Baurecht

Nachbarklage, Einfügen, Maß der baulichen Nutzung, Rücksichtnahmegebot, Tiefgarage, Stellplätze, Verkehrslärm

Aktenzeichen  AN 3 S 21.01191

Datum:
15.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 20459
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
BauGB § 12
BauGB § 34
BauNVO § 15 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich gegen eine zugunsten der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 17 Wohneinheiten sowie Tiefgarage.
Die Antragsteller sind Eigentümer des an der …Straße anliegenden Grundstückes FlNr. … der Gemarkung … (nachfolgend wird auf die Angabe der Gemarkung verzichtet; alle erwähnten Flurnummern beziehen sich auf die Gemarkung …), welches mit einem von ihnen bewohnten Einfamilienhaus bebaut ist.
An der nordöstlichen Ecke des Antragstellergrundstückes grenzt auf einer Länge von circa 2 m das streitgegenständliche, an der … Straße anliegende Vorhabengrundstück FlNr. … an, welches ursprünglich unter anderem mit einem zweigeschossigen, traufseitig zur … Straße ausgerichteten Gebäude bebaut war.
Beide Grundstücke liegen im unbeplanten Innenbereich. In der näheren Umgebung befinden sich neben Einfamilienhäusern auch mehrere Mehrfamilienhäuser mit bis zu drei Geschossen nebst Satteldach. Auf dem nördlich des Beigeladenengrundstückes gelegenen Anwesen FlNr. … (…) befindet sich unter anderem ein dreigeschossiges Mehrparteiengebäude, dessen Satteldach giebelseitig zu der … Straße hin ausgerichtet ist.
Mit Bauantrag vom 11. September 2020 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit Tiefgarage. Nachdem der Antragsgegner die Beigeladene darauf hingewiesen hat, dass sich das zunächst viergeschossig nebst Satteldach geplante Gebäude hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebung einfüge, reichte die Beigeladene den Tekturantrag vom 29. März 2021 ein.
Ausweislich der zur Vorlage gebrachten Bauvorlagen soll auf dem 1.406 qm großen Vorhabengrundstück ein dreigeschossiges Gebäude mit Satteldach sowie einer Grundfläche von 461,65 qm und einer Geschossfläche von 1.630,81 qm errichtet werden. Die Grundflächenzahl wurde mit 0,33 beziffert, die Geschossflächenzahl mit 1,16 sowie die Baumassenzahl mit 6,05. Im Erdgeschoss, im ersten und zweiten Obergeschoss sind jeweils fünf Wohneinheiten sowie im Dachgeschoss zwei Wohneinheiten vorgesehen. Jede Wohneinheit verfügt über eine Terrasse, einen Balkon oder eine Loggia. Die Zufahrt zu der im Nordosten situierten Tiefgarage mit 26 Stellplätzen sowie der Zugang zu dem Gebäudeeingang erfolgen über die … Straße im Osten. Im Südosten sind ein Nebengebäude für Mülltonnen und Fahrräder sowie ein dahinterliegender Spielplatz (87,53 qm) geplant.
Ausweislich der vorgelegten Berechnungen betragen basierend auf der Bayerischen Bauordnung in der ab dem 25. Mai 2021 geltenden Fassung die Giebelhöhe 14,14 m bzw. 9,945 m, die Traufhöhe 11,345 m sowie die Gaubenhöhe 12,37 m. Unter Zugrundelegung des Art. 6 BayBO a.F. ergeben sich eine Giebelhöhe von 11,345 m, eine Traufhöhe von 9,945 m sowie eine Gaubenhöhe von 12,29 m. Die Abstandsflächen werden eingehalten.
Die Stadt … erteilte ihr Einvernehmen zu dem Vorhaben, welches nach ihrer Auffassung in einem Mischgebiet liegt.
Die Antragsteller machten bereits mit Schreiben an den Antragsgegner vom 4. Januar 2021 Einwände gegen das Vorhaben der Beigeladenen geltend.
Mit Bescheid vom 1. Juni 2021 erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit Tiefgarage. Gemäß der Nebenbestimmung … müssen die erforderlichen 26 Pkw-Stellplätze bzw. Garagen auf dem Baugrundstück bis zur Aufnahme der Gebäudenutzung benutzbar hergestellt sein.
