Baurecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung, Abstandsflächenübernahme, Hammerstielgrundstück

Aktenzeichen  M 8 K 20.3395

Datum:
2.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 15203
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34
BayBO Art. 6

 

Leitsatz

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Baugenehmigung vom 21. April 2020 verletzt keine nachbarschützenden Vorschriften, die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind und auf die sich der Kläger berufen kann, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 59 BayBO.
1. Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20, 22). Für den Erfolg eines Nachbarrechtsbehelfs genügt es daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren auch keine umfassende Rechtskontrolle statt, vielmehr hat sich die gerichtliche Prüfung darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch vermitteln, verletzt werden. Die Baugenehmigung muss dabei gegen eine im Baugenehmigungsverfahren – hier das vereinfachte Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO – zu prüfende Vorschrift verstoßen. Auf Bauordnungsrecht beruhende Nachbarrechte können durch eine Baugenehmigung nur dann verletzt werden, wenn diese bauordnungsrechtlichen Vorschriften im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind.
2. Das Vorhaben verstößt nicht gegen drittschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts, welche im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, Art. 59 Satz 1 Nr. 1a BayBO i.V.m. §§ 29 ff. BauGB.
Bauplanungsrechtlicher Nachbarschutz ist hier, da das Baugrundstück im Geltungsbereich eines einfachen Bebauungsplans und im Übrigen im Innenbereich liegt, aus § 30 Abs. 3 BauGB i.V.m. § 34 BauGB herzuleiten.
Vorliegend ist weder eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs (vgl. hierzu: BayVGH, U.v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – BayVBl 2013, 51 – juris Rn. 27 m.w.N.) noch eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme – wobei dahinstehen kann, ob sich das Gebot der Rücksichtnahme aus dem Begriff des „Einfügens“ des § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO ableitet, da im Ergebnis dieselbe Prüfung stattzufinden hat (vgl. BayVGH, B.v.12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4) – gerügt oder anhand der beim Augenschein und dem Studium von öffentlich zugänglichen Lichtbildern („Google Maps“) gewonnenen Erkenntnisse sowie anhand des Inhalts der Gerichts- und vorgelegten Behördenakten erkennbar. Das beantragte Wohngebäude fügt sich ohne Weiteres in die dortige Wohngegend ein. Aufgrund der Höhenentwicklung (E+I+D und Souterrain+E+D bei einem Abstand von ca. 6,50 m) und Stellung der Gebäude zueinander ist auch eine „erdrückende“ oder „einmauernde“ Wirkung bzw. eine unzumutbare Verschattung oder Lärmbelastung zulasten des Nachbargrundstücks ausgeschlossen. Weitergehende Abwehransprüche stehen dem Kläger nicht zu. Ob das Gebäude sich im Übrigen nach den Vorschriften des Bauplanungsrechts einfügt, ist daher ohne Belang.
3. Das Vorhaben verstößt ferner nicht gegen (zumindest auch) dem Nachbarschutz dienende Vorschriften des Bauordnungsrechts, welche im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren, insbesondere nicht gegen die Vorschriften des Abstandsflächenrechts, Art. 59 Satz 1 Nr. 1b) BayBO i.V.m. Art. 6 BayBO. Das Vorhaben hält die erforderlichen Abstandsflächen, insbesondere zum Nachbargrundstück hin ein.
