Baurecht

Nachbareilantrag, Gewerbegebiet, Betriebsleiterwohnung, Bestimmtheit der Baugenehmigung (verneint)

Aktenzeichen  M 11 SN 21.5422

Datum:
19.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 42526
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80a Abs. 3
BauGB § 30
BauGB § 31
BauNVO § 8 Abs. 3 Nr. 1
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers vom 16. Oktober 2019 (M 11 K 19.5220) gegen den Baugenehmigungsbescheid des Landratsamts … vom 17. September 2019 (Az. …) wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich als Nachbar im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.
Die Beigeladenen sind Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. 251/8 der Gemarkung … (Vorhabengrundstück), das mit einer Gewerbehalle (B…-Str. 10) bebaut ist. Unmittelbar nördlich hieran grenzt das im Eigentum des Antragstellers stehende Grundstück Fl.Nr. 251/4 an, auf welchem sich ebenfalls eine Gewerbehalle (B…-Str. 12) befindet. Der Antragsteller betreibt dort und auf den östlich benachbarten Grundstücken Fl.Nr. 193/2 und 193/3 durch eine GmbH einen Gewerbebetrieb mit Dienstleistungen rund um …, zudem befindet sich in dem Anwesen B…-Str. 12 eine im Jahr 2009 genehmigte Betriebsleiterwohnung des Antragstellers.
Das Vorhabengrundstück und die Grundstücke des Antragstellers liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 27 B der Gemeinde B… „Gewerbegebiet … Ost“ (im Folgenden: Bebauungsplan), der im November 2004 in Kraft getreten ist und für die Flächen ein Gewerbegebiet festsetzt. Ziff. 2 c) der textlichen Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung enthält folgende Regelung:
„Die Errichtung von Wohnungen ist nur im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ausnahmsweise und auch nur dann zulässig, wenn mit dem Bauantrag nachgewiesen wird, dass die Schutzwürdigkeit der Wohnungen zu keinen Einschränkungen der zulässigen Immissionen von benachbarten oder zukünftig möglichen hinzukommenden Gewerbebetrieben führt.“
Unter dem 18. Oktober 2018, beim Landratsamt … (Landratsamt) eingegangen am 21. Dezember 2018, beantragten die Beigeladenen eine Baugenehmigung für das als „Aufstockung einer Gewerbehalle“ bezeichnete Vorhaben. Zur Begründung eines zugleich gestellten Antrags auf Befreiung u.a. für den Einbau einer „Betriebswohnung < 30% der gewerbl. Flächen“ wird ausgeführt:
„Das Gebäude ist mit wertvollen Maschinen und Geräten sowie Zubehörmaterialien einschließl. Ausstellungsraum bestückt. Zur Sicherung des Gebäudes ist ein personeller Aufenthalt Tag und Nacht erforderlich. Betriebswohnung ist auch im Gebäude B…-Str. 11 bestehend als Bezugsfall. Nach BauGB § 31 Abs. 2 Pkt. 1- 3 sollte eine Befreiung möglich sein. Nach Pkt. 3 würde eine Nichtgewährung der Befreiung zu einer nicht beabsichtigten Härte führen.“
In einer in den Akten befindlichen – nicht mit Genehmigungs- oder Prüfvermerk versehenen – Betriebsbeschreibung vom 15. Oktober 2018 ist zur Art des Betriebes bzw. der gewerblichen Tätigkeit angegeben: „Erweiterung des bestehenden und genehmigten Betriebes um einen Ausstellungsraum im 1. OG“. Unter Nr. 5 „Art der Geräte und Maschinen, die aufgestellt werden sollen“ findet sich die Angabe „Drucker, Plotter, Computer“. Zur Art und Menge der Stoffe, die in den Lagerräumen gelagert werden, heißt es unter Nr. 8: „Mörtelssäcke, Acrylglas, Aluminiumplatten“.“
In einer von den Beigeladenen im Rahmen des Genehmigungsverfahrens vorgelegten schalltechnischen Untersuchung vom 14. Dezember 2018 wird ausgeführt, dass sich das Vorhaben im Einwirkbereich gewerblicher Nutzungen befinde. Die Immissionsrichtwerte für Gewerbegebiete würden durch die aus den teils bestehenden Genehmigungsbescheiden bzw. aus dem Bebauungsplan rückgerechneten Flächenschallquellen zur Tag- und zur Nachtzeit jeweils um höchstens 17,5 dB(A) überschritten. Zusammenfassend lasse sich somit die Aussage treffen, dass auf der Basis der vorliegenden Planungsunterlagen immissionsschutzfachliche Belange beachtet werden müssten. Aufgrund der Überschreitung der Immissionsrichtwerte an jeder Fassadenseite seien die Fenster von schutzbedürftigen Räumen nach DIN 4109:07-2016 „Schallschutz im Hochbau“ mit festverglasten Schallschutzfenstern und mit einer kontrollierten Wohnungslüftung zu versehen.
Am 11. April 2019 reichten die Beigeladenen über die Gemeinde einen weiteren Befreiungsantrag in Bezug auf die Überschreitung der Zahl der Vollgeschosse und der GFZ nach. In der Begründung heißt es:
„Durch die Aufstockung des Gebäudes um ein Vollgeschoss wird dem Bauherrn eine Betriebswohnung mit Ausstellungsraum (Fliesen) ermöglicht. Nach BauGB § 31 Abs. 2 ist die Befreiung sowohl städtebaulich (Festsetzungen des Bebauungsplans in Bezug auf die Firsthöhe und Dachneigung werden eingehalten) sowie nach Abs. 3 würde eine Ablehnung der Befreiung zu einer nicht beabsichtigten Härte führen. Eine Befreiung ist mit Würdigung nachbarlicher Interessen und den öffentlichen Belangen vereinbar.“
Unter dem 16. Juli 2019 nahm die untere Immissionsschutzbehörde des Landratsamts zu dem Vorhaben Stellung. Die Berechnungen der schalltechnischen Untersuchung vom 14. Dezember 2018 hätten ergeben, dass die Immissionsrichtwerte der TA Lärm für Gewerbegebiete von 65 dB(A) tags und 50 dB(A) nachts an jeder Fassadenseite der Betriebsleiterwohnung um bis zu 18 dBA überschritten würden. Das Vorhaben werde aus fachtechnischer Sicht unter Auflagen für genehmigungsfähig gehalten.
