Baurecht

Mangelhafter Bebauungsplan – Gefahr der Setzung des Baugrunds

Aktenzeichen  15 N 19.1440

Datum:
17.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16296
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47, § 161 Abs. 2
BauGB § 1 Abs. 3, Abs. 7, § 2 Abs. 3, § 12, § 214, § 215

 

Leitsatz

1. Einem Bebauungsplan, dessen planerische Konzeption nicht bzw. nicht mit zumutbaren Mitteln umsetzbar ist, fehlt nicht nur die die Erforderlichkeit gem. § 1 Abs. 3 BauGB, sondern es liegt auch ein Abwägungsmangel vor. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach dem Gebot der Konfliktbewältigung dürfen eventuelle Folgeprobleme bautechnischer Art der Plandurchführung nur dann überlassen werden, soweit keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass mit der Durchführung des Bebauungsplans verbundene bautechnische Probleme auch bei Anwendung der allgemein anerkannten bautechnischen Regeln nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand gelöst werden können. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan ist für einen Konflikttransfer umso weniger Raum, je weitergehend das geplante Vorhaben durch dessen Festsetzungen konkretisiert wird. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte mit Ausnahme ihrer außergerichtlichen Kosten, die sie jeweils selbst tragen.
III. Der Streitwert wird auf 20.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Das Verfahren ist aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Hauptbeteiligten (Schriftsatz der Antragstellerin vom 7. Juni 2021, Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 9. Juni 2021) beendet (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019. § 161 Rn. 6) und daher in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels, aber auch eine durch das Nachgeben einer Partei bewirkte Herbeiführung des erledigenden Ereignisses einzubeziehen (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2020 – 8 N 15.2460 – juris Rn. 2 m.w.N.; B.v. 22.8.2018 – 15 N 18.41 – juris m.w.N.). Billigem Ermessen entspricht es hier, die Kosten der Antragsgegnerin und der Beigeladenen je zur Hälfte aufzuerlegen.
1. Die Kostentragung der Antragsgegnerin entspricht billigem Ermessen, weil diese das erledigende Ereignis durch Aufhebung des Satzungsbeschlusses zum streitgegenständlichen Bebauungsplan herbeigeführt hat (Beschluss des Stadtrats vom 17. Mai 2021, vgl. Seite 5 des städtischen Amtsblatts Nr. 23 vom 21. Mai 2021) und weil der Normenkontrollantrag mit hoher Wahrscheinlichkeit Erfolg gehabt hätte, der Senat mithin den angegriffenen Bebauungsplan A. „B.“ voraussichtlich gem. § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO für unwirksam erklärt hätte. Letzteres ergibt sich aus den folgenden Erwägungen:
a) Die Antragsbefugnis der Antragstellerin ergab sich vorliegend aus dem schlüssigen Vortrag einer Gefährdung des Eigentums in Bezug auf das mit einem Gebäude bebaute Grundstück FlNr. … der Gemarkung A. Die Antragstellerin ist als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, deren Gesellschafter – in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter des bürgerlichen Rechts – im Grundbuch als Eigentümer der FlNr. … eingetragen sind, teilrechtsfähig und insofern befugt, Beeinträchtigungen des gesellschaftsbezogenen Eigentums durch einen Bebauungsplan im Wege der Normenkontrolle geltend zu machen (NdsOVG, U.v. 22.6.2009 – 1 KN 89/07 – BRS 74 Nr. 49 = juris Rn. 39 ff.). Belastungen und Beeinträchtigungen der Nachbarschaft durch Bauarbeiten gehören als Probleme, die sich aus der Realisierung eines Bebauungsplans durch Bauarbeiten ergeben, wegen ihrer zeitlichen Begrenzung zwar regelmäßig nicht zu den Konflikten, die der Bebauungsplan selbst lösen muss; insofern kann grundsätzlich planerische Zurückhaltung ausgeübt werden und können diesbezügliche Abwicklungsfragen der Umsetzung der Phase der Bauausführung bzw. einem späteren Genehmigungsverfahren überlassen werden (für die Oberflächenentwässerung während der Bau- bzw. Umsetzungsphase eines Bebauungsplans: BVerwG, B.v. 16.9.2015 – 4 VR 2.15 u.a. – BRS 83 Nr. 58 = juris Rn. 12; B.v. 21.1.2016 – 4 BN 36.15 – BRS 84 Nr. 17 = juris Rn. 20; für Immissionsbelastungen während der Bauphase: BVerwG, B.v. 12.3.1999 – 4 BN 6.99 – ZfBR 1999, 225 = juris Rn. 6; BayVGH, U.v. 20.4.2011 – 15 N 10.1320 – BayVBl. 2012, 110 = juris Rn. 99; B.v. 9.5.2018 – 2 NE 17.2528 – NuR 2019, 421 = juris Rn. 39; NdsOVG, B.v. 18.5.2005 – 1 MN 52/05 – juris Rn. 18; B.v. 24.3.2009 – 1 MN 267/08 – NVwZ-RR 2009, 549 = juris Rn. 77; HessVGH, U.v. 19.1.2018 – 4 C 796/17.N – NVwZ 2018, 596 = juris Rn. 30). Im vorliegenden Fall konnte die Klärung etwaiger Folgeprobleme bautechnischer Art allerdings ausnahmsweise nicht „blind“, d.h. ohne weitere Ermittlungen der Plandurchführung überlassen werden, weil aufgrund objektiv gegebener Umstände nicht auszuschließen war, dass diese nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand hätten gelöst werden können (VGH BW, U.v. 22.11.2017 – 8 S 1861/16 – VBlBW 2018, 201 = juris Rn. 22 m.w.N.), zumal der vorhabenbezogene Bebauungsplan aufgrund seiner Konkretisierungen im Vorhaben- und Erschließungsplan hinsichtlich des ob und der Ausmaße der beiden problematischen Tiefgeschosse keinen Umsetzungsspielraum beließ, vgl. im Einzelnen im Folgenden unter b) aa). Die Antragstellerin hat in der Begründung ihres Normenkontrollantrags vom 18. März 2020 als Plannachbarin auch hinreichend substantiiert ihre eigene Betroffenheit durch etwaige von den Bauarbeiten resp. von der Erstellung der Baugrube ausgehenden Setzungen geltend gemacht.
b) Der Normenkontrollantrag wäre voraussichtlich begründet gewesen, weil die Antragsgegnerin im Verfahren der Bauleitplanung den Anforderungen des § 2 Abs. 3 BauGB an eine ordnungsgemäße Ermittlung und Bewertung abwägungsrelevanter Umstände nicht genügte.
aa) § 2 Abs. 3 BauGB liegt die Erwägung zugrunde, dass die für die konkrete Planungsentscheidung bedeutsamen Belange in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt und bewertet werden müssen, bevor sie gemäß § 1 Abs. 7 BauGB abgewogen werden können (vgl. BayVGH, U.v. 24.11.2017 – 15 N 16.2158 – BayVBl 2018, 814 = juris Rn. 32 m.w.N.; U.v. 17.7.2020 – 15 N 19.1377 – ZNER 2020, 456 = juris Rn. 30; U.v. 4.3.2021 – 15 N 20.468 – juris Rn. 39). Der Umfang der Ermittlungs- und Bewertungsobliegenheiten gem. § 2 Abs. 3 BauGB hängt in jedem Einzelfall davon ab, in welchem Umfang bestimmte Fakten und hieraus abzuleitende Bewertungen für eine ordnungsgemäße (Schluss-) Abwägung gem. § 1 Abs. 7 BauGB untersucht und aufgearbeitet sein müssen und / oder in welchem Umfang die planende Gemeinde selbst bestimmte Fakten und hieraus abzuleitende Bewertungen für die Endabwägung als relevant ansieht. Einem Bebauungsplan, dessen planerische Konzeption nicht bzw. nicht mit zumutbaren Mitteln umsetzbar ist und bei dem deshalb davon auszugehen ist, dass seiner Umsetzung bzw. Vollziehbarkeit dauerhafte Hindernisse tatsächlicher oder rechtlicher Art entgegenstehen, fehlt nicht nur die die Erforderlichkeit gem. § 1 Abs. 3 BauGB (vgl. BayVGH, U.v. 24.6.2020 – 15 N 19.442 – juris Rn. 26 m.w.N.). Soweit bereits im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses (vgl. § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB) aus den genannten Gründen auf Dauer nicht mit der Verwirklichung des Bebauungsplans gerechnet werden kann, liegt vielmehr auch ein Abwägungsmangel vor (vgl. BVerwG, U.v. 6.5.1993 – 4 C 15.91 – NVwZ 1994, 274 = juris Rn. 14 m.w.N.; BayVGH, U.v. 24.6.2020 – 15 N 19.442 – juris Rn. 34 ff. U.v. 17.7.2020 – 15 N 19.1377 – ZNER 2020, 456 = juris Rn. 31; VGH BW, U.v. 25.10.1996 – 5 S 1040/95 – juris Rn. 19; B.v. 22.4.1998 – 3 S 2241/97 – BRS 60 Nr. 14 = juris Rn. 25). Ein Bebauungsplan leidet daher an einem Ermittlungs- und Bewertungsmangel (Verstoß gegen § 2 Abs. 3 BauGB), wenn im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses aufgrund objektiv gegebener Umstände seine Realisierbarkeit fraglich ist und die planende Gemeinde diesbezüglichen Fragen nicht bzw. nicht hinreichend nachgeht (BayVGH, U.v. 24.6.2020 a.a.O. juris Rn. 36; U.v. 17.7.2020 a.a.O.).
