Baurecht

Nachbareilantrag (Sondereigentümer), Baugenehmigung für den Ausbau eines Dachgeschosses zur Wohnung mit Dacherhöhung im Rückgebäude, Gebot der Rücksichtnahme, Abweichung von Vorgaben des Abstandsflächenrechts, Verschattung

Aktenzeichen  M 8 SN 22.152

Datum:
6.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10527
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80a Abs. 3
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO (analog) § 42 Abs. 2
WEG § 13
BauGB § 30 Abs. 3
BauGB § 34
BauNVO § 15
BayBO Art. 6
Halbsatz 1 BayBO Art. 63 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf EUR 3.750,00 festgesetzt.

Gründe

I.
Mit ihrem Antrag begehren die Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.
Die Antragsteller sind Miteigentümer des nach dem Wohnungseigentumsgesetz aufgeteilten Grundstücks H1. straße 14, 14 a und 14c, FlNr. …, Gemarkung … (im Folgenden Nachbargrundstück), verbunden mit Sondereigentum an einer im dritten Obergeschoss des Gebäudes H1. straße 14 gelegenen Wohnung Nr. 15, die nach Südwesten Fenster und einen Balkon aufweist. Das Gebäude H1. straße 14 ist viergeschossig mit ausgebautem Dachgeschoss, wobei der Gebäudeteil, in welchem das Sondereigentum der Antragsteller liegt, in der ersten Dachgeschossebene einen Dacheinschnitt aufweist sowie in der zweiten Dachgeschossebene mit mehreren Dachliegefenstern versehen ist.
Unmittelbar südwestlich angrenzend liegt das im Eigentum der Beigeladenen stehende Grundstück H1. straße 12, FlNr. …, Gemarkung … (im Folgenden Baugrundstück), welches derzeit mit einem viergeschossigen Rückgebäude und einem Vordergebäude (E+III+D) bebaut ist.
Sowohl das Bauwie auch das Nachbargrundstück befinden sich in einem von der H1. straße, der H1. straße und dem H1. Platz, sowie der H1. Straße begrenzten Geviert. Für das Geviert ist eine vordere Baulinie durch einfachen, übergeleiteten Baulinienplan festgesetzt. Ferner liegt es im Geltungsbereich des Bebauungsplans mit Grünordnung der Beklagten Nr. … vom 1. Juli 1996 (im Folgenden: Bebauungsplan), welcher ausschließlich Regelungen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung trifft und der für das Vorhabengrundstück ein allgemeines Wohngebiet („WA 23“) festsetzt. Die Hauptbaukörper der Bestandsbebauung H1. straße 12 und H1. straße 14 sind von der gemeinsamen Grundstücksgrenze jeweils abgesetzt.
Jeweils unter dem 16. Juni 2021, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 17. Juni 2021, beantragte die Beigeladene zum einen – betreffend das Vordergebäude auf dem Baugrundstück – eine Baugenehmigung für die Umnutzung einer Gewerbeeinheit zu einer Dachgeschosswohnung, die Errichtung einer Aufzugsanlage und die Wiederherstellung des historischen Zwerchgiebels (Plan-Nr. …), zum anderen – betreffend das Rückgebäude auf dem Baugrundstück – eine Baugenehmigung für den Ausbau des Dachgeschosses zu einer Wohnung mit Erhöhung des Dachgeschosses (Plan-Nr. …; mit Antrag auf Abweichung von den Abstandsflächen „in alle Richtungen“).
Vgl. zur Lage der Grundstücke und ihrer Bebauung anliegenden Lageplan (betreffend das Rückgebäude) im Maßstab 1 : 1.000:
(Lageplan aufgrund Einscannens möglicherweise nicht mehr maßstabsgetreu)
Mit Bescheid vom 25. August 2021 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen zunächst die für das Vordergebäude begehrte Baugenehmigung für die Nutzungsänderung einer Gewerbeeinheit zu einer Dachgeschosswohnung sowie die Errichtung einer Aufzugsanlage und die Wiederherstellung des historischen Zwerchgiebels nach Plan-Nr. … mit Handeintragungen vom 15. Juli 2021 und 19. August 2021. Die Baugenehmigung enthält neben Auflagen zu Fahrradabstellplätzen und zum Denkmalschutz eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB wegen Errichtung von der Baulinie abgerückten Dachgauben sowie mehrere Abweichungen von Art. 6 BayBO und von Art. 37 BayBO. Sowohl die Befreiung als auch die Abweichungen wurden im Einzelnen mit weiterer Begründung versehen. Eine Nachbarausfertigung der Baugenehmigung wurde der Wohnungseigentümergemeinschaft H1. straße 14-14 c, vertreten durch die … H1. H2. GmbH, am 27. August 2021 per Postzustellungsurkunde zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 27. September 2021, bei Gericht eingegangen am 28. September 2021, erhoben die Antragsteller durch ihren Bevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München mit dem Antrag, die Baugenehmigung vom 25. August 2021 aufzuheben (M 8 K 21.5139). Gleichzeitig beantragten sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der vorbezeichneten Klage (M 8 SN 21.5140).
Die Antragsgegnerin legte mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2021 die Behördenakten vor und beantragte, den Antrag abzulehnen.
Mit Bescheid vom 7. Oktober 2021 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen sodann in Bezug auf das Rückgebäude H1. straße 12 eine Baugenehmigung für den Dachgeschossausbau zu einer Wohnung mit Erhöhung nach Plan-Nr. … mit Handeintragungen vom 29. Juli 2021. Die Baugenehmigung enthält neben Auflagen zu Kfz- und Fahrradabstellplätzen sowie zum Denkmalschutz folgende Abweichungen:
a) Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO von Art. 6 Abs. 2 BayBO wegen Nichteinhaltung der für die nicht untergeordneten Dachgauben erforderlichen Abstandsflächen zum Nachbargrundstück Fl.Nr. …, Fl.Nr. …, Fl.Nr. … und Fl.Nr. …
Zur Begründung der Abweichung wurde angeführt, die beantragte Abweichung werde erteilt, da die Gauben nicht mehr als untergeordnet betrachtet werden könnten, da das Bestandsgebäude selbst schon die Abstandsflächen nicht mehr einhalte. Die Abweichung könne nach pflichtgemäßem Ermessen erteilt werden, da es sich hierbei gegenüber der bisher bestehenden Abstandsflächensituation lediglich um vergleichsweise geringe Teilflächen handle. Durch die mit dem Vorhaben verbundene geringfügige Vergrößerung der Abstandsflächen sei keine Verschlechterung von Belichtung für die Wohn- und Arbeitsbereiche bei den o.g. Nachbarn zu erwarten. Die zusätzlichen Gauben dienten der Verbesserung der Belichtungs- und Belüftungssituation der betroffenen Einheit und entsprächen hinsichtlich der Maße und der Gestaltung den bereits vorhandenen Gauben. Die Nachbarn würden durch die erteilte Abweichung nicht nachhaltig und gravierend in ihren schutzwürdigen Individualinteressen verletzt, so dass die Erteilung der Abweichung gehindert wäre. Die Abweichung von den materiell-rechtlichen Vorschriften sei gerechtfertigt, da nicht in einem so erheblichen Maß von den Regelvorschriften abgewichen werde, dass die ursprüngliche Schutzvorschrift der Regelung verloren ginge.
b) Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO von Art. 6 Abs. 3 BayBO wegen Nichteinhaltung erforderlicher Abstandsflächen zwischen gegenüberliegenden Gebäudeteilen auf eigenem Grund. Begründet wurde die Abweichung damit, dass sich die Abstandsflächen im Hof bereits im genehmigten Bestand überschnitten. Durch die geplante Dacherhöhung erhöhe sich die Überdeckung der Abstandsflächen. Eine wesentliche Beeinträchtigung der Belichtung, Belüftung und Besonnung sei durch die geplante Erhöhung des Daches dennoch nicht gegeben, da immer noch ein ausreichender Lichteinfallswinkel gegeben sei. Der Hauptzweck der Abstandsflächenregelung liege darin, dass eine ausreichende Zufuhr von Licht, Luft und Sonne gewährleistet werde, was hier noch eindeutig der Fall sei. Zudem handle es sich bei dem Grundstück um eine dichte innerstädtische Bebauung. Die Hofsituation werde durch die Erhöhung insgesamt nicht wesentlich verschlechtert.
c) Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO wegen der Nichteinhaltung der für den neuen Dachstuhl erforderlichen Abstandsflächen zu den Nachbargrundstücken Fl.Nr. …, Fl.Nr. …, Fl.Nr. … und Fl.Nr. … Zur Begründung wurde ausgeführt, durch die Neuerrichtung des Daches seien die Abstandsflächen neu zu bewerten. Durch die Erhöhung des Daches bzw. die Anpassung des Daches an das Dach des Vordergebäudes ergebe sich hier für die Nachbarn keine wesentliche Verschlechterung hinsichtlich Belichtung und Belüftung der Aufenthaltsbereiche auf den Nachbargrundstücken. Die Abweichung sei somit unter Berücksichtigung der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar und daher gerechtfertigt. Öffentlichrechtlich geschützte Nachbarbelange würden nicht in unzulässiger Weise verletzt, da gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse weiterhin gewährleistet seien.
Unter der Überschrift „Nachbarwürdigung“ wurde im streitgegenständlichen Bescheid weiter dargelegt, die Nachbarn FlNrn. …, … und … hätten dem Baueingabeplan nicht zugestimmt. Das Bauvorhaben entspreche den öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfen seien, nachbarrechtlich geschützte Belange würden nicht beeinträchtigt; insbesondere würden über die o.g. Abweichungen (hinaus) keine Befreiungen oder Abweichungen erteilt, die nachbarrechtlich von Bedeutung seien. Eine Nachbarausfertigung der Baugenehmigung wurde der Wohnungseigentümergemeinschaft H1. straße 14-14 c, vertreten durch die … H1. Hausverwaltungs GmbH, am 9. Oktober 2021 per Postzustellungsurkunde zugestellt.
Mit Schreiben vom 27. Oktober 2021 teilte der Bevollmächtigte der Antragsteller im Klageverfahren M 8 K 21.5139 unter der Überschrift „Klageerweiterung“ mit, dass die Antragsgegnerin zwischenzeitlich in Bezug auf das Baugrundstück eine weitere Baugenehmigung erlassen habe und derzeit nicht ganz klar sei, was Genehmigungsgegenstand der Baugenehmigung vom 25. August 2021 und was Gegenstand der Baugenehmigung vom 7. Oktober 2021 sei. Die letztgenannte Genehmigung gehe nach dem Genehmigungstext zurück auf jeweils denselben Bauantrag. Ohne Einsichtnahme in die Vorgangsakte sei nicht bewertbar, inwieweit die Rechte der Antragsteller durch den ein oder den anderen Genehmigungsbescheid berührt würden. Daher werde die Klage erweitert und nunmehr beantragt, die Bescheide der Antragsgegnerin vom 25. August 2021 und vom 7. Oktober 2021 mit den jeweils gleichlautenden Aktenzeichen aufzuheben.