In Abstimmung mit der unteren Immissionsschutzbehörde wurden die eingereichten Planunterlagen in der Folge dahingehend geändert, dass die im 1. Obergeschoss dargestellte Wohnung auf der Nord- und Westseite nur über fest verglaste Fenster verfügt, für Wohn- und Schlafzimmer eine Raumlüftung mit Wärmerückgewinnung vermerkt ist und die ursprünglich vorgesehene Wohnküche auf der Westseite des Gebäudes nur noch als Küche genutzt werden soll. Nach den Planunterlagen verfügt die Wohnung (ca. 171 m²) über eine nach Osten ausgerichtete Dachterrasse (ca. 88 m2). Daneben findet sich im 1. Obergeschoss u.a. ein Büro und ein technisches Archiv. Die Nutzung des Erdgeschosses und des Zwischengeschosses soll nach einem entsprechenden Vermerk in den Eingabeplänen nicht Gegenstand des Bauantrags sein.
Mit Bescheid vom 17. September 2019 wurde den Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung zur „Aufstockung einer Gewerbehalle“ erteilt. Der Bescheid enthält zahlreiche immissionsschutzrechtliche Auflagen betreffend den „Lärmschutz der Gewerbeerweiterung“ (Ziff. 3.1 – 3.6) und den „Lärmschutz der Betriebsleiterwohnung“ (Ziff. 3.7 – 3.12). Nach Ziff. 3.11 der immissionsschutzrechtlichen Auflagen darf die Wohnung nur als Betriebsleiterwohnung genutzt werden. In Ziff. 4.1 des Bescheids wurde eine Ausnahme für eine „Betriebswohnung“ im Gewerbegebiet erteilt. Das Vorhaben widerspreche nicht den zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften, wenn die festgesetzten Nebenbestimmungen eingehalten würden. Die Ausnahme in Nr. 4.1 des Bescheids stütze sich auf Art. 63 Abs. 2 BayBO, § 31 Abs. 1 BauGB, § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO i.V.m. dem Bebauungsplan. Danach habe die Errichtung einer „Betriebswohnung“ ausnahmsweise zugelassen werden können. Unter Nr. 5 der Begründung wird eingehend auf gegen das Vorhaben vorgebrachte Einwände insbesondere ausgeführt, dass die „Betriebswohnung“ als Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB habe zugelassen werden können, weil die Erteilung einer Ausnahme gemäß der Festsetzung 2 c) des Bebauungsplans nach Art und Umfang vorgesehen und nachgewiesen worden sei, dass, auch unter Einhaltung der getroffenen Nebenbestimmungen, die Schutzwürdigkeit der Wohnung zu keinen Einschränkungen der zulässigen Immissionen von benachbarten oder zukünftig möglichen Betrieben führe und insoweit das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt werde. In diesem Zusammenhang sei auch festzustellen, dass im Rahmen der Baugenehmigung keine Bestätigung über einen Bestandsschutz zu festgelegten Lärmwerten gemäß TA Lärm von bestehenden Betrieben getroffen werden könne, da vorliegend nur das Vorhaben auf dem Vorhabengrundstück zu behandeln sei. Im Übrigen sei auf die jeweils erteilten Baugenehmigungen für andere bestehende Betriebe sowie die Festsetzung des Bebauungsplans zu verweisen.
Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 19. September 2019 und den Beigeladenen am 21. September 2019 zugestellt.
Der Antragsteller hat durch seinen Bevollmächtigten am … Oktober 2019 Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 17. September 2019 erhoben (M 11 K 19.5220), die mit Schriftsatz vom … November 2019 näher begründet wurde. Im Wesentlichen wurde vorgetragen, dass die Gewerbehalle aktuell fast vollständig an die Werbeagentur G. vermietet sei. Allein ein Raum im Nordosten des Erdgeschosses werde von den Beigeladenen zu Lagerzwecken für Material des von ihnen betriebenen Fliesenlegerbetriebs genutzt. Die Genehmigung der Betriebsleiterwohnung verstoße gegen die Vorgaben des Bebauungsplans i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr.1 BauNVO und verletze den Antragsteller in seinen nachbarschützenden Rechten aus dem sog. Gebietserhaltungsanspruch. Die Betriebsleiterwohnung sei nach dem maßgeblichen Bebauungsplan auch ausnahmsweise i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB nicht zulässig, da es sowohl an der erforderlichen funktionalen Zuordnung der genehmigten Wohnung zu einem Betrieb wie auch einer Untergeordnetheit der Wohnung gegenüber dem Betrieb fehle. Zwar werde bei Betriebsleiter-/ Betriebsinhaberwohnungen keine Unabdingbarkeit vorausgesetzt, jedoch bedürfe es des Nachweises eines betrieblichen Bedarfs für die Wohnung und sachlicher betriebsbezogener Gründe, warum die Anwesenheit des Betriebsleiters/ -inhabers vor Ort erforderlich sei. Bezugspunkt der Beurteilung sei dabei jeweils das konkrete Betriebskonzept des Gewerbetreibenden, welches in objektiver Hinsicht die Ausnahme rechtfertigen müsse. Vorliegend fehle es bereits an hinreichenden Ausführungen zum Betriebskonzept und zum Bedarf. Aus den Antragsunterlagen ergebe sich in keiner Form, welchem Betrieb die Wohnung funktionell zugeordnet werde. Ein Betrieb werde nicht benannt. Eine Bezugnahme auf den vorhandenen Betrieb der Werbeagentur oder die Lagernutzung der Beigeladenen im Gebäude erscheine möglich, auf beide Nutzungen passe die in den Antragsunterlagen angegebene Begründung jedoch nicht. Denn beide Betriebe würden weder „wertvolle Maschinen oder Geräte“ noch die „Sicherung des Gebäudes durch personellen Aufenthalt“ erforderlich machen. Auch die Begründung des Bescheids enthalte hierzu keine Angaben. Allein der nachträgliche Befreiungsantrag lasse erahnen, dass ein Bezug zum Fliesenbetrieb der Beigeladenen bestehen solle. Selbst wenn man einen erkennbaren Bezug zum Fliesenbetrieb zugrunde lege, fehle es jedoch an jeglichen Darlegungen zum Bedarf und zur Erforderlichkeit der Wohnung. Der Fliesenbetrieb der Beigeladenen habe seinen Sitz im Ortsteil D… der Gemeinde B… In der gegenständlichen Gewerbehalle würden die Beigeladenen aktuell nur einen Lagerraum für die Lagerung von Fliesenmaterial bzw. -zubehör nutzen, im Übrigen sei die Halle fremdvermietet. Die bloße Lagerung von Material wie Fliesen, Fliesenkleber, Werkzeugen etc. begründe nicht die Erforderlichkeit einer Betriebswohnung auf dem Grundstück. Hieran ändere auch die Errichtung von Büroräumen und eines Ausstellungsraums im neuen Obergeschoss nichts. Bei den Ausführungen des Befreiungsantrags handele es sich um vom konkreten Betrieb losgelöste und völlig sachfremde Ausführungen, die keinerlei Grundlage im Betrieb der Beigeladenen hätten. Derartige allgemeingültige Durchschnittserwägungen, könnten nach gefestigter Rechtsprechung keine Ausnahme nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO begründen, zumal es sich hierbei um einen restriktiv zu handhabenden Ausnahmetatbestand handele. Die Betriebsleiterwohnung sei auch nicht „untergeordnet“. Schon im Hinblick auf die sich ergebende absolute Größe der Wohnung mit einer Fläche von 171,38 m² (ohne Terrasse) bzw. 259,40 m² (mit Terrasse) zeige sich, dass hier eine außerordentliche Wohnnutzung realisiert werden solle, die in einem Gewerbegebiet nicht nur gebietsfremd, sondern auch nicht mehr angemessen sei. Aktuell würden die Beigeladenen im gegenständlichen Gebäude nur über einen Lagerraum im Erdgeschoss mit ca. 22,19 m² Grundfläche verfügen. Rechne man diesem Wert den neu zu errichtenden Bürotrakt mit 90,92 m² zu, erhalte man eine Grundfläche des Gewerbebetriebs von 113,92 m², was weit unter der Grundfläche der Wohnnutzung liege. Eine Dachterrasse sei der Hauptnutzung zugeordnet und daher bei der Grundfläche mit zu berücksichtigen. Selbst wenn zugunsten der Beigeladenen unterstellt werde, dass der Fliesenbetrieb die gesamte Gewerbehalle nutze, fehle es an einer Unterordnung, da die Gesamtwohnfläche dann mehr als halb so groß wie die Grundfläche der gesamten Gewerbenutzung sei. Ebenso könne von einer Unterordnung in Bezug auf die Baumasse keine Rede mehr sein, wenn die Baumasse des Wohnteils doppelt so groß sei wie die der vom zugeordneten Gewerbebetrieb genutzten Räume. Insgesamt seien damit die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO nicht gegeben. Im Rahmen seines Anspruchs auf Gebietserhaltung könne sich der Antragsteller hierauf auch berufen. Die Baugenehmigung verstoße zudem gegen § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO i.V.m. dem Gebot der Rücksichtnahme. Die großzügige, unmittelbar von den Wohnräumen aus zugängliche Dachterrasse diene dem Aufenthalt und der Erholung von Menschen und sei als sog. Außenwohnbereich ein Immissionsort, der zu berücksichtigen und immissionsschutztechnisch zu bewerten sei. Wenngleich die Rechtsprechung grundlegend betone, dass für Außenwohnbereiche grundsätzlich von einer höheren Lärmerwartung auszugehen sei, müssten auch dort Kommunikations- und Erholungsmöglichkeiten gewährleistet sein. Hierbei werde in der Rechtsprechung teils – wenn auch in Bezug auf andere Konstellationen (insbes. Flug- und Verkehrslärm) – angenommen, dass gesunde Wohnverhältnisse in Bezug auf einen Außenwohnbereich nicht mehr gegeben seien, wenn ein Dauerschallpegel ab 62 dB(A) erreicht werde. Andere gingen davon aus, dass wenn für innenliegende Wohnbereiche anerkannt sei, dass gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse dann noch gewahrt seien, wenn die Immissionsrichtwerte für Mischgebiete noch eingehalten seien, die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse für Außenbereiche nicht darunterliegen könnten. Zwar sei bisher nicht geklärt, ob die entsprechenden Ansätze auf Wohnnutzungen in Gewerbegebieten, für die von einem gebietsbedingt verringerten Schutzniveau auszugehen sei, zu übertragen seien und ob in einem Gewerbegebiet eine höhere Lärmerwartung für Außenwohnbereiche anzusetzen sei. In der Rechtsprechung sei aber jedenfalls geklärt, dass unabhängig von Gebietstypus die Schwelle der Gesundheitsgefährdung die – verfassungsmäßig begründete – äußerste Grenze für gesunde Wohn- bzw. Arbeitsverhältnisse darstelle. Diese Grenze sehe die Rechtsprechung überschritten, wenn Beurteilungspegel von 70 dB(A) tagsüber bzw. 60 dB(A) nachts erreicht bzw. überschritten würden. Vorliegend würden ausweislich der schalltechnischen Untersuchung vom 14. Dezember 2018 unter Zugrundelegung der genehmigten Emissionen der umliegenden Betriebe an der westlichen Fassade der geplanten Wohnung tagsüber Beurteilungspegel von bis zu 71,8 dB(A) und an der Südfassade tagsüber von bis zu 76,6 dB(A) erreicht. An den weiteren Fassaden würden sogar noch höhere Werte erreicht, weshalb für die innenliegende Wohnnutzung weitreichende Immissionsschutzmaßnahmen vorgesehen worden seien. Für die Dachterrasse als Außenwohnbereich seien dagegen keine Schutzmaßnahmen festgesetzt worden, auch sei deren Nutzung nicht untersagt worden. Die Dachterrasse sei bereits nicht als Immissionsort untersucht worden. Gleichwohl sei es nach der schalltechnischen Untersuchung nicht ausgeschlossen, dass es dort zu als gesundheitsgefährdend einzustufenden Immissionen komme. In diesem Fall sei aber die Nutzung der Dachterrasse nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BauNVO unzulässig, da deren Nutzer unzumutbaren, gesundheitsgefährdenden Belästigungen oder Störungen ausgesetzt würden; gleichzeitig seien emissionsbeschränkende Maßnahmen für das Grundstück des Antragstellers und seinen Gewerbebetrieb nicht ausgeschlossen.
Das Landratsamt erwiderte mit Schriftsatz vom 22. Januar 2020 auf die Klage und führte im Wesentlichen aus, die Betriebswohnung habe ausnahmsweise zugelassen werden können. Die durchgeführte Ermessensprüfung habe ergeben, dass die beantragte Betriebswohnung gebietsverträglich sei und bei Abwägung der verschiedenen Interessen habe genehmigt werden können. Der Bebauungsplan lasse Betriebswohnungen als Ausnahme zu, sofern immissionsschutzrechtlich keine Hinderungsgründe bestünden. Ein Verstoß gegen die Gebietsverträglichkeit sei nur dann anzunehmen, wenn eine Betriebswohnung aufgrund ihrer typischen Benutzungsweise störend wirke. Dies sei hier nicht ersichtlich, zumal mit der schalltechnischen Untersuchung belegt worden sei, dass es unter Beachtung verschiedener Nebenbestimmungen zu keinen Einschränkungen der zulässigen Immissionen der benachbarten oder künftig benachbarten Gewerbebetriebe komme. Darüber hinaus bestehe im Geltungsbereich des Bebauungsplans bereits eine genehmigte Betriebswohnung, nämlich die des Klägers. Nach der Rechtsprechung sei u.U. sogar anzunehmen, dass sich die Ermessensausübung bei der Prüfung der Zulassung auf Null reduziere. Die Betriebswohnung sei dem Gewerbebetrieb räumlich und funktional zugeordnet. Der Beigeladene habe das Grundstück 2018 erworben und betreibe das Fliesenlegerhandwerk. Nach den Angaben des Bauherrn im Verfahren werde dieser seinen Betrieb in das erworbene Betriebsgebäude auf dem Vorhabengrundstück verlagern. Für die geplante Nutzung als Fliesenlegerbetrieb sei dabei eine Nutzungsänderung im Erdgeschoss nicht erforderlich. Die räumliche Zuordnung und Nähe zum Betrieb sei bei der Betriebsleiterwohnung gegeben, da diese im Obergeschoss des Betriebsgebäudes eingerichtet werden solle. Auch die funktionale Zuordnung sei anzunehmen, da aufgrund der vorgelegten Unterlagen dargelegt werde, dass die beantragte Betriebswohnung dem künftig dort ansässigen Gewerbebetrieb zuzuordnen sei. Zudem werde mit der Auflage Nr. 3.11 die Nutzung als Betriebsleiterwohnung unterstrichen. Aus den Antragsunterlagen, insbesondere aus dem Antrag auf Befreiung gehe hervor, dass im Gebäude wertvolle Maschinen, Geräte und Zubehörmaterialien lagern würden. Der Betriebsinhaber habe daher offenbar aus unternehmerischen betriebswirtschaftlichen Erwägungen die Errichtung einer Betriebsleiterwohnung beantragt. Sofern insoweit Aspekte des unternehmerischen Sicherheitsgedankens eine Rolle spielten, sei dies bei objektiv sinnvoller Betrachtung, auch im Hinblick auf die organisatorische Verantwortung des Unternehmers, nicht zu beanstanden. Selbst wenn zum aktuellen Zeitpunkt noch eine Nutzung durch die Werbeagentur erfolge, sei darauf hinzuweisen, dass dem jeweiligen Bauherrn aufgrund der grundsätzlichen Geltungsdauer einer Baugenehmigung der Zeitpunkt der Umsetzung des genehmigten Bauvorhabens überlassen bleibe. Die Unterordnung der Betriebswohnung ergebe sich aus der Gegenüberstellung der jeweiligen Flächen, wobei auch ein vollständiger Ansatz der Dachterrasse zu keiner anderen Bewertung führe. Gleiches gelte im Hinblick auf das Baumassenverhältnis. Die genehmigte Betriebsleiterwohnung widerspreche weder der Eigenart des Gewerbegebiets, noch führe sie zu einer unzulässigen Häufung von Betriebswohnungen, sodass ein Kippen des vorhandenen Baugebiets in Richtung eines Mischgebiets (noch) nicht zu befürchten sei. Zudem sei das Gebiet dem Grunde nach bereits vorgeprägt durch die vorhandene Betriebswohnung des Klägers. Die Betriebsleiterwohnung habe daher ausnahmsweise zugelassen werden können und sei als gebietsverträglich anzusehen. Ferner verstoße das Vorhaben nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Durch die schalltechnische Untersuchung vom 14. Dezember 2018 sei belegt worden, dass die neu hinzukommende Betriebswohnung keine Einschränkungen für die vorhandenen baulichen Nutzungen in der Nachbarschaft auslöse. Auch insoweit sei eine Vorprägung der Grundstücke, nämlich bereits verschiedene Betriebswohnungen, wie z.B. auf dem Grundstück des Klägers, zu berücksichtigen. Betriebsinhaber- und Betriebsleiterwohnung müssten sich mit den Immissionen abfinden, die generell im Gebiet der Hauptnutzung üblich seien. Eine nachbarrechtsverletzende Unbestimmtheit der Baugenehmigung, z. B. wegen des bemängelten fehlenden Betriebskonzepts, sei nicht anzunehmen, weil sich die im Gewerbegebiet einzuhaltenden Immissionsrichtwerte unmittelbar aus den Bestimmungen der TA Lärm ergeben würden. Die TA Lärm definiere die maßgeblichen Immissionsorte als schutzbedürftige Räume nach DIN 4109, Außenwohnbereiche seien demnach nicht als Immissionsort zu betrachten. Die in der Klagebegründung genannten Urteile bezögen sich überwiegend auf das Verfahren zur Bauleitplanung. Dort sei auf das Vorsorgeprinzip zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen für Gebiete, die ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dienen würden, abzustellen. Es sei nicht veranlasst, das Vorsorgeprinzip auch auf die Beurteilung eines Einzelbauvorhabens im Gewerbegebiet anzuwenden.
Die Beigeladenen haben im Hauptsacheverfahren mit Schreiben vom 26. März 2020 Stellung genommen und im Wesentlichen die Ausführungen des Landratsamts wiederholt, wobei in Bezug auf die ausnahmsweise Zulassung der Wohnnutzung von einer Ermessensreduktion auf Null ausgegangen wurde. Zur funktionalen Zuordnung der Betriebsleiterwohnung wurde vorgetragen, dass die Flächen, die derzeit von der Werbeagentur genutzt würden, sukzessive reduziert würden. Aufgrund privatrechtlicher/ vertraglicher Bindungen zum vormaligen Eigentümer sei die Reduzierung nur schrittweise zu erreichen. Die somit freigewordenen Flächen würden sukzessive als Ausstellungs- und Lagerflächen für Materialien der Beigeladenen verwendet werden. Der im Betriebsgebäude befindliche Wert (Materialien und Maschinen) nehme damit sukzessive zu und bedürfe eines Schutzes. Der Beigeladene zu 1) verlagere seine Tätigkeit sukzessive von der Bauausführung auf den Handel mit Baustoffen.
Mit Schriftsatz vom … April 2020 wiederholte und vertiefte der Bevollmächtigte des Antragstellers das Vorbringen im Klageverfahren. Ergänzend wurde insbesondere vorgetragen, dass die Sachlage im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung maßgebend sei und die betriebliche Zuordnung der Wohnung vor dem Hintergrund der Aussage, dass die Tätigkeit der Beigeladenen sukzessive in eine Handelstätigkeit überführt werden soll, noch fraglicher erscheine. Die Auflage Nr. 3.11 des Genehmigungsbescheids sei rechtlich untauglich, um eine zweckmäßige Nutzung als Betriebsleiterwohnung durch die Beigeladenen sicherzustellen.
Am … Oktober 2021 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten beantragen,
1. die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 16. Oktober 2019 (M 11 K 19.5220) gegen den Baugenehmigungsbescheid des Antragsgegners vom 17. September 2019 (Az. …) anzuordnen.
2. die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 16. Oktober 2019 (M 11 K 19.5220) gegen den Baugenehmigungsbescheid des Antragsgegners vom 17. September 2019 (Az. …) vorläufig bis zur Entscheidung über den Antrag des Antragstellers im Verfahren nach § 80 Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Die Beigeladenen hätten zwischenzeitlich mit Bautätigkeiten zur Errichtung des Vorhabens begonnen, weshalb der Antrag geboten sei. Im Rahmen der Interessenabwägung überwiege das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung, da die verfahrensgegenständliche Baugenehmigung gegen nachbarschützende Vorschriften verstoße und die Anfechtungsklage Erfolg haben werde. Zur Begründung wurden im Wesentlichen die Ausführungen der Klagebegründung wiederholt und ergänzend auf die Ausführungen der Schriftsätze vom … November 2019 und vom … April 2020 Bezug genommen. Die beantragte Zwischenverfügung sei zum Schutz der Rechte des Antragstellers dringend geboten, da andernfalls vollendete Tatsachen geschaffen würden, die kaum bzw. nur mit übermäßigen Aufwand rückgängig gemacht werden könnten. Die Bauarbeiten würden zügig voranschreiten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
1. Der Eilantrag nach § 80a Abs. 3 Satz 1, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist statthaft, da die Baugenehmigung vom 17. September 2019 gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB i.V.m. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist.