Dafür, dass im vorliegenden Fall der Senat mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Ermittlungs- und Bewertungsdefizit bejaht hätte, sprechen die folgendem Umstände:
– Ein nach dem Satzungsbeschluss zum streitgegenständlichen Bebauungsplan (24. September 2018) aus der Sphäre der Beigeladenen in Auftrag gegebenes Baugrundgutachten des Diplom-Geologen M. vom 30. Juli 2019 führt zur Grundwassersituation für das vom Bebauungsplan zentral umfasste Bauvorhaben „Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses mit zwei Tiefgaragenebenen“ aus, dass sich ein Großteil der Altstadt im Absenkbereich der Baumaßnahme befinde. Aufgrund der komplizierten geologischen Situation sei nicht abzusehen, ob und ggf. wo bzw. in welchem Radius Bauschäden durch die Grundwasserabsenkung hervorgerufen werden können; es bestehe diesbezüglich ein erhöhtes Risiko. Die Anordnung umfassender Beweissicherungen am Bestand wäre einer der Konsequenzen. Bei Vorliegen großkalibriger Karst- oder Klufthohlräume könne die Durchlässigkeit nochmals höher sein, sodass das gewünschte Absenkmaß gar nicht erreicht werde. Zur Baugrundbeurteilung wird im Gutachten näher ausgeführt, dass die Grundwasserführung im Jurakalk ein nicht wirklich planbares Phänomen mit zahlreichen Fragezeichen sowie Risiken auch außerhalb der Baugrube und in jedem Fall mit kostenträchtigen Ausführungsdetails sei. Als Gründungsempfehlung spricht sich der Gutachter für eine Herstellung der Untergeschosse in Trogbauweise ohne Absenkung des Grundwasserspiegels als Kombination aus überschnittener Pfahlwand und Unterwasserbetonsohle aus, da eine Wasserhaltung mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand nicht zu realisieren und wahrscheinlich auch nicht genehmigungsfähig sei. Nach Erreichen der Auftriebssicherheit könne die Baugrube leergepumpt werden, um dann mit der Bauwerkserrichtung zu beginnen. Es sei jedoch mit anfänglichen Undichtigkeiten zu rechnen, sodass voraussichtlich umfangreiche Verpressarbeiten auszuführen seien. Bedarfsweise könnten in Absprache mit dem Tragwerksplaner weitere Szenarien berechnet werden. Da selbst bei äußerst vorsichtiger Planung und Bauausführung Erschütterungen stattfänden und eventuelle schädliche Auswirkungen auf umliegende Bauwerke nicht völlig ausgeschlossen werden könnten, sollte laut Gutachter vor Baubeginn eine vorsorgliche Beweissicherung der umliegenden Bauwerke erfolgen.
