Baurecht

Nachbarantrag gegen Baugenehmigung für eine Gaststätte

Aktenzeichen  9 CS 17.2033

Datum:
22.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 146
VwGO VwGO § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5
BauGB BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO BauNVO § 5

 

Leitsatz

Erhöht sich der Schalldruckpegel durch ein Bauvorhaben zwar messbar, aber nicht subjektiv wahrnehmbar, ist die daraus resultierende Überschreitung von Immissionsrichtwerten zumutbar. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 9 S 17.882, AN 9 S 17.884 2017-09-05 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die der Beigeladenen vom Landratsamt … erteilte bauaufsichtliche Genehmigung vom 7. April 2017 in der Fassung der Bescheide vom 11. Juli 2017 und vom 23. August 2017 zum „Neubau eines Café-Bar-Restaurants“ auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung … Sie sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. … Gemarkung …, das mit einem Wohnhaus bebaut ist und an das Baugrundstück angrenzt.
Das Vorhaben soll nach den Bauvorlagen insgesamt 157 Sitzplätze teils innerhalb des Gebäudes und zum Teil im Freien umfassen („64 im Innenbereich“ und „91 im Außenbereich“) sowie weitere „96 Außensitzplätze mit Sondergenehmigung bei besonderen Veranstaltungen“. Nach der Nebenbestimmung Nr. 22 des Baugenehmigungsbescheids vom 7. April 2017 hat „die Bestuhlung des Außenbereichs entsprechend dem im Antrag dargestellten Bestuhlungsplan (Maximal 91 Sitzplätze) zu erfolgen“. Der Betrieb der Außenbewirtschaftung ist nur tagsüber von 7.00 Uhr bis 22.00 Uhr zulässig, der Ausschank ist insoweit um 21.15 Uhr einzustellen (Nebenbestimmungen Nr. 21). Eine Beschallung des Außenwirtschaftsbereichs ist nicht zulässig (Nebenbestimmung Nr. 23). Hinsichtlich des Wohnhauses auf dem Antragstellergrundstück hat das Landratsamt unter Annahme eines Mischgebiets einen um 6 dB(A) reduzierten Immissionsrichtwert für den Gesamtbetrieb des Vorhabens in Höhe von 54 dB(A)/tags und zuletzt mit Bescheid vom 23. August 2017 einen nicht reduzierten Immissionsrichtwert von 45 dB(A)/nachts festgelegt (Nebenbestimmung Nr. 12).
Die Antragsteller haben gegen die Baugenehmigung Klage erhoben (Az. 9 K 17.883), über die das Verwaltungsgericht noch nicht entschieden hat, und zugleich beantragt, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen.
Das Verwaltungsgericht wies den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz mit Beschluss vom 5. September 2017 zurück. Die nähere Umgebung des Baugrundstücks sei voraussichtlich als faktisches Mischgebiet zu qualifizieren, in dem das Vorhaben seiner Art nach zulässig sei. Bei Einhaltung der verfügten Auflagen könnten die festgelegten und ausreichenden Lärmgrenzwerte am Anwesen der Antragsteller eingehalten werden, was sich aus den Stellungnahmen des Sachbearbeiters für den technischen Umweltschutz nachvollziehbar ergebe.
Mit ihrer Beschwerde vom 29. September 2017 verfolgen die Antragsteller ihren Antrag weiter. Sie sind der Auffassung, die nähere Umgebung entspreche einem allgemeinen Wohngebiet, weshalb das Vorhaben wegen der negativen Veränderung der Gebietsart unzulässig sei. Das Vorhaben verletze auch das Rücksichtnahmegebot, weil die Antragsteller bereits erheblichen Lärmbeeinträchtigungen ausgesetzt seien und durch das Vorhaben weitere Lärmbeeinträchtigungen hinzukommen würden.
Die Antragsteller beantragen,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 18. Oktober 2017 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Landratsamts vom 7. April 2017 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Das Erstgericht habe richtig entschieden. Die Baugenehmigung sei aufgrund der Auflagen zum Immissionsschutz rechtmäßig und verstoße nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
Die Beigeladene beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Einstufung der näheren Umgebung als faktisches Mischgebiet durch das Verwaltungsgericht sei nicht zu beanstanden. Darin sei das Vorhaben seiner Art nach zulässig. Die Festlegung der Immissionsrichtwerte sei ausreichend; mehr könnten die Antragsteller in einem Mischgebiet nicht verlangen. Ein Rücksichtnahmeverstoß liege deshalb nicht vor.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Akten des Landratsamts verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Die von den Antragstellern innerhalb der gesetzlichen Begründungsfrist dargelegten Gründe‚ auf die sich die Prüfung zu beschränken hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO)‚ rechtfertigen keine Änderung der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragsteller zu Recht abgelehnt.
1. Die Einordnung der näheren Umgebung des Baugrundstücks als faktisches Mischgebiet oder als durch Gewerbenutzung mitgeprägte Gemengelage durch das Verwaltungsgericht ist nicht zu beanstanden.
Angesichts des in der unmittelbaren Nachbarschaft zum Bau- und Antragstellergrundstück gelegenen Bauunternehmens auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung … und der an das Baugrundstück angrenzenden Festhalle auf dem Grundstück FlNr. … scheidet das Vorliegen eines vonseiten der Antragsteller angenommenen faktischen Wohngebiets aus.
Das Vorbringen der Antragsteller, das Bauunternehmen liege nicht innerhalb desselben Straßengevierts und (auf) der gegenüberliegenden Straßenseite, durch dessen Einbeziehung werde das maßgebliche Gebiet zu weit gefasst, lässt keine von der erstinstanzlichen Entscheidung abweichende Bewertung zu.
a) Die Darlegung der Antragsteller lässt außer Betracht, dass sich ihr Wohnanwesen im selben Straßengeviert befindet wie das Bauunternehmen. Folgte man deshalb der Auffassung der Antragsteller, so würde auch ihr Grundstück nicht in der näheren Umgebung zum Vorhaben liegen. Ein gebietsübergreifender Schutz des Nachbarn vor gebietsfremden Nutzungen in einem lediglich angrenzenden Gebiet besteht aber grundsätzlich nicht (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.2007 – 4 B 55.07 – juris Rn. 6). Ein Nachbar kann sich gegen eine gebietsfremde Nutzung nur zur Wehr setzen, wenn beide Grundstücke demselben faktischen Baugebiet angehören (vgl. BVerwG, B.v. 10.1.2013 – 4 B 48.12 – juris Rn. 4 m.w.N.).
b) Davon abgesehen gibt es keinen Rechts- oder Tatsachensatz, wonach der Bereich der gegenseitigen Prägung stets vom Straßengeviert und der gegenüberliegenden Bebauung begrenzt wird (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2017 – 9 ZB 14.1541 – juris Rn. 11 m.w.N.). Eine Straße kann vielmehr sowohl eine trennende als auch eine verbindende Wirkung haben (vgl. BVerwG, B.v. 11.2.2000 – 4 B 1.00 – juris Rn. 18 m.w.N.). Welche konkreten Umstände hier für eine trennende Wirkung der Straße zwischen dem Antragstellergrundstück und dem Bauunternehmen auf der einen Seite und dem Vorhabengrundstück auf der anderen Seite sprechen sollen, wird nicht dargelegt.
Maßstabsbildend im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist die Umgebung, insoweit sich die Ausführung eines Vorhabens auf sie auswirken kann und insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich dabei nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist. Auch für die Beurteilung eines Bereichs als eines faktischen Baugebietes ist die nähere Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB maßgebend (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2016 – 9 ZB 15.779 – juris Rn. 6 m.w.N.). Von diesen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärten Grundsätzen ausgehend begegnet die Bewertung des Verwaltungsgerichts, das unmittelbar an das Grundstück der Antragsteller angrenzende und in der Nachbarschaft des Vorhabens liegende Bauunternehmen präge die nähere Umgebung mit, keinen Zweifeln.
2. Einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot hat das Verwaltungsgericht in nicht zu beanstandender Weise verneint.
a) Soweit die Antragsteller vorbringen, sie würden bereits erheblichen Lärmimmissionen durch das angrenzende Bauunternehmen ausgesetzt, wurde diese Vorbelastung in der Baugenehmigung hinreichend berücksichtigt.
Das Landratsamt hat für das Vorhaben in Anlehnung an Nr. 3.2.1 Abs. 2 und Abs. 3 TA Lärm einen Immissionswert für die Tagzeit von 54 dB(A) festgelegt, der 6 dB(A) unter dem Tages-Immissionsrichtwert eines Mischgebiet von 60 dB(A) liegt. Unterschreitet die dem Vorhaben zuzurechnende Zusatzbelastung den maßgeblichen Immissionsrichtwert von hier 60 dB(A)/tags um 6 dB(A), führt die Zusatzbelastung durch das zugelassene Vorhaben rechnerisch zu einer Erhöhung des Geräuschniveaus um maximal 1 dB(A). Eine Änderung des Schalldruckpegels bis zu etwa 1 dB(A) wird vom menschlichen Gehör im Allgemeinen aber subjektiv nicht wahrgenommen. Die Überschreitung des Immissionsrichtwerts durch die Gesamtbelastung um 1 dB(A) wird daher als zumutbar eingestuft (vgl. BayVGH, U.v. 28.4.2017 – 9 N 14.404 – juris Rn. 55 m.w.N.).
b) Soweit es den Betrieb des Vorhabens in der Nachtzeit betrifft, hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass von dem Baubetrieb Lärmimmissionen in der Nachtzeit aufgrund der Baugenehmigung für diesen Betrieb nicht zu erwarten sind. Eines Abschlags von 6 dB(A) habe es deshalb nicht bedurft. Auch dies ist nicht zu beanstanden.
c) Die Kritik der Antragsteller, die Messannahmen im Lärmschutzkonzept der Baugenehmigung seien selektiv und realitätsfern und das Verwaltungsgericht setze sich mit der Doppelbelastung in zeitlicher und örtlicher Hinsicht nicht auseinander, ist unberechtigt.
aa) Das Verwaltungsgericht ist aufgrund der Stellungnahmen des Sachbearbeiters für den technischen Umweltschutz beim Landratsamt in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen, dass die festgelegten Immissionswerte bei Ausübung der genehmigten Nutzung auch eingehalten werden könnten. Insoweit hat es auf die Stellungnahme vom 23. August 2017 sowie die mit Schreiben vom 11. Juli 2017 vorgelegte Stellungnahme verwiesen. Dies ist nicht zu beanstanden.
Die Begründung eines durch Rechtsmittel anfechtbaren Beschlusses (vgl. § 122 Abs. 2 VwGO) muss zwar erkennen lassen, welche Überlegungen für die richterliche Überzeugungsbildung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht maßgeblich gewesen sind (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 122 Rn. 7 m.w.N.). Die Begründung kann aber durch Bezugnahmen erleichtert werden (vgl. Clausing in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 122 Rn. 10 m.w.N.).
Aus den in Bezug genommenen Stellungnahmen (Bl. 44 ff., Bl. 71 ff. der Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts) ergibt sich eindeutig, von welchen Grundlagen der Sachbearbeiter des technischen Umweltschutzes beim Landratsamt bei seinen Berechnungen (nicht: Messungen) im Sinn einer „Maximalabschätzung“ ausgegangen ist. Die zu berücksichtigenden Emissionsquellen des Vorhabens und des Bauunternehmens (Fahrverkehr) wurden in Lageplänen dargestellt, die ermittelten Beurteilungs- und Maximalpegel für das Vorhaben wurden für jeden einzelnen Immissionsort in einer übersichtlichen Tabelle und für den Fahrverkehr des Bauunternehmens in einer Berechnungsvorlage zum nächstgelegenen Immissionsort aufgezeigt und erläutert. Hiermit setzt sich das Vorbringen der Antragsteller nicht auseinander. Es bestehen aber auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese Berechnungen oder die ihnen zugrunde gelegten Annahmen selektiv oder realitätsfern wären.
bb) Dass nach Zulassung des Vorhabens zwei geräuschemittierende Betriebe vorhanden sind, hat das Verwaltungsgericht erkannt. Es hat im angefochtenen Beschluss auch nachvollziehbar aufgezeigt, weshalb durch die Nebenbestimmungen zur Baugenehmigung sichergestellt werden konnte, dass bei genehmigungskonformem Betrieb in keinem Zeitraum unzumutbare Lärmbelastungen am Anwesen der Antragsteller auftreten. Auf die vorstehenden Ausführungen unter Nr. 2 Buchst. a wird verwiesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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