Mit Schriftsätzen vom 12. Januar 2022 nahm der Bevollmächtigte der Antragsteller sodann sowohl die Klage gegen den Bescheid vom 25. August 2021 (H1. straße 12 – Vordergebäude) als auch den Antrag nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO (M 8 SN 21.5140) zurück; das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wurde mit Beschluss vom 13. Januar 2022 eingestellt. Es werde nur noch die Aufhebung der Baugenehmigung vom 7. Oktober 2021 „mit dem Az. …“ begehrt. Gleichzeitig ließen die Antragsteller beantragen (M 8 SN 22.152):
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der … vom 7. Oktober 2021 mit dem Az. …, wird angeordnet.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beigeladene habe am 16. Juni 2021 die Genehmigung zweier Baumaßnahmen begehrt. Die erste Maßnahme betreffe das Vordergebäude. Nach Einsicht in die Bauunterlagen seien die Antragsteller zu dem Ergebnis gekommen, dass die geringfügige Vergrößerung der Abstandsflächen-Überschneidungen durch die neuen Gauben nicht störend sei. Die zweite Baugenehmigung beträfe indessen das Rückgebäude und beinhalte eine Anhebung des Firstes um ca. drei Meter. Die Firstanhebung diene dem Ausbau einer vermutlich bereits vorhandenen Wohnung im vierten Obergeschoss. Ferner ermögliche die Dachanhebung den weiteren Ausbau von Wohnflächen in dem dadurch hergestellten Dachgeschoss. Ebenso werde die abstandsflächenrelevante Außenwand des Rückgebäudes von 14,62 m auf 15,51 m angehoben. Damit würden zusätzliche Abstandsflächen auf das Nachbargrundstück geworfen und zwar exakt auf den Flächen, über denen auch die Wohnung der Antragsteller hergestellt sei. Die zusätzlichen Abstandsflächen nähmen eine Tiefe von 89 cm und eine Länge von 13 m ein. In Rede stünden somit zusätzliche Abstandsflächenüberschreitungen von ca. 11,5 m². Gleichzeitig werfe auch die neue Gaube in dem angehobenen Dach noch eine zusätzliche Abstandsfläche von etwa 0,3 m². Die hauptsächlichen Fenster und auch der Balkon der Wohnung der Antragsteller seien südlich ausgerichtet. Fenster und insbesondere Balkon seien ganzjährig besonnt, insbesondere verschatte das gegenüberliegende Rückgebäude des Anwesens H1. straße 12 die Wohnung der Antragsteller aktuell nicht. Die Dachanhebung bewirke eine massive Verschattung der Wohnung der Antragsteller jedenfalls in den Wintermonaten, wenn der Einfallswinkel der Sonne bis zu 30 Grad zurückgehe. Der Bescheid vom 7. Oktober 2021 verletze Art. 6 BayBO und damit die Individualrechte der Antragsteller betreffend ihres Eigentums an der im dritten Obergeschoss belegenen Wohnung auf dem Nachbargrundstück. Eine plausible Begründung für diese Abstandsflächenüberschreitung und die damit einhergehende Verschattung der Wohnung der Antragsteller finde sich weder in dem Bauantrag vom 29. Juli 2021 (gemeint ist: vom 16. Juni 2021) noch in der Baugenehmigung selbst. Die Beigeladene rekurriere lediglich auf einen vor ca. 80 Jahren angeblich einmal bestandenen Ausbauzustand, der allerdings heute sicherlich nicht mehr bestandsschutzbegründend sei. Die Antragsgegnerin lasse in der angegriffenen Genehmigung eine nachvollziehbare Begründung vermissen, warum eine Befreiung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO zulässig sein solle, zumal die Antragsgegnerin in dem Bescheid selbst feststelle, dass schon die bisherige Lage der gesetzlichen Regelung des Art. 6 Abs. 3 BayBO nicht entspreche und alleine schon deshalb eine zusätzliche Verschlechterung unter keinem Gesichtspunkt gestattet werden dürfe. Die gleichwohl erteilte Baugenehmigung mit dem Hinweis, dass den Angaben der Genehmigung nach eine wesentliche Beeinträchtigung der Belichtung, Belüftung und Besonnung durch die Maßnahme nicht gegeben sein solle, sei nicht objektivierbar und auch rechtlich nicht zu fassen. Konkrete Feststelllungen zu dieser Behauptung fänden sich jedenfalls in dem Genehmigungsbescheid nicht. Ebenso liege offensichtlich kein Fall des Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO vor. Der Bescheid sei offensichtlich rechtswidrig.
Die Antragsgegnerin beantragte Klageabweisung und im Verfahren M 8 SN 22.152
Antragsablehnung.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung vom 7. Oktober 2021 sei abzulehnen. Die Klage habe in der Hauptsache keine Aussicht auf Erfolg, da diese bezüglich der Erweiterung unzulässig und im Übrigen wirksam zurückgenommen worden sei. Die Erweiterung des Klagebegehrens bezüglich der Aufhebung der Baugenehmigung vom 7. Oktober 2021 sei weder mit Einverständnis der Antragsgegnerin erfolgt noch sachdienlich. Es liege zudem kein Fall des § 173 VwGO i.V.m. § 264 ZPO vor, in dem die Änderung keine Klageänderung darstelle, da hier der Klagegrund selbst geändert worden sei. Eine Änderung des Klagegrunds im Sinne einer objektiven Klageänderung liege hier vor, da dem Erweiterungsbegehren ein neuer Lebenssachverhalt sowie ein neuer Antrag zugrunde liege. Klagegegenstand der ursprünglichen Klage sei die Aufhebung der Baugenehmigung vom 25. August 2021 gewesen, die bezüglich des Vordergebäudes erteilt worden sei. Die Baugenehmigung vom 7. Oktober 2021 beziehe sich hingegen auf ein anderes Vorhaben, nämlich das Rückgebäude. Die Klage auf Aufhebung dieser zweiten Baugenehmigung, die auf einen von der ersten Genehmigung unabhängigen und eigenen Lebenssachverhalt gestützt sei, stelle somit einen unterschiedlichen objektiven Klagegrund dar. Da die Antragsteller etwas völlig Neues begehrten und die Antraggegnerin der Klageänderung in Form einer solchen Erweiterung der Klage nicht zustimme, wäre diese nur zulässig, sofern sie als sachdienlich anzusehen wäre. Da das neue Klagebegehren jedoch einen anderen Lebenssachverhalt betreffe, wie die Ausführungen der Antragstellerseite deutlich machen würden, und es sich somit um einen völlig neuen Streitstoff handle, sei auch im Hinblick auf die Prozessökonomie keine Sachdienlichkeit gegeben. Lediglich hilfsweise werde ausgeführt, dass die Baugenehmigung auch nicht gegen nachbarschützende Rechte der Antragsteller, die im Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO zu prüfen seien, verstoße. Auch insofern würde das Interesse, von der Baugenehmigung Gebrauch zu machen, deutlich überwiegen. Eine Verletzung der Antragsteller in eigenen Rechten durch die erteilte Baugenehmigung scheide sowohl hinsichtlich der von der Antragspartei vorgetragenen Beeinträchtigung in drittschützenden Rechten bezüglich der Auswirkungen der gewährten Abweichungen wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen gem. Art. 63 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 BayBO aus als auch im Hinblick auf das Rücksichtnahmegebot. Zwar würden durch das streitgegenständlichen Vorhaben Abstandsflächen auf das benachbarte Grundstück geworfen, in dem die Wohnung der Antragsteller liege. Diese gingen jedoch nur teilweise und in geringem Maße über bereits durch das bestehende Vorhaben ausgelöste Abstandsflächen hinaus. Beide Gebäude lägen zudem im dicht bebauten innerstädtischen Bereich, in dem jede bauliche Veränderung entsprechend der vorgegebenen baulichen Situation geeignet sei, eine Unterschreitung von Abstandsflächen auszulösen. Da im vorliegenden Fall auch durch das Gebäude auf dem Nachbargrundstück die Abstandsflächen nicht eingehalten würden und auch durch die Erhöhung gegenüber der Bestandssituation keine wesentliche Verschlechterung der Belichtungs- und Belüftungssituation auf dem Nachbargrundstück eintrete, insbesondere nicht hinsichtlich der Wohnung der Antragsteller in den oberen Stockwerken, seien die erforderlichen Abweichungen von Art. 6 BayBO ermessensfehlerfrei und rechtmäßig unter Berücksichtigung der Nachbarinteressen erteilt worden. Die Interessen der Nachbarn seien daher nicht verletzt. Dies bestätige auch die von den Antragstellern vorgelegte Anlage, aus der bereits deutlich erkennbar sei, dass in Bezug auf Wohnungen im dritten Obergeschoss ein Lichteinfallswinkel von 45 Grad sicher eingehalten sei und somit eine Beeinträchtigung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht vorliege. Auch das Gebot der Rücksichtnahme sei nicht verletzt. Unzumutbare Beeinträchtigungen der Antragsteller hinsichtlich der Licht- und Luftverhältnisse der Bebauung der Antragsteller sowie des Sozialabstands seien nicht ersichtlich. Dem Vorhaben komme auch keine einmauernde oder erdrückende Wirkung gegenüber der Bebauung des antragstellerischen Grundstücks zu. Die Gebäude befänden sich zudem im innerstädtischen Bereich, der dicht bebaut sei, wie auch die Bebauung auf dem Grundstück der Antragsteller zeige.
Die Beigeladene äußerte sich nicht.
Mit Beschluss vom 6. April 2022 hat das Gericht die gegen die Baugenehmigung vom 25. August 2021 betreffend das Vordergebäude (Plan-Nr. …) erhobene und mit Schriftsatz vom 12. Januar 2022 insoweit wieder zurückgenommene Klage abgetrennt (M 8 K 22.1962) und dieses Verfahren eingestellt. Die gegen die Baugenehmigung für das Rückgebäude vom 7. Oktober 2021 geführte Klage ist weiterhin unter dem Aktenzeichen M 8 K 21.5139 anhängig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens und der Verfahren M 8 K 21.5139, M 8 K 22.1962 und M 8 SN 21.5140, auf den Inhalt der von der Antragsgegnerin vorgelegten Behördenakten sowie das (schriftsätzliche) Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen verwiesen.
II.
1. Der Antrag war nach dem erkennbaren Begehren der Antragsteller dahingehend auszulegen, dass damit die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 27. Oktober 2021 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 7. Oktober 2021 mit dem Aktenzeichen … angeordnet wird (§ 122 Abs. 1, § 88 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Bei dem vom Bevollmächtigten der Antragsteller angegebenen Aktenzeichen (Az. …) handelt es sich erkennbar um das Aktenzeichen der Baugenehmigung für das Vordergebäude vom 25. August 2021. Nach den Ausführungen in der Antrags- und Klagebegründung vom 12. Januar 2022 sowie der Entwicklung des Gerichtsverfahrens geht die Kammer davon aus, dass Streitgegenstand vorliegend die Baugenehmigung vom 7. Oktober 2021 für das Rückgebäude sein soll und es sich bei der Angabe des falschen Behördenaktenzeichens lediglich um ein Versehen handelt.
2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO) der in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage der Antragsteller (M 8 K 21.5139) gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 7. Oktober 2021 ist zulässig, aber unbegründet. Die Hauptsacheklage wird voraussichtlich keinen Erfolg haben, da die angefochtene Baugenehmigung nach summarischer Prüfung voraussichtlich keine nachbarschützenden Vorschriften verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
2.1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere sind die Antragsteller antragsbefugt, § 42 Abs. 2 VwGO analog.
Gem. § 42 Abs. 2 VwGO (analog) sind Klage und Antrag nur zulässig, wenn die Klage- bzw. Antragspartei hinreichend substantiiert geltend macht, durch den Verwaltungsakt in ihren Rechten verletzt zu sein. Dabei muss nach ihrem Vortrag eine Verletzung drittschützender Normen jedenfalls möglich sein, d.h. es darf nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen sein, dass die vom Antragsteller bzw. Kläger behaupteten Rechte bestehen oder ihm zustehen können (Happ, in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage 2019, § 42 Rn. 112; BVerwG, U.v. 22.2.1994 – 1 C 24/92 – juris Rn. 11 ff. m.w.N.).
Der einzelne Sondereigentümer kann gem. § 13 Abs. 1 Halbsatz 2 des Gesetzes über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht – Wohnungseigentumsgesetz (WEG) baurechtliche Nachbarrechte aus eigenem Recht geltend machen, wenn eine konkrete Beeinträchtigung seines Sondereigentums in Frage steht (BVerwG, U.v. 20.8.1992 – 4 B 92/92 – juris; BayVGH, B.v. 2.10.2003 – 1 CS 03.1785 – juris Rn. 18 ff.; B.v. 2.10.2003 – 1 CS 03.1785 – juris Rn. 18; B.v. 11.2.2004 – 2 CS 04.18 – juris; B.v. 8.7.2013 – 2 CS 13.807 – juris, B.v. 10.6.2008 – 2 CS 08.1298 – juris Rn. 4; B.v. 21.1.2009 – 9 CS 08.1330-1336 – juris Rn. 2; B.v. 22.3.2010 – 15 CS 10.352 – juris Rn. 10; B.v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – juris Rn. 21; B.v. 24.11.2016 -1 CS 16.2011 – juris Rn. 4; B.v. 1.3.2018 – 1 CS 17.2539 – juris Rn. 3). Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn das Sondereigentum im Bereich der Abstandsflächen liegt oder das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot das Sondereigentum betrifft (BayVGH, U.v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – juris Rn. 23; B.v. 8.7.2013 – 2 CS 13.807 – juris Rn. 6). Vorliegend kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Antragsteller, die in der Sache insbesondere einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme und das Abstandsflächenrecht geltend machen, aufgrund der Lage ihres Sondereigentums in ihren Rechten verletzt sind.
2.2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 7. Oktober 2021 ist jedoch unbegründet. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin folgt dies nicht bereits aus dem Umstand, dass es in der Hauptsache an einer zulässigen Klageänderung fehlte. Mit Rücknahme der Klage gegen die Baugenehmigung vom 25. August 2021 ist jedenfalls deren Rechtshängigkeit zwischenzeitlich entfallen; das Gericht hat die beiden Klageverfahren mit Beschluss vom 6. April 2022 getrennt und das Klageverfahren hinsichtlich der Baugenehmigung vom 25. August 2021 eingestellt.
Nach der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung ist eine für den Erfolg ihrer Anfechtungsklage erforderliche Verletzung von Rechten der Antragsteller als Sondereigentümer, die zum Prüfungsumfang des Genehmigungsverfahrens gehören, nicht ersichtlich (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 59 Satz 1 BayBO), so dass das Interesse an der Vollziehung der Baugenehmigung vom 7. Oktober 2021 gegenüber dem Suspensivinteresse der Antragsteller überwiegt.
Nach § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Legt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung eine Anfechtungsklage ein, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die bundesgesetzlich gemäß § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Hierbei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind – die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden. Dabei stehen sich das Suspensivinteresse des Nachbarn und das Interesse des Bauherrn, von der Baugenehmigung sofort Gebrauch zu machen, grundsätzlich gleichwertig gegenüber. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Fällt die Erfolgsprognose zu Gunsten des Nachbarn aus, erweist sich die angefochtene Baugenehmigung also nach summarischer Prüfung gegenüber dem Nachbarn als rechtswidrig, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig auszusetzen (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.1991 – 1 CS 91.439 – juris). Hat dagegen die Anfechtungsklage des Nachbarn mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, so ist das im Rahmen der vorzunehmenden und zu Lasten des Antragstellers ausfallenden Interessensabwägung ein starkes Indiz für ein überwiegendes Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris Rn. 18). Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine reine Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2011, a.a.O.).
Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dabei ist zudem zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung dieses Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 – 4 B 244/96 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 14.10.2008 – 2 CS 08.2132 – juris Rn. 3).
Dies zugrunde gelegt, überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragsteller nicht gegenüber entgegenstehenden Vollzugsinteressen der Beigeladenen. Denn die Klage der Antragsteller wird nach summarischer Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg haben. Sie erweist sich voraussichtlich als unbegründet. Der angegriffene Bescheid, die Baugenehmigung vom 7. Oktober 2021, verletzt die Antragsteller voraussichtlich nicht in ihren Rechten, sodass ihnen kein Anspruch auf Aufhebung dieser Baugenehmigung zusteht (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
2.2.1. Das Vorhaben, dessen bauplanungsrechtliche Zulässigkeit sich im Hinblick auf die Art der baulichen Nutzung sowie das vorhandene Bauliniengefüge nach § 30 Abs. 3 Baugesetzbuch (BauGB) und im Übrigen nach § 34 BauGB richtet, verstößt nicht gegen (auch) dem Nachbarschutz dienende Vorschriften des Bauplanungsrechts, insbesondere nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme (vgl. zum Nachbarschutz im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB: BVerwG, U.v. 13.6.1969 – IV C 234/65 – NJW 1969, 1787 ; U.v. 4.7.1980 – 4 C 101.77 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12; B.v. 17.7.2013 – 14 ZB 12.1153 – juris Rn. 13). Die Verwirklichung des Umbaus des Rückgebäudes auf dem Baugrundstück bewirkt keine so stark ins Gewicht fallende Verschlechterung der Verhältnisse, dass eine Unzumutbarkeit durch das Vorhaben für die Antragsteller anzunehmen wäre.
Das Gebot der Rücksichtnahme ist grundsätzlich als objektiv-rechtliche Anforderung zu verstehen und verleiht daher grundsätzlich auch keine subjektiv-öffentlichen Rechte. Es gewährt jedoch ausnahmsweise dann Nachbarschutz, soweit in dadurch qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf besondere Rechtspositionen Dritter Rücksicht zu nehmen ist oder, unabhängig von der besonderen rechtlichen Schutzwürdigkeit der Betroffenen, ihr Betroffensein wegen der gegebenen Umstände so handgreiflich ist, dass dies die notwendige Qualifizierung, Individualisierung und Eingrenzung bewirkt (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – 4 C 22.75 – juris Rn. 28).
Es kann dahinstehen, ob sich das Gebot der Rücksichtnahme im vorliegenden Fall aus dem Begriff des „Einfügens“ des § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO ableitet, da im Ergebnis dieselbe Prüfung stattzufinden hat (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4).
Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er eine Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalls kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – 4 C 22.75 – juris Rn. 22; U.v. 28.10.1993 – 4 C 5.93 – juris Rn. 17; U.v. 23.9.1999 – 4 C 6.98 – juris Rn. 20; U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04 – juris Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8/11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4). Das Rücksichtnahmegebot ist dann verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75 – juris Rn. 22). Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass auch aus dem Rücksichtnahmegebot kein Recht des Nachbarn abzuleiten ist, dass in seiner Nachbarschaft nur objektiv rechtmäßige Bauvorhaben entstehen (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2014 – 15 ZB 13.1017 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 13.3.2014 – 15 ZB 13.1017 – juris Rn. 11; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 26). Das Rücksichtnahmegebot legt dem Bauherrn zudem auch keine Pflicht auf, generell die für den Nachbarn am wenigsten beeinträchtigende Alternative für seine Bauabsicht zu wählen (BVerwG, B.v. 26.6.1997 – 4 B 97/97 – juris Rn. 6).
2.2.1.1. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „erdrückenden“ bzw. „abriegelnden“ Wirkung sind die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9; B.v. 17.7.2013 – 14 ZB 12.1153 – juris Rn. 14; B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 30; B.v. 10.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 27). Eine solche Wirkung kommt daher vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 23; B.v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris Rn. 21; B.v. 13.3.2014 – 15 ZB 13.1017 – juris Rn. 9; B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12; B.v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 31; B.v. 30.9.2015 – 9 CS 15.1115 – juris Rn. 13; B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 28; B.v. 10.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 27). Ein Vorhaben übt grundsätzlich dann „erdrückende“ bzw. „einmauernde“ Wirkung gegenüber dem Nachbarn aus, wenn es in Höhe und Volumen ein Übermaß besitzt und auch nicht annähernd den vorhandenen Gebäuden gleichartig (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 5 m.w.N.) ist.
Dies berücksichtigend, ist angesichts der Höhenentwicklung sowie des Abstands des Vorhabens zum Nachbargrundstück die Annahme einer erdrückenden Wirkung fernliegend. Denn hierfür ist kein Raum, wenn der geplante Baukörper – wie hier – nicht erheblich höher ist als das betroffene Gebäude (BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5; B.v. 28.4.2020 – 9 ZB 18.1493 – juris Rn. 21). Dies gilt insbesondere dann, wenn beide Gebäude – wie hier – im dicht bebauten städtischen Bereich liegen (vgl. BayVGH, v. 20.4.2010 – 2 ZB 07.3200 – juris Rn. 3; B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5; U.v. 7.10.2010 – 2 B 09.328 – juris Rn. 22; B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9). Maßgeblich ist insoweit das Verhältnis der beiden Hauptbaukörper untereinander (vgl. VG München, B.v. 9.8.2017 – M 1 SN 17.2668 – juris Rn. 37).
Wie sich aus über Google maps verfügbaren Luftbildern und dem von der Antragstellerseite vorgelegten Fotografie des Anwesens H1. straße 14 ergibt, ist das Gebäude H1. straße 14 viergeschossig, hinzu kommt ein ausgebautes Dachgeschoss, wobei der Gebäudeteil, in welchem das Sondereigentum der Antragsteller liegt, in der ersten Dachgeschossebene einen Dacheinschnitt aufweist sowie in der zweiten Dachgeschossebene mehrere Dachliegefenster. Die streitgegenständliche Planung sieht eine Dacherhöhung bei dem viergeschossigen Gebäudebestand zum Zwecke des Dachgeschossausbaus vor, wobei neben einer Dachterrasse mit Dacheinschnitt auf der von den Antragstellern abgewandten südwestlichen Gebäudeseite auch – in südwestlicher wie auch nordöstlicher Richtung – Dachgauben in der ersten Dachgeschossebene und Dachliegefenster, u.a. in der zweiten Dachgeschossebene geplant sind. Angesichts der vergleichbaren Höhenentwicklungen ist das Vorhaben nicht geeignet, eine erdrückende Wirkung auf das Nachbargebäude zu entfalten.
Besonders deutlich wird das Fehlen einer „Einmauerung“ zulasten der Antragsteller, wenn man die Fälle in Blick nimmt, in denen die Rechtsprechung das Vorliegen einer „erdrückenden“ bzw. „abriegelnden“ bejaht bzw. ebenfalls verneint hat (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 32 ff.: elf- bzw. zwölfgeschossiges Gebäude in naher Entfernung zu zweieinhalbgeschossigem Wohnhaus; BVerwG, U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris Rn. 15: grenznahe 11,5 m hohe und 13,31 m lange, wie eine „riesenhafte metallische Mauer“ wirkende Siloanlage bei einem sieben Meter breiten Nachbargrundstück; BayVGH, B.v. 5.2.2015 – 2 CS 14.2456 – juris Rn. 33: keine erdrückende Wirkung eines ca. 160 m langen Baukörpers mit einer Höhe von 6,36 m bis 10,50 m und einem Abstand von 13 – 16 m zum Gebäude des Nachbarn; BayVGH, B.v. 4.7.2016 – 15 ZB 14.891 – juris Rn. 9: keine erdrückende Wirkung eines 33,3 m langen Baukörpers mit einer maximalen Höhe von 11 m und einem Abstand von mindestens 15 m zur Baugrenze auf dem Nachbargrundstück).
2.2.1.2. Soweit sich die Antragsteller auf eine Verschattung ihrer Wohnung, jedenfalls in den Wintermonaten berufen, ist ebenfalls keine unzumutbare Beeinträchtigung ersichtlich.
Das Gebot der Rücksichtnahme gibt den Nachbarn nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sichtachsen von ihrem Grundstück aus verschont zu bleiben (BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17). Ein Verschattungseffekt als typische Folge der Bebauung ist insbesondere – wie hier – in innergemeindlichen bzw. innerstädtischen Lagen, bis zu einer im Einzelfall zu bestimmenden Unzumutbarkeitsgrenze daher in der Regel nicht rücksichtslos und hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 24; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 28 m.w.N.; OVG Bremen, B.v. 19.3.2015 – 1 B 19/15 – juris Rn. 19; SächsOVG, B.v. 4.8.2014 – 1 B 56/14 – juris Rn. 19). Mögliche Verringerungen des Lichteinfalls sind in aller Regel im Rahmen der Veränderung der baulichen Situation hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2016 – 9 ZB 15.376 – juris Rn. 15).
Gemessen daran liegt eine unzumutbaren Verschattung des Sondereigentums der Antragsteller nicht vor. Aufgrund der Gebäudeabstände zueinander bleibt – wie insbesondere auch aus der von der Antragstellerpartei vorgelegten Skizze ersichtlich – der Lichteinfallswinkel von 45° gewahrt. In der Rechtsprechung ist im Hinblick auf die Lichtverhältnisse anerkannt, dass die Einhaltung eines Lichteinfallswinkels von 45° in Höhe der Fensterbrüstung von Fenstern von Aufenthaltsräumen grundsätzlich eine ausreichende Belichtung sicherstellt (vgl. BayVGH, B.v. 17.7.2013 – 14 ZB 12.1153 – juris Rn. 14 unter Bezugnahme auf BayVGH, B.v. 9.6.2011 – 2 ZB 10.2289 – juris Rn. 5; U.v. 20.9.2011 – 2 B 11.761 – juris Rn. 26). Untragbare Zustände im Sinne eines Missstands, der keinesfalls hingenommen werden könnte, liegen damit nicht vor. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass die maßgebliche Umgebung, in die Bau- und Nachbargrundstück eingebettet sind, im dicht bebauten innerstädtischen Bereich liegt und geprägt ist durch massive, mehrgeschossige Blockrandbebauung, welche sich z.T. auch im rückwärtigen Bereich fortsetzt. Diese Art der Bebauung bedingt zwangsläufig die wechselseitige Verschattung, insbesondere der unteren Geschosse, v.a. wenn die Vorder- und Rückgebäude, wie hier bei Bau- und Nachbargrundstück – eine ähnliche Situation findet sich bei der Bebauung H1. straße 18 und H1. straße 20 – einseitig grenzständig errichtet und von der jeweils gemeinsamen Grundstücksgrenze abgesetzt sind.
2.2.1.3. Auch mit Blick auf etwaige Einblickmöglichkeiten ergibt sich keine Rücksichtslosigkeit zu Lasten der Antragsteller.
Das Bauplanungsrecht vermittelt keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken; die Möglichkeit der Einsichtnahme ist grundsätzlich nicht städtebaulich relevant (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.1989 – 4 B 72.89 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 18.10.2010 – 2 ZB 10.1800 – juris Rn. 11; B.v. 15.2.2017 – 1 CS 16.2396 – juris Rn. 9; B.v. 13.4.2018 – 15 ZB 17.342 – juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 5.4.2019 – 15 ZB 18.1525 – BeckRS 2019, 7160 Rn. 12; B.v. 8.5.2019 – 15 NE 19.551 u.a. – juris Rn. 38; B.v. 15.12.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 19). In bebauten innerörtlichen Bereichen gehört es zur Normalität, dass von benachbarten Grundstücken bzw. Gebäuden aus Einsicht in andere Grundstücke und Gebäude genommen werden kann (BayVGH, B.v. 15.11.2010 – 2 ZB 09.2191 – juris Rn. 7; OVG LSA, B.v. 24.1.2012 – 2 M 157/11 – juris Rn. 23 m.w.N.). Auch über das Gebot der Rücksichtnahme wird in bebauten Ortslagen daher kein genereller Schutz des Nachbarn vor jeglichen (weiteren) Einsichtsmöglichkeiten vermittelt. Gegenseitige Einsichtnahmemöglichkeiten sind im dicht bebauten innerstädtischen Bereich unvermeidlich (vgl. BayVGH, B.v. 7.10.2010 – 2 B 09.328 – juris Rn. 30). Die Antragsteller haben etwaige Einsichtnahmemöglichkeiten durch die hinzutretende Nutzung – dies betrifft ohnehin nur eine Dachgaube und Dachliegefenster auf der nordöstlichen Dachfläche des Rückgebäudes – daher hinzunehmen, zumal die Nutzer des Bestandsgebäudes bereits ohne Weiteres Einsicht in die Wohnung der Antragsteller nehmen können.
2.2.2. Die Antragsteller werden auch nicht durch die erteilten Abweichungen von den Anforderungen des Abstandsflächenrechts in ihren Rechten verletzt.
Insoweit kann offenbleiben, ob sich die Antragsteller aufgrund des Umstands, dass das Gebäude, in welchem sich ihr Sondereigentum befindet (dessen Wirkung sich die Antragsteller zurechnen lassen müssen, vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2018 – 9 CS 18.543 – juris Rn. 23), zum Baugrundstück hin die erforderlichen Abstandsflächen auf eigenem Grund ersichtlich ebenfalls nicht einhält, gegenüber der Bebauung auf dem Baugrundstück nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) überhaupt auf einen Abstandsflächenverstoß berufen können. Die Antragsteller werden durch die erteilten Abweichungen von den Vorgaben des Abstandsflächenrechts jedenfalls nicht in ihren Rechten verletzt werden.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Verkürzung einer Abstandsflächentiefe nur den Nachbarn in seinen Rechten verletzen kann, dessen Grundstück der betreffenden Außenwand gegenüberliegt (vgl. BayVGH, Großer Senat, B.v. 17.4.2000 – Gr. S. 1/1999 – 14 B 97.2901 – juris; U.v. 29.10.2015 – 2 B 15.1431 – juris Rn. 36; B.v. 6.5.2019 – 2 CE 19.515 – juris Rn. 5; vgl. zu der – hier nicht vorliegenden – Ausnahme bei der Inanspruchnahme des sog. 16-m-Privilegs: BayVGH, Großer Senat, B.v. 17.4.2000 – Gr. S. 1/1999 – 14 B 97.2901 – juris). Insofern ist in Bezug auf die Antragsteller lediglich die Abstandsflächenverkürzung auf der nordöstlichen Außenwand des Rückgebäudes von Belang.
Gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von den Anforderungen der Bayerischen Bauordnung zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Satz 1 BayBO vereinbar sind. Dabei kann dahinstehen, ob mit Blick auf die auf der nordöstlichen Dachfläche errichtete Gaube überhaupt eine Abweichung erforderlich war, weil die Antragsteller durch die Erteilung der Abweichungen jedenfalls nicht in ihren Rechten verletzt werden.
Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO müssen die Abstandsflächen auf dem (Vorhaben-)Grundstück selbst liegen.
Da die Regelungen des Art. 6 BayBO in ihrer Gesamtheit auch dem Schutz der angrenzenden Nachbarn dienen (vgl. BayVGH, U.v. 14.10.1985 – 14 B 85 A.1244 – BayVBl. 1986, 143 ; B.v. 21.10.1991 – 2 CS 91.2446 – BeckRS 1991, 09074 m.w.N.; B.v. 30.11.2005 – 1 CS 05.25235 – BeckRS 2005, 17740; Dirnberger in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 144. EL September 2021, Art. 66 Rn. 258) und dabei nicht nur Schutzwirkung zugunsten eines im Miteigentum stehenden Nachbargrundstücks als solchem (§ 1 Abs. 2 WEG), sondern auch zugunsten der im Sondereigentum stehenden Wohnungen und deren Nutzung entfalten (vgl. BVerwG, U.v. 20.8.1992 – 4 B 92/92 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 21.1.2009 – 9 CS 08.1330 u.a. – juris Rn. 2), hat auch zumindest ein mit seinem Sondereigentum einer Abstandsflächen auslösenden Wand eines Bauvorhabens auf einem benachbarten Grundstück gegenüberliegender Sondereigentümer einer Wohnung (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2009 – 9 CS 08.1330 u.a. – juris Rn. 2) grundsätzlich ein Recht darauf, dass Abweichungen im Sinne von Art. 63 BayBO von den drittschützenden Regelungen des Art. 6 BayBO zu seinen Lasten nur unter Einhaltung der Voraussetzungen des Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO erteilt werden (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 17).
