Baurecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung im Innenbereich und Einfügen des Bauvorhabens in die nähere Umgebung

Aktenzeichen  M 8 K 14.3232

Datum:
29.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 34 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Als „nähere Umgebung“ im Sinn von § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB ist der das Baugrundstück umgebende Bereich anzusehen, soweit sich die Ausführung des Vorhabens auf ihn auswirken kann und soweit er seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des zur Bebauung vorgesehenen Grundstücks prägt oder doch beeinflusst. Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich allerdings nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist.     (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage ist in der Sache nicht begründet, da die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 25. Juni 2014 in der Fassung der Änderungsgenehmigung vom 2. Februar 2015 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren ( BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung dieses Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 – 4 B 244/96, NVwZ 1998, 58 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 14.10.2008 – 2 CS 08.2132 – juris Rn. 3).
2. Da das beantragte Bauvorhaben keinen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO darstellt, wurde es zu Recht im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gemäß Art. 59 BayBO genehmigt. Da keine Abweichungen im Sinne des Art. 63 BayBO beantragt oder erteilt wurden und die Baugenehmigung auch nicht andere öffentlichrechtliche Entscheidungen substituiert, umfasst der Prüfungsmaßstab für das streitgegenständliche Vorhaben gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO nur die Übereinstimmung des Vorhabens mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB sowie den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO.
Nicht zum Prüfungsmaßstab gehören damit bauordnungsrechtliche Anforderungen, so dass daher die geltend gemachten Verstöße des Vorhabens gegen die Abstandsflächen des Art. 6 BayBO, die Anforderungen an die bauordnungsrechtliche Erschließung aus Art. 5 BayBO und aus der Garagen- und Stellplatzverordnung der Klage nicht zum Erfolg verhelfen können.
3. In bauplanungsrechtlicher Hinsicht bestimmt sich die Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB. Danach ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete im Sinne der Baunutzungsverordnung, beurteilt sich gemäß § 34 Abs. 2 BauGB die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Baunutzungsverordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre, wobei auf die nach der Baunutzungsverordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben § 31 Abs. 1 BauGB, im Übrigen § 31 Abs. 2 BauGB entsprechend anzuwenden ist.
Ob sich das Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung, nach der Bauweise und nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, denn die Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung, über die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, sind nach ganz herrschender Meinung nicht nachbarschützend (vgl. BVerwG, B.v. 11.3.1994 – 4 B 53/94, UPR 1994, 267 – juris Rn. 4; B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95, NVwZ 1996, 888 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 29.9.2008 – 1 CS 08.2201 – juris RdNr. 1; B.v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris Rn. 9; B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 3; B.v. 30.9.2014 – 2 ZB 13.2276 – juris Rn. 4; VG München, B.v. 12.7.2010 – M 8 SN 10.2346 – juris Rn. 53).
In bauplanungsrechtlicher Hinsicht verbleibt damit als möglicherweise nachbarschützendes Kriterium nur die Art der baulichen Nutzung und beurteilt sich das Vorhaben insoweit nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bzw. nach § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit der einschlägigen Baugebietsvorschrift der Baunutzungsverordnung. Insoweit kommt für den Fall, dass sich das Vorhaben mit den geplanten drei Büroeinheiten im Erdgeschoss nicht einfügt, ein Gebietserhaltungsanspruch der Klägerin in Betracht. Darüber hinaus kommt eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme in Betracht, wobei regelmäßig dahinstehen kann, ob sich dieses aus dem Begriff des „Einfügens“ des § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 15 Abs. 1 BauNVO ableitet, da im Ergebnis dieselbe Prüfung stattzufinden hat (BayVGH, B.v. 512.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 3; B.v. 30.9.2014 – 2 ZB 13.2276 – juris Rn. 4).
4. Als „nähere Umgebung“ im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist der das Baugrundstück umgebende Bereich anzusehen, soweit sich die Ausführung des Vorhabens auf ihn auswirken kann und soweit er seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des zur Bebauung vorgesehenen Grundstücks prägt oder doch beeinflusst (BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – BVerwGE 55, 369 – juris Rn. 33; B.v. 20.8.1988 – 4 B 79/88 – NVwZ-RR 1999, 105 – juris Rn. 7; BayVGH, U.v. 28.7.2004 – 2 B 03.54 – juris Rn. 21; U.v. 2.5.2006 – 2 B 05.787 – juris Rn. 15; B.v. 30.1.2013 – 2 ZB 12.198 – juris Rn. 3). Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich allerdings nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74.03 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 30.1.2013 – 2 ZB 12.198 – juris Rn. 3). In der Regel zählt zur maßgeblichen Umgebung das Straßenquartier, in dem sich das Vorhaben befindet bzw. bei größeren Straßenquartieren ein entsprechender Teil des Quartiers sowie die dem Vorhaben gegenüberliegende Straßenseite.