Eine Ausfertigung des Baugenehmigungsbescheides wurde den Antragstellern mit Einschreiben vom 1. Juni 2021 zugestellt.
Am 29. Juni 2021 ließen die Antragsteller gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung Klage erheben (AN 3 K 21.01192) und zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage beantragen. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass sich das streitgegenständliche Vorhaben nicht in die nähere Umgebung, welche von Einfamilienhäusern geprägte sei, gemäß § 34 Abs. 1 BauGB einfüge, da es den von § 15 BauNVO gezogenen Rahmen überschreite. Auf dem Baugrundstück habe sich zuvor ein Zweifamilienhaus befunden. Das von der Beigeladenen beabsichtigte Vorhaben mit drei Vollgeschossen sowie einem Dachgeschoss, welches von der Ausnutzung her einem Vollgeschoss nahezu gleichstehe, sowie einem Baukörper von 28 m Länge, 14,50 m Breite sowie 10 m Höhe hätte auf die umliegenden Einfamilienhausgrundstücke einschließlich das der Antragsteller eine erdrückende Wirkung. Hinzu komme die mit der Vervielfachung der Bewohner einhergehende erhebliche Verdichtung und Zunahme des Quell- und Zielverkehrs. Nachdem die geplanten Tiefgaragenstellplätze für die Bewohner des streitgegenständlichen Gebäudes bestimmt seien, werde die Parksituation in der näheren Umgebung durch den zu erwartenden Besucherverkehr in einem derzeit nicht annähernd zu beobachtenden Ausmaß beeinträchtigt. Damit gehe eine entsprechende Lärmbelästigung durch startende Fahrzeuge sowie Parksuchverkehr einher. Bei verständiger Würdigung der nachbarlichen Belange sei ein Bauvorhaben dieses Ausmaßes nicht zu genehmigen. Die aufschiebende Wirkung der zugleich erhobenen Anfechtungsklage sei anzuordnen, da ansonsten die Gefahr bestehe, dass aufgrund der langen Dauer des Klageverfahrens vor dessen rechtskräftigem Abschluss das Bauvorhaben durchgeführt worden und damit vollendete Tatsachen geschaffen wären.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß:
Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 29. Juni 2021 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 1. Juni 2021 wird angeordnet.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das streitgegenständliche Vorhaben in die Umgebung einfüge gemäß § 34 BauGB. Das relevante Gebiet zeichne sich durch eine Gemengelage von bis zu dreigeschossigen Gebäuden nördlich des Vorhabengrundstückes, zweigeschossigen Gebäuden im südlichen und westlichen Bereich sowie eingeschossigen Gebäuden weiter südlich aus. Am Standort selbst seien insbesondere die nördlich gelegenen dreigeschossigen Mehrfamilienhäuser als prägend anzusehen. Das nördlich liegende Nachbargebäude mit drei Geschossen (…) sei giebelseitig zu der … Straße hin ausgerichtet. Daher sei bei diesem Bestandsgebäude nicht der Giebel, sondern die Traufhöhe maßgebend; der Giebel übe in dem vorliegenden Fall keine raumbildende Wirkung aus. Es sei daher die Traufhöhe und nicht die Firsthöhe des nördlich angrenzenden Gebäudes für das Maß der baulichen Nutzung als prägend anzusehen. Nachdem sich die ursprünglich eingereichte Planung der Beigeladenen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung bezogen auf die Wandhöhe nicht in die Umgebungsbebauung eingefügt habe, sei erwirkt worden, dass die Traufhöhe so reduziert wurde, dass diese die Traufhöhe des nördlich angrenzenden Grundstückes nicht überschreite. Ein entsprechender Tekturantrag wurde eingereicht und letztlich genehmigt.
Die Stellplätze entsprechend der Garagen- und Stellplatzverordnung seien im Rahmen des Bauantrages nachgewiesen worden. Die Vorschriften über die notwendige Anzahl der Stellplätze würden nach ständiger Rechtsprechung indes keinen Drittschutz vermitteln.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Streitgegenstand vorliegenden Antrages ist die sofortige Vollziehbarkeit der der Beigeladenen mit Bescheid des Antragsgegners vom 1. Juni 2021 erteilten Baugenehmigung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit Tiefgarage.
Der nach § 88 VwGO als Antrag gemäß §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 VwGO auszulegende Antrag ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Erhebt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte Baugenehmigung Anfechtungsklage, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die bundesgesetzlich gemäß § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Hierbei trifft das Gericht aufgrund der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene Ermessensentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind – die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Fällt die Erfolgsprognose zu Gunsten des Nachbarn aus, erweist sich die angefochtene Baugenehmigung nach summarischer Prüfung also als rechtswidrig im Hinblick auf nachbarschützende Vorschriften, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig auszusetzen. Hat dagegen die Anfechtungsklage des Nachbarn mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, so ist das im Rahmen der Interessenabwägung ein starkes Indiz für ein überwiegendes Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung. Bei offenen Erfolgsaussichten findet eine reine Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. etwa BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris; B.v. 23.2.2021 – 15 CS 21.403 – juris).
Nach diesen Grundsätzen muss der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage der Antragsteller ohne Erfolg bleiben. Im vorliegenden Fall überwiegen die Interessen der Bauherrin an der sofortigen Vollziehung der ihr erteilten Baugenehmigung, da die Anfechtungsklage der Antragsteller gegen den streitgegenständlichen Bescheid vom 1. Juni 2021 voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Die von dem Antragsgegner erteilte Baugenehmigung verletzt nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage aller Voraussicht nach die Antragsteller nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Antragsteller können die streitgegenständliche Baugenehmigung mit dem Ziel der (teilweisen) Aufhebung nur dann erfolgreich anfechten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, welche auch dem nachbarlichen Schutz dienen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und Gegenstand des vorliegenden vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens gemäß Art. 59 Satz 1 BayBO sind.
Derartige Vorschriften sind hier aller Voraussicht nach nicht verletzt.
1. Die Antragsteller können sich nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht erfolgreich auf eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs bzw. Gebietsprägungserhaltungsanspruchs berufen.
a) Planungsrechtlich beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens hinsichtlich der Art der Nutzung nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 3 oder § 4 BauNVO.
Das Baugrundstück befindet sich ebenso wie das Grundstück der Antragsteller aufgrund der in der relevanten näheren Umgebung vorhandenen Bebauung in einem faktischen Mischgebiet oder allgemeinen Wohngebiet. Demnach ist das streitgegenständliche Wohnbauvorhaben nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 bzw. § 4 BauNVO allgemein zulässig. Selbst wenn man, wie die Stadt …, von einem Mischgebiet ausgehen wollte, ist durch das inmitten stehende Wohnbauvorhaben nach summarischer Prüfung insbesondere auch kein „Umkippen“ des Gebietscharakters zu befürchten.
b) Den Antragstellern steht auch kein § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO zu entnehmender Abwehranspruch in Gestalt des sogenannten Gebietsprägungserhaltungsanspruchs zu.
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Gebietsart widersprechen.
In seinem Beschluss vom 13. Mai 2002, 4 B 86.01 – juris, hat das Bundesverwaltungsgericht diesbezüglich ausgeführt, dass in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nicht nur das Gebot der Rücksichtnahme verankert ist, sondern auch ein Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung des Baugebiets.
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg meint, dass § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO eine einzelfallbezogene „Feinabstimmung“ bezwecke, in dem er Anlagen und Nutzungen, die nach der „Grobabstimmung“ der § 2 bis 14 BauNVO zulässig sind, unter den genannten Voraussetzungen als nicht genehmigungsfähig bewertet (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.7.2001 – 5 S 1093.00 – juris).
Nach diesem speziellen Gebietsprägungserhaltungsanspruch könnte ein allgemein oder ausnahmsweise zulässiges, also im Einklang mit den Vorgaben der Baunutzungsverordnung zur Gebietsart stehendes Vorhaben dennoch unzulässig sein wegen Widerspruchs des Vorhabens zur allgemeinen Zweckbestimmung des maßgeblichen Baugebiets (vgl. Decker, JA 2007, 55/57). Ein solch an sich zulässiges, aber gebietsunverträgliches Vorhaben könnte damit vom Nachbarn ohne konkrete und individuelle Betroffenheit abgewehrt werden.
Jedoch ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung bereits die Existenz eines derartigen besonderen Gebietsprägungserhaltungsanspruchs umstritten (vgl. etwa BayVGH, B.v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482 – juris; B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris).
