschale anzubieten. Gemäß § 16 EU Nr. 2, § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A seien Angebote auszuschließen, die Änderungen an den Vergabeunterlagen enthielten. Dem Regelungszweck der Vorschrift entsprechend, die Transparenz des Vergabeverfahrens und die Gleichbehandlung der Bieter sicherzustellen, sei der Begriff der Änderung weit zu verstehen. Umfasst sei jede Abweichung von den Vergabeunterlagen, die dazu führe, dass der Angebotsinhalt nicht mehr dem entspreche, was der öffentliche Auftraggeber nachgefragt habe. Erfasst seien ferner Abweichungen von zwingend zu beachtenden Kalkulationsvorgaben. Die Änderung der Beigeladenen am Vertragsformular könne auch nicht vor dem Hintergrund der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu unschädlichen Änderungen an den Vergabeunterlagen (Urt. v. 18. Juni 2019, X ZR 86/17 – Straßenbauarbeiten, NZBau 2019, 661) als unbeachtlich angesehen werden. In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall habe der Bieter seinem Angebot eigene Vertragsbedingungen beigefügt. Vor diesem Hintergrund habe der Bundesgerichtshof betont, dass solche Fallgestaltungen grundsätzlich anders lägen als bei manipulativen Eingriffen in die Vergabeunterlagen im eigentlichen Sinne, die dadurch gekennzeichnet seien, dass ein von den Vorgaben der Vergabeunterlagen inhaltlich abweichendes Angebot abgegeben werde und bei Hinwegdenken solcher Abweichungen gerade kein vollständiges, sondern ein lückenhaftes Angebot vorläge. So aber liege der Fall hier, da das Angebot der Beigeladenen bei Hinwegdenken der vorgenommenen Änderungen im Hinblick auf die anzubietende Fahrtkosten- und Kilometerpauschale unvollständig bleibe. Ausweislich des Eröffnungsprotokolls hätten lediglich die Antragstellerin und die Beigeladene Angebote abgegeben. Da diese beiden Angebote nicht zuschlagsfähig seien, komme eine Zuschlagserteilung nicht in Betracht. Damit bleibe die Antragsbefugnis der Antragstellerin bestehen, der sich im Falle einer Neuausschreibung der Leistung eine „zweite Chance“ auf Abgabe eines zuschlagsfähigen Angebots eröffne.
Während die Antragstellerin diese Ansicht der Vergabekammer verteidigt hat, sind ihr die Antragsgegnerin und die Beigeladene entgegengetreten. Die Beigeladene hat mit Schriftsatz vom 25. März 2021 (Bl. 471 ff. d. A. VK sowie Anlage AS 19) eingewandt, die Angaben unter Ziffer 5.2 des Vertrags für Wartung und Inspektion gölten ausschließlich für optionale Leistungen nach Ziffer 2.4 (Störungsbeseitigung auf gesonderte Aufforderung) und beträfen nicht die regelmäßige Wartung, die von der jährlichen Pauschalvergütung nach Ziffer 5.1 gedeckt werde; nur diese sei für die Wertung relevant. Ungeachtet der fehlenden Wertungsrelevanz, sei hier die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu unschädlichen Änderungen an den Vergabeunterlagen (NZBau 2019, 661 – Straßenbauarbeiten) einschlägig. Richtig sei zwar, dass durch die Abstandnahme von den Angaben zu den Fahrtkosten und zur Kilometerpauschale unter Ziffer 5.2 des Wartungsvertrags zunächst eine Lücke in Form einer fehlenden Preisangabe entstünde, allerdings sei der Antragsgegner nach „§ 16a EU Abs. 2 Satz 2 und Satz 4“ VOB/A (Anmerkung des Senats: richtig § 16a EU Abs. 2 Satz 3 VOB/A) berechtigt und verpflichtet, eine solche Lücke durch Nachforderung der fehlenden Preisangabe zu schließen. Im Vorgriff darauf werde erklärt, dass die Beigeladene von den Angaben zu den Fahrtkosten und zur Kilometerpauschale unter Ziffer 5.2 des Wartungsvertrags Abstand nehme und die Fahrtkosten (An- und Abfahrt) zum Preis von 83,00 €/Auftrag und die Kilometerpauschale pro Fahrtkilometer zum Preis von 0,68 €/km anbiete. Im Hinblick auf die Stundensätze werde zusätzlich die zutreffende Auslegung der Kammer, dass diese einheitlich für alle Qualifikationen angeboten würden, bestätigt. Die Antragsgegnerin hat im Schriftsatz vom 26. März 2021 (Bl. 488 ff. d. A. VK) ausgeführt, ein Ausschluss des Angebots der Beigeladenen komme nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 18. Juni 2019 (NZBau 2019, 661 – Straßenbauarbeiten) nicht mehr in Betracht. Der Bundesgerichtshof habe hervorgehoben, dass die VOB/A darauf abziele, „die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote nicht unnötig wegen an sich vermeidbarer, nicht gravierender formaler Mängel zu reduzieren“. Dieses Regelungsziel sei auch bei der Auslegung der Regelung über Änderungen an den Vergabeunterlagen in den Vordergrund zu stellen. Dies führe nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs dazu, dass „Abweichungen von den Vergabeunterlagen“ – wie sie hier in Rede stünden – aufgeklärt werden könnten und nicht zwingend zum Ausschluss eines Angebots führen müssten. Zur Aufklärung des Angebots habe die Beigeladene mit ihrem Vortrag im Schriftsatz vom 25. März 2021 aus Sicht der Antragstellerin alles Notwendige getan. Die Beigeladene habe in Bezug auf die Angabe zum Stundenverrechnungssatz ausdrücklich erklärt, dass – wovon sie, die Antragsgegnerin, ohnehin ausgegangen sei – ein einheitlicher von der Qualifikation des Beschäftigten unabhängiger Stundenverrechnungssatz angeboten worden sei. Bezüglich der Angaben zu den Fahrtkosten und zur Fahrtkilometerpauschale habe die Beigeladene erklärt, von ihren Angaben Abstand nehmen zu wollen, was nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vergaberechtskonform möglich sei. Die hierdurch entstandenen „Lücken“ seien von der Beigeladenen durch entsprechende Preisangaben sogleich gefüllt worden. Dies sei ohne weiteres gemäß § 16a EU Abs. 2 Satz 3 VOB/A möglich, weil unwesentliche Preispositionen betroffen seien. Die Preisangaben bezögen sich nur auf optionale Nebenleistungen im Rahmen der Wartung und nicht auf die im Zentrum des Auftrags stehenden Bauleistungen. Die Angaben seien für die Antragsgegnerin nur von untergeordneter Bedeutung. Durch die Preispositionen würden Wettbewerb und Wertungsreihenfolge nicht tangiert, weil die Preise – wie die Beigeladene zutreffend vortrage – nicht wertungsrelevant seien. Die Antragstellerin hat dagegen im Schriftsatz vom 7. April 2020 (Bl. 514 ff. d. A. VK) eingewandt, die Beigeladene verkenne, dass es um die Frage der Vergleichbarkeit der Angebote gehe. Aufgrund der Änderungen an den Vergabeunterlagen bestünden keine deckungsgleichen Angebote beider Bieter; eine Änderung führe ungeachtet ihrer preislichen Wertung zum Ausschluss eines Angebots. Anknüpfungspunkt sei der Inhalt der Angebote, nicht die Wertungsrelevanz der geänderten Angaben.
Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 27. April 2021 der Antragsgegnerin untersagt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, und die Antragsgegnerin verpflichtet, die Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen. Gegenstand der Vergabe sei ein Bauauftrag i. S. d. § 103 Abs. 3 GWB. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin sei weitgehend zulässig und insoweit auch begründet, da die Angebotswertung der Antragsgegnerin fehlerhaft sei. Zwar sei das Angebot der Antragstellerin zurecht gemäß § 16a EU Abs. 5 VOB/A ausgeschlossen worden, da sie den nachgeforderten Beflammungstest nicht eingereicht habe. Es sei aber auch das Angebot der Beigeladenen gemäß § 16 EU Nr. 2, § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A auszuschließen, da es Abweichungen von den Vergabeunterlagen enthalte. Zur Begründung hat die Vergabekammer ihre im Hinweis vom 22. März 2021 dargestellte Rechtsansicht wiederholt. Bei Hinwegdenken der vorgenommenen Änderungen bleibe das Angebot der Beigeladenen im Hinblick auf die anzubietende Fahrkosten- und Kilometerpauschale unvollständig. Diese Lücke könne – entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin und der Beigeladenen – nicht im Wege der Nachforderung gemäß § 16a EU Abs. 2 Satz 3 VOB/A geschlossen werden. Dies setzte voraus, dass Preispositionen im Angebot der Beigeladenen fehlten. Die Beigeladene habe zu den fraglichen Positionen jedoch Preise angeboten; die vermeintliche Lücke bestehe nur im Rahmen einer hypothetischen Betrachtung. Wie die Antragstellerin zutreffend ausführe, bewirkte eine Streichung der fehlerhaften Angabe verbunden mit der Nachforderung der dann fehlenden Angabe eine inhaltliche Korrektur des Angebots der Beigeladenen. Ungeachtet der Tatsache, dass § 16a EU Abs. 1 Satz 1 VOB/A eine Korrekturmöglichkeit nur bei unternehmensbezogenen Unterlagen vorsehe, sei eine nachträgliche inhaltliche Änderung des Angebots im offenen Verfahren generell nicht zulässig. Darüber hinaus sei nach den vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätzen der „manipulative Eingriff“ in die Vergabeunterlagen gerade dadurch definiert, dass im Rahmen einer hypothetischen Betrachtung ein unvollständiges Angebot verbleibe. Wäre es öffentlichen Auftraggebern möglich, diese (hypothetische) Lücke im Wege der Nachforderung zu schließen, kämen Angebotsausschlüsse aufgrund von Abweichungen der Vergabeunterlagen bei nicht wertungsrelevanten Angaben generell nicht mehr in Betracht. Dies entspreche jedoch gerade nicht dem Telos der Begründung des Bundesgerichtshofs, wonach die Fallgestaltung bei den sog. manipulativen Eingriffen in die Vergabeunterlagen grundsätzlich anders liege.
Da die Angebote der beiden Bieter nicht zuschlagsfähig seien, komme eine Zuschlagserteilung nicht in Betracht. Die Antragsbefugnis der Antragstellerin bleibe damit bestehen. Deren „zweite Chance“ auf Abgabe eines zuschlagsfähigen Angebots im Falle einer Neuausschreibung der Leistung entfalle auch nicht wegen eines Ausschlusses gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 9 a) und b) GWB.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene wenden sich gegen diesen Beschluss, soweit die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag aus dem Grund nicht zurückgewiesen hat, dass das Angebot der Beigeladenen nicht zuschlagsfähig sei. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin, der der Beschluss der Vergabekammer an 30. April 2021 zugestellt worden ist, ist am 14. Mai 2021 bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen. Zur Begründung ihrer Ansicht, das Angebot der Beigeladenen sei nicht auszuschließen, wiederholen und vertiefen die Antragsgegnerin und die Beigeladene ihre Argumentation. Fehlten unwesentliche Preise, so könnten diese – wie hier geschehen – gemäß § 16a EU Abs. 2 VOB/A vom Bieter nachgereicht werden. Unabhängig davon, dass die Beigeladene von ihren Angaben habe Abstand nehmen können, fehlten Angaben zu den Fahrkosten (An- und Abfahrt) pro Auftrag und zu der km-Pauschale zu Fahrtkilometern. Der angegebene Stundenpreis sei ein aliud. Die Vergabekammer habe die Grenzen der Untersuchungspflicht gemäß § 163 GWB überschritten.
Mit Schriftsatz vom 19. Mai 2021 beantragt die Antragsgegnerin, ihr im Wege der Vorabentscheidung gem. § 176 GWB die Fortsetzung des Vergabeverfahrens und die Erteilung des Zuschlags zu gestatten.
Zur Begründung der Eilbedürftigkeit der Zuschlagserteilung hat die Antragsgegnerin ausgeführt, durch das Nachprüfungsverfahren habe sich die Erteilung des Zuschlags in unzumutbarer Weise verzögert. Die Vergabekammer habe nach Eingang des Nachprüfungsantrags am 12. Oktober 2020 die fünfwöchige Entscheidungsfrist mehrfach verlängert. In Folge dessen habe die Antragsgegnerin den Bauablauf bereits mehrmals erheblich umgestellt. Sollte der Zuschlag nicht spätestens am 24. Mai 2021 erteilt werden hätte dies gravierende Auswirkungen auf den Bauablauf. Eine verspätete Fertigstellung des Bauvorhabens wäre angesichts der im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben des Klinikums gemeinschädlich.
Die Antragstellerin beantragt,
den Antrag nach § 176 Abs. 1 GWB und die sofortigen Beschwerden zurückzuweisen.
Sie verteidigt insbesondere die Entscheidung der Vergabekammer zum Ausschluss des Angebots der Beigeladenen. Die Änderung der Vergabeunterlagen führe zwingend zum Ausschluss. Die Vergabestelle habe kein Ermessen, ob der Ausschluss verhältnismäßig sei. Da die sofortige Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg habe, sei dem Antrag nach § 176 Abs. 1 GWB nicht stattzugeben. Im Übrigen griffen die von der Antragsgegnerin vorgetragenen Abwägungspunkte nicht. Die vorgetragenen Termine stimmten nicht mit dem eigenen Zeitplan überein. Zur angeführten Beeinträchtigung des Betriebsablaufs fehle es an Sachvortrag. Der Antrag der Antragsgegnerin, ihr zu gestatten, den beabsichtigten Zuschlag zu erteilen, ist gemäß § 176 Abs. 1 Satz 1 GWB statthaft und auch sonst zulässig. In der Sache hat er jedoch keinen Erfolg, weil der Ausgang des Beschwerdeverfahrens nach summarischer Prüfung offen ist und die Interessenabwägung zu Lasten der Antragsgegnerin ausfällt.
Nach § 176 Abs. 1 Satz 1 GWB kann das Gericht den weiteren Fortgang des Vergabeverfahrens und den Zuschlag gestatten, wenn unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zur Entscheidung über die Beschwerde die damit verbundenen Vorteile überwiegen. Mit Blick auf den Anspruch der Bieter auf effektiven Rechtsschutz im Vergabenachprüfungsverfahren sind die Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde das vorrangig zu bewertende Kriterium, dem bei der Gesamtabwägung das wesentliche Gewicht zukommt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Juni 2017, VII-Verg 24/17 – Kontrastmittel, juris Rn. 10; Hänisch in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 5. Aufl. 2020, § 176 Rn. 27; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2021, GWB § 176 Rn. 13; Vavra in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 3. Aufl. 2017, GWB § 176 Rn. 14). Zwischen den Erfolgsaussichten der Beschwerde und dem Ergebnis der Interessenabwägung besteht eine Wechselwirkung. Je größer die Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der Beschwerde ist, desto geringere Anforderungen sind an die Eilbedürftigkeit des Zuschlags zu stellen (Herrmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, GWB § 176 Rn. 15). Auch bei hoher Erfolgsaussicht der sofortigen Beschwerde des Auftraggebers kann der Zuschlag jedoch nur nach einer Interessenabwägung gestattet werden, denn der antragstellende Bieter wird durch eine Vorabentscheidung endgültig um seinen Primärrechtsschutz gebracht (Vavra a. a. O. Rn. 17).
Geht man von der bisherigen strengen Linie der Vergabesenate bei Abweichungen zwischen den Angaben und Erklärungen des Bieters und den Vorgaben der Vergabestelle aus, wäre der Ausschluss des Angebots der Beigeladenen gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A i. V. m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A wegen unzulässiger Änderung der Vergabeunterlagen zu bejahen. Dann würde eine vorzeitige Gestattung der beabsichtigten Zuschlagserteilung von vorneherein ausscheiden. Vor dem Hintergrund der Besonderheiten der streitbefangenen „Änderungen“ und einiger Kernaussagen in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18. Juni 2018 (NZBau 2019, 661 – Straßenbauarbeiten) erscheint es allerdings problematisch, einen zwingenden Ausschlussgrund zu bejahen. Der Ausgang des Beschwerdeverfahrens ist deshalb nach summarischer Prüfung offen (s. u. 2.), so dass es auf die Interessenabwägung (s. u. 3.) ankommt.
1. Aus den von der Vergabekammer dargelegten Gründen, die die Beschwerdeführerinnen nicht angreifen, ist der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zumindest teilweise zulässig. Ein amtswegiges Aufgreifen eines – nicht präkludierten – Vergaberechtsverstoßes war damit grundsätzlich möglich (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Juni 2019, VII-Verg 54/18, juris Rn. 66; Beschluss vom 13. Mai 2019, VII-Verg 47/18, juris Rn. 65; Beschluss vom 11. Juli 2018, Verg 24/18, juris Rn. 58 ff.).
Die Präklusion verbietet es den Nachprüfungsinstanzen, einen Vergaberechtsverstoß zum Anlass für Anordnungen in der Sache zu nehmen; eine Ausnahme wird zum Teil für besonders schwerwiegende Verstöße angenommen (Ohlerich in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß Kommentar zum GWBVergaberecht, § 163 Rn. 14). Da hier eine Umgehung von Präklusionsvorschriften nicht im Raum steht, obliegt dem Senat nur die Überprüfung, ob der von der Vergabekammer angenommene Vergaberechtsverstoß vorliegt und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5. September 2018, Verg 32/18 – Elektronische Signatur, juris Rn. 25; OLG München, Beschluss vom 9. August 2010, Verg 13/10, juris Rn. 20; Dicks in Ziekow/Völlink, GWB § 163 Rn. 6; Horn/Hofmann in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, GWB § 163 Rn. 11).
2. Ob die Voraussetzungen für einen Ausschluss des Angebots der Beigeladenen gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A i. V. m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A wegen Abweichens von den Vergabeunterlagen vorliegen, vermag der Senat ohne Erörterung in der mündlichen Verhandlung nicht abschließend zu beurteilen.
Einerseits steht die Entscheidung der Vergabekammer im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung; andererseits bedarf es angesichts der Besonderheiten des Einzelfalls der Erörterung, ob unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (NZBau 2019, 661 – Straßenbauarbeiten) aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ein Ausschluss des Angebots der Beigeladenen ausscheidet.
Ob eine nach § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen vorliegt oder Angaben fehlen, die unter den Voraussetzungen des § 16a EU Abs. 2 Satz 3 VOB/A ausnahmsweise nachgefordert werden können (vgl. zu § 16 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2015: OLG München, Beschluss vom 30. Juli 2018, Verg 5/18, juris Rn. 21; VK Bund, Beschluss vom 18. Juni 2018, VK 1- 55/18, juris Rn. 54), ist durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB sowohl der Vergabeunterlagen als auch des Angebots des Bieters festzustellen (vgl. VK Bund, Beschluss vom 27. September 2019, VK 2 – 70/19, juris Rn. 92 m. w. N.; zu § 57 Abs. 1 Nr. VgV: Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, 2017, § 57 Rn. 54 f.).
a) Dass die Vertragsunterlagen hinsichtlich der Angaben zu den Fahrtkosten für Störungsbeseitigungen nach Ziffer 2.4 des Wartungsvertrags unklar gewesen wären, was einem Ausschluss des Angebots entgegenstünde (vgl. BGH, NZBau 2019, 661 – Straßenbauarbeiten, Rn. 47; Urt. v. 3. April 2012, X ZR 130/10 – Straßenausbau I, NZBau 2012, 513 Rn. 9; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. Mai 2020, 15 Verg 2/20 – Recyclingquote, juris Rn. 24; OLG München, Beschluss vom 9. März 2020, Verg 27/19, juris Rn. 70), haben die Beschwerdeführerinnen weder eingewandt noch ist dies sonst ersichtlich.
b) § 16a EU Abs. 2 Satz 3 VOB/A setzt das Fehlen von Preisangaben voraus, die Beigeladene hat jedoch bei den Fahrtkosten für Störungsbeseitigungen nach Ziffer 2.4 des Wartungsvertrags einen Preis pro Stunde angegeben.
Zwar fehlen Erklärungen in diesem Sinn nicht nur dann, wenn sie nicht vorgelegt wurden oder unvollständig sind, sondern auch dann, wenn sie unklar und widersprüchlich sind, so dass ihnen die für die Beurteilung des Angebots benötigten Informationen nicht entnommen werden können (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19. Februar 2015, 13 Verg 12/14 – Pfahldurchmesser, juris Rn.
82). Ob sich hier unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (NZBau 2019, 661 – Straßenbauarbeiten Rn. 26) ein Anlass für eine Aufklärung herleiten lässt (s. u. aa]), erscheint indes fraglich. Die Angabe eines Preises pro Stunde wird auch nicht als fehlende Angabe der Fahrtkosten pro Auftrag und pro Fahrtkilometer angesehen werden können (s. u. bb]).
aa) Die Durchführung von Maßnahmen zur Angebotsaufklärung gemäß § 2 Satz 2 VgV i. V. m. § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A setzt voraus, dass überhaupt Aufklärungsbedarf besteht (Horn in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. Stand: 1. Oktober 2016, § 15 VOB/A, Rn. 16). Die Beschwerdeführerinnen haben sich insoweit ausschließlich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NZBau 2019, 661 – Straßenbauarbeiten) berufen, aber nicht näher dargelegt, worin die Unklarheit der Angaben bestanden habe.
Aufklärungsmaßnahmen über das Angebot selbst sind stets unzulässig, wenn der objektive Erklärungsgehalt des Angebots im Wege der Auslegung eindeutig ermittelt werden kann (Stollhoff in Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2019, VOB/A § 15 Rn. 17). Im Übrigen dient die in § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A abschießend geregelte Möglichkeit, den Angebotsinhalt aufzuklären, nur der Informationsbeschaffung; die Aufklärung des Angebotsinhalts darf nicht zur Änderung des Angebots führen (vgl. Planker in Kapellmann/Messerschmidt, 7. Aufl. 2020, VOB/A § 15 Rn. 20).
Zwar kann sich eine nach dem Wortlaut zunächst eindeutig erscheinende Erklärung bei Auslegung nach §§ 133, 157 BGB als unklar und damit aufklärungsbedürftig erweisen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1. April 2020, VII-Verg 30/19 – Rohrvortrieb, juris Rn. 72 f. m. w. N.). Die Vergabestelle musste hier die Angaben der Beigeladenen aber dahingehend verstehen, dass sie die bei einer Störungsbeseitigung nach Ziffer 2.4 des Vertrags gesondert zu vergütenden Fahrtkosten pro Stunde berechnet. Die Angabe „kmPauschale pro Fahrtkilometer [Betrag]€ pro Std. €/km“ ist zwar in sich widersprüchlich, weil die Angabe eines Eurobetrags pro Stunde keine „km-Pauschale“ sein kann und zudem nicht auch die Angabe „pro Fahrtkilometer“ gestrichen wurde. Im Zusammenhang mit der davor stehenden Angabe „Fahrtkosten (An- und Abfahrt) [Betrag]€ pro Std. €/Auftrag“ ergibt sich jedoch, dass die Beigeladene keine kmPauschale verlangt, sondern die Fahrtkosten ausschließlich pro Stunde berechnet.
Von einer Unklarheit der Angaben könnte allenfalls dann ausgegangen werden, wenn man in Anlehnung an den Bundesgerichtshof (NZBau 2019, 661 – Straßenbauarbeiten Rn. 25) argumentierte, dass kein vernünftiger Bieter einen Preis pro Stunde nenne, wenn Fahrtkosten pro Auftrag und Kilometer abgefragt würden und er damit einen zwingenden Ausschluss riskiere. Dies erscheint jedoch sehr weitgehend und würde die Grenzen zwischen einer zulässigen Aufklärung und einer unzulässigen Nachverhandlung verwischen.
bb) § 16a EU Abs. 2 Satz 3 VOB/A ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen das Nachfordern von fehlenden Preisangaben. Hierzu wenden die Beschwerdeführerinnen ein, die Beigeladene habe nicht den geforderten Preis nach Ziff. 2. 4 des Wartungsvertrags, sondern einen anderen Preis (nämlich eine Abrechnung pro Stunde, statt einer Abrechnung nach den vorgegebenen Parametern) angegeben, damit handele es sich um einen „fehlenden“ und nicht um einen „falschen“ Preis. Diese Argumentation ließe sich allerdings stets heranziehen, wenn es um Abweichungen zu den Vorgaben der Vergabestelle geht.
Gegen die Annahme „fehlender“ Preisangaben spricht, dass die im Angebot genannten Preise pro Stunde Vertragsbestandteil werden. In dem mit dem Angebot einzureichenden Angebotsschreiben (Formblatt 213.H) ist als Anlage, die Vertragsbestandteil wird, u. a. das „Vertragsformular für Instandhaltung mit den Preisen sowie den geforderten Angaben und Erklärungen“ aufgeführt. Die Frage, wie hoch die Vergütung der Fahrkosten nach Ziffer 5.2 ist, wird zwar erst dann relevant, wenn die Antragsgegnerin ihren Vertragspartner zur Beseitigung einer Störung aufgefordert hat. Macht sie jedoch von dieser Möglichkeit Gebrauch, ist die dafür zu zahlende Vergütung bereits bindend festgelegt. Die Regelung entspricht insoweit einer Rahmenvereinbarung.
