Baurecht

Nachbarantrag gegen Baugenehmigung für Einfamilienhaus im faktischen Überschwemmungsgebiet

Aktenzeichen  M 1 SN 16.3019

Datum:
22.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 64 Abs. 1 S. 2, Art. 66 Abs. 1 S. 1, S. 2
BauGB BauGB § 31 Abs. 2
WHG WHG § 5 Abs. 2, § 77 S. 1, § 78 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

Auch wenn den Vorschriften der § 5 Abs. 2 und §§ 77 f. WHG direkt oder über das wasserrechtliche Gebot der Rücksichtnahme Drittschutz beizumessen wäre, ist ein Rechtsbehelf nur begründet, wenn ein qualifizierter Nachteil für den Betroffenen, der nur bei der Gefahr eines erheblichen Nachteils oder bei einer unzumutbaren Verschärfung der Hochwassergefahren vorliegt, anzunehmen ist.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst
III.
Der Streitwert wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtschutz gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Einfamilienhauses mit Garage.
Die Antragsteller sind Miteigentümer des mit einem Wohngebäude und einer Garage bebauten Grundstücks FlNr. 739/11 Gemarkung … Die Beigeladenen sind Miteigentümer des nördlich angrenzenden Grundstücks FlNr. 812/12. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des 1994 in Kraft getretenen und seither oftmals geänderten qualifizierten Bebauungsplans Nr. 33 „…“ der Gemeinde B. … Nach dessen zeichnerischen und textlichen Festsetzungen werden „die überbaubaren Grundstücksflächen … durch Baugrenzen eingegrenzt“. Weitere Ausführungen zu den Baugrenzen enthält der Bebauungsplan nicht.
Unter dem Datum des … November 2015 beantragten die Beigeladenen beim Landratsamt Altötting die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines Einfamilienhauses mit Garage auf ihrem Grundstück. Unmittelbar an der östlichen Grundstücksgrenze soll ein circa 7,5 x 9 m großes, unterkellertes Garagengebäude mit Speicher entstehen; südwestlich hieran schließt sich – getrennt durch einen Verbindungsbau mit Maßen von circa 4 x 8 m – das Wohngebäude mit einer Grundfläche von circa 11 x 10 m an, das über Erdgeschoss, Obergeschoss und nicht ausgebautes Dachgeschoss verfügt und zwischen 52 und 86 cm über dem natürlichen Gelände verwirklicht werden soll. Die Garage und der östliche Teil des Wohnhauses liegen innerhalb der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen; der westliche Teil des Wohnhauses überschreitet diese. Die Beigeladenen beantragten deshalb im Rahmen des Bauantrags auch die Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans.
Der Bauantrag trägt auf der Zeile „739/11 … u. …“ die Unterschrift „Fam. …“. Mit von beiden Antragstellern unterzeichnetem Schreiben vom 9. Februar 2016 führten diese aus, sie würden die Unterschrift zurückziehen, weil nach dem Bauplan Erdbewegungen im Überschwemmungsgebiet erforderlich seien und sie hierdurch bei Hochwasser sicher gefährdet würden. Bei einer Bebauung nach dem Bebauungsplan würden sie die Unterschrift wieder leisten. Das Schreiben der Antragsteller vom 9. Februar 2016 trägt – wie alle eingereichten Bauvorlagen – den Stempel „2016/0139“.
Die Gemeinde B. … erteilte mit Beschluss vom 1. März und Stellungnahme vom 2. März 2016 ihr Einvernehmen zu dem Vorhaben.
Im Genehmigungsverfahren äußerte das Sachgebiet Wasserwirtschaft des Landratsamts mit Schreiben vom 23. März 2016, das Baugrundstück liege im faktischen Überschwemmungsgebiet der Alz. Im Zuge der Änderung des Bebauungsplans sei ein hydraulisches Gutachten erstellt worden, das die örtlichen Verhältnisse detailliert beschreibe. Im Bereich des Grundstücks ergäben sich Fließtiefen von großteils bis zu 0,2 m, teilweise bis zu 0,8 m. Für die Alz sei für 2016 die Neuberechnung des Überschwemmungsgebiets (HQ 100) vorgesehen. Der Nachweis der hochwasserangepassten Planung sei nach dem Kenntnisstand der Fließtiefe erbracht. Ein Retentionsausgleich sei nicht erforderlich. Der Einfluss durch den geplanten Bau im Bereich außerhalb der Baugrenzen auf die Bebauung in der Nachbarschaft werde bei einem Hochwasser als unwesentlich angesehen. Gegebenenfalls könne ein Nachweis von den Bauherrn gefordert werden.
Das Wasserwirtschaftsamt Traunstein brachte mit Schreiben vom 15. April 2016 vor, zur Abschätzung des Retentionsraumverlusts und eventueller kleinräumiger Auswirkungen auf den Hochwasserabfluss sei die Vorlage hydraulischer Untersuchungen durch die Bauherrn erforderlich. Mit E-Mail vom 10. Mai 2016 führte das Wasserwirtschaftsamt aus, die vorläufige Sicherung des Überschwemmungsgebiets sei mittlerweile aufgehoben worden, weshalb es sich um ein faktisches Überschwemmungsgebiet handle. Weiter verwies es das Landratsamt zur Klärung der Fragen zu Retentionsraumausgleich und Erbringung hydraulischer Nachweise auf das eigene Sachgebiet Wasserrecht. Dieses führte mit E-Mail vom 19. Mai 2016 aus, der Ortsteil … liege in einem faktischen Überschwemmungsgebiet. Flächen eines Bebauungsplans hätten in der Regel die Funktion der Rückhaltung verloren. Für das Vorhaben sei weder ein Retentionsraumausgleich noch die Beibringung hydraulischer Nachweise hinsichtlich möglicher nachteiliger Veränderungen des Wasserstandes und des Abflusses bei Hochwasser erforderlich.
Das Landratsamt erteilte den Beigeladenen mit Bescheid vom 20. Mai 2016, dem Bevollmächtigten der Antragsteller zugestellt am 10. Juni 2016, die beantragte Baugenehmigung und zugleich eine Befreiung hinsichtlich der Baugrenzen. Wasserrechtliche Ausführungen enthält der Bescheid nicht.
Die Antragsteller erhoben am … Juli 2016 Klage gegen den Bescheid zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (M 1 K 16.3018). Gleichzeitig beantragen sie,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen,
hilfsweise, diese insoweit anzuordnen, als die Beigeladenen ein Gebäude außerhalb der Baugrenzen errichten.
Neben der Darstellung des Sachverhalts tragen sie zur Begründung vor, die erteilte Befreiung sei nicht durch § 78 Abs. 3 Satz 1 WHG gedeckt; vielmehr liege ein Verstoß gegen § 5 Abs. 2 WHG vor. Eine Befreiungsmöglichkeit sei nur gegeben, wenn ein Vorhaben den Wasserstand und den Abfluss bei Hochwasser nicht nachteilig verändere. Hierüber sagten die vorliegenden fachlichen Stellungnahmen nichts aus. Vielmehr werde floskelartig angegeben, dass Belange des Hochwasserschutzes nicht verändert worden seien, was durch die aktuelle Hochwassersituation widerlegt werde. Es bestehe die Gefahr, dass die heranfließenden Gewässer gestaut und direkt in ihr Grundstück eingeleitet würden. Bei einem Bau innerhalb der Baugrenzen könne ein Hochwasserschaden zwar nicht ausgeschlossen werden, jedoch sei das Risiko insoweit geringer. Drittschutz liege vor und ergebe sich indirekt aus § 5 Abs. 2 WHG. Baugrenzen dienten in Bezug auf die Hochwassergefährdung gerade der Vermeidung von Schäden.
Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.
Er führt aus, nach einer Handreichung des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz hätten Flächen im Bereich eines qualifizierten Bebauungsplans ihre Funktion als Rückhalteflächen verloren, weshalb die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens allein nach § 30 Baugesetzbuch (BauGB) zu beurteilen sei. Die Befreiung von den Baugrenzen habe erteilt werden können, weil ein Grundzug der Planung nicht berührt und die Abweichung städtebaulich vertretbar sowie im Hinblick auf die Interessen der Nachbarn mit öffentlichen Belangen vereinbar sei.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
In einer Stellungnahme vom 13. Juli 2016 hielt das Sachgebiet Wasserrecht an der mit E-Mail vom 19. Mai 2016 geäußerten Ansicht fest.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behördenakte und der Gerichtsakten verwiesen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg, und zwar weder im Hauptantrag noch im Hilfsantrag.
1. Der Antrag ist zwar zulässig.
1.1. Nach den Unterlagen in der vorgelegten Behördenakte sind die Antragsteller antragsbefugt nach § 42 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) analog. Der Widerruf ihrer Unterschrift unter den Bauplan der Beigeladenen ist gleichzeitig mit den Planunterlagen bei der Baugenehmigungsbehörde eingegangen.