Vorliegend ist damit als nähere Umgebung die Bebauung innerhalb des Straßengevierts …straße/…straße/…straße/…straße/…straße heranzuziehen.
5. Die Klägerin kann sich gegen das Vorhaben und die im Erdgeschoss vorgesehene Büronutzung nicht mit Erfolg auf einen ihr zustehenden bauplanungsrechtlichen Gebietserhaltungsanspruch berufen. Dieser ist im Ergebnis darauf gerichtet, Vorhaben zu verhindern, die nach der Art der Nutzung weder regelmäßig noch ausnahmsweise in diesem Gebiet zulässig sind und setzt voraus, dass die Grundstücke in einem festgesetzten oder faktischen Baugebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung liegen (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91, BVerwGE 94, 151 – juris Rn. 13).
5.1 Der Gebietsbewahrungs- bzw. Gebietserhaltungsanspruch wurde vom Bundesverwaltungsgericht im vorgenannten Urteil vom 16. September 1993 als neues Rechtsinstitut des öffentlichrechtlichen Nachbarschutzes begründet und zunächst aus dem Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB hergeleitet, später dann direkt aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG; vgl. BVerwG, U.v. 23.8.1996 – 4 C 13/94, BVerwGE 101, 364 – juris Rn. 36; BayVGH, B.v. 26.5.2008 – 1 CS 08.881/882, BauR 2008, 1556 – juris Rn. 28). Er gewährt dem Eigentümer eines Grundstückes hinsichtlich der durch einen Bebauungsplan festgesetzten Nutzungsart einen Abwehranspruch gegen die Genehmigung eines Bauvorhabens im Plangebiet, das von der zulässigen Nutzungsart abweicht und zwar unabhängig davon, ob die zugelassene gebietswidrige Nutzung des Nachbarn ihn selbst unzumutbar beeinträchtigt oder nicht (BayVGH, U.v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211, BayVBl 2013, 51 – juris Rn. 27 m. w. N.). Alleine die Festsetzung von Baugebieten durch einen Bebauungsplan hat grundsätzlich nachbarschützende Wirkung zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet (BVerwG, U.v. 16.9.1993 a. a. O.; U.v. 23.8.1996 a. a. O.; B.v. 18.12.2007 – 4 B 55/07, BayVBl 2008, 583 – juris Rn. 5). Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlichrechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen (BVerwG, U.v. 11.5.1989 – 4 C 1.88, BVerwGE 82, 61 – juris Rn. 43; B.v. 18.12.2007 a. a. O.). Durch Festsetzungen eines Bebauungsplanes über die Art der baulichen Nutzung werden die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des eigenen Grundstücks wird dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundstückseigentümern diesen Beschränkungen unterworfen sind (BVerwG, U.v. 16.9.1993 a. a. O.; B.v. 18.12.2007 a. a. O.). Im Rahmen dieses nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses soll daher jeder Planbetroffene im Baugebiet das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebietes – unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung – verhindern können (BayVGH, U.v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211, BayVBl 2013, 51 – juris Rn. 27; U.v. 9.10.2012 – 2 ZB 11.2653 – juris Rn. 4).
5.2 Aus der Gleichstellung beplanter und faktischer Baugebiete entsprechend der Baunutzungsverordnung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung durch § 34 Abs. 2 BauGB ergibt sich, dass ein identischer Nachbarschutz schon vom Bundesgesetzgeber festgelegt worden ist (BVerwG, B.v. 22.12.2011 – 4 B 32/11, BauR 2012, 634 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 9.10.2012 a. a. O. – juris Rn. 5). Dies bedeutet, dass auch innerhalb von faktischen Baugebieten über § 34 Abs. 2 BauGB eine nachbarschützende Wirkung entsteht. Der Grundsatz, dass sich ein Nachbar im Plangebiet auch dann gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung wenden kann, wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird, lässt sich daher auf den Nachbarschutz im faktischen Baugebiet übertragen (BVerwG, B.v. 22.12.2011 a. a. O., BayVGH, B.v. 9.10.2012 a. a. O.). In einem faktischen Baugebiet ist der Anspruch in räumlicher Hinsicht jedoch auf die Grundstücke begrenzt, die zur näheren Umgebung des Baugrundstücks im Sinn von § 34 Abs. 2 Satz 1 BauGB zählen, da die rechtliche Schicksalsgemeinschaft und das sich daraus ergebende wechselseitige Austauschverhältnis nur so weit reichen.
