Baurecht

Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten durch Unterlassen der Übertragung eines Anliegergrundstücks im Erschließungsbeitragsrecht

Aktenzeichen  B 4 K 17.474

Datum:
30.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 50195
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, § 162 Abs. 2 S. 2
KAG Art. 5a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1
BauGB § 14 Abs. 1 Nr. 2, § 108 Abs. 6, § 109 Abs. 2, § 131 Abs. 1 S. 1, § 133 Abs. 1, Abs. 3 S. 1
AO § 42 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Wenn ein Buchgrundstück, das mit seinem vorderen, der Erschließungsanlage zugewandten Teil im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt, mit seiner rückwärtigen Teilfläche aber in den Außenbereich reicht, muss zur Bestimmung seiner erschlossenen Fläche die Außenbereichsfläche abgezogen werden.(Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls kann auch ein Unterlassen, z.B. der Nichterwerb eines Anliegergrundstücks, um die sachliche Beitragspflicht für ein Hinterliegergrundstück zu verhindern, einen Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten i.S.v. § 42 AO darstellen.(Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Rechtsgrundlage für die Erhebung einer Vorausleistung ist § 133 Abs. 3 BauGB als selbstständige Norm, die ohne weitere ortsgesetzliche Regelung angewandt werden kann.(Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Bescheid des Beklagten vom 28.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … vom 24.05.2017 wird aufgehoben, soweit darin eine höhere Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag als 43.984,10 EUR festgesetzt worden ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin 93% und der Beklagte 7%. Die Beiziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der Vorausleistungsbescheid des Beklagten vom 28.11.2014 in Form des Widerspruchsbescheids des Landratsamtes … vom 24.05.2017 ist in Höhe von 3.332,06 EUR aufzuheben, weil er in diesem Umfang wegen der Nichtberücksichtigung der Grundstücksflächen Fl.-Nrn. jjj/4 und iii/8 bei der Verteilung des umlagefähigen Aufwands rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Im Übrigen ist die Klage abzuweisen, weil die Festsetzung einer Vorausleistung auf den Erschießungsbeitrag in Höhe von 43.984,10 EUR rechtmäßig ist.
1. Der Bescheid beruht auf Art. 5a Kommunalabgabengesetz (KAG) i.V.m. §§ 127 ff. Baugesetzbuch (BauGB) i.V.m. der Erschließungsbeitragssatzung des Beklagten vom 08.02.2006 (EBS), gegen deren Wirksamkeit keine Bedenken vorgebracht wurden noch sonst ersichtlich sind. Nach diesen Vorschriften erheben die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag (Art. 5a Abs. 1 KAG). Erschließungsanlagen in diesem Sinne sind u.a. die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen (Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG). Beiträge können gemäß Art. 5a Abs. 9 KAG i.V.m. § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur insoweit erhoben werden, als die Erschließungsanlagen erforderlich sind, um die Bauflächen entsprechend den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen (beitragsfähiger Erschließungsaufwand). Der ermittelte beitragsfähige Erschließungsaufwand ist nach Abzug eines Gemeindeanteils (vgl. Art. 5a Abs. 9 KAG i.V.m. § 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB, § 4 Abs. 1 EBS) auf die durch die Anlage erschlossenen Grundstücke zu verteilen (Art. 5a Abs. 9 KAG i.V.m. § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB, § 4 Abs. 2 EBS). Die Beitragspflicht entsteht für bebaubare Grundstücke i.S.v. Art. 5a Abs. 9 KAG i.V.m. § 133 Abs. 1 BauGB gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage. Für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht oder nicht in vollem Umfang entstanden ist, können Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag bis zur Höhe des voraussichtlichen endgültigen Erschließungsbeitrags verlangt werden, wenn ein Bauvorhaben auf dem Grundstück genehmigt wird oder wenn mit der Herstellung der Erschließungsanlagen begonnen worden ist und die endgültige Herstellung der Erschließungsanlagen innerhalb von vier Jahren zu erwarten ist (Art. 5a Abs. 9 KAG i.V.m. § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB, § 8 EBS).