– Die Beigeladene hat nach Satzungsbeschluss und nach Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bebauungsplans gegenüber der Antragsgegnerin Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Bebauungsplans und speziell hinsichtlich der Errichtung des 2. Untergeschosses aufgrund der vorgefundenen Geolgie / Bodenbeschaffenheit (Fels) und des hohen Grundwasserspiegels geltend gemacht. Hierzu hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 5. Februar 2020 im vorliegenden Rechtsstreit ausgeführt, dass laut Mitteilung der Vorhabenträgerin eine nachträgliche Untersuchung des Baugrunds ergeben habe, dass die Errichtung des geplanten zweiten Untergeschosses aufgrund der Bodenbeschaffenheit (Fels) und des hohen Grundwasserspiegels problematisch sei. Der Stadtrat habe deswegen in seiner Sitzung vom 3. Februar 2020 u.a. beschlossen, einer von der Beigeladenen vorgeschlagenen geänderten Planung grundsätzlich zuzustimmen. In der Beschlussvorlage für die Stadtratssitzung am 3. Februar 2020 wird ausgeführt, dass eine dichte Baugrubenumschließung („Badewanne“) zur Erstellung des zweiten Untergeschosses zwar technisch möglich sei, hiervon werde aber seitens des beauftragten Statikers aufgrund der außergewöhnlichen geologischen Situation abgeraten. Das Baufeld bestehe heterogen aus Sand und Fels, wobei der Fels äußerst klüftig sei. Die mit Wasser gefüllten Klüfte seien der kritische Punkt bei der Herstellung der Baugrube. Würde das zweite Untergeschoss ausgeführt, müsse für eine Gründung eine Bohrpfahlwand hergestellt werden. Durch das Setzen der Pfähle könne es in kurzen Abständen zu einem Zerschneiden der Klüfte kommen und es würde Wasser in die Baugrube eindringen. Der Wassereintrag erfolge dann von einer Stelle, die nicht platziert werden könne, ggf. auch noch aus hunderten Metern entfernt, da Lage und Größe der Klüfte nicht bestimmt werden könnten. Das Risiko, dass Setzungen in einem größeren Umfeld stattfinden könnten, lasse sich daher nicht einschätzen und beherrschen. Würde nur ein einziges Untergeschoss erstellt, könne die Umsetzung über einen sog. Berliner Verbau ohne Pfahlsetzungen erfolgen.
– Hierzu hat die Antragstellerseite im Normenkontrollverfahren einen Zeitungsartikel vom 23. Januar 2020 (Internetausdruck) über eine Sitzung des Bauausschusses der Antragsgegnerin vorgelegt, in der Herr Dipl.-Ing. K. nach Untersuchung der geologischen Struktur des Baugeländes und dessen Umfeld wie folgt wörtlich zitiert wird:
„Wir haben im Untergrund Klüfte und Spalten, in denen Wasser kommuniziert. Schneiden wir den Fels an, läuft Wasser aus dem Umfeld in die Baugrube. Dies kann Setzungen im Umfeld des Geländes nach sich ziehen, damit besteht die Gefahr von Rissen an Gebäuden. Ich hätte da Angst.“
– Mit Schriftsatz vom 27. August 2020 hat die Antragsgegnerin im laufenden Normenkontrollverfahren mitgeteilt, dass für das Vorhaben von der Beigeladenen kein Bauantrag eingereicht worden sei und auch in absehbarer Zeit nicht eingereicht werde. Die Beigeladene und die Antragsgegnerin hätten übereinstimmend von der Verwirklichung des Vorhabens entsprechend dem geltenden Vorhaben- und Erschließungsplan Abstand genommen. Aufgrund der Umsetzungsschwierigkeiten des zweiten Tiefgaragengeschosses habe die Beigeladene eine veränderte Planungskonzeption vorgelegt. Die Antragsgegnerin trage diese neue städtebauliche Konzeption mit und halte an der Zusammenarbeit mit der Beigeladenen als Vorhabenträgerin auf Basis der geänderten Planungsabsicht fest.