Der Zweck des Abstandsflächenrechts, der vor allem darin besteht, eine ausreichende Belichtung und Belüftung der Gebäude zu gewährleisten und die für Nebenanlagen erforderlichen Freiflächen zu sichern, kann allerdings regelmäßig nur dann erreicht werden, wenn die Abstandsflächen in dem gesetzlich festgelegten Umfang eingehalten werden. Da somit jede Abweichung von den Anforderungen des Art. 6 BayBO zur Folge hat, dass die Ziele des Abstandsflächenrechts nur unvollkommen verwirklicht werden, setzt die Zulassung einer Abweichung nach bisheriger Rechtsprechung Gründe von ausreichendem Gewicht voraus, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die die Einbuße an Belichtung und Lüftung (sowie eine Verringerung der freien Flächen des Baugrundstücks) im konkreten Fall als vertretbar erscheinen lassen. Es muss sich um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln (BayVGH, B.v. 17.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 16; B.v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 23; B.v. 5.12.2011 – 2 CS 11.1902 – juris Rn. 3; U.v. 22.12.2011 – 2 B 11.2231 – juris Rn. 16). Diese kann sich etwa aus einem besonderen Grundstückszuschnitt, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder dem Nachbargrundstück oder einer besonderen städtebaulichen Situation, wie der Lage des Baugrundstücks in einem historischen Ortskern, ergeben. In solchen Lagen kann auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren, eine Verkürzung der Abstandsflächen durch Zulassung einer Abweichung rechtfertigen. Hingegen begründen allein Wünsche eines Eigentümers, sein Grundstück stärker auszunutzen als dies ohnehin schon zulässig wäre, noch keine Atypik, da Modernisierungsmaßnahmen, die nur der Gewinnmaximierung dienen sollen, auch in Ballungsräumen nicht besonders schützenswert sind (vgl. BayVGH, B.v. 20.11.2014 – 2 CS 14.2199 – juris Rn. 4; B.v. 2.12.2014 – 2 ZB 14.2077 – juris Rn. 3).
Eine derartige Sondersituation (Atypik) ist im vorliegenden Fall gegeben, so dass offenbleiben kann, ob die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 BayBO in der aktuellen Fassung im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO noch eine atypische Situation voraussetzt.
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vermittelt die Lage von Grundstücken in einem seit langer Zeit dicht bebauten großstädtischen Innenstadtquartier, in dem allenfalls wenige Gebäude die nach heutigen Maßstäben erforderlichen Abstände zu den jeweiligen Grundstückgrenzen einhalten – wie hier – eine besondere Atypik, die eine Abweichung von der Einhaltung der Regelabstandsflächen gegenüber Nachbarn rechtfertigt (BayVGH, B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – BeckRS 2020, 1170, Rn. 36). In dicht bebauten innerstädtischen Bereichen ist eine atypische Situation überdies dann anzunehmen, wenn jede bauliche Veränderung entsprechend der vorgegebenen baulichen Situation geeignet ist, eine Abstandsflächenüberschreitung auszulösen (vgl. BayVGH, B. v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 23; VG München, B.v. 12.9.2017 – M 8 SN 17.3732 – juris Rn. 37, bestätigt durch BayVGH, B.v. 4.12.2017 – 2 CS 17.1969 – juris Rn. 4).
Weitere Voraussetzung ist die Vereinbarkeit der Abweichung mit den öffentlichen Belangen unter Würdigung nachbarlicher Interessen. Mit der Verpflichtung zur Würdigung nachbarlicher Interessen verlangt das Gesetz – wie bei dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme – eine Abwägung zwischen den für das Vorhaben sprechenden Gründen und den Belangen des Nachbarn (BayVGH, B.v. 17.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 17). Ob eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugelassen werden kann, beurteilt sich dabei nicht allein danach, wie stark die Interessen des betroffenen Nachbarn beeinträchtigt werden. Es ist stets auch zu prüfen, ob die Schmälerung der nachbarlichen Interessen durch überwiegende Interessen des Bauherrn oder überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt ist (BayVGH, B.v. 17.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 20). Die von Art. 6 BayBO erfassten, schützenswerten Belange der Antragsteller – Belichtung, Belüftung und Besonnung – werden durch die Abweichung nicht unzumutbar beeinträchtigt (s.o.). Die Beklagte hat sich im Rahmen der Prüfung der Abweichung mit der Situation auch der betroffenen Nachbarn in sachgerechter, auf den Einzelfall bezogener Weise auseinandergesetzt. Ermessensfehler sind insoweit nicht erkennbar. In Bezug auf Belichtung, Besonnung und Belüftung treten durch die (rechnerisch) auf das Sondereigentum fallenden Abstandsflächen keine unzumutbaren Verschlechterungen ein. Darüber hinaus ist der Lichteinfallswinkel von 45° für das Sondereigentum gewahrt (s.o.).
Ob sonstige, nicht drittschützende öffentliche Belange im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Abweichung von den Abstandsflächen für die Nachbarklage entscheidungserheblich sind (mit beachtlichen Argumenten dagegen: BayVGH, B.v. 9.2.2015 – 15 ZB 12.1152 – juris Rn. 7 ff. m.w.N. zum Streitstand), kann hier offenbleiben, da eine Verletzung sonstiger öffentlicher Belange nicht ersichtlich ist.
Bei Berücksichtigung der Gesamtsituation ist auch ein die Belange der Antragsteller überwiegendes Bauherreninteresse gegeben. Hierzu zählt nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs auch die Schaffung von zeitgemäßem Wohnraum (BayVGH, B.v. 5.12.2011 – 2 CS 11.1902 – juris Rn. 5). Das Interesse der Beigeladenen an der Schaffung von Wohnraum, also an der sinnvollen wirtschaftlichen Verwertung des vorhandenen Grundstücks unter Einhaltung des bauplanungsrechtlich zulässigen Rahmens überwiegt das Interesse der Antragsteller, hiervon verschont zu bleiben, zumal eine maßgebliche Verschlechterung der (Belichtungs-)Situation durch das Vorhaben nicht zu erwarten ist.
3. Die Antragsteller tragen gem. § 154 Abs. 1 VwGO, § 159 VwGO die Kosten des Verfahrens. Es entspricht billigem Ermessen im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie keinen Sachantrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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