Nach Art. 66 Abs. 1 Satz 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) sind den Eigentümern der benachbarten Grundstücke vom Bauherrn oder seinem Beauftragten der Lageplan und die Bauzeichnungen zur Unterschrift vorzulegen. Nach Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BayBO gilt die Unterschrift als Zustimmung. Dies bedeutet einen Verzicht auf alle subjektiv-öffentlichen Rechte des Nachbarn im Hinblick auf das konkrete Bauvorhaben mit der Folge, dass sich der zustimmende Nachbar nicht mehr in zulässiger Weise gegen das konkrete Bauvorhaben zur Wehr setzen kann. Hier haben die Antragsteller den Bauplan der Beigeladenen, der das konkrete Vorhaben darstellt, unterzeichnet. Zwar lässt sich aus der Unterschrift „Fam. …“ nicht erkennen, wer von den Antragstellern die Unterschrift geleistet hat, wer vertreten wurde und ob insoweit eine ausreichende Vollmacht vorlag. Der Widerruf der Nachbarunterschrift durch beide Antragsteller belegt aber in der Rückschau, dass die Vertretung auf ausreichender Bevollmächtigung beruhte, weil nur dann ein Widerruf erforderlich ist.
Es lässt sich aus der vorgelegten Behördenakte schließen, dass der Widerruf der Nachbarunterschrift zeitgleich mit den Bauvorlagen bei der Baugenehmigungsbehörde eingegangen ist. Das Schreiben der Antragsteller vom 9. Februar 2016 trägt zwar keinen Eingangsstempel der Behörde. Aus den Umständen, dass das Einvernehmen der Gemeinde erst mit Stellungnahme vom 2. März 2016 erteilt wurde (vgl. Art. 64 Abs. 1 Satz 2 BayBO), das Schreiben vom 9. Februar 2016 – ebenso wie die anderen Bauvorlagen – den Stempel des Landratsamts mit der Bauvorgangsnummer trägt und bei diesen eingeordnet ist, schließt das Gericht aber auf einen zeitgleichen Eingang mit den anderen Genehmigungsunterlagen. Nach § 130 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wird eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, dann nicht wirksam, wenn dem anderen – wie hier – vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht (vgl. auch BayVGH Großer Senat, B. v. 3.11.2005 – 2 BV 04.1756 u. a. – BayVBl 2006, 246 – juris Ls.).
1.2. Der Antrag ist auch statthaft. Nach § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Erhebt ein Dritter Anfechtungsklage gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2, Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die nach § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen.
2. Im Rahmen dieser Entscheidung trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind – die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 71). Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Hier wird die Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung des Landratsamts Altötting vom 20. Mai 2016 voraussichtlich erfolglos bleiben. Der Bescheid verletzt die Antragsteller voraussichtlich nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog).
Dabei hat ein Nachbar einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung nicht schon dann, wenn diese objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr ist Voraussetzung, dass er durch die Baugenehmigung gerade in eigenen Rechten verletzt wird. Dies ist nur dann der Fall, wenn die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat. Eine Verletzung drittschützender Vorschriften liegt hier voraussichtlich nicht vor. Die Antragsteller können sich nicht auf eine Verletzung drittschützender wasserrechtlicher Vorschriften berufen (2.1.). Die in der Baugenehmigung erteilte Befreiung von den Baugrenzen führt ebenfalls nicht zu einer Verletzung in drittschützenden Rechten (2.2.). Auch das Gebot der Rücksichtnahme ist nicht verletzt (2.3.).
2.1. Eine Verletzung drittschützender Vorschriften des Wasserrechts liegt nicht vor. Die erteilte Baugenehmigung trifft keine Aussage zum Wasserrecht. Jedenfalls wäre das wasserrechtliche Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt.
Der streitgegenständliche Bescheid des Landratsamts Altötting vom 20. Mai 2016 enthält allein eine Baugenehmigung nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Bayerische Bauordnung (BayBO), nicht aber eine wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung nach § 78 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts (WHG). Nach § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG ist die Errichtung baulicher Anlagen in festgesetzten Überschwemmungsgebieten untersagt; dieses Verbot gilt nach § 78 Abs. 6 WHG auch für nach § 76 Abs. 3 WHG ermittelte, in Kartenform dargestellte und … gesicherte Gebiete. Abweichend von diesem Verbot kann die zuständige Behörde nach § 78 Abs. 3 Satz 1 WHG unter bestimmten Voraussetzungen die Errichtung einer baulichen Anlage genehmigen. Die wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung nach § 78 Abs. 3 Satz 1 WHG steht dabei neben der Baugenehmigung; es handelt sich hierbei um zwei getrennte Genehmigungen mit unterschiedlichen Voraussetzungen und unterschiedlichem Regelungsinhalt (Rossi in Sieder/Zeitler/Dahme, WHG, Stand Sept. 2015, § 78 Rn. 64). Der vorliegenden Baugenehmigung lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass das Landratsamt – über die baurechtliche Freigabe des Vorhabens nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO hinaus – gleichzeitig eine wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung erteilten wollte. Dies ergibt sich weder aus dem Tenor noch aus den Gründen des Bescheids.
