Baurecht

Nachbarklage gegen Bauvorbescheid für die Errichtung von zwei Villen und Tiefgarage

Aktenzeichen  M 9 K 19.4456

Datum:
16.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 43376
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1
BauNVO § 12 Abs. 2
BayBO Art. 10 S. 3, Art. 71

 

Leitsatz

1. Eine erdrückende Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Bauvolumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu (sehr viel niedrigeren) benachbarten Wohngebäuden in Betracht. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Verringerungen des Lichteinfalls bzw. Verschattungseffekte sind in der Regel als typische Folgen der Bebauung insbesondere in innergemeindlichen Lagen bis zu einer im Einzelfall zu bestimmenden Unzumutbarkeitsgrenze hinzunehmen. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Umstand, dass die Umgebungsbebauung in einer lockeren Art und Weise angeordnete ist, führt nicht dazu, dass dem Nachbarn eines Bauvorhabens ein erhöhtes Maß an Schutzbedürftigkeit zuzugestehen wäre, was die Beeinträchtigung der Lichtverhältnisse auf seinem Grundstück anbelangt. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der ungeschmälerte Fortbestand einer „schönen Aussicht“ stellt grundsätzlich nur eine Chance dar, die nicht dem Schutz durch das Gebot der Rücksichtnahme unterliegt. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 zu tragen. Die Beigeladene zu 2 trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der streitgegenständliche Vorbescheid verletzt den Kläger nicht in subjektiv-öffentlichen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen einen Vorbescheid kann nur dann Erfolg haben, wenn dieser unter Verletzung von Vorschriften erteilt wurde, die dem Schutz des Dritten zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im vorliegenden gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung beschränkt sich vielmehr darauf, ob durch den angefochtenen Vorbescheid drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln und die im Verfahren zu prüfen sind, verletzt werden (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris; VG München, B.v. 7.9.2016 – M 1 SN 16.3556 – juris).
Eine derartige Verletzung drittschützender Vorschriften ist nicht erkennbar.
1. Das Vorhaben befindet sich ausweislich der Planunterlagen sowie der vorgelegten Akten im unbeplanten Innenbereich, § 34 BauGB. Soweit der Bevollmächtigte des Klägers vorträgt, das streitgegenständliche Vorhaben füge sich im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebungsbebauung ein, führt dieser Einwand schon von vornherein nicht zu einer Rechtverletzung des Klägers, da dem Maß der baulichen Nutzung keine drittschützende Funktion zukommt (vgl. hierzu z.B. BVerwG, B.v. 19.10.1995, – 4 B 215/95 – Rn. 3 – juris; VG München, B.v. 12.7.2010, – M 8 SN 10.2346 – Rn. 53 – juris; VG München, B.v. 1.12.2011 – 8 SN 11.5205 – juris).
Die Zahl der Wohneinheiten ist für sich genommen im Rahmen von § 34 BauGB kein Zulässigkeitskriterium und damit auch kein Ansatzpunkt für eine Nachbarklage (statt aller VG München, B.v. 10.11.2016 – M 9 SN 16.4238 – juris).
2. Eine Verletzung des grundsätzlich nachbarschützenden § 12 Abs. 2 BauNVO durch die konkrete Ausgestaltung der dem streitgegenständlichen Vorbescheid zugrundeliegenden Tiefgarage liegt ebenfalls nicht vor. Denn ausweislich der vorgelegten (genehmigten) Planunterlagen, dem Vorbescheidsantrag sowie der Baubeschreibung ist und war Gegenstand der Genehmigung allein die maximal zulässige Anzahl der Tiefgaragenstellplätze; selbst diese Anzahl ergibt sich nur aus der Beschreibung des Bauvorhabens. Nach der Nutzung oder Zuordnung der Stellplätze wurde im Rahmen des Genehmigungsverfahrens nicht gefragt und deshalb auch nicht entschieden. Es wurden auch keine Angaben darüber gemacht oder etwaige Bauvorlagen im Zusammenhang mit dem Vorbescheidsantrag eingereicht (vgl. § 5 BauVorlV). Aus den eingereichten Plänen ergibt sich weder Art noch Anzahl oder Anordnung der Stellplätze. Die sich in den Akten befindende Stellplatzberechnung war ausweislich des Antragsformulars zum Vorbescheid diesem schon nicht als Anlage beigefügt. Darüber hinaus orientiert sich die Stellplatzberechnung stets an den Vorschriften der BayBO und hat ihren Grund nicht im Bauplanungsrecht. Hätte die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Stellplätze abgefragt werden sollen, wären außerdem ergänzende Unterlagen über ihre konkrete Zahl und Nutzung im Sinne einer Nutzungsbeschreibung erforderlich gewesen. All dies ist nicht erfolgt und wurde auch nicht zur Prüfung beantragt. Die Stellplatzberechnung war vorliegend aus diesen Gründen nicht Teil des Vorbescheids (-antrags) und ist folgerichtig auch nicht gestempelt worden. Der Vorbescheid trifft somit keine Aussage über die konkrete Nutzung und Zuordnung der Stellplätze, mithin die Einhaltung der Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 BauNVO und kann insofern eine Bindungswirkung nicht entfalten. Die Vereinbarungen im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Vertrages zwischen der Beigeladenen zu 1, der Beigeladenen zu 2 und dem Beklagtem vom 19. Februar 2019 ändern an diesem Ergebnis nichts. Denn die vertraglichen Bindungen, Vereinbarungen und Absichtserklärungen berühren das Vorbescheids- und Baugenehmigungsverfahren, welches allein anhand der allgemein geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften des BauGB sowie der BayBO durchzuführen und zu prüfen ist, nicht.
Lediglich der Vollständigkeit halber und ohne, dass es entscheidungserheblich darauf ankommt wird darauf hingewiesen, dass unter Berücksichtigung der Verhältnisse vor Ort, dem Ergebnis des Augenscheins und der vorgelegten Unterlagen auch keine Anhaltspunkte bestehen, dass die Tiefgarage hinsichtlich ihrer Dimensionierung die Vorgaben des § 12 Abs. 2 BauNVO von vornherein nicht einhalten könnte, soweit sie der in einem allgemeinen Wohngebiet zugelassenen Nutzung, dieses als gegeben unterstellt, verschrieben ist. Insbesondere kann nicht angenommen werden, dass der durch die in einem allgemeinen Wohngebiet zugelassenen Nutzungen verursachte Bedarf durch die Anzahl der Tiefgaragenstellplätze (maximal 30 Stellplätze) überschritten ist. Denn der allein durch das Bauvorhaben ausgelöste Stellplatzbedarf ist im Zusammenhang mit § 12 Abs. 2 BauNVO nicht maßgeblich. Vielmehr kommt es im Rahmen der sog. Bedarfsklausel auf den Bedarf im gesamten Baugebiet an. Aus der Baugebietstypik folgt zugleich, dass den Wohneinheiten auf einem Grundstück nach § 12 Abs. 2 BauNVO nicht eine bestimmte Zahl von Stellplätzen zugeordnet werden darf. Da die Stellplatznutzung auf das Baugebiet bezogen ist, darf jeder Grundeigentümer Anzahl und Größe der Stellplätze unter Beachtung des im Baugebiet verursachten Bedarf auf seinem Grundstück selbst festlegen (vgl. BVerwG, U.v. 27.1.1967 – IV C 12.65 – NJW 1967, 840; OVG Saarl., U.v. 30.8.1994 – 2 R 8/94 – BeckRS 1994, 14189). Es dürfen auch in den in Abs. 2 genannten Baugebieten Baugrundstücke vollständig als Stellplätze und Garagen genutzt werden, sofern diese Stellplätze der Deckung des innergebietlichen Bedarfs an Stellplätzen infolge der legalen Grundstücksnutzung („zugelassene Nutzungen“) dienen (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151). Dabei ist nicht nur der aktuelle, sondern auch ein künftiger Bedarf zu berücksichtigen. Der Bedarf darf in quantitativer Hinsicht auch nicht durch die Anzahl bauordnungsrechtlich notwendiger Stellplätze beschränkt werden (Otto in: Spannowsky/ Hornmann/Kämper, BeckOK BauNVO, 23. Edition, Stand: 15.9.2020, § 12 BauNVO, Rn. 24 ff. m.w.N.).
Die Prüfung dieser Grundsätze und deren Einhaltung im Zusammenhang mit der Errichtung und konkreten Nutzung der Tiefgarage bleibt dem Baugenehmigungsverfahren vorbehalten. Ungeachtet dieser Prüfung bestehen nach dem Ergebnis des Augenscheins keine Zweifel daran, dass aufgrund der Stellplatz- und Parksituation vor Ort, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Lage am See und der angrenzenden Straße grundsätzlich ein erhöhter innergebietlicher Bedarf besteht.
3. Auch das Gebot der Rücksichtnahme, welches sich im unbeplanten Innenbereich, wie hier, aus dem Merkmal des „Einfügens“ ergibt (Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 34, Rn. 48 ff.), ist im vorliegenden Fall nicht verletzt. Eine unzumutbare Beeinträchtigung durch Verschattung bzw. im Hinblick auf eine Beeinträchtigung der Sonneneinstrahlung oder der Einsehbarkeit ist unter Berücksichtigung des Ergebnisses des Augenscheins, der Aktenlage sowie des Vortrags des Klägers nicht ersichtlich.
Dem Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290 ff. = juris, Rn. 21 m.w.N.). Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung hängen die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Das Gebot der Rücksichtnahme soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten und vermittelt insofern Drittschutz, als die Genehmigungsbehörde in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Belange eines erkennbar abgrenzbaren Kreises Dritter zu achten hat. Die Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und was dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Begünstigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris).
Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls, der Planunterlagen und des Ergebnisses des Augenscheins ist eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots nicht ersichtlich.
Für eine erdrückende oder abriegelnde Wirkung bestehen keine Anhaltspunkte. Denn eine erdrückende Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Bauvolumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu (sehr viel niedrigeren) benachbarten Wohngebäuden in Betracht. (vgl. BVerwG, U.v. 31.3.1981 – 4 C 1.78 – juris, Rn. 33f.: Hochhaus mit zwölf Geschossen im Abstand von 15 m zu einem Wohnhaus mit zweieinhalb Geschossen; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris, Rn. 15 : mehrere Siloanlagen mit einer Höhe von 11,50 m im Abstand von 6 m zu einem zweigeschossigen Wohngebäude; BayVGH, B.v. 5.2.2015 – 2 CS 14.2456 – juris Rn. 33: keine erdrückende Wirkung eines ca. 160 m langen Baukörpers mit einer Höhe von 6,36 m bis 10,50 m und einem Abstand von 13 – 16 m zum Gebäude des Nachbarn). Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine erdrückende Wirkung durch das Vorhaben unter keinem Umstand erkennbar. Der dem Grundstück des Klägers nächstgelegene Baukörper hält schon einen Abstand zur gemeinsamen Grundstücksgrenze von über 6 Metern ein. Die Entfernung zum Anwesen des Klägers beträgt unter Berücksichtigung der Planunterlagen und ohne Berücksichtigung der Höhenverhältnisse über 20 Meter. Hinzukommt, dass die Baukörper zueinander versetzt angeordnet sind. Ausweislich des Geländeschnitts sowie der Baubeschreibung befindet sich die Firsthöhe zudem unter der Fußbodenoberkante des „Terrassengeschosses“ der beiden höher liegenden Gebäude auf FlNr. … (Kläger) und … Eine erdrückende Wirkung ist unter Berücksichtigung der dargelegten Umstände nicht erkennbar. Der Klägerbevollmächtigte hat insofern auch über den bloßen Vortrag der überdimensionierten Bebauung hinaus keine weiteren substanziellen Umstände vorgetragen, die eine andere Beurteilung rechtfertigen würden. Auch der Augenschein hat keine andere Beurteilung ergeben.
Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots ergibt sich auch nicht aus der seitens der des Klägers vorgebrachten Beeinträchtigung der Belichtungsverhältnisse auf seinem Grundstück durch das Bauvorhaben. Denn ganz allgemein ist insofern zu berücksichtigen, dass das Gebot der Rücksichtnahme dem Grundstückseigentümer nicht das Recht gibt, von jeder (ggf. auch rechtswidrigen) Veränderung auf dem Nachbargrundstück verschont zu bleiben. Vielmehr kommt es darauf an, inwieweit die Nutzung des Nachbargrundstücks durch das Vorhaben tatsächlich unzumutbar beeinträchtigt wird. Entscheidend sind die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls. Darüber hinaus ist speziell in Bezug auf die Frage der Verschattung zu berücksichtigen, dass die Anforderungen, um die Verletzung des Rücksichtnahmegebots insofern zu begründen, hoch sind. Denn Verringerungen des Lichteinfalls bzw. Verschattungseffekte sind in der Regel als typische Folgen der Bebauung insbesondere in innergemeindlichen Lagen bis zu einer im Einzelfall zu bestimmenden Unzumutbarkeitsgrenze hinzunehmen (BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris, Rn. 31 f. m.w.N.) Dies zugrunde gelegt, ist die Unzumutbarkeitsgrenze im vorliegenden Einzelfall nicht überschritten. Umstände, die vorliegend zu einem anderen Ergebnis führen könnte sind vorliegend nicht ersichtlich. Insbesondere führt der Umstand der in der Umgebung vorhandenen lockeren Bebauung nicht zu einem anderen Ergebnis. Dem Kläger ist zuzugestehen, dass die Umgebungsbebauung vorliegend in einer lockeren Art und Weise angeordnete ist. Dies führt aber nicht dazu, dass dem Kläger ein erhöhtes Maß an Schutzbedürftigkeit zuzugestehen wäre, was die Beeinträchtigung der Lichtverhältnisse auf seinem Grundstück anbelangt. Unabhängig davon ist schon nicht ersichtlich, inwiefern eine relevante Beeinträchtigung der Lichtverhältnisse unter Berücksichtigung der dargelegten Abstände zur Grundstücksgrenze sowie zum klägerischen Anwesen und der konkreten Ausgestaltung des Vorhabens (Firsthöhe unterhalb der Fußbodenoberkante des Terrassengeschosses) gegeben sein soll (s.o.). Auch der Vortrag des Klägers bleibt insofern über die bloße Behauptung hinaus unsubstantiiert. Der Umfang der behaupteten Verschattung bzw. Beeinträchtigung der Lichtverhältnisse, diese als gegeben unterstellt, bleibt ebenfalls völlig unklar.
Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots ergibt sich auch nicht aus der vorgetragenen Einsehbarkeit. Unter dem Stichwort „Zooeffekt“ führt der Kläger aus, dass von den Balkonen des Vorhabens aus, das Anwesen des Klägers erstmals einer erheblichen Einsehbarkeit im Hinblick auf sensible Aufenthaltsräume ausgesetzt sei. Insofern ist maßgeblich, dass es generell keinen rechtlich relevanten Nachteil darstellt, wenn durch einen Neubau Einsichtsmöglichkeiten in bestehende Wohnbereiche geschaffen werden (VGH BW, B.v. 14.3.1990 – 8 S 2599/89 – VBlBW 1990, 428; vgl. auch: BVerwG, U.v. 6.10.1989 – 4 C 14.87 – BVerwGE 82, 343; U.v. 28.10.1993 – 4 C 5.93 – BauR 1994, 354; VGH BW, U.v. 29.10.2003 – 5 S 138/03 – VBlBW 2004, 146; VGH BW, B.v. 3.3.2008 – 8 S 2165/07, BeckRS 2008, 33484 Rn. 8, beck-online). Trifft eine Wohnnutzung wie vorliegend auf eine vorhandene Wohnnutzung, dann kommt unter dem Gesichtspunkt der Nutzungsart ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2020 – 15 ZB 19.425; B.v. 12.9.2005 – -1 ZB 05.42 – BayVBl. 2006, 374, Rn. 19 – juris). Das Rücksichtnahmegebot gibt dem Nachbarn insbesondere nicht das Recht, vor jeglicher Beeinträchtigung, speziell vor jeglichen Einblicken verschont zu bleiben (vgl. BayVGH B.v. 12.9.2005 a. a. O.; SächsOVG, B.v. 23.2.2010 -1 B 581/09 -Rn. 5 – juris). Im vorliegenden Einzelfall ist eine Unzumutbarkeit der entstehenden Einsichtmöglichkeiten durch das Vorhaben unter Berücksichtigung der Abstände zur Grundstücksgrenze bzw. zum klägerischen Anwesen sowie der höhenversetzten Lage mit Firsthöhen unter der Fußbodenoberkante des Terrassengeschosses der beiden höher liegenden Gebäude auf FlNr. … und … (s.o.) nicht erkennbar. Gegenseitige Einsichtnahmemöglichkeiten sind im bebauten innerstädtischen Bereich im Übrigen unvermeidlich und gehören zur Normalität (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2020 – 15 ZB 19.425 – BeckRS 2020, 138 – Rn. 17). Auch über das Gebot der Rücksichtnahme wird in bebauten Ortslagen daher regelmäßig kein Schutz des Nachbarn vor jeglichen (weiteren) Einsichtsmöglichkeiten vermittelt; allenfalls in besonderen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägten Ausnahmefällen kann sich unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme etwas anderes ergeben. Für einen solchen Ausnahmefall gibt weder der klägerische Vortrag noch die Aktenlage und das Ergebnis des Augenscheins mit Blick auf die oben angeführten Abstände etwas her. Dem Kläger ist es dann grundsätzlich zuzumuten, seine Räumlichkeiten, in die potenziell vom Nachbarn aus eingesehen werden könnte, durch in Innerortslagen typische Sichtschutzeinrichtungen, wie z.B. Vorhänge, Jalousien, verspiegelten Fenstern o.Ä., vor ungewollter Einsichtnahme zu schützen (BayVGH, B.v.10.1.2020 – 15 ZB 19.425, BeckRS 2020, 138 Rn. 17; vgl. hierzu auch ausführlich OVG NW, U.v. 8.4.2020 – 10 A 352/19 – BeckRS 2020, 10287, Rn. 28 ff.).
Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die freie Sicht des Klägers auf den See und die Berge durch das Vorhaben berührt sein wird. Denn der ungeschmälerte Fortbestand einer „schönen Aussicht“ stellt grundsätzlich nur eine Chance dar, die nicht dem Schutz durch das Gebot der Rücksichtnahme unterliegt. Anderes kann unter engen Voraussetzungen gelten, wenn ein Grundstück durch eine besondere Aussichtslage in einer Weise geprägt ist, dass es hierdurch als „situationsberechtigt“ anzusehen ist (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2006 – 1 CS 06.227 – juris mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung). Eine solche „Situationsberechtigung“ liegt beim Grundstück des Klägers schon deshalb nicht vor, da es sich im unbeplanten Innenbereich, also einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil befindet. Innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils kann ein Grundstückseigentümer nicht erwarten, dass die Nachbargrundstücke nur so bebaut werden, dass sein Ausblick in die freie Natur, die umliegenden Berge oder vorliegend den See gewahrt wird. Im Übrigen wird die Blickbeziehung des klägerischen Anwesens zum See im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Vorhaben berücksichtigt. Die Firsthöhen der höhenversetzten Gebäude sind unter der Fußbodenoberkante des Terrassengeschosses der beiden höherliegenden Gebäude auf den FlNr. … und … angesiedelt. Der Ausblick des Klägers auf den See und die Berge dürfte danach auch nach Verwirklichung des Vorhabens weitgehend unbeeinträchtigt sein. Es kann nicht davon gesprochen werden, dass das Grundstück des Klägers durch das Bauvorhaben so entwertet werden würde, dass es einer Verletzung des durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentums des Klägers zur Folge haben würde (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2006 – 1 CS 06.227 – BeckRS 2009, 33570; VG München, B.v. 3.3.2010 – M 11 SN 10.604 – BeckRS 2010, 35603; BVerwG, U.v. 13.6.1969 – IV C 80.67 – juris).
Das Gebot der Rücksichtnahme ist auch nicht durch die seitens des Klägerbevollmächtigten beeinträchtigende Zufahrtssituation bzw. Verkehrsbeeinträchtigung verletzt. Zum einen wurde insofern schon nicht ausreichend substantiiert vorgetragen, inwiefern und in welchem konkreten Umfang eine Verkehrsbeeinträchtigung etwa durch Immissionen bzw. eine Beeinträchtigung konkret des Klägers vorliegen soll. Dies insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der in den Planunterlagen eingezeichnete Zufahrtsbereich zur Tiefgarage lediglich die Richtung von der S. …straße festlegt und im Übrigen weit entfernt vom Klägergrundstück ist. Zum anderen ist die genaue Lage der Zufahrt zur Tiefgarage und damit zusammenhängende straßenverkehrsrechtliche Auswirkungen nicht Gegenstand des streitgegenständlichen Vorbescheids.
Was die seitens des Klägers vorgetragene Grundwasserproblematik anbelangt ist schon nicht dargetan und für das Gericht auch nicht ersichtlich, inwieweit dies im vorliegenden Fall die Rechte des Klägers unter Berücksichtigung des Gebots der Rücksichtnahme verletzten soll. Das gleiche gilt betreffend den seitens des Klägers vorgetragenen Umstand, dass durch die Veränderung der Geländeverhältnisse die Lärmschutzsituation für den Kläger verschlechtert werde. Insofern wurde seitens des Klägers schon nicht substantiiert vorgetragen. Im Übrigen ist für das Gericht unter Berücksichtigung der vorgelegten Pläne und Verhältnisse vor Ort eine Beeinträchtigung des Klägers schon deshalb nicht erkennbar, da sein Grundstück oberhalb des Vorhabengrundstücks liegt und durch die geplanten Wohnhäuser zur Straße hin abgeschirmt wird.
4. Der Vortrag des Klägers, das dem Vorbescheid zugrundeliegende Bauvorhaben widerspreche der kraft Dienstbarkeit bestehenden Baubeschränkung verfängt ebenfalls nicht. Zum einen ergeht ein Vorbescheid unbeschadet Rechte Dritter am Grundstück (Art. 71 Satz 4, Art. 68 Abs. 4 BayBO). Zum anderen ist das darüber hinaus vorliegend allein in Betracht kommenden fehlende Sachbescheidungsinteresse, wonach die Baugenehmigung nicht erteilt werden darf, wenn diese wegen eines offensichtlichen und schlechthin nicht ausräumbaren Hindernisses aus dem Bereich des Privatrechts nicht genutzt werden kann (BVerwG, B.v. 30.6.2004 – 7 B 92/03 – NVwZ 2004, 1240), nicht drittschützend (Lechner in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Art. 68, Rn. 163 m.w.N.). Denn die Frage des Sachbescheidungsinteresses ist verfahrensrechtlicher Natur. Damit wird allein die Klärung der Frage bezweckt, ob die Beigeladene zu 1 ein schutzwürdiges Interesse an der von ihr beantragten Amtshandlung hat. Dritte sollen dadurch nicht geschützt werden (BayVGH, B.v. 8.6.2010 – 2 ZB 09.2987, BeckRS 2010, 31406, Rn. 4).
Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt weist das Gericht der Vollständigkeit halber darauf hin, dass die in Rede stehende Baubeschränkung nach Auffassung der Kammer und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls dem Bauvorhaben nicht entgegensteht. Denn bei dem genehmigten Vorhaben handelt es sich zu einen um eine reine Wohnbebauung und nicht um ein gewerbliches Vorhaben. Eine Bindungswirkung betreffend eine etwaige gewerbliche Nutzung entfaltet der Vorbescheid nicht (s.o.). Zum anderen ist vorliegend auch das in der Dienstbarkeit enthaltenen Merkmal der villenartigen Bebauung bzw. Bebauung mit „villenartigem Charakter“ erfüllt. Entgegen der Auffassung des Klägers ist darunter nämlich nicht allein ein Einfamilienhaus umgeben von großzügiger Grünfläche zu verstehen. Dieses Merkmal wurde allein der „Villa“ in ihrem ursprünglichen Sinne in früheren Zeiten zugeschrieben. Vorliegend enthält die Dienstbarkeit jedoch schon nicht die Forderung einer „Villa“ sondern gerade den eines Gebäudes mit „villenartigem Charakter“. Der Begriff der „Villa“ und erst recht der der „villenartigen Bebauung“ unterlag im geschichtlichen Verlauf einem Wandel, angepasst an die gesellschaftlichen und damit baulichen Strukturen. Der Begriff der „Villa“ wird in jüngerer Zeit in der Regel für Wohnbauten mit gehobener Ausstattung bzw. bezugnehmend auf die villenartige äußere Gestalt verwendet (vgl. in diesem Zusammenhang allgemein: https://de.wikipedia.org/wiki/Villa, zuletzt abgerufen am 23.12.2020). Nach dem Dafürhalten der Kammer ist im Hinblick auf das Merkmal der „villenartigen Bebauung“ allein entscheidend, dass es sich bei dem Vorhaben um ein nach dem äußeren Eindruck größeres bzw. großzügiges Wohngebäude handelt, welches von großzügiger Grundstücksfläche umgeben ist und in eine lockere, großzügige Umgebungsbebauung eingebettet ist. Maßgeblich ist, dass die Bebauung nicht zu dicht aufeinander folgt. Nicht entscheidend kann nach Auffassung der Kammer sein wie viele Wohneinheiten Gegenstand des Wohnbauvorhabens sind, solange nicht der Eindruck eines „Wohnblocks“ entsteht. Jedenfalls dürfte bei den in Rede stehenden 2 Villen mit insgesamt 4 bis höchstens 8 Wohneinheiten der villenartige Charakter der die Umgebung prägenden Bebauung gewahrt sein. Diese Auslegung deckt sich nach dem Dafürhalten der Kammer mit dem sich in der notariellen Urkunde vom 10. September … zum Ausdruck kommenden Parteiwillen. Denn dort heißt es: „unter das vereinbarte Verbot der gewerblichen oder gastronomischen Nutzung fällt jedoch nicht die Befugnis des jeweiligen Eigentümers, in dem auf den Grundstücken zu errichtenden Gebäuden in ortsüblicher Weise im Rahmen eines an sich privaten, nicht rein gewerblichen Hauses an Fremde zu vermieten.“ Die Vermietung an Fremde im ortsüblichen Rahmen hätte wenig Sinn ergeben, wäre es der Wille der Parteien gewesen, lediglich eine Einfamilienhausnutzung zu vereinbaren. Eine großzügige Bebauung mit villenartigem Charakter wird durch die streitgegenständlichen Vorhaben eingehalten.
5. Schlussendlich verfängt auch der Einwand des Klägers nicht, das Vorhaben sei unter Berücksichtigung einer potenziellen Hangrutschgefahr nicht vertretbar. Unabhängig davon, dass Art. 10 Satz 3 BayBO bestimmt, dass die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und die Tragfähigkeit des Baugrunds des Nachbargrundstücks nicht gefährdet werden dürfen und diese Vorschrift, soweit vom Prüfungsumfang erfasst, Drittschutz vermittelt (vgl. Nolte in: Simon/Busse, BayBO, Stand 138. EL September 2020, At. 10 Rn. 21), war die Einhaltung der Voraussetzungen des Art. 10 BayBO vorliegend nicht Prüfungsgegenstand. Gegenstand der Prüfung des streitgegenständlichen Vorbescheids war lediglich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von 2 Villen mit 4 bis 8 Wohneinheiten nebst Tiefgarage (maximal 30 Stellplätze) unter Berücksichtigung der gemachten Angaben. Vorschriften der BayBO über die der konkret beantragten Abweichung von der Gestaltungssatzung der Beigeladenen zu 2 hinaus wurden nicht geprüft. Die Frage von Erdrutschungen u.Ä. wird im Baugenehmigungsverfahren abschließend zu klären sein. Die Vermeidung von insofern gegebenenfalls bestehenden Gefahren ist durch entsprechende Auflagen im Baugenehmigungsbescheid sicherzustellen.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene zu 1 hat beantragt die Klage abzuweisen und sich damit in ein Kostenrisiko begeben. Es entspricht der Billigkeit ihre außergerichtlichen Kosten dem Kläger aufzuerlegen. Die Beigeladene zu 2 hat keinen Antrag gestellt. Sie trägt ihre außergerichtlichen Kosten daher selbst. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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