Dadurch unterscheidet sich die vorliegende Fallkonstellation beispielsweise von der, dass in rein formaler Hinsicht abweichende Dokumente vorgelegt werden (OLG München, Beschluss vom 27. Juli 2018, Verg 2/18 – Bioabfallvergärung, juris Rn. 83). Zwar widerspricht es dem Sinn des Vergabeverfahrens, das wirtschaftlich günstigste Angebot an einer zu formalistischen Betrachtungsweise scheitern zu lassen, so dass offensichtliche Fehler korrigiert werden dürfen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. März 2017, VII-Verg 54/16 – Montageplanung, juris Rn. 48). Dies führt aber nicht dazu, dass jede Abweichung von den Vergabeunterlagen als lediglich „formal“ nicht den Anforderungen genügend zu qualifizieren wäre.
Diese Eintragungen können auch nicht als „offensichtlicher Eintragungsfehler“ angesehen werden, der zu einer unvollständigen Ausfüllung eines Formulars geführt hätte (KG, Beschluss vom 7. August 2015, Verg 1/15 – Frauenfördererklärung, juris Rn. 50 ff.; OLG München, Beschluss vom 29. Juli 2010, Verg 9/10, juris Rn. 73).
c) Zu erörtern ist gleichwohl die Annahme der Vergabekammer, es liege eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen vor, die nach § 16 EU Nr. 2 VOB/A i. V. m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A zum zwingenden Ausschluss des Angebots der Beigeladenen führe. Problematisch erscheint nämlich, dass die Abweichungen Angaben betreffen, deren Fehlen nicht zu einem Ausschluss geführt hätten, sondern die nach § 16a EU Abs. 2 Satz 3 VOB/A hätten nachgefordert werden können.
Zweck der Regelung in § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A ist es zwar auch, das Zustandekommen eines wirksamen Vertrags mit übereinstimmenden Willenserklärungen zu gewährleisten (Frister in Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommentar, VOB/A § 16 Rn. 26) und den öffentlichen Auftraggeber vor Angeboten mit einem anderen Inhalt als dem der Ausschreibung – und dem damit verbundenen Konfliktpotential – zu schützen (zu § 57 VgV: Herrmann Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VgV § 57 Rn. 35; Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 57 Rn. 56).
Hier geht es jedoch um einen völlig untergeordneten Punkt. Von der Beigeladenen geändert wurde ausschließlich die Berechnungsgrundlage für die Fahrtkosten bei einer Störungsbeseitigung, nicht aber der Inhalt der nach Ziffer 2.4 zu erbringenden Leistungen. Die Angaben bei den Fahrtkosten für Störungsbeseitigungen nach Ziffer 2.4 des Wartungsvertrags fließen nicht in die Wertung ein. Es handelt es sich hier somit nur um eine geringfügige Abweichung, die sich auf den Vergütungsanspruch der Beigeladenen gegenüber der Antragsgegnerin nur dann auswirkt, wenn letztere die Beseitigung von Störungen außerhalb der regelmäßigen Wartungstermine in Auftrag gibt.
Auch wenn die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NZBau 2019, 661 – Straßenbauarbeiten Rn. 19) nicht nur für Allgemeine Geschäftsbedingen gelten soll (von Wietersheim in BeckOK Vergaberecht, VgV § 57 Rn. 19c; a. A. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Februar 2020, Verg 24/19, juris Rn. 47; Herrmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VgV § 57 Rn. 10; offengelassen: Gröning, NZBau 2020, 275 [278]), erscheint es fraglich, ob die hiesige Fallkonstellation mit der vom Bundesgerichtshof erwähnten vergleichbar ist. Bei Hinwegdenken der von der Beigeladenen vorgenommen Änderungen liegt nämlich kein vollständiges Angebot vor. Es müsste vielmehr durch neue Preisangaben ergänzt werden. Von der Zulässigkeit derartiger Ergänzungen ist aber im obiter dictum (BGH, NZBau 2019, 661 – Straßenbauarbeiten Rn. 26) nicht die Rede. Seine Ratio ist vielmehr, dass es (nur) unschädlich ist, wenn nach Rücknahme von bieterseitig Hinzugefügtem (AGB) ohne Weiteres das von den Vergabeunterlagen Vorgegebene wieder zum Tragen kommt und damit auch ohne Weiteres wieder ein vollständig den Vergabeunterlagen entsprechendes Angebot vorliegt. Ein solcher Verstoß wiegt ungleich leichter als eine „wirkliche“ Änderung (Gröning, NZBau 2020, 275 [278]). Ob die Veränderungen versehentlich vorgenommen wurden, ist nicht entscheidend; der Vergaberechtsverstoß sollte reparabel sein, wenn das Angebot unproblematisch auf den Inhalt zurückgeführt werden kann, den es nach den Vergabeunterlagen nur haben darf (vgl. Gröning a. a. O).