2. Der Antrag ist begründet.
Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 80a Abs. 3 Satz 1, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die Aussetzung der Vollziehung anordnen. Hierbei kommt es auf eine Abwägung der Interessen des Bauherrn an der sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung mit den Interessen des Dritten an, keine vollendeten, nur schwer wieder rückgängig zu machenden Tatsachen entstehen zu lassen. Im Regelfall ist es unbillig, einem Bauwilligen die Nutzung seines Eigentums durch Gebrauch der ihm erteilten Baugenehmigung zu verwehren, wenn eine dem summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entsprechende vorläufige Prüfung des Rechtsbehelfs ergibt, dass dieser letztlich erfolglos bleiben wird. Ist demgegenüber der Rechtsbehelf offensichtlich begründet, so überwiegt das Interesse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, so kommt es darauf an, ob das Interesse eines Beteiligten es verlangt, dass die Betroffenen sich so behandeln lassen müssen, als ob der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar sei. Bei der Abwägung ist den Belangen der Betroffenen umso mehr Gewicht beizumessen, je stärker und je irreparabler der Eingriff in ihre Rechte wäre (BVerfG, B.v. 18.07.1973 – 1 BvR 155/73, 1 BvR 23/73 – BVerfGE 35, 382; zur Bewertung der Interessenlage vgl. auch BayVGH, B.v. 14.01.1991 – 14 CS 90.3166 – BayVBl 1991, 275). Zu berücksichtigen ist dabei, dass im Rahmen der Nachbarklage eine Aufhebung der Baugenehmigung nicht allein wegen objektiver Rechtswidrigkeit in Betracht kommt, sondern nur, wenn dritt- oder nachbarschützende Normen verletzt sind (zur sog. Schutznormtheorie vgl. etwa Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42, Rn. 89 ff.).
Gemessen daran ergibt die im Eilverfahren auch ohne Durchführung eines Augenscheins mögliche Überprüfung der Angelegenheit anhand der Gerichts- und vorgelegten Behördenakten, dass die Klage des Antragstellers voraussichtlich Erfolg haben wird und daher das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt.
2.1 Das streitgegenständliche Grundstück liegt im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. 27 B „Gewerbegebiet … Ost“. Die Zulässigkeit des angegriffenen Vorhabens ist damit nach §§ 30 Abs. 1, 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. den Festsetzungen des Bebauungsplans zu beurteilen. Im Rahmen einer Nachbarklage sind dabei nur Rechtsverstöße maßgeblich, welche den Nachbarn ein eigenes subjektiv-öffentliches Recht einräumen. Dies ist der Fall, wenn die angefochtene Baugenehmigung gegen Festsetzungen des Bebauungsplans, die drittschützende Wirkung haben, verstößt, eine Ausnahme oder Befreiung von solchen Festsetzungen rechtswidrig erteilt wurde oder das Vorhaben die gebotene Rücksichtnahme nicht wahrt.
Insbesondere die Festsetzungen von Baugebieten nach den §§ 2 bis 11 BauNVO und damit zur Art der baulichen Nutzung haben kraft Bundesrechts drittschützende Wirkung für die Eigentümer von Grundstücken innerhalb des Baugebiets (BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – juris). Insoweit besteht ein Anspruch auf Wahrung des Gebietscharakters, der darauf gerichtet ist, Vorhaben zu verhindern, die weder allgemein noch ausnahmsweise in einem Baugebiet zulässig sind (sog. Gebietserhaltungsanspruch, s. dazu etwa Reidt in Battis/ Krautzberger/ Löhr, BauGB, 14. Auflage 2019, Vor § 29 ff, Rn. 36). Das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets kann dabei unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung des Nachbarn verhindert werden (BVerwG, B.v. 18.12.2007 – BVerwG 4 B 55.07 – juris).
Wird – wie vorliegend – eine Ausnahme von den Festsetzungen eines Bebauungsplans erteilt hängt der Umfang des Rechtsschutzes des Nachbarn davon ab, ob die Ausnahme unter Verstoß gegen eine drittschützende Festsetzung erteilt wurde oder nicht. Plankonforme Ausnahmen hat ein Nachbar insoweit hinzunehmen. Im Falle einer drittschützenden Festsetzung, kann der Nachbar allerdings beanspruchen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands vorliegen und der Sinn und Zweck der Ausnahmefestsetzung im Hinblick auf den Nachbarschutz bei der Ermessensausübung hinreichend berücksichtigt wird (h.M., siehe nur Reidt in Battis/ Krautzberger/ Löhr, a.a.O. § 31, Rn. 21 f.; Söfker in Erst/ Zinkahn/ Bielenberg/ Krautzberger, BauGB, Stand Mai 2021, § 31, Rn. 68a).
In einem Gewerbegebiet können gemäß § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, die dem Gewerbebetrieb zugeordnet und ihm gegenüber in Grundfläche und Baumasse untergeordnet sind, ausnahmsweise zugelassen werden. Insoweit ist zwischen den Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen und den Wohnungen für den Betriebsinhaber bzw. Betriebsleiter zu unterscheiden. Für eine Wohnung eines Betriebsleiters müssen vernünftige sachliche und betriebsbezogene Gründe sprechen. Voraussetzung ist aber nicht, dass die Wohnung unabdingbar ist. Für die Beurteilung ist eine umfassende, objektive Bewertung aller maßgeblichen Umstände vorzunehmen (vgl. grundlegend BVerwG, B.v. 22.6.1999 – 4 B 46/99 – juris). Vorliegend nimmt der Bebauungsplan in Ziff. 2c) der textlichen Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung auf die bundesrechtliche Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO Bezug und regelt in Hinblick auf den Schutz bestehender und zukünftig hinzukommender Gewerbebetriebe vor heranrückender – auch betrieblicher – Wohnbebauung noch weitergehende, dem Schutz der benachbarten Betriebe dienende Nachweislasten des Bauwilligen.