5.3 Im Vordergebäude auf dem Vorhabengrundstück befinden sich im Erdgeschoss nach den Feststellungen der Inaugenscheinnahme ein Badeofen- und Gasgeschäft sowie ein kleinerer Frisör. In den Obergeschossen befinden sich Wohnnutzungen. Im südlich angrenzenden Anwesen …straße 17a befinden sich im Erdgeschoss des Vordergebäudes ein Theater, ein Café sowie ein Pizza-Service und in den Obergeschossen neben Wohnnutzungen ein Theater und … e.V. Im klägerischen Anwesen befinden sich im Vordergebäude neben acht Wohneinheiten zwei gewerbliche Nutzungen, eine davon im 1. Obergeschoss, sowie zwei Leerstände. Im klägerischen Rückgebäude befinden sich neben acht Wohneinheiten und zwei Leerständen ein … e.V. und eine Hotelagentur in den Obergeschossen.
Selbst wenn man mit der Klägerin aufgrund dieser Nutzungen davon ausgeht, dass das Geviert als faktisches Allgemeines Wohngebiet im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 4 Abs. 1 BauNVO einzustufen ist, so ist die geplante Büronutzung im Erdgeschoss gem. § 4 Abs. 3 Nr. 2 oder Nr. 3 BauNVO ausnahmsweise zulässig und damit ein Gebietserhaltungsanspruch ausgeschlossen. Nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO können „sonstige nicht störende Gewerbebetriebe“ und nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO „Anlagen für Verwaltungen“ ausnahmsweise in Allgemeinen Wohngebieten zugelassen werden.
5.4 Aus dem Umstand, dass die Beklagte die an sich erforderliche Ausnahme gem. § 34 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2, § 31 Abs. 1 BauGB i. V. m. § 4 Abs. 3 Nr. 2 oder Nr. 3 BauNVO nicht erteilt und damit keine Ermessensentscheidung getroffen hat, ergibt sich keine Rechtsverletzung der Klägerin (BayVGH, U.v. 16.1.2014 – 9 B 10.2528 – juris Rn. 34; BayVGH, B.v. 30.4.2008 – 15 ZB 07.2914 – juris Rn. 10). Eine solche Rechtsverletzung ergibt sich auch nicht aus der grundsätzlich nachbarschützenden Qualität des § 34 Abs. 2 BauGB und dem damit verbundenen Anspruch des Nachbarn auf Bewahrung der Gebietsart. Denn eine Verletzung nachbarlicher Rechte kann nur vorliegen, wenn die Voraussetzungen der ausnahmsweisen Zulässigkeit des Vorhabens nicht gegeben sind, was sich bereits aus dem Inhalt des Anspruchs des Nachbarn auf Wahrung der Gebietsart ergibt, der darauf gerichtet (und beschränkt) ist, Vorhaben zu verhindern, die weder regelmäßig noch ausnahmsweise in einem Baugebiet zulässig sind (vgl. BayVGH, B.v. 30.4.2008 – 15 ZB 07.2914 – juris Rn. 10; BayVGH, U.v. 16.1.2014 – 9 B 10.2528 – juris Rn. 34). Weiter kann der Nachbaranspruch daher auch nicht gegenüber einer Genehmigung gehen, in der diese Ausnahme nicht ausdrücklich ausgesprochen wird, weil die Baugenehmigungsbehörde das Erfordernis einer Ausnahme – aus welchen Gründen auch immer – verkannt hat (vgl. BayVGH, B.v. 30.4.2008 – 15 ZB 07.2914 – juris Rn. 10; BayVGH, U.v. 16.1.2014 – 9 B 10.2528 – juris Rn. 34).
Im vorliegenden Fall liegen für die drei Büroeinheiten im Erdgeschoss mit 71,82 m², 83,93 m² und 35,08 m² auch die Ausnahmevoraussetzungen gemäß § 31 Abs. 1 i. V. m. § 34 Abs. 2 Halbsatz 2 BauGB vor. Das Vorhaben der Beigeladenen hat mit Blick auf das im Allgemeinen Wohngebiet vor allem geschützte Gut „Wohnen“ im fraglichen Umgriff nur ein begrenztes Störpotential, da die genehmigte Büronutzung für das genannte Wohnumfeld insgesamt keine Störungen erwarten lässt, die der einem Allgemeinen Wohngebiet typischerweise eigenen Wohnruhe entgegenstehen würden.
6. Hinsichtlich der Verletzung weiterer bauplanungsrechtlicher, drittschützender Vorschriften kommt allenfalls eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme in Betracht. Es kann dahinstehen, ob sich dieses im vorliegenden Fall aus dem Begriff des „Einfügens“ des § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 15 Abs. 1 BauNVO ableitet, da im Ergebnis dieselbe Prüfung stattfindet (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351).
6.1 Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, umso mehr kann er eine Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei der Interessengewichtung spielt es eine maßgebliche Rolle, ob es um ein Vorhaben geht, das grundsätzlich zulässig und nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen nicht zuzulassen ist, oder ob es sich – umgekehrt – um ein solches handelt, das an sich unzulässig ist und nur ausnahmsweise zugelassen werden kann. Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte, wehrfähige Position inne hat (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215/96 – juris Rdnr. 9 m. w. N.). Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmeberechtigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist, an (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – 4 C 22.75, BVerwGE 52, 122 – juris Rn. 22; U.v. 28.10.1993 – 4 C 5.93, NVwZ 1994, 686 – juris Rn. 17; U.v. 23.9.1999 – 4 C 6.98, BVerwGE 109, 314 – juris Rn. 20; U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04, NVwZ 2005, 328 – juris Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8/11, BVerwGE 145, 145 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4). Das Rücksichtnahmegebot ist dann verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75, BVerwGE 52, 122 – juris Rn. 22).
6.2 In der Rechtsprechung zum Rücksichtnahmegebot ist anerkannt, dass eine Verletzung auch dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BVerwG, U. v. 13.3.1981 – 4 C 1/78, DVBl. 1981, 928 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U. v. 23.5.1986 – 4 C 34/85, NVwZ 1987, 34 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem zweigeschossigen Wohnanwesen; BayVGH, B. v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770, BayVBl. 2009, 751 – juris Rn. 23; B. v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris Rn. 21).
Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind u. a. die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung. Für die Annahme einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung eines Nachbargebäudes ist somit grundsätzlich kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes, was insbesondere gilt, wenn die Gebäude im dicht bebauten innerstädtischen Bereich liegen (BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5; B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9).
Das klägerische Rückgebäude ist viergeschossig mit einem nicht ausgebauten Walmdach. Das Vorhaben soll fünfgeschossig mit zurückgesetztem vierten Obergeschoss errichtet werden und ist von der südlichen Außenwand des klägerischen Rückgebäudes bei einer Traufhöhe von 14,70 m und einer Firsthöhe von 16,39 m ca. 13 m entfernt. Insoweit erscheint die Differenz von einem Geschoss in dieser städtebaulichen Situation, die im Geviertsinneren von einer äußerst dichten, mit teils offener, teils geschlossener Bebauung, so dass regelmäßig beide Bauweisen planungsrechtlich zulässig sind (BVerwG, B.v. 11.3.1994 – 4 B 53/94 – juris Rn. 4), mit einer Höhenentwicklung bis zu fünf Geschossen geprägt ist, der Klägerin gegenüber nicht rücksichtslos. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil das Vorhaben im Interesse der Klägerin dahingehend modifiziert wurde, dass das vierte Obergeschoss um 3,58 m zurückversetzt wurde, so dass das Vorhaben grenzständig um ca. 3 m niedriger wurde als noch in der ursprünglichen Planung.
6.3 Das Vorhaben führt für das klägerische Rückgebäude auch nicht zu unzumutbaren Beeinträchtigungen der gesunden Wohnverhältnisse. In der Rechtsprechung ist im Hinblick auf die Lichtverhältnisse anerkannt, dass die Einhaltung eines Lichteinfallwinkels von 45° in Höhe der Fensterbrüstung von Fenstern von Aufenthaltsräumen grundsätzlich eine ausreichende Belichtung sicherstellt, wobei dieser Grundsatz jedoch nicht ausnahmslos gilt (BayVGH, B.v. 15.10.2014 – 2 ZB 13.530 – juris Rn. 8). Vorliegend ist davon auszugehen, dass bei einem Abstand der nördlichen Außenwand des Vorhabens zur südlichen Außenwand des klägerischen Rückgebäudes von ca. 13 m der Lichteinfallwinkel von 45°gewahrt ist. Die Höhe der dem klägerischen Rückgebäude zugewandten Terrasse beträgt 11,70 m, zuzüglich der ca. 0,9 m zurückversetzten Terrassenumwehrung 12,60 m. Die Traufhöhe des von der gemeinsamen Grundstückgrenze um 3,53 m zurückversetzten vierten Obergeschosses beträgt 14,70 m, so dass bei einer Dachneigung von 45° der Lichteinfallswinkel am klägerischen Rückgebäude eingehalten ist.