Nach dem Gebot der Konfliktbewältigung dürfen eventuelle Folgeprobleme bautechnischer Art der Plandurchführung nur dann überlassen werden, soweit keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass mit der Durchführung des Bebauungsplans verbundene bautechnische Probleme auch bei Anwendung der allgemein anerkannten bautechnischen Regeln nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand gelöst werden können (VGH BW, U.v. 15.9.2004 – 8 S 2392/03 – NVwZ-RR 2005, 157 = juris Rn. 29; U.v. 17.2.2014 – 5 S 3254/11 – BauR 2014, 1243 = juris Rn. 51; U.v. 22.11.2017 – 8 S 1861/16 – VBlBW 2018, 201 = juris Rn. 22; HessVGH, U.v. 19.1.2018 – 4 C 796/17.N – NVwZ 2018, 596 = juris Rn. 28), vgl. bereits oben a). Soweit die Antragsgegnerin im Rahmen des Verfahrens der Bauleitplanung zum streitgegenständlichen (nunmehr aufgehobenen) Bebauungsplan gehalten war, sich im Rahmen der Abwägung mit der Möglichkeit der Planrealisierung auseinanderzusetzen, war sie gem. § 2 Abs. 3 BauGB mithin gehalten, eventuellen Umsetzungshindernissen, die nach objektiv gegebenen Umständen des Einzelfalls bestanden bzw. bestanden haben könnten, nachzugehen und ggf. die Frage einer eventuellen tatsächlichen, rechtlichen oder wirtschaftlichen Unmöglichkeit der Umsetzung des Bebauungsplans über geeignete Maßnahmen – z.B. über ein (selbst eingeholtes oder vom Vorhabenträger verlangtes) Sachverständigengutachten – zu ermitteln und zu bewerten. Insofern wäre von ihr zu prüfen und zu ermitteln gewesen, ob die Umsetzbarkeit des Vorhabens aufgrund von (etwa baugrund- oder grundwasserbezogenen) Gefährdungen der Nachbarschaft infrage stand (vgl. Art. 3, Art. 9 Abs. 1, Art. 10 Satz 3 BayBO), weil gebotene Sicherungsmaßnahmen technisch nicht möglich oder (theoretisch) technisch mögliche Sicherungsmaßnahmen nur mit einem wirtschaftlich nicht vertretbaren Aufwand verbunden gewesen wären.
Im Übrigen hängt die Frage, wie weit sich die Gemeinde bei der Ermittlung und Bewertung von Umsetzungshindernissen zurückhalten kann, im Einzelfall vom Konkretisierungsgrad des Bebauungsplans ab. Insbesondere bei einem – wie hier – vorhabenbezogenen Bebauungsplan (§ 12 BauGB), der aufgrund des Vorhaben- und Erschließungsplans, der inhaltlicher Bestandteil des vorhabenbezogenen Bebauungsplans wird (§ 12 Abs. 3 Satz 1 BauGB), und aufgrund des Durchführungsvertrags, der den Vorhabenträger (hier die Beigeladene) zur Durchführung der im Vorhaben- und Erschließungsplan vorgesehenen Maßnahmen verpflichtet (§ 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB), regelmäßig einen hohen Detaillierungsgrad aufweist, sind die für den herkömmlichen Fall eines sog. Angebotsbebauungsplans entwickelten Grundsätze nur mit Einschränkungen übertragbar. Für einen Konflikttransfer ist bei einem solchen Bebauungsplan umso weniger Raum, je weitergehend das geplante Vorhaben durch die Festsetzungen konkretisiert wird (BVerwG, B.v. 23.6.2003 – 4 BN 7.03 – BauR 2004, 975 = juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 17.7.2020 – 15 N 19.1377 – ZNER 2020, 456 = juris Rn. 32; SächsOVG, U.v. 13.10.2011 – 1 C 9/09 – BauR 2012, 1205 = juris Rn. 34; U.v. 23.8.2016 – 1 C 7/14 – juris Rn. 168 f.; U.v. 23.8.2016 – 1 C 11/14 – juris Rn. 170 f.). Gerade im vorliegenden Fall determinierte der zwischenzeitlich aufgehobene (überwiegend vorhabenbezogene) Bebauungsplan, der sich aus Planzeichnung, textlichen Festsetzungen und Vorhaben- und Erschließungsplan (vgl. § 12 Abs. 3 Satz 1 BauGB) zusammensetzte, weitgehend das vormals geplante Vorhaben der Beigeladenen bis in einzelne Details. Insbesondere waren die konkrete Lage des geplanten Gebäudes der Beigeladenen sowie seine konkrete Baumasse, die Anzahl und Ausmaße der Geschosse bis ins Einzelne vorgegeben. Dies galt insbesondere auch für den Umstand, dass zwei Tiefgeschosse in konkret vorgegebenen Maßen zu errichten gewesen wären.