Damit ein Nachbar die Einhaltung der o.g. Anforderungen prüfen kann, muss die Baugenehmigung hinreichend bestimmt i.S.d. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG gerade auch im Hinblick auf die Beurteilung der Verletzung nachbarschützender Rechte sein (vgl. etwa BayVGH, B.v. 22.4.2009 – 1 CS 09.221 – juris Rn. 24). Sie muss Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung zweifelsfrei erkennen lassen, damit die mit dem Bescheid getroffene Regelung für die Beteiligten des Verfahrens nachvollziehbar und eindeutig ist (vgl. BayVGH, B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 30). Zu einer Unbestimmtheit gelangt man dann, wenn sich der Aussagegehalt eines Verwaltungsakts – hier der Baugenehmigung – auch nicht durch Auslegung ermitteln lässt (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.1998 – 4 C 9/97 – juris Rn. 19). Der Inhalt einer Baugenehmigung ergibt sich dabei neben dem Bescheid selbst auch aus den mit Genehmigungsvermerken versehenen Bauvorlagen.
2.2 Dies zugrunde gelegt, rügt die Antragstellerseite zu Recht, dass die Baugenehmigung vom 17. September 2019 in nachbarrechtsrelevanter Weise nicht hinreichend bestimmt i.S.d. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG ist.
Im Rahmen der Ausnahmeerteilung in Ziff. 4.1 des Bescheids ist zunächst untechnisch von einer „Betriebswohnung“ die Rede, ohne dass insoweit – entgegen des Gesetzeswortlauts und der ständigen Rechtsprechung des BVerwG (BVerwG, B.v. 22.6.1999 – 4 B 46.88 – juris) differenziert würde, ob es sich um eine Betriebsleiter-/ Betriebsinhaberwohnung oder eine Wohnung für Aufsichts-/Bereitschaftspersonal handelt. Diese Ungenauigkeit mag in der Gesamtschau mit den immissionsschutzrechtlichen Nebenbestimmungen, in denen sowohl in der Unterüberschrift als auch in der Auflage Ziff. 3.11 ausdrücklich von einer „Betriebsleiterwohnung“ die Rede ist, dahinstehen. Völlig zu Recht rügt der Antragsteller indes, dass der Bescheid in keiner Hinsicht eine Zuordnung der ausnahmsweise genehmigten Wohnung zu einem in dem Gewerbegebiet vorhandenen oder geplanten Betrieb zulässt.
Soweit der Antragsgegner im Rahmen des Klageverfahrens auf Angaben des Bauherrn im behördlichen Verfahren verweist, wonach dieser eine Betriebsverlagerung auf das Vorhabengrundstück beabsichtige, ist dies schon deshalb unbeachtlich, weil nach Ziff. 2.1 des Bescheids ausdrücklich nur die mit Prüf- und Genehmigungsvermerk versehenen Bauvorlagen sowie die bautechnischen Nachweise Bestandteil der Baugenehmigung/des Bauantrags sind. Dies ist weder hinsichtlich der angestrebten – in den Antragsunterlagen oder Behördenakten allenfalls ansatzweise dokumentierten, vgl. handschriftlicher Aktenvermerk, Bl. 72 d.BA – Betriebsverlagerung der Fall, noch trifft dies im Hinblick auf sämtliche in der Klageerwiderung vom 22. Januar 2020 angesprochenen Unterlagen wie die Betriebsbeschreibung (Bl. 22 – 24 d.BA), den Antrag auf Befreiung (Bl. 16 – 17 d.BA) und die Flächenaufstellung (Bl. 57 d.BA) zu.
Im Übrigen vermag die Kammer der Einschätzung des Landratsamts auch unter Heranziehung der genannten Unterlagen nicht zu folgen. Die Betriebsbeschreibung (Bl. 22 f.BA) nimmt zunächst ohne nähere Angaben auf einen „bestehenden und genehmigten“ Betrieb Bezug, wobei hier – offenbar von Behördenseite – bereits handschriftlich Fragezeichen vermerkt wurden. Der Akte lässt sich die Genehmigungslage in Bezug auf die Nutzung der gegenständlichen Gewerbehalle oder eines sonstigen Betriebs der Beigeladenen nicht entnehmen. In den Antragsunterlagen sind Erdgeschoss und „Zwischengeschoss“ mit dem Vermerk „genehmigt und somit nicht Gegenstand des Bauantrags“ gestrichen, zugleich wurde aber keine Tekturgenehmigung beantragt und erteilt, sondern eine eigenständige Baugenehmigung.
Auch soweit in der Begründung des Befreiungsantrags betreffend die Geschossigkeit (Bl. 55 d.BA) davon die Rede ist, dass dem Bauherrn durch die Aufstockung eine „Betriebswohnung“ mit Ausstellungsraum (Fliesen) ermöglicht werden solle, lässt dies allenfalls einen vagen Zusammenhang mit einem nicht näher umrissenen Betrieb eines Fliesenlegers und/ oder Fliesenhändlers vermuten. Ob sich dies auf die bisherige Nutzung des Raums im Erdgeschoss durch die Beigeladenen oder einen noch zu verlagernden Fliesenlegerbetrieb bezieht, bleibt offen. Gerade in einem Fall wie dem vorliegenden, wo sich der Betriebsstandort unstrittig außerhalb des gegenständlichen Baugebiets befindet und erst eine Betriebsverlagerung in die Räumlichkeiten eines bereits bestehenden Betriebs angestrebt wird, sind diese Angaben jedoch in keiner Weise geeignet, um eine räumliche oder funktionelle Zuordnung der Betriebsleiterwohnung zu einem konkreten Betrieb zu ermöglichen. Unklar bleibt nach den Antragsunterlagen auch, ob die bestehende Gewerbehalle nach dem zugrundeliegenden Betriebskonzept in absehbarer Zeit allein durch einen Betrieb der Beigeladenen oder weiterhin (auch) durch die Werbeagentur genutzt werden soll. Die eingereichte Flächenaufstellung, wonach von einer geplanten Gewerbefläche von 623,92 m² ausgegangen wird, legt dabei offenbar eine alleinige Nutzung der Halle durch einen Betrieb der Beigeladenen zugrunde. Dies steht allerdings im Widerspruch dazu, dass die Nutzung des Erdgeschosses und des „Zwischengeschosses“ – welche von den Beigeladenen derzeit unstrittig nur in einem sehr untergeordneten Umfang erfolgt – nicht Gegenstand des Bauantrags und der Baugenehmigung sein soll.