Nach überschlägiger Prüfung bedurfte es einer wasserrechtlichen Ausnahmegenehmigung für das Bauvorhaben der Beigeladenen auch nicht. Dieses liegt weder im festgesetzten noch im vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiet. Eine Verordnung nach § 76 Abs. 2 WHG existiert nicht; die vorläufige Sicherung wurde nach dem Vorbringen des Wasserwirtschaftsamts Traunstein mit E-Mail vom 10. Mai 2016 mittlerweile aufgehoben. Für nur faktische Überschwemmungsgebiete gilt § 78 WHG aber nach seinem klaren Wortlaut nicht. Für diese ist vielmehr § 77 Satz 1 WHG einschlägig, wonach Überschwemmungsgebiete im Sinne des § 76 WHG in ihrer Funktion als Rückhalteflächen zu erhalten sind. Selbst wenn man diese Vorschrift nicht allein als Planungsleitsatz begreift, der im vorliegenden Verfahren keine Anwendung finden und den Antragstellern keinen Drittschutz vermitteln würde, sondern als Zulassungsvoraussetzung für ein Vorhaben (zum Meinungsstreit vgl. Rossi in Sieder/Zeitler/Dahme, a. a. O., § 77 WHG Rn. 9), könnten sie hieraus für ihre Rechtsposition nichts herleiten. Die Zulässigkeit einer Nutzung richtet sich im qualifiziert beplanten Innenbereich allein nach den Festsetzungen des Bebauungsplans; insoweit sind aber nur Rückhalteflächen denkbar, wenn der Bebauungsplan etwa von der Bebauung freizuhaltende Flächen (§ 9 Abs. 1 Nr. 10 BauGB), öffentliche oder private Grünflächen (§ 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB) oder wasserrechtlich bedeutsame Flächen (§ 9 Abs. 1 Nr. 16 BauGB) festsetzt (Rossi in Sieder/Zeitler/Dahme, a. a. O.), was hier für das Grundstück der Beigeladenen nicht der Fall ist.
Wegen der fehlenden Entscheidung über § 78 Abs. 3 Satz 1 WHG in dem streitgegenständlichen Bescheid und der nicht vorliegenden Genehmigungspflicht nach dieser Vorschrift kann hier offen bleiben, ob dieser Vorschrift oder den Vorschriften über den Hochwasserschutz generell drittschützende Wirkung zukommt (sehr str.; bejahend etwa BayVGH, B. v. 16.9.2005 – 15 CS 09.1924 – juris Rn. 12, allerdings ohne Begründung; Rossi in Sieder/Zeidler/Dahme, a. a. O., § 78 WHG Rn. 82; Fassbender/Gläßl, Drittschutz im Wasserrecht, NVwZ 2011, 1094 ff.; verneinend etwa VG Augsburg, U. v. 19.4.2016 – Au 3 K 15.516 – juris Rn. 63 f.; VG Hamburg, B. v. 27.11.2015 – 9 E 4484/15 – juris Ls. 1; VG Würzburg, U. v. 8.10.2013 – W 4 K 13.143 – juris Rn. 27 ff.).
Jedenfalls verlangt auch die Auffassung, die den Vorschriften der § 5 Abs. 2 und der §§ 77 f. WHG direkt oder über das wasserrechtliche Gebot der Rücksichtnahme Drittschutz beimisst, für die Begründetheit eines Rechtsbehelfs einen qualifizierten Nachteil für den Betroffenen, der nur bei der Gefahr eines erheblichen Nachteils oder bei einer unzumutbaren Verschärfung der Hochwassergefahren vorliegt (Rossi in Sieder/Zeidler/Dahme, a. a. O., § 78 WHG Rn. 81). Ein solcher qualifizierter Nachteil für das Grundstück der Antragsteller ist aber hier nicht ersichtlich. Das – von den Außenmaßen moderate – Vorhaben der Beigeladenen berücksichtigt in seiner Gestaltung die Vorgaben des Hochwasserschutzes. Die Garage und der östliche Teil des Wohnhauses sind innerhalb der Baugrenzen situiert; nur der westliche Teil liegt außerhalb. Das Wohnhaus ist nicht unterkellert und liegt zwischen 52 und 86 cm über dem normalen Gelände und damit weitgehend oberhalb der ermittelten Fließtiefen. Überdies kommen alle eingeholten fachlichen Stellungnahmen, denen hohes Gewicht beizumessen ist (BayVGH, B. v. 17.11.2014 – 22 ZB 14.1055 – juris Rn. 9 m. w. N.), letztendlich zu dem Schluss, dass das Bauvorhaben den Hochwasserschutz nicht beeinträchtigt.