Die geltend gemachten Setzungsgefahren während der Umsetzungsphase wären keine bloßen bagatellartigen Betroffenheiten der Antragstellerin gewesen. Aufgrund der Dimensionen der beiden vormals geplanten Tiefgaragenebenen war die Erforderlichkeit entsprechend umfangreicher Tiefbauarbeiten ohne Weiteres ersichtlich. Die Frage möglicher und daher gem. § 2 Abs. 3 BauGB zu ermittelnder Gefahren für die Umgebung bei der Umsetzung des vorhabenbezogenen Bauvorhabens lag daher auf der Hand, zumal die Antragsgegnerin nach den von ihr selbst mit Schriftsatz vom 18. Mai 2020 vorgelegten Gutachten (Baugrunduntersuchung vom 1. August 2011, Geotechnischer Bericht vom 12. Oktober 2014 mit Ergänzung vom 3. Dezember 2014) für ein stadteigenes größeres Bauvorhaben in der Nachbarschaft Anlass gesehen hatte, den Baugrund und die Grundwasserverhältnisse für Tiefbauarbeiten näher zu untersuchen. Zudem gab auch das städtische Amt 3.28 Fr (Wasserrecht) im Rahmen der frühzeitigen Beteiligung der Behörden und Träger öffentlicher Belange (§ 4 Abs. 1 BauGB) unter dem 24. Februar 2017 zur Ausgangsfassung des Bebauungsplanentwurfs eine Stellungnahme ab, in der warnend für die Errichtung der Tiefgarage auf einen evtl. hohen Grundwasserstand wegen der unmittelbaren Nähe zur V. sowie darauf hingewiesen wurde, dass „durch Aufstauen, Umleiten oder Absenken des Grundwassers (…) für Nachbargrundstücke, auch im Rahmen einer evtl. notwendigen Bauwasserhaltung keine nachteiligen Auswirkungen entstehen“ dürfen (Bezugnahme hierauf in der Stellungnahme desselben Amts vom 18. April 2018 in einer späteren Beteiligungsphase). Aus den Ausführungen in der Planbegründung auf Seite 6 geht hervor, dass sich die Antragsgegnerin möglicher Umsetzungsprobleme auch grundsätzlich bewusst war, weil es dort heißt, dass der Bereich, in dem Bodeneingriffe (Abfahrtsbauwerk und Leitungsverlegungen) notwendig seien, im Vorgriff auf den Bau der Tiefgaragenabfahrt untersucht werden müsse. Aufgrund der Gesamtumstände hatte die Antragsgegnerin mithin unter Verstoß gegen das gesetzliche Gebot des § 2 Abs. 3 BauGB nicht hinreichend ermittelt und bewertet, ob das vom Vorhaben- und Erschließungsplan umfasste Vorhaben der Beigeladenen mit Blick auf Setzungsgefahren überhaupt bzw. gefahrfrei für die Nachbarschaft umsetzbar war.
bb) Der Ermittlungs- / Bewertungsmangel wäre vom Senat voraussichtlich gem. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 als erheblich eingestuft worden (zu den Maßstäben vgl. z.B. BayVGH, U.v. 17.7.2020 – 15 N 19.1377 – ZNER 2020, 456 = juris Rn. 48 m.w.N.). Der Mangel ist ferner rechtzeitig gem. § 215 Abs. 1 Nr. 1 BauGB innerhalb eines Jahres seit Bekanntmachung des Bebauungsplans (laut Vermerk auf der Original-Urkunde des Bebauungsplans: 5. Juli 2019) schriftlich gegenüber der Gemeinde unter Darlegung des die Verletzung begründenden Sachverhalts geltend gemacht worden. Die Bevollmächtigten der Antragstellerin haben die Begründung des Normenkontrollantrags – auch und gerade zum Zwecke der rechtzeitigen Geltendmachung i.S. von § 215 BauGB – der Antragsgegnerin am 18. März 2020 per Telefax übermittelt.
2. Weiterhin entspricht es der Billigkeit, dass die Beigeladene zur Hälfte an den Kosten beteiligt wird, da sie einen Sachantrag gestellt hat (vgl. Schriftsatz vom 15. Juli 2020), mit dem sie das Begehren des Antragsgegners auf Ablehnung des Normenkontrollantrags unterstützt hat und mit dem sie unterlegen gewesen wäre, § 154 Abs. 1 und 3, § 159 Satz 1 VwGO (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2020 – 8 N 15.2460 – juris Rn. 6). Zudem erfolgte die Aufhebung des streitgegenständlichen Bebauungsplans durch die Antragsgegnerin aufgrund der Notwendigkeit einer umfangreicheren Umplanung in Abstimmung mit der Beigeladenen.
3. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene einen Antrag gestellt hat, mit dem sie in der Sache erfolglos geblieben ist, wäre es unbillig, ihre außergerichtlichen Kosten (teilweise) der Antragsgegnerin aufzuerlegen (BayVGH, B.v. 26.11.2020 a.a.O. juris Rn. 7).
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1, Abs. 8 GKG und orientiert sich an Nr. 9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Anhang).
5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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