3.1. Die Bayerische Bauordnung wurde insbesondere hinsichtlich des Abstandsflächenrechts zum 1. Februar 2021 geändert. Bei der Anfechtung einer Baugenehmigung durch einen Nachbarn ist grundsätzlich auf die Umstände zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung abzustellen. Änderungen zu Lasten des Bauherrn werden nicht berücksichtigt, selbst wenn sie während eines laufenden Rechtsbehelfsverfahrens eintreten. Hat sich dagegen die Sach- und Rechtslage zugunsten des Bauherrn geändert, ist materiell-rechtlich auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BayVGH, B.v. 18.1.2010 – 1 ZB 07.3187 – juris Rn. 12, m.w.N.). Vorliegend hat das Abstandsflächenrecht jedoch in den hier maßgeblichen Bereichen für das Gebiet der Beklagten keine inhaltliche Änderung erfahren (vgl. insbesondere zum sog. „16-m-Privileg“: Gesetzesbegründung, LT-Drs. 18/8547, S. 14; Kraus/Hahn in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: September 2021, Art. 6 Rn. 336 ff., 343), so dass hier auf das zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung geltend Abstandsflächenrecht abzustellen ist.
3.2. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO aF sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Abstandsflächen müssen auf dem Grundstück selbst liegen. Sie dürfen auch auf öffentlichen Verkehrs-, Grün- und Wasserflächen liegen, jedoch nur bis zu deren Mitte. Abstandsflächen dürfen sich zudem ganz oder teilweise auf andere Grundstücke erstrecken, wenn rechtlich oder tatsächlich gesichert ist, dass sie nicht überbaut werden, oder wenn der Nachbar gegenüber der Bauaufsichtsbehörde schriftlich, aber nicht in elektronischer Form, zustimmt; die Zustimmung des Nachbarn gilt auch für und gegen seinen Rechtsnachfolger. Abstandsflächen dürfen auf die auf diesen Grundstücken erforderlichen Abstandsflächen nicht angerechnet werden, Art. 6 Abs. 2 Sätze 1 bis 4 BayBO aF.
Die Tiefe der Abstandsfläche bemisst sich nach der Wandhöhe, Art. 6 Abs. 4 Satz 1, Halbsatz 1 BayBO aF. Die Höhe von Dächern mit einer Neigung von mehr als 70 Grad wird voll, von Dächern mit einer Neigung von mehr als 45 Grad zu einem Drittel hinzugerechnet. Die Höhe der Giebelflächen im Bereich des Dachs ist bei einer Dachneigung von mehr als 70 Grad voll, im Übrigen nur zu einem Drittel anzurechnen, Art. 6 Abs. 4 Sätze 3 und 4 BayBO aF. Das sich ergebende Maß ist H, Art. 6 Abs. 4 Satz 6 BayBO aF.
Die Abstandsflächen beträgt 1 H, mindestens 3 m, Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO aF. Vor zwei Außenwänden von nicht mehr als 16 m Länge genügt nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 1 BayBO aF als Tiefe der Abstandsflächen die Hälfte der nach Art. 6 Abs. 5 erforderlichen Tiefe (= 1 H), mindestens jedoch 3 m, sog. „16-m- oder Schmalseitenprivileg“. Wird ein Gebäude mit einer Außenwand an eine Grundstücksgrenze gebaut, gilt Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO aF nur noch für eine Außenwand; wird ein Gebäude mit zwei Außenwänden an Grundstücksgrenzen gebaut, so ist Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO aF nicht anzuwenden, Art. 6 Abs. 6 Satz 2 BayBO aF.
3.3. Der Kläger kann sich darauf berufen, dass nicht nur die Abstandsflächen gegenüber seinem Grundstück eingehalten werden, sondern auch darauf, dass die Voraussetzungen des „16-Meter-Privilegs“ insgesamt vorliegen.
Die Anwendung des „16-m-Privilegs“ setzt voraus, dass vor den Außenwänden der anderen Gebäudeseiten die „vollen“ Abstandsflächen eingehalten werden (vgl. BayVGH, GrS, B.v. 17.4.2000 – GS 1.1999 – NVwZ-RR 2001, 291).