1.1 Gemessen an diesen Maßstäben hat der Beklagte zu Recht keine weiteren Teilflächen des Grundstücks Fl.-Nr. ggg bei der Verteilung des umlagefähigen Aufwands berücksichtigt. Nach § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist der beitragsfähige Erschließungsaufwand für eine Erschließungsanlage auf die durch die Anlage erschlossenen Grundstücke zu verteilen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sich die Prüfung, ob ein Grundstück durch eine bestimmte beitragsfähige Erschließungsanlage im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossen wird, darauf erstrecken, ob aufgrund der gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse die Annahme gerechtfertigt ist, dieses Grundstück werde auch die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 BauGB erfüllen können. Das trifft für Grundstücke, die im Außenbereich liegen, nicht zu. Grundstücke, „für die eine bauliche oder gewerbliche Nutzung festgesetzt ist“ (§ 133 Abs. 1 Satz 2 BauGB), sind ausschließlich Grundstücke in qualifiziert beplanten Gebieten. Außenbereichsgrundstücke sind aber ungeachtet ihrer potentiell nicht ausgeschlossenen Bebaubarkeit auch nicht nach der Verkehrsauffassung „Bauland“, und erst recht stehen sie nicht „nach der geordneten baulichen Entwicklung der Gemeinde zur Bebauung“ an (§ 133 Abs. 1 Satz 2 BauGB, vgl. BVerwG, U.v. 12.11.2014 – 9 C 7/13 – juris Rn. 18). Grundstücke, die vollständig im Gebiet eines Bebauungsplans oder im unbeplanten Innenbereich liegen, sind dagegen im Regelfall in erschließungsbeitragsrechtlich beachtlicher Weise nutzbar, da sie aufgrund ihrer Lage „Baulandqualität“ besitzen, auch wenn die zulässige Nutzung nach Art und Maß mehr oder weniger beschränkt sein kann. Wenn ein Buchgrundstück, das mit seinem vorderen, der Erschließungsanlage zugewandten Teil im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt, mit seiner rückwärtigen Teilfläche aber in den Außenbereich reicht, muss deshalb zur Bestimmung seiner erschlossenen Fläche die Außenbereichsfläche abgezogen werden (Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 13 Rn. 31). Die bei der Verteilung des umlagefähigen Aufwands herangezogene Teilfläche des Grundstücks Fl.-Nr. ggg befindet sich im Geltungsbereich des rechtskräftigen Bebauungsplans Nr. 11 „N … Straße“ und wurde daher zu Recht in das Abrechnungsgebiet einbezogen. Nach Auffassung der Kammer ist die darüber hinausgehende Teilfläche des Grundstücks dem Außen- und nicht dem bauplanungsrechtlichen Innenbereich zuzuordnen und wurde daher richtigerweise bei der Verteilung des Aufwands unberücksichtigt gelassen. Nach § 34 Abs. 1 BauGB liegt ein Grundstück im Innenbereich, wenn es sich innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteil befindet. Bei der Beurteilung, ob ein Grundstück in einem Bebauungszusammenhang liegt, ist maßgebend, ob eine tatsächlich aufeinander folgende, zusammenhängende Bebauung besteht (BVerwG, U.v. 6.11.1968 – IV C 2/66 – BVerwGE 31, 20/21). Wo im Einzelfall die Grenze des Bebauungszusammenhangs verläuft, ist aufgrund einer Bewertung des konkreten Falls zu entscheiden (BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.2015 – UPR 2016, 68). Der Bebauungszusammenhang endet in der Regel mit der letzten an eine größere Freifläche angrenzenden Bebauung (BVerwG, B.v. 12.3.1999 – 4 B 112/98 – NVwZ 1999, 763/765). Eine von Bebauung umgebene unbebaute Innenstadtfläche liegt jedoch nicht innerhalb des Bebauungszusammenhangs, wenn sie so groß ist, dass sich ihre Bebauung nicht als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung aufdrängt (BVerwG, B.v. 15.9.2005 – 4 BN 37/05, ZfBR 2006, 54; sog. Außenbereich im Innenbereich). Nach den dem Gericht vorliegenden Luftbildern und Karten handelt es sich bei der südlich der Anwesen W …, … und … angrenzenden und bis zum S … Weg reichenden Fläche um einen Außenbereich im Innenbereich. Ein Zusammenhang zwischen der Bebauung auf dem Grundstück der Klägerin und auf den Grundstücken Fl.