2.2. Die erteilte Befreiung von den Baugrenzen verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten.
Ist eine Baugrenze in einem Bebauungsplan festgesetzt, dürfen Gebäude und Gebäudeteile diese nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Baunutzungsverordnung (BauNVO) nicht überschreiten. Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern (Nr. 1) oder die Abweichung städtebaulich vertretbar ist (Nr. 2) oder die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde (Nr. 3) und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Hinsichtlich des Nachbarschutzes im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB ist grundsätzlich danach zu unterscheiden, ob von drittschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit wird oder von nicht drittschützenden Festsetzungen. Weicht ein Bauvorhaben von drittschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans ab, so kann es nur zugelassen werden, wenn die Abweichung durch eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB gerechtfertigt wird. Dabei hat der Dritte einen Rechtsanspruch auf Einhaltung der jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB. Geht es folglich um die Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans, kommt es also nicht nur darauf an, ob die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist, sondern auch darauf, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB im konkreten Fall erfüllt sind. Im Falle des Abweichens von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans hat der Nachbar lediglich ein subjektiv öffentliches Recht auf Würdigung seiner nachbarlichen Interessen; unter welchen Voraussetzungen eine Befreiung die Rechte des Nachbarn verletzt, ist dabei nach den Maßstäben des Gebots der Rücksichtnahme zu beantworten. Für den Nachbarn bedeutet dies, dass er ein Bauvorhaben, für das eine Befreiung erteilt wurde, in diesem Fall nur dann mit Erfolg angreifen kann, wenn dieses ihm gegenüber rücksichtslos ist (BVerwG, B. v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – NVwZ-RR 1999, 8 – juris Rn. 5 f.; BayVGH, B. v. 3.2.2012 – 14 CS 11.2284 – juris Rn. 37 f.).
Im vorliegenden Fall dient die Festsetzung der Baugrenzen in dem einschlägigen Bebauungsplan nicht dem Schutz einzelner Nachbarn im Bebauungsplangebiet. Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche vermitteln Drittschutz nur dann‚ wenn sie nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträgerin diese Funktion haben sollen. Ein nachbarlicher Interessenausgleich und damit der Schutz von Nachbarn sind hier nur ausnahmsweise bezweckt. Eine solche ausnahmsweise drittschützende Zielrichtung muss sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Bebauungsplan‚ seiner Begründung oder aus sonstigen Unterlagen der planenden Gemeinde (Gemeinderatsprotokolle etc.) ergeben (vgl. BayVGH, B. v. 23.11.2015 – 1 CS 15.2207 – juris Rn. 8). Für einen solchen Drittschutz ist hier jedoch nichts erkennbar. Der maßgebliche Bebauungsplan enthält über die bloße Festsetzung der Baugrenze hinaus keinen Hinweis, insbesondere nicht in seiner Begründung, dass der Festsetzung der Baugrenzen hier ausnahmsweise Drittschutz zukommen sollte. Ein Anhaltspunkt dafür, dass sich die Gemeinde bei der Festsetzung von Nachbarinteressen hat leiten lassen, liegt nicht vor. Ebenso ist nichts dafür erkennbar, dass die Gemeinde bei der Aufstellung des Bebauungsplans im Jahr 1994 die Absicht hatte, durch Festsetzung der Baugrenzen Hochwasserschutz zu betreiben.
2.3. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme ist nicht erkennbar. Ein solcher könnte sich – entsprechend dem rein baurechtlichen Regelungsumfang der erteilten Baugenehmigung – nur insoweit ergeben, als das Gebot der Rücksichtnahme in baurechtlichen Vorschriften enthalten ist. Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, in welcher Weise das geplante Wohngebäude mit Garage von jeweils geringem Umfang zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung des Grundstücks der Antragsteller führen könnte.
Der Antrag war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Antragsteller tragen die Kosten nach § 159 Satz 2 VwGO als Gesamtschuldner. Da die Beigeladenen keinen eigenen Sachantrag gestellt und sich daher keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben, entspricht es billigem Ermessen, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen, § 154 Abs. 3 i. V. m. § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und § 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i. V. m. Nr. 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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