Die seitens der Antragsteller bemühten Kriterien hinsichtlich der Höhe und Größe des streitgegenständlichen Bauvorhabens betreffen ausschließlich das Maß der baulichen Nutzung, mithin Kriterien, die vorliegend bauleitplanerisch nicht geregelt sind, die jedoch nur bei entsprechendem Planungswillen der Gemeinde überhaupt drittschützende Wirkung vermitteln können. Durch die vorliegend mit dem streitgegenständlichen Vorhaben verfolgte Zweckbestimmung der Wohnnutzung wird hingegen kein Widerspruch zur Zweckbestimmung des Baugebietes begründet. Ein Vorhaben, das wie das streitgegenständliche in dem gegebenen Mischgebiet bzw. allgemeinen Wohngebiet allgemein zulässig ist, wahrt die Zweckbestimmung des inmitten stehenden Baugebietes und kann deshalb in aller Regel nicht an einem Gebietsprägungserhaltungsanspruch scheitern.
Etwas Anderes könnte ausnahmsweise allenfalls dann anzunehmen sein, wenn – in Ansehung des in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO genannten Kriteriums „Umfang“ – im Einzelfall „Quantität in Qualität“ umschlägt, d. h., wenn die Größe der baulichen Anlage die Zulässigkeit der Nutzungsart erfassen und beeinflussen kann (vgl. z. B. BayVGH, B.v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris).
Für diese Annahme ist es jedoch nötig, dass wegen der Dimensionen der Anlage eine neue Art der baulichen Nutzung ins Baugebiet hineingetragen wird. Dies ist vorliegend unter Berücksichtigung der in der näheren Umgebung bereits vorhandenen Bebauung sowie der Größenverhältnisse des streitgegenständlichen Vorhabens mit insgesamt 17 Wohnungen nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aller Voraussicht nach zu verneinen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass ausnahmsweise „Quantität in Qualität“ umschlagen könne, mithin die Größe einer baulichen Anlage die Art der baulichen Nutzung erfassen könne, so weisen Wohngebäude wie das streitgegenständliche keine Größe auf, die es erlauben würde, von einer gegenüber der vorhandenen Bebauung andersartigen Nutzung zu sprechen.
2. Die Antragsteller werden durch das streitgegenständliche Vorhaben aller Voraussicht nach auch nicht in dem Nachbarschutz vermittelnden Rücksichtnahmegebot verletzt, welches sich vorliegend – mit Ausnahme der Art der baulichen Nutzung, für welche insoweit § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. §§ 4 oder 6, 15 BauNVO Geltung beansprucht – aus dem in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Begriff des „Einfügens“ ergibt.
In Bezug auf das hier in Rede stehende Innenbereichsvorhaben kann das Vorbringen zum fehlenden Einfügen aufgrund der Dimensionen des streitgegenständlichen Gebäudes schon deshalb nicht zum Erfolg der Klage führen, weil § 34 Abs. 1 BauGB hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung grundsätzlich keinen Drittschutz vermittelt, sondern es für die Verletzung von nachbarlichen Rechten der Antragsteller allein darauf ankommt, ob das Vorhaben die mit dem Gebot des Einfügens (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) geforderte Rücksichtnahme wahrt (vgl. BayVGH, B.v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 26 m.w.N; B.v. 4.7.2016 – 15 ZB 14.891 – juris Rn. 8 m.w.N.; B.v. 12.2.2019 – 9 CS 18.2305 – BeckRS 2019, 2299 Rn. 14).
Nachbarrechte werden insoweit nur dann verletzt, wenn durch das Bauvorhaben unzumutbare Auswirkungen auf die Nachbargrundstücke entstehen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 14.6.2007 – 1 CS 07.265 – juris).
Vorliegend sind solch unzumutbare Belästigungen durch das streitgegenständliche Bauvorhaben, welche den Antragstellern ein Abwehrrecht einräumen würden, nach Auffassung des Gerichtes aller Voraussicht nach nicht zu befürchten.
a) Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängen von den Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommen soll, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben ver-folgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzu-muten ist (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 4 C 6.98 – juris; U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04 – juris).