-Nrn. hhh/2 und kkk/7 besteht nicht mehr, da der Abstand zwischen den Bebauungen ca. 90 Meter beträgt. Eine tatsächlich aufeinander folgende, zusammenhängende Bebauung ist mithin nicht gegeben. Die Baulücke zwischen den Bebauungen ist auch nicht in der Lage, einen Bebauungszusammenhang zu vermitteln. Die Bebauung auf dem Grundstück der Klägerin ist die einzige, die zwischen der F … und der N … Straße unmittelbar nördlich des S … Weges angrenzt und kann daher nicht mehr einen Zusammenhang der südlich der W … angrenzenden Gebäude herstellen.
1.2 Entgegen der Auffassung des Beklagten gehören die Grundstücke Fl.-Nrn. jjj/4 und iii/8 zum Kreis der durch die „N … Straße BA II“ als Erschließungsanlage erschlossenen Grundstücke, auf die nach § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB der beitragsfähige Erschließungsaufwand für die Erschließungsanlage zu verteilen ist. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Grundstück Fl.-Nr. jjj/4 aufgrund seiner geringen Größe nicht selbstständig bebaubar und daher nicht erschlossen i.S.v. § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist (Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 13 Rn. 23). Da das Grundstück Fl.-Nr. iii/8 nicht unmittelbar an der abgerechneten Anbau straße angrenzt, handelt es sich um ein sog. Hinterliegergrundstück, welches aufgrund fehlender Identität der Eigentümer zwischen Vorder- und Hinterliegergrundstück grundsätzlich ebenfalls nicht von der N … Straße erschlossen wird. Das Gericht geht jedoch vom Vorliegen eines Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten aus.
Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2b KAG i.V. mit § 42 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten das Gesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Missbrauch vor, so entsteht der Beitragsanspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Ein Missbrauch liegt gemäß § 42 Abs. 2 AO vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Beitragspflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Beitragsvorteil führt (Satz 1); dies gilt nicht, wenn der Beitragspflichtige für die gewählte Gestaltung außerbeitragsrechtliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind (Satz 2). Ein solcher Missbrauch liegt insbesondere vor, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die zur Erreichung des erstrebten wirtschaftlichen Ziels unangemessen ist, der Abgabenminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonstige beachtliche außerbeitragsrechtliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist, d.h. wenn einzig die Vermeidung (oder Verminderung) einer Beitragspflicht verfolgt wird. Es ist demnach zu prüfen, ob – abgesehen von der Beitragsvermeidung oder -verminderung – ein wirtschaftlich sinnvoller oder ein sonst wie einleuchtender Grund für die Grundstücksteilung spricht (BayVGH, B.v. 10.09.2009 – 6 CS 09.551 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 20.08.2012 – 6 CS 12.970 – juris Rn. 8; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 17 Rn. 102, 103). Ein gewichtiges Indiz für die Unangemessenheit der rechtlichen Gestaltung kann z.B. in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen der Ankündigung der Gemeinde, Beiträge zu erheben, und einem Grundstücksteilungsantrag gesehen werden. Der Abgabenpflichtige muss bei der Aufklärung, ob der Gestaltung vernünftige wirtschaftliche Gründe zugrunde liegen, mitwirken. Versagt er sich oder kann er keine vernünftigen Gründe nennen, so ist im Rahmen der Beweiswürdigung grundsätzlich ein Missbrauch im Sinn des § 42 AO anzunehmen (VGH Mannheim U.v. 28.02.2008 – 2 S 1946.06 – juris Rn. 21; Driehaus, a.a.O.).
Gemessen an diesen Maßstäben ist nicht davon auszugehen, dass die Teilung des früheren Grundstücks Fl.-Nr. hhh/2 in die heutigen Grundstücke Fl.-Nrn. hhh/2 und iii/8 sowie die Schenkung des neuen Grundstücks Fl.-Nr. iii/8 durch die Beigeladene zu 1. an ihre Tochter, der Beigeladenen zu 2., im Jahre 2010 ausschließlich der Beitragsvermeidung bzw. -verminderung diente. Auffällig ist zwar, dass die genannte Schenkung im Jahre 2010 im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Planung und dem Bau der mit streitgegenständlichen Vorausleistungsbescheid abgerechneten Erschließungsanlage erfolgte. Die Beigeladene zu 1. hat schriftsätzlich und auch in der mündlichen Verhandlung die Motivation der Grundstücksteilung allerdings nachvollziehbar geschildert. Die Schenkung sei aus erbschaftssteuerrechtlichen Gründen im Jahre 2010 erfolgt. Aus den dem Gericht in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen im Rahmen des Bebauungsplanaufstellungsverfahrens ergibt sich überdies, dass der Bebauungsplan Nr. 11 „N … Straße“ bereits im Jahre 2004 auf Wunsch der Beigeladenen zu 1. dahingehend geändert worden ist, dass die Baugrenzen auf dem Grundstück Fl.-Nr. hhh/2 vor der Grundstücksteilung erweitert worden sind, um eine größtmögliche bauliche Nutzbarkeit des Grundstücks zu erreichen. Die Beigeladene zu 1. hat in der mündlichen Verhandlung für die Kammer in nachvollziehbarer Weise geschildert, dass bereits zu diesem Zeitpunkt, also ca. zehn Jahre vor der Herstellung der vorliegend abgerechneten Erschließungsanlage, geplant gewesen sei, ihrer Tochter, der Beigeladenen zu 2., die Errichtung eines Wohnhauses auf o.g. Grundstück zu ermöglichen. Schließlich ist das im Jahre 2010 entstandene Grundstück Fl.-Nr. iii/8 aufgrund seiner Größe von 692 m² und der Vorgaben des Bebauungsplans selbstständig bebaubar und kann über die W … erschlossen werden. Das Gericht geht daher nicht davon aus, dass die Teilung des Grundstücks Fl.-Nr. hhh/2 im Jahre 2010 einzig zur Vermeidung der Erschließungsbeitragspflicht erfolgte.
Aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls kann aber auch ein Unterlassen, z.B. der Nichterwerb eines Anliegergrundstücks, um die sachliche Beitragspflicht für ein Hinterliegergrundstück zu verhindern, einen Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten i.S.v. § 42 AO darstellen. Ein solches Unterlassen ist der Vermeidung des Entstehens einer sachlichen Beitragspflicht durch aktives Tun gleichzustellen, wenn sich bei wertender Würdigung der Gesamtumstände aus vorangegangenem Tun eine entsprechende Handlungspflicht ergeben hat (Driehaus a.a.O., § 17 Rn. 102 mit Verweis auf OVG Koblenz, U.v. 1.4.2003 – 6 A 10098/03 – juris Rn. 21 ff.). Nach Auffassung der Kammer ist im vorliegenden Fall ein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten durch Unterlassen zu bejahen. Die Beigeladene zu 1. wäre aufgrund der Teilung ihres Grundstücks und der Eigentumsübertragung der neu geschaffenen Fl.-Nr. iii/8 auf die Beigeladene zu 2. verpflichtet gewesen, auch das Eigentum des direkt an die Erschließungsanlage N … Straße angrenzende und selbst nicht bebaubare Grundstück Fl.-Nr. jjj/4 (Grundstücksstreifen ca. 50 x 2 m) zu übertragen. Diesem rechtserheblichen Unterlassen der Beigeladenen zu 1. lag nach Auffassung des Gerichts ausschließlich eine Beitragsvermeidungsabsicht zugrunde. Das Grundstück ist baulich nicht nutzbar und außer für die Beigeladene zu 2. für jeden anderen wirtschaftlich wertlos. Durch die Übertragung des Eigentums am Grundstück Fl.-Nr. jjj/4 auf die Beigeladene zu 2. hätte diese eine zusätzliche wegemäßige Erschließung ihres Grundstücks und eine faktische Vergrößerung ihrer ohnehin relativ geringen Grundstücksfläche. Zu beachten ist außerdem, dass das Grundstück Fl.-Nr. iii/8 aufgrund seines bisherigen Grundstückszuschnitts nur im südlichen Bereich sinnvoll bebaut werden kann und daher ein noch zu errichtendes Wohnhaus eher zur N … Straße und nicht zur W … hin ausgerichtet wäre. Ein – abgesehen von der Beitragsvermeidung – wirtschaftlich sinnvoller oder sonst wie einleuchtender Grund für die Nichtübertragung des Grundstücks Fl.-Nr. jjj/4 auf die Beigeladene zu 2. wurde nicht dargelegt und ist auch sonst nicht ersichtlich. Entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 1. stellen aufgrund der obigen Ausführungen die Größe des unbebauten Hinterliegergrundstücks Fl.-Nr. iii/8 und seine Lage an der W … ebenso wenig einen einleuchtenden Grund im oben genannten Sinne dar, wie ihre Meinung, dass das Grundstück Fl.-Nr. iii/8 keinen Vorteil von der ausgebauten N … Straße habe, da die Beigeladene zu 2. an der auf dem Grundstück Fl.-Nr. jjj/4 bestehenden Hecke nicht interessiert sei. Ob die Herstellung einer (weiteren) Orts straße subjektiv als Vorteil empfunden wird oder ob an dieser Straße kein Interesse besteht, ist beitragsrechtlich unbeachtlich (BayVGH, B.v. 9.7.2012 – 6 ZB 12.185 – juris Rn. 8; B.v. 20.8.2012 – 6 CS 12.970 – juris Rn. 11).
Die Beigeladene zu 1. kann schließlich auch nicht gegen das Vorliegen eines Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten einwenden, eine gleichzeitige Übertragung des Grundstücks Fl.-Nr. jjj/4 zusammen mit dem Grundstück Fl.-Nr. iii/8 auf die Beigeladene zu 2. sei ihr wegen des Bestehens einer Veränderungssperre bzw. wegen eines laufenden Enteignungsverfahrens nicht möglich gewesen. Selbst wenn man unterstellt, dass der Beklagte zum Zeitpunkt des Eigentumsübergangs für o.g. Grundstücke eine Veränderungssperre erlassen hat, wäre diese einer Eigentumsübertragung des Grundstücks Fl.-Nr. jjj/4 auf die Beigeladene zu 2. nicht entgegengestanden. Nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 BauGB sind nach dem Erlass einer Veränderungssperre lediglich erhebliche oder wesentlich wertsteigernde Veränderungen von Grundstücken und baulichen Anlagen, deren Veränderungen nicht genehmigungs-, zustimmungs- oder anzeigepflichtig sind, unzulässig. Veränderungen in diesem Sinne sind jedoch nur Maßnahmen tatsächlicher Art, nicht jedoch auch rechtlicher Art wie die Veräußerung oder Belastung des Grundstücks (vgl. BVerwG, U.v. 11.5.1973 – 4 C 9.72 – BVerwGE 42, 183 [185]). Sofern sich die Beigeladene zu 1. darauf beruft, eine Schenkung des Grundstücks Fl.-Nr. jjj/4 an die Beigeladene zu 2. sei auch deshalb nicht möglich gewesen, weil ein Enteignungsvermerk im Grundbuch eingetragen gewesen sei (§ 108 Abs. 6 BauGB), ist darauf hinzuweisen, dass auch in einem laufenden Enteignungsverfahren Verfügungen über Grundstücke mit Zustimmung der Enteignungsbehörde möglich sind (§ 109 Abs. 1 BauGB). Auf eine entsprechende Zustimmung besteht ein Rechtsanspruch, wenn kein Grund zu der Annahme besteht, dass der Rechtsvorgang die Verwirklichung des Enteignungszwecks unmöglich machen oder wesentlich erschweren würde (§ 109 Abs. 2 BauGB).
Nach alledem gehören auch die Grundstücke Fl.-Nrn. jjj/4 und iii/8 zum Kreis der durch die „N* … Straße BA II“ als Erschließungsanlage erschlossenen Grundstücke, auf die nach § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB der beitragsfähige Erschließungsaufwand für die Erschließungsanlage zu verteilen ist. Aufgrund der vom Beklagtenvertreter mit Schriftsatz vom 26.10.2018 vorgelegten Vergleichsberechnung ergibt sich daher für das Grundstück der Klägerin lediglich eine Vorauszahlung auf den Erschließungsbeitrag in Höhe von 43.984,10 EUR, weshalb der Bescheid aufzuheben war, soweit von der Klägerin mehr als die genannte Summe gefordert wurde.
1.3 Auch die sonstigen in § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB genannten Voraussetzungen einer Vorausleistungserhebung liegen vor. Insbesondere war die Beitragspflicht zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bekanntgabe des Vorausleistungsbescheids (BayVGH, U.v. 21.2.2006 – 6 B 01.2539 – juris Rn. 21) noch nicht entstanden. Wie die Beklagtenseite in der mündlichen Verhandlung vortrug, sei die Erschließungsanlage bisher noch nicht gewidmet. Auch seien noch verschiedene Mängel zu beseitigen. Zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des streitgegenständlichen Vorausleistungsbescheids war auch bereits mit der Herstellung der Erschließungsanlage begonnen worden. Nach Aussage des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung sei die Anlage bereits im Juli 2014 weitgehend technisch hergestellt gewesen. Auch die Erhebung von 80 Prozent des Erschließungsaufwands im Rahmen der Vorausleistung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zwar sieht § 8 EBS die Erhebung von Vorausleistungen in Höhe des voraussichtlichen Erschließungsbeitrags vor. Rechtsgrundlage für die Erhebung der Vorausleistung ist jedoch alleine § 133 Abs. 3 BauGB als selbstständige Norm, die ohne weitere ortsgesetzliche Regelung angewandt werden kann. Die Beitragssatzung muss keine Regelung über Vorausleistungen enthalten. Deren Erhebungsmöglichkeit ergibt sich unmittelbar aus § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB (BayVGH, B.v. 11.1.2001 – 6 ZB 98.3528 -juris Rn. 16). § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB sieht die Erhebung von Vorausleistungen bis zur Höhe des voraussichtlich endgültigen Erschließungsbeitrags, mithin auch für 80 Prozent des voraussichtlich endgültigen Erschließungsbeitrags vor.
2. Die Kostenentscheidung entspricht dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen (§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig erklärt. Denn der Klägerin war es wegen der Schwierigkeit der Sache auf dem Gebiet des Kommunalabgabenrechts nicht zuzumuten, das Vorverfahren selbst zu führen (vgl. BayVGH, B.v. 29.04.2016 – 5 C 16.574 – juris Rn. 7). Da die Beigeladenen keine Anträge gestellt haben, sind ihnen keine Kosten aufzuerlegen (§ 154 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO, § 709 ZPO.


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