Baurecht

Nachbarklage gegen Bürogebäude mit Tiefgarage im Mischgebiet, Gebot der Rücksichtnahme, Zufahrt über Nachbargrundstück zur Tiefgarage aufgrund eines Geh- und Fahrtrechts

Aktenzeichen  AN 9 K 19.02251

Datum:
14.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9832
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB i.V.m. § 34 Abs. 1, 2
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 1, 2
BauNVO § 6

 

Leitsatz

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 15. Oktober 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Nachdem die Klägerin hier als Eigentümerin des Nachbargrundstücks gegen die Baugenehmigung klagt, kann die Klage nur erfolgreich sein, wenn die Baugenehmigung rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit auf der Verletzung einer Norm beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt und im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen ist.
Da das gegenständliche Bauvorhaben, die Errichtung eines Büro- und Geschäftshauses mit Tiefgarage, keinen Sonderbau gemäß Art. 2 Abs. