Baurecht

Nachbaranfechtung einer Baugenehmigung, Kein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot

Aktenzeichen  1 CS 22.437

Datum:
22.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10608
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 30

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 11 SN 21.5901 2022-01-31 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Doppelhauses mit Garagen. Die Vorhabengrundstücke befinden sich im Geltungsbereichs des Bebauungsplans der Gemeinde W … für das Gebiet „Westlich der S … straße / S …“. Für die Errichtung der Garagen wurde eine Befreiung von der im Bebauungsplan festgesetzten Garagenfläche erteilt. Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines außerhalb des Planungsgebiets gelegenen, mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks, das durch eine Verkehrsfläche (Stichstraße mit Wendeplatz) getrennt nördlich bzw. nordwestlich der Vorhabengrundstücke liegt.
Den Antrag, die aufschiebende Wirkung der erhobenen Anfechtungsklage anzuordnen, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 31. Januar 2022 ab. Die Baugenehmigung verletze die Antragstellerin voraussichtlich nicht in ihren Rechten. Eine Befreiung von nachbarschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans sei nicht erfolgt. Festsetzungen zum Maß der Nutzung hätten grundsätzlich keine nachbarschützende Wirkung. Das Grundstück der Antragstellerin liege zudem außerhalb des Planungsgebiets des Bebauungsplans. Das Vorhaben verletze auch nicht das Gebot der Rücksichtnahme, u.a. sei eine unzumutbare Beeinträchtigung der Antragstellerin durch eine Veränderung der „kleinklimatischen“ Situation weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich.
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtschutzziel weiter.
Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen die Zurückweisung der Beschwerde.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung der angegriffenen Entscheidung.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf vorläufigen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung wird ihre Nachbarklage gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Doppelhauses mit Garagen im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben, sodass das Interesse an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegenüber dem Vollzugsinteresse der Beigeladenen nachrangig ist.
1. Der Vortrag zeigt nicht auf, dass durch die erteilte Baugenehmigung gegen nachbarschützende Festsetzungen des Bebauungsplans verstoßen wurde, insbesondere fehlt es an einem substantiierten Vortrag, dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts die Festsetzungen im Bebauungsplan zum Maß der Nutzung bzw. zum Bauraum der Garagen nachbarschützend sind. Die Antragstellerin behauptet hierzu, dass die Gemeinde bei der Aufstellung dieses Bebauungsplans nicht nur den Interessen des Allgemeinwohls, sondern auch den Interessen der Nachbarn habe Rechnung tragen wollen. Konkrete Anhaltpunkte für einen vom Planungswillen der Gemeinde abhängigen, ausnahmsweise bestehenden Drittschutz (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – NVwZ 2018, 1808) benennt sie allerdings nicht. Ungeachtet, dass die vorgelegten Unterlagen zur Vorgeschichte des Bebauungsplans schon nicht geeignet sind, einen entsprechenden Willen zu dokumentieren (vgl. BayVGH, B.v. 11.8.2021 – 15 CS 21.1775 – juris Rn. 17), lassen sich hierzu auch keine Anhaltspunkte entnehmen, insbesondere auch nicht für eine drittschützende Funktion der Festsetzungen des Bebauungsplans im Hinblick auf außerhalb des Planungsgebiets gelegene Grundstücke. Soweit die Antragstellerin im Übrigen vorträgt, dass die Teilung des Grundstücks den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspreche und die vorgesehenen Stellplätze nach der Stellplatzsatzung nicht ausreichend seien, ist das nicht zutreffend. Der Bebauungsplan lässt die Errichtung von Doppelhäusern zu und trifft eine eigene Festsetzung über die Anzahl der notwendigen Stellplätze. Auch der im Bebauungsplan festgesetzte Bauraum für das Wohngebäude wird eingehalten, sodass die Ausführungen, die sich gegen dessen Situierung wenden, unerheblich sind.
2. Das Beschwerdevorbringen ist auch nicht geeignet, die Annahme des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen, dass die Baugenehmigung, die ganz überwiegend den Festsetzungen des Bebauungsplans entspricht, nicht rücksichtslos ist. Soweit die Antragstellerin geltend macht, dass die Beigeladene bereits vor Erteilung der Baugenehmigung mit Grundstücksvorbereitungsarbeiten begonnen habe und in den Jahren zuvor wertvoller Baumbestand auf einem Teilbereich des Baugrundstücks gerodet worden sei, ist dies nicht Gegenstand der angegriffenen Baugenehmigung (vgl. im Übrigen den Baumbestandsplan vom 19.5.2021, der zum Gegenstand der Baugenehmigung erklärt wurde). Eine erdrückende Wirkung des Bauvorhabens hat das Verwaltungsgericht unter ausführlicher Begründung, der die Beschwerde nicht substantiiert entgegentritt, verneint. Das Rücksichtnahmegebot ist auch nicht im Hinblick auf die vorgetragene Verschlechterung der kleinklimatischen Situation verletzt. Veränderungen der Belichtung, Belüftung und Besonnung und damit einhergehend der kleinklimatischen Situation sind grundsätzlich hinzunehmen. Da bei der Nutzung des Doppelhauses mit je einer Wohneinheit kein großer Zu- und Abfahrtsverkehr zu erwarten ist, erweist sich das Vorhaben auch nicht im Hinblick auf Verkehrsimmissionen als rücksichtlos.
Der Gesetzgeber hat in Ausfüllung seines legislatorischen Gestaltungsspielraums nachbarliche Abwehrrechte verfassungskonform ausgestaltet und unter Einschluss der Grundsätze des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme ein geschlossenes System des nachbarlichen Drittschutzes bereitstellt (vgl. BVerwG, U.v. 7.11.1997 – 4 C 7.97 – NVwZ 1998, 735; U.v. 23.8.1996 – 4 C 13.94 – BVerwGE 101, 364; U.v. 26.9.1991 – 4 C 5.87 – BVerwGE 89, 69; BayVGH, B.v. 26.4.2021 – 15 CS 21.1081 – juris Rn. 23). Der Verweis der Antragstellerin auf Art. 20a GG ist daher aus den vom Verwaltungsgericht ausgeführten Gründen unbehelflich.
3. Die Beschwerde hat auch keinen Erfolg, soweit die Antragstellerin eine unzureichende Erschließung des Baugrundstücks geltend macht. Das Erfordernis der gesicherten planungsrechtlichen Erschließung, das im vorliegenden Fall aus § 30 Abs. 1 BauGB folgt, dient grundsätzlich nur den öffentlichen Interessen und hat keine nachbarschützende Funktion (vgl. BVerwG, B.v. 28.7.2010 – 4 B 19.10 – juris Rn. 3; B.v. 21.4.1989 – 4 B 85.89 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 21.5.2019 – 1 CS 19.474 – juris Rn. 8).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 9.7.1 des Streitwertkatalogs und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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