Zu erörtern ist, inwieweit eine teleologische Reduktion des Ausschlussgrundes der Änderungen an den Vergabeunterlagen nach der VOB/A 2019 in Betracht kommt (vgl. Gröning, NZBau 2020, 275 [277]). Nach wohl einhelliger Ansicht, müssen zwar selbst geringfügige Abweichungen von den Vorgaben der Vergabestelle zum Ausschluss des entsprechenden Angebots führen, um eine Vergleichbarkeit der Angebote zu gewährleisten (OLG Celle, Beschluss vom 19. Februar 2015, 13 Verg 12/14 – Pfahldurchmesser, juris Rn. 87; Lehmann in Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2019, VOB/A § 16 EU Rn. 13; zu § 57 Abs. 1 Nr. VgV: von Wietersheim in BeckOK Vergaberecht, 20. Ed. Stand: 31. Januar 2021, VgV § 57 Rn. 19 Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 57 Rn. 56). Der Auftraggeber darf die zwingende Rechtsfolge des § 16 EU Nr. 2 VOB/A nicht aufweichen (Herrmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VOB/A-EU § 16EU Rn. 3). Dass es sich um einen zwingenden Ausschlussgrund handelt, steht jedoch einer Anwendung des gemäß § 97 Abs. 1 Satz 2 GWB generell geltenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. Dörr in Burgi/Dreher Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, § 97 Abs. 1 Rn. 54) nicht zwingend entgegen, wie beispielsweise § 123 Abs. 5 Satz 2 GWB zeigt. Zu erörtern ist somit, ob es in der hier vorliegende Fallkonstellation, die sich durch die oben genannten Besonderheiten (Änderungen an einem völlig untergeordneten Punkt, der nicht wertungsrelevant ist und möglicherweise auch bei Durchführung des Vertrags keine Rolle spielt; Möglichkeit der Nachforderung, wenn keine Angaben gemacht worden wären), geboten ist, den Ausschlussgrund des § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einzuschränken.
3. Auch wenn das Nachprüfungsverfahren zu einer zeitlichen Verzögerung geführt hat und nicht verkannt wird, dass damit das gesamte Bauvorhaben in Verzug geraten ist, ergeben sich aus dem Vorbringen der Antragsgegnerin keine hinreichend gewichtigen Gründe, die es rechtfertigen, die Chancen der Antragstellerin auf eine Auftragserteilung durch vorzeitige Gestattung des Zuschlags an die Beigeladene endgültig zu beseitigen und diese auf etwaige Schadensersatzansprüche zu verweisen.
Die die Dringlichkeit begründenden Umstände müssen einen besonderen Ausnahmefall kennzeichnen; sie sind substantiiert darzulegen. Im Regelfall muss ein Auftraggeber auch mit Verzögerungen der Auftragsvergabe durch ein Nachprüfungs- oder Beschwerdeverfahren rechnen und diese bei seiner zeitlichen Planung einkalkulieren (Wilke in Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2018, GWB § 126 Rn. 35). Das Interesse der Allgemeinheit und der Versorgung mit modernster klinischer Leistung ist ein allgemein bestehendes öffentliches Interesse, nicht aber ein besonderes, das dem Interesse an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes vorgehen könnte (OLG Karlsruhe, Urt. v. 4. Mai 2007, 17 Verg 5/07, juris Rn. 41).
Vor dem Hintergrund des in Aussicht gestellten zeitnahen Termins zur mündlichen Verhandlung wiegt das Interesse der Antragsgegnerin an einer vorzeitigen Zuschlagserteilung nicht so schwer wie die damit verbundenen Nachteile für die Antragstellerin, falls sich herausstellen sollte, dass der Beschluss der Vergabekammer Bestand hat.


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