Zum Vortrag der Beigeladenen im Klageverfahren, wonach angestrebt sei, dass die Flächen der Werbeagentur sukzessive reduziert würden und die Tätigkeit vom Fliesenlegerhandwerk sukzessive hin zu einem Handel mit Baustoffen verlagert werden solle, ist schließlich zu bemerken, dass es für die Frage der Nachbarrechtswidrigkeit der erteilten Baugenehmigung zwar nicht auf eine etwaige, von der erteilten Genehmigung abweichende Bauausführung ankommt. Der Vortrag verdeutlicht allerdings die mit der Unbestimmtheit der Baugenehmigung einhergehenden (Vollzugs-)Probleme.
Insgesamt ist festzustellen, dass sich vorliegend selbst unter Heranziehung des gesamten Akteninhalts nicht im Ansatz zweifelsfrei klären lässt, welchem im Gewerbegebiet ansässigen Betrieb der Beigeladenen die Wohnung vorliegend zugeordnet sein soll. Offenbleiben kann dabei, wie weit der Nachbarrechtsschutz in Bezug auf die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nr.1 BauNVO und die hierzu vorgelegten Antragsunterlagen im Einzelnen konkret reicht. Allein die Deklaration als „Betriebsleiterwohnung“ genügt jedenfalls nicht, um ohne weiteres eine ausnahmsweise Zulässigkeit der Wohnnutzung im Gewerbegebiet annehmen zu können (vgl. auch zum sog. „Etikettenschwindel“: OVG Münster, U.v. 25.8.2011 – 2 A 38/10 – juris). Erst auf Basis einer aussagekräftigen Betriebsbeschreibung ist es dem Landratsamt wie auch dem Gericht und Nachbarn möglich, die generelle oder auch ausnahmsweise Zulässigkeit des Vorhabens in dem Gewerbegebiet zu beurteilen.
2.3 In der Folge kommt es nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob sich das konkret genehmigte Vorhaben im Verhältnis zum Antragsteller unter dem Aspekt der „heranrückenden Wohnbebauung“ an dessen Betriebsgrundstück als rücksichtslos erweist.
Angemerkt sei jedoch, dass das Landratsamt im Rahmen der Erteilung der Baugenehmigung die durch eine ausnahmsweise Zulassung eines Vorhabens erkennbar hervorgerufenen Konflikte nicht einfach ausblenden kann mit dem Hinweis, es ginge lediglich um die Baugenehmigung auf dem Vorhabengrundstück. Die zwischen den Beteiligten unstrittigen Grenzwertüberschreitungen zur Tag- und Nachtzeit von jeweils bis zu 17,5 dB(A), denen die genehmigte – betriebliche – Wohnnutzung ausgesetzt sein wird, erscheinen durchaus beachtlich. Die Antragstellerseite hat insoweit zutreffend ausgeführt, dass die Frage, ob ein an einen bestehenden Betrieb heranrückendes Wohnbauvorhaben unzumutbaren Lärmimmissionen ausgesetzt sein würde, sich nicht allein und abschließend danach richtet, ob die Richtwerte der TA Lärm eingehalten oder überschritten werden. Vielmehr ist stets auch die verfassungsmäßige Schwelle zur Gesundheitsgefährdung (Art. 2 Abs. 2 GG) im Blick zu behalten. Gesunde Wohnverhältnisse müssen gewahrt, ein Wohnen ohne Gesundheitsgefahren muss möglich bleiben. Dabei sind einerseits architektonische Möglichkeiten zum Lärmschutz, andererseits aber auch erhöhte Duldungspflichten aus Vorbelastungen zu berücksichtigen (vgl. dazu insgesamt etwa BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 4 C 6/98 -, Rn. 25 – 30 juris zum Heranrücken eines Wohnhauses an einen Sportplatz). Die in der Rechtsprechung soweit ersichtlich bislang nicht geklärte Frage, inwieweit gesundheitliche Mindestschutzanforderungen für Außenwohnbereiche – wie die hier genehmigte Dachterrasse – in Gewerbegebieten zu beachten sind, kann vorliegend offen bleiben.
3. Soweit eine Zwischenregelung beantragt wurde, besteht hierfür jedenfalls kein Bedürfnis mehr, da mit vorliegendem Beschluss umfassend über den Eilantrag des Antragstellers entschieden worden ist.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten billigerweise selbst, da sie im vorliegenden Eilverfahren keine Anträge gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben (§ 162 Abs. 3 und § 154 Abs. 3 VwGO).
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs und entspricht der Hälfte des voraussichtlich im Hauptsacheverfahren anzusetzenden Streitwerts. Die beantragte Zwischenregelungen wurde wegen Identität des Streitgegenstands nicht erhöhend berücksichtigt.


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