Entspricht ein Bauvorhaben – wie das streitgegenständliche – den bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften, ist für eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme grundsätzlich kein Raum mehr (vgl. BVerwG, B.v. 27.3.2018 – 4 B 50.17 – juris; U.v. 11.1.1999 – 4 B 128/98 – juris). Nur in Ausnahmefällen kann eine bauliche Anlage dennoch eine einmau-ernde oder erdrückende Wirkung entfalten (vgl. BVerwG, U.v. 11.1.1999, a.a.O.; BayVGH, B. v. 2.10.2018 – 2 ZB 16.2168 – juris). Eine solche ist nur anzunehmen, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem er diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die Größe des „erdrü-ckenden“ Gebäudes aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles derart übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden Gebäude“ dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird (vgl. BayVGH, B.v. 2.10.2018, a.a.O.). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung sind die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B.v. 17.7.2013 – 14 ZB 12.1153 – juris; B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris; B.v. 12.9.2013 – 2 ZS 13.1351 – juris). In der ober-gerichtlichen bzw. höchstrichterlichen Rechtsprechung wurde dies bislang etwa angenommen bei einem zwölfgeschossigen Gebäude in Entfernung von 15 m zum Nachbarwohnhaus oder beispielsweise bei drei 11 m hohen Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem Wohnanwesen (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2006 – 1 ZB 04.3506 – juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen gehen von dem Bauvorhaben keine unzumutbaren Beeinträchtigungen aus, die zu einem Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme führen würden. Eine ausnahmsweise Unzumutbarkeit trotz Einhaltung der Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO ist nicht zu erkennen. Das entstehende Mehrfamilienhaus ist im Vergleich zur Umgebungsbebauung insbesondere nicht übergroß (vgl. BayVGH B.v. 11.5.2010 und 17.7.2013, a.a.O.). Es befinden sich mehrere Mehrfamilienhäuser ähnlicher Dimensionierung in der näheren Umgebung. Das geplante Gebäude befindet sich auch nicht derart am – grenznah erbauten – Antragstellergebäude, welches überdies lediglich an seiner nordöstlichen Ecke nur auf einer Länge von circa 2 m an das Vorhabengrundstück angrenzt, dass Belichtung, Belüftung und Besonnung nicht mehr sichergestellt wären. Dies gilt nicht zuletzt auch im Hinblick darauf, dass zwischen der südwestlichen Gebäudeecke des streitgegenständlichen Vorhabens und dem Wohngebäude auf dem Antragstellergrundstück ein Abstand von rund 17 m vorhanden ist. Für die Frage der Rücksichtslosigkeit ist richtigerweise nicht nur auf den Abstand des Bauvorhabens zur gemeinsamen Grundstücksgrenze (vorliegend circa 13 m) abzustellen, vielmehr ist auch der Abstand des auf dem Antragstellergrundstück vorhandenen Wohngebäudes zur Grundstücksgrenze hin zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 30.9.2015 – 9 CS 15.1115 – juris).
b) Auch im Hinblick auf die Zufahrtsituation zum und der Abfahrtsituation vom Baugrundstück sowie die Auswirkungen auf den öffentlichen Verkehr erweist sich das streitgegenständliche Vorhaben voraussichtlich nicht als rücksichtslos.
Vorliegend ist keine gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßende Immissionsbelastung durch den An- und Abfahrtsverkehr sowie Parksuchverkehr der Bewohner oder deren Besucher zu erkennen.
Grundsätzlich sind die von einer zulässigen Grundstücksnutzung ausgelösten, mit dem Zu- und Abfahrtsverkehr und dem Parken zusammenhängenden Auswirkungen als dem Nachbarn zumutbar und damit nicht rücksichtslos hinzunehmen. Vorliegend ist insbesondere im Hinblick auf die genehmigte Gesamtzahl der Tiefgaragenplätze nicht davon auszugehen, dass durch deren Nutzung für die Antragsteller Lärmimmissionen entstehen, die über dem zugrunde zulegenden Rahmen der oben erwähnten Sozialadäquanz liegen. Bereits in seinem Urteil vom 7. November 1977 – 256. II/75 – BayVBl 1978, 243, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass der Zu- und Abfahrtsverkehr, der durch eine den Stellplatzbedarf einer Wohnanlage dienenden Tiefgarage entsteht, in einem dicht bebauten Stadtteil einer Großstadt grundsätzlich üblich und zumutbar ist. Des Weiteren führt er in seiner Entscheidung vom 7. Mai 2019, 9 ZB 17.53 – juris, Folgendes aus: „Sowohl in (faktischen) allgemeinen als auch in reinen Wohngebieten – wie hier – sind Stellplätze und Garagen für den durch die zugelassene Nutzung notwendigen Bedarf gemäß § 12 Abs. 2 BauNVO zulässig. Die Vorschrift begründet für den Regelfall auch hinsichtlich der durch die Nutzung verursachten Lärmimmissionen eine Vermutung der Nachbarverträglichkeit. Der Grundstücksnachbar hat deshalb die Errichtung notwendiger Garagen und Stellplätze für ein Wohnbauvorhaben und die mit ihrem Betrieb üblicherweise verbundenen Immissionen der zu- und abfahrenden Kraftfahrzeuge des Anwohnerverkehrs grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen (vgl. BayVGH, B. v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 34 m.w.N.; BayVGH, B. v. 30.3.2019 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 43 m.w.N.).“ Ferner führt er in dieser Entscheidung aus, dass im Hinblick auf die dort genehmigte Gesamtzahl von 18 Tiefgaragenplätzen nicht davon ausgegangen werden könne, dass durch deren Nutzung Lärmbelastungen ausgelöst würden, die über den genannten Rahmen der Sozialadäquanz hinausgingen. Vielmehr lasse sich abschätzen, und das gilt für vorliegende Entscheidung ebenso, dass diese Stellplätze am Tag eine vergleichsweise mäßige Nutzung mit sich brächten. Auch sei nicht zu erwarten, dass ein nennenswerter Teil der Bewegungen in der Nachtzeit erfolgen werde. Überdies hat die Errichtung einer Tiefgarage gegenüber einer oberirdischen Anordnung von Stellplätzen den Vorteil, dass dadurch mit dem Parken und Abfahren verbundene Geräuschbelästigungen, wie z.B. das Schlagen von Autotüren und das Starten von Motoren, weitgehend abgeschirmt würden (vgl. BVerwG, B.v. 20.3.2003 – 4 B 59.02 – juris).
Auch soweit die Antragsteller vorbringen, dass sie durch ein zunehmendes Verkehrsaufkommen in der näheren Umgebung in ihren Rechten verletzt seien, kann diesbezüglich nach summarischer Prüfung keine abwehrfähige Rücksichtslosigkeit durch das streitgegenständliche Bauvorhaben erkannt werden.
Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme kann zwar grundsätzlich in Betracht kommen, wenn sich die Erschließungssituation eines Grundstücks etwa durch eine vorhabenbedingte Überlastung einer das Grundstück des Betroffenen erschließenden Straße oder durch unkontrollierten Parksuchverkehr erheblich verschlechtert. Auch kann eine unzureichende Stellplatzzahl eines Bauvorhabens gegenüber den Eigentümern der vom Verkehr betroffenen Grundstücke im Einzelfall – ausnahmsweise im bauplanungsrechtlichen Sinne rücksichtslos sein (BayVGH, B.v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482 – juris). Hierfür bestehen im vorliegenden Fall jedoch keine Anhaltspunkte. Mit einem erheblichen – über die Wohnnutzung hinausgehenden – Fußgänger- bzw. Fahrzeugverkehr ist vorliegend nicht zu rechnen (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2011 – 2 CS 11.2149 – juris). Die mit einem Wohnbauvorhaben üblicherweise verbundenen Verkehrsbelastungen sind grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris). Individuelles Fehlverhalten ist städtebaulich nicht relevant; dem ist gegebenenfalls mit Mitteln des Ordnungsrechts zu begegnen (BVerwG, B.v. 6.12.2011 – 4 BN 20.11 – juris). Das den Antragstellern durch das Eigentum vermittelte Recht zur bestimmungsgemäßen Nutzung ihres Grundstücks begründet auch kein Recht darauf, dass eine bisher gegebene Verkehrslage aufrechterhalten bleibt (VG München, U.v. 26.2.2018 – M 8 K 16.2434 – juris). Im Übrigen grenzt das Antragstellergrundstück an die …Straße an, während das streitgegenständliche Baugrundstück von der … Straße erschlossen wird. Besonders beengte Verhältnisse sind vorliegend ebenfalls nicht ersichtlich.
Fehlt es nach alldem an einer Verletzung der Antragsteller in ihnen zukommenden drittschützenden Rechten, so bleibt ihre Klage erfolglos. Mithin war der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragsteller gegen den der Beigeladenen erteilten Baugenehmigungsbescheid des Antragsgegners vom 1. Juni 2021 abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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