6.4 Das streitgegenständliche Vorhaben verletzt schließlich auch im Hinblick auf den Zu- und Abfahrtsverkehr der Tiefgarage mit 16 Stellplätzen nicht das Rücksichtnahmegebot.
Hinsichtlich der Zumutbarkeit von Belästigungen und Lärm kann grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen des BImSchG zurückgegriffen werden (vgl. BayVGH B. v. 15.11.2011 – 14 AS 11.2305 – juris Rn. 29). Denn das Bundesimmissionsschutzgesetz und damit auch die auf der Grundlage von § 48 BImSchG erlassene TA Lärm legen die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für den Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereichs grundsätzlich allgemein fest (BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 4 C 6.98, BVerwGE 109, 314 – juris Rn. 22). Nach § 3 Abs. 1 BImSchG sind schädliche Umwelteinwirkungen Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Immissionen, die das immissionsschutzrechtlich zulässige Maß nicht überschreiten, begründen keine Verletzung des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots, das insoweit keinen andersartigen oder weitergehenden Nachbarschutz vermittelt (BVerwG U.v. 30.9.1983 – 4 C 74/78 – juris Rn. 11/14). Nach § 5 Nr. 1 BImSchG sind Anlagen so zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können.
Normkonkretisierende Richtwerte für die Beurteilung der Zumutbarkeit von Lärm enthält grundsätzlich die Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum BImSchG vom 26. August 1998 (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm, GMBl. 1998 S. 503), die auf von Tiefgaragen ausgehenden Lärm auch anwendbar ist [vgl. Bayerisches Landesamt für Umwelt (Hrsg.), Parkplatzlärmstudie, 6. Aufl. 2007, S. 100 ff.].
Allerdings gilt die zu § 12 Abs. 2 BauNVO entwickelte Regelvermutung, wonach Nachbarn die von nach Art. 12 Abs. 2 BauNVO rechtlich zulässigen Stellplätzen ausgehenden Immissionen im Regelfall hinzunehmen haben (vgl. BVerwG, B.v. 20.3.2003 – 4 B 59/02, NVwZ 2003, 1516 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 10.1.2005 – 2 CS 04.3304 – juris Rn. 3; B.v. 9.9.2009 – 2 CS 09.1977 – juris Rn. 2). Ob und in welchem Umfang Stellplätze und Garagen nach ihrer Art der baulichen Nutzung in einem allgemeinen Wohngebiet untergebracht werden dürfen, regelt § 12 Abs. 2 BauNVO, wonach in Kleinsiedlungsgebieten, reinen Wohngebieten und allgemeinen Wohngebieten sowie Sondergebieten, die der Erholung dienen, Stellplätze und Garagen nur für den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf zulässig sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 20. März 2003 ausdrücklich entschieden, dass besondere örtliche Verhältnisse auch zu dem Ergebnis führen können, dass die Errichtung von Stellplätzen auf dem Baugrundstück nicht oder nur mit Einschränkungen genehmigt werden kann, wobei der in § 12 Abs. 2 BauNVO enthaltenen Grundentscheidung Rechnung zu tragen ist. Insbesondere entbindet diese Regelvermutung das Tatsachengericht nicht von der Prüfung, ob im Einzelfall unzumutbare Beeinträchtigungen zu erwarten sind. Die besonderen Umstände des Einzelfalls können es erforderlich machen, die Beeinträchtigung der Nachbarschaft auf das ihr entsprechend der Eigenart des Gebiets zumutbare Maß zu mindern, wofür beispielsweise die bauliche Gestaltung der Stellplätze und ihrer Zufahrt, eine Anordnung, die eine Massierung vermeidet, der Verzicht auf Stellplätze zugunsten einer Tiefgarage oder Lärmschutzmaßnahmen an der Grundstücksgrenze in Betracht kommen (BVerwG, B.v. 20.3.2003 – 4 B 59/02, NVwZ 2003, 1516 – juris Rn. 7).
Besondere örtliche Verhältnisse, die vorliegend die Regelvermutung entkräften könnten, sind vorliegend aber weder ersichtlich noch vorgetragen, so dass davon auszugehen ist, dass der durch die Tiefgarage ausgelöste Lärm zumutbar ist, zumal es sich bei 16 Stellplätzen um eine relativ kleine Anlage handelt.
7. Die Klage war somit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Es entspricht der Billigkeit, der Klägerin die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO), da diese einen Antrag gestellt und sich somit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 7.500,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Ziffer 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.


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