Grundsätzlich kann eine Verkürzung einer Abstandsflächentiefe zwar nur den Nachbarn in seinen Rechten verletzen, dessen Grundstück der betreffenden Außenwand gegenüberliegt (vgl. BayVGH, Großer Senat, B.v. 17.4.2000 – GS 1/1999 – 14 B 97.2901 – VGH n.F. 53, 89/95 f.; BayVGH, U.v. 29.10.2015 – 2 B 15.1431 – BayVBl 2016, 18.11.201; B.v. 18.11.2019 – 2 CS 19.1891 – juris Rn. 5). Für das sog. „16 m-Privileg“ ist jedoch entschieden, dass sich der Nachbar auch darauf berufen kann, dass durch eine Verkürzung der Abstandsflächentiefen an den abgewandten Gebäudeseiten zugleich die gesetzlichen Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO aF entfallen (vgl. BayVGH, Großer Senat, B.v. 14.7.2000 – GS 1/1999 – 14 B 97.2901 – VGH n.F. 53, 89/96; BayVGH, B.v. 18.11.2019 – 2 CS 19.1891 – juris Rn. 5).
3.4. Das Vorhaben hält die erforderlichen Abstandsflächen ein. Fehler im genehmigten Abstandsflächenplan sind insoweit nicht auszumachen.
Die nördliche Giebelseite hält 1 H zur Straßenmitte ein. Bei einer Wandhöhe von 5,99 m und einer Höhe der Giebelfläche von 4,445 m bei einer Dachneigung von 40° (Schnitt A-A und Ansicht Nord) fällt eine Abstandsfläche von H = 7,47 m an. Der Abstand zur schräg zur Grundstücksgrenze verlaufenden Straßenmitte beträgt an der engsten Stelle ca. 9,10 m (abgegriffen). Die für den Balkon im 1. OG erforderliche Abstandsfläche von H = 3,895 m (Höhe Balkongeländer 3,895 m) kommt in der Abstandsfläche der Giebelseite zu liegen.
Für die südliche Giebelseite beträgt die Abstandsfläche H = 7,30 m, da hier das geplante Gelände geringfügig höher ist (5,99 m – 0,16 m + 4,445m / 3). Für den Balkon im Dachgeschoss (Geländeroberkante) beträgt 1 H = 6,52 m (6,69m – 0,17m). Die Wandhöhe des zweigeschossigen, der Giebelfläche vorgelagerten Gebäudeteils beträgt 5,99 m – 0,17 m, sodass 1 H = 5,82 m entspricht. Die Traufhöhe des eingeschossigen Vorbaus liegt bei 3,09 m (= 1 H), die Höhe des Balkongeländers bei 3,89 m (= 1 H). Das Balkongeländer wurde mit Handeintrag vom 22. Januar 2020 zum Teil abgestrichen und um 0,2 m nach Norden zurückversetzt. Für die Südseite des Anwesens ist für die Einhaltung der Abstandsflächen nicht der Abstand zur Grundstücksgrenze maßgeblich, sondern der Abstand bis zu dem Geländestreifen, welcher mit einer Abstandsflächenübernahme zugunsten des Hinterliegergrundstücks belastet ist. Die Breite dieses Streifens beträgt 1,0 m. Der Abstand zu dieser „Grenze“ beträgt für die Gebäudeaußenwand ca. 9,20 m, für das Balkongeländer im Dachgeschoss ca. 7,0 m, für den zweigeschossigen Vorbau ca. 6,60 m, für das Balkongeländer im 1. OG ca. 4,10 m und für den eingeschossigen Erker ca. 3,8 m (jeweils abgegriffen). Die Abstandsflächen sind eingehalten.
Da das Vorhaben an den beiden Giebelseiten jeweils 1 H einhält, darf an den beiden Längsseiten auf einer Länge von jeweils bis zu 16 m das sogenannte „Schmalseitenprivileg“ in Anspruch genommen werden.
