Baurecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung bei Erschließung des Baugrundstücks über ein eingetragenes Geh- und Fahrtrecht

Aktenzeichen  M 1 K 15.4559

Datum:
15.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 14
BGB BGB § 917
BayBO BayBO Art. 68

 

Leitsatz

Eine unanfechtbare Baugenehmigung bewirkt kraft ihrer Tatbestandswirkung einen unmittelbaren Eingriff in das Grundrecht eines Nachbarn auf Eigentum nach Art. 14 Abs. 1 GG, wenn der Nachbar aufgrund dieser Baugenehmigung ein Notwegerecht nach § 917 Abs. 1 BGB zu dulden hat. Ein solcher Grundrechtseingriff liegt aber dann nicht vor, wenn zugunsten des Baugrundstücks ein Geh- und Fahrtrecht auf dem Nachbargrundstück eingetragen ist, welches die Zuwegung zum Baugrundstück sicherstellt. In einem solchen Fall kann der Eigentümer aufgrund dieses mit der Grunddienstbarkeit belasteten Grundstücks keinen Grundrechtseingriff geltend machen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kläger haben als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Baugenehmigung vom 16. September 2015, die das Landratsamt der Beigeladenen erteilt hat, ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO).
1. Ein Nachbar hat einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung nicht schon dann, wenn diese objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr ist Voraussetzung, dass er durch diese Baugenehmigung gerade in eigenen Rechten verletzt wird. Das ist nur dann der Fall, wenn die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat.
2. Ob die Erschließung des Grundstücks der Beigeladenen durch die über die westlich angrenzenden Grundstücke FlNr. 479 und 480/1 führende Zufahrt „gesichert“ ist im Sinne von § 35 Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB), kann offen bleiben, da jedenfalls die Kläger als Dritte auf Beachtung dieser Regelung keinen Anspruch haben. Abgesehen davon spricht viel für das Vorliegen einer solchen im rechtlichen Sinn gesicherten Erschließung. Eine solche liegt dann vor, wenn damit gerechnet werden kann, dass sie bis zur Herstellung des Bauwerks funktionsfähig angelegt ist und wenn ferner damit zu rechnen ist, dass sie auf Dauer zur Verfügung stehen wird (BVerwG, U. v. 30.8.1985 – 4 C 48.81 – BauR 1985, 661 – juris Rn. 15, 20; BayVGH, U. v. 30.10.2014 – 15 B 13.2028 – juris Rn. 17). Durch die Eintragung eines Geh- und Fahrtrechts im Grundbuch an den Grundstücken FlNr. 479 und 480/1 zugunsten des Grundstücks FlNr. 480, auf dem das Vorhaben der Beigeladenen ausgeführt werden soll, kann die Erschließung gegenüber dem Eigentümer dieser Nachbargrundstücke zivilrechtlich durchgesetzt werden (Art. 68 Abs. 4 Bayerische Bauordnung – BayBO).
3. Eine Verletzung drittschützender Vorschriften zulasten der Kläger durch die Baugenehmigung vom 16. September 2015 liegt nicht vor, insbesondere droht diesen keine Beanspruchung ihres Grundstücks FlNr. 478 aufgrund eines Notwegerechts der Beigeladenen nach § 917 BGB und deshalb auch kein Eingriff in ihr Grundrecht auf Eigentum nach Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG).
Nach § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB kann ein Eigentümer eines Grundstücks, dem die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt, vom Nachbarn verlangen, dass dieser bis zur Behebung dieses Mangels die Benutzung seines Grundstücks zur Herstellung der erforderlichen Verbindung duldet. Wären die Kläger verpflichtet, aufgrund dieser Vorschrift der Beigeladenen die Benutzung ihres Grundstücks FlNr. 478 zu gestatten, käme die Verletzung drittschützender Vorschriften in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 26.3.1976 – IV C 7.74 – BVerwGE 50, 282 – juris Rn. 18 ff.; Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Stand: 1.9.2015, Art. 66 Rn. 275) bewirkt eine unanfechtbare Baugenehmigung kraft ihrer Tatbestandswirkung einen unmittelbaren Eingriff in das Grundrecht eines Nachbarn auf Eigentum nach Art. 14 Abs. 1 GG, wenn der Nachbar aufgrund dieser Baugenehmigung ein Notwegerecht nach § 917 Abs. 1 BGB zu dulden hat. In einem solchen Fall kommt es auf die Frage, wie schwer und unerträglich dieser Eingriff den Nachbarn trifft, nicht an (BVerwG, U. v. 26.3.1976 a. a. O. Rn. 22).
Ein solcher Grundrechtseingriff liegt aber dann nicht vor, wenn zugunsten des Baugrundstücks ein Geh- und Fahrtrecht auf dem Nachbargrundstück eingetragen ist, welches die Zuwegung zum Baugrundstück sicherstellt. In einem solchen Fall kann der Eigentümer dieses mit der Grunddienstbarkeit belasteten Grundstücks keinen Grundrechtseingriff geltend machen (BayVGH, B. v. 18.5.1986 – 26 ZB 05.3344 – juris Rn. 4). Das gilt aber auch für den vorliegenden Fall, wenn ein Nachbar, auf dessen Grundstück keine solche Belastung eingetragen ist, die Duldungspflicht eines Notwegerechts geltend macht, obwohl ein Geh- und Fahrtrecht zur Sicherung der Erschließung des Vorhabens als Belastung eines anderen Nachbargrundstücks eingetragen ist.
Die Beigeladene ist für die Zufahrt zum Baugrundstück auf eine Inanspruchnahme der südwestlichen Ecke des Grundstücks FlNr. 478 der Kläger nicht angewiesen. Hinweise darauf, dass die grundbuchrechtliche Sicherung der Erschließung mittels Geh- und Fahrtrechts gegenüber dem Eigentümer der belasteten Grundstücke zivilrechtlich nicht durchsetzbar sei (Art. 68 Abs. 4 BayBO), haben die Kläger nicht vorgetragen. Anhaltspunkte hierfür sind auch sonst nicht erkennbar, auch nicht aufgrund des von den Klägern in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Schreibens des Eigentümers der Nachbargrundstücke vom … März 2016. Weder aus diesem Schreiben selbst noch aus dem anwaltlichen Schreiben vom … November 2015 ergeben sich Hinweise auf eine rechtliche Undurchsetzbarkeit des eingetragenen Geh- und Fahrtrechts. Aus dem Schreiben geht lediglich hervor, dass der Eigentümer der Nachbargrundstücke mit dem genehmigten Verlauf der Zufahrtserschließung nicht einverstanden ist, sondern sich diesen flächensparend unmittelbar an der Grenze vorstellt.
Durch die von der Gemeinde … im Jahr 2012 vorgenommene Erweiterung des „gemeindlichen Wegs“ und seiner beschränkt öffentlichen Widmung auf Höhe des Eckstücks der FlNr. 478 unter Inanspruchnahme des westlich angrenzenden Grundstücks FlNr. 451 kann das Baugrundstück zudem mit Fahrzeugen erreicht werden, ohne dass das Eckstück des klägerischen Grundstücks überfahren werden muss.
3. Aus diesen Gründen ist die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) abzuweisen. Da die Beigeladene einen eigenen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, ist es angemessen, dass die Kläger auch deren außergerichtliche Kosten tragen (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 7.500,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – i. V. m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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