Die Tiefe der Abstandsfläche (½ H) auf der Westseite beläuft sich bei einer Wandhöhe von 5,99 m und einer Dachneigung von 40° auf die die gesetzliche Mindesttiefe von 3,0 m, was dem Abstand zur Grundstücksgrenze zur Fl.Nr. … entspricht. Der Abstand zur Grundstücksgrenze von dem nach Osten abgerückten Balkongeländer auf dem zweigeschossigen Vorbau (Giebelseite im Süden) beträgt ca. 5,30 m, sodass auch in diesem Bereich ½ H (6,52 m / 2) eingehalten ist. Der eingeschossige Erker an der südlichen Giebelseite vermag die dort wiederum anfallenden vollen Abstandsflächen – die Gebäudeaußenwand beträgt ohne Erker ca. 15,675 m (Grundriss OG) – von 1 H = 3,72 (3,895 m – 0,17 m) bei einem Abstand zur Grundstücksgrenze von ca. 3,90 m (abgegriffen) ohne weiteres einzuhalten. Auch die volle Abstandsfläche mit einer Tiefe von 3,895 m des westlichen Balkongeländers des Balkons im 1.OG an der nördlichen Giebelseite ist bei einem Abstand zur Grundstücksgrenze von ca. 5,50 m (abgegriffen) eingehalten.
Die östliche Außenwand des Gebäudes wird zwar auf der östlichen Grundstücksgrenze des Baugrundstücks errichtet. Allerdings handelt es sich hier nicht um ein Grenzgebäude im Sinne des Art. 6 Abs. 6 Satz 2 BayBO aF. Die Beschränkungen nach Art. 6 Abs. 6 Satz 2 BayBO aF greifen vorliegend nicht, weil die östliche Außenwand wegen der Übernahme der Abstandsfläche auf das Hinterliegergrundstück nicht „an die Grundstücksgrenze“ im Sinne dieser Vorschrift gebaut wird (vgl. BayVGH; B.v. 5.3.2007 – 2 CS 07.81 – BeckRS 2007, 29356).
Die östliche Außenwand weist (ohne Erker an den Giebelseiten) eine Länge von 15,675 m auf (Grundriss OG). Die hälftige Abstandsfläche auf der Ostseite beträgt bei einer Wandhöhe von 5,99 m und einer Dachneigung von 40° ebenfalls 3,0 m (Mindestabstandsfläche). Für den zweigeschossigen südlichen Vorbau mit Balkon kann ebenso das „Schmalseitenprivileg“ in Anspruch genommen werden, ½ H beträgt dort 3,27 m (6,69 – 0,17 m / 2). Der Abstand zum Nachbargrundstück beläuft sich für die östliche Außenwand auf 3,0 m, für das nach Westen zurückversetzten Balkongeländer im DG auf ca. 5,30 m (abgegriffen), so dass die erforderlichen Abstandsflächen eingehalten sind. Für den eingeschossigen Erker mit Balkongeländer im 2.OG an der südlichen Giebelseite – dieser ist von der östlichen Grundstücksgrenze nach Westen abgerückt – fallen wieder die vollen Abstandsflächen an. Der Abstand zum Nachbargrundstück beträgt in diesem Bereich ca. 7,10 m (abgegriffen), sodass 1 H (3,89 – 0,13 m) ohne weiteres eingehalten ist. Auch die volle Abstandsfläche von 1 H = 3,895 m für das Balkongeländer im 1.OG an der nördlichen Giebelseite ist zum Nachbargrundstück hin eingehalten, der Abstand zur Grundstücksgrenze beträgt dort ca. 5,0 m (abgegriffen).
3.5. Die Abstandsflächen an der östlichen Außenwand des Nachbargebäudes kommen nicht auf dem Grundstück selbst zu liegen. Sie fallen auf die Zuwegung zum Hinterliegergrundstück. Diese Fläche kann jedoch durch das Nachbargrundstück in Anspruch genommen werden, Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO aF. Aufgrund der Grunddienstbarkeit/Abstandsflächenübernahme steht dem Baugrundstück die Zuwegung zur Verfügung. Dass die erfolgte Abstandsflächenübernahme fehlerhaft oder unwirksam sein könnte, ist weder dargetan noch ersichtlich.
Durch die Abstandsflächenverlagerung auf das Nachbargrundstück wird im Ergebnis das Baugrundstück unter abstandsflächenrechtlichen Gesichtspunkten erweitert. Mit der Zulässigkeit der Erstreckung von Abstandsflächen auf das Nachbargrundstück berücksichtigt das Gesetz, dass die Zielsetzungen der Abstandsflächen nicht notwendig verlangen, dass diese auf dem Baugrundstück liegen müssen, sondern dass nach Sinn und Zweck des Abstandsflächenrechts – also Sicherstellung einer ausreichenden Besonnung, Belichtung, Belüftung – lediglich ein ausreichender Abstand zwischen den einzelnen baulichen Anlagen ohne Rücksicht auf den katastermäßigen Verlauf der Grundstücksgrenze einzuhalten ist (Hahn in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: September 2021, Art. 6 Rn. 97 f.).
Dass der Kläger hinsichtlich der Schutzgüter des Abstandsflächenrechts – Belichtung, Belüftung und Besonnung – durch die für Bau- und Hinterliegergrundstück gewählte katastermäßigen Aufteilung nicht benachteiligt oder schlechter gestellt wird, zeigt sich bereits daran, dass im Falle einer Verschmelzung der beiden Grundstücke bzw. bei Verlegung der Zufahrt die Abstandsflächen für das Bauvorhaben in genau demselben Umfang wie vorliegend anfallen würden.
3.6. Selbst wenn die Abstandsflächenübernahme fehlerhaft oder unwirksam wäre, könnte der Kläger die Zuwegung des Hinterliegergrundstücks nicht, auch nicht hälftig für eigene Abstandsflächen in Anspruch nehmen. In diesem Fall wäre der „Hammerstiel“ als eine aufgrund der Verhältnisse aus tatsächlichen Gründen nicht überbaubare Fläche anzusehen, Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO aF. Zwar können nach der Rechtsprechung – worauf der Kläger zu Recht hinweist – in den Fällen, in denen die rechtlich oder tatsächlich nicht überbaubaren Flächen eines Nachbargrundstücks zwei Grundstücken, nämlich dem Grundstück des Bauherrn und dem Grundstück eines anderen Nachbarn, zugutekommen könnte, entsprechend dem Rechtsgedanken des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO aF der Bauherr und der andere Nachbar die nicht überbaubare Fläche des Nachbargrundstücks jeweils zur Hälfte beanspruchen (Hahn in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: September 2021, Art. 6 Rn. 110 und 118). Denn nicht überbaubare Flächen privater Grundstücke sind abstandsflächenrechtlich grundsätzlich den benachbarten bebaubaren Grundstücken zu gleichen Teilen zugeordnet (vgl. BayVGH, B.v. 29.9.2004 – 1 CS 04.340 – NVwZ-RR 2005, 389, dort in entsprechender Anwendung des Art. 6 Abs. 7 BayBO 1998, wonach in die Abstandsflächen öffentliche Verkehrsflächen, öffentliche Grünflächen und öffentliche Wasserflächen zur Hälfte eingerechnet wurden). Dies gilt allerdings nur für den Fall, dass die jenseits der Zuwegung gelegenen Grundstücke und das Hammerstielgrundstück bzw. die nicht überbaubaren Flächen jeweils verschiedenen Eigentümern gehören. Grenzen jedoch – wie hier – an einer Seite Grundstücke der Eigentümer der nicht überbaubaren Fläche (Baugrundstück und Hinterliegergrundstück sind zwischenzeitlich in der Hand eines Eigentümers) und auf der gegenüberliegenden Seite Grundstücke von Dritten an, ist die nicht überbaubare Fläche in vollem Umfang den Eigentümergrundstücken zugeordnet (BayVGH, B.v. 29.9.2004 – 1 CS 04.340 – NVwZ-RR 2005, 389).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da er keinen Sachantrag gestellt und sich dadurch auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 162 Abs. 3 VwGO, § 154 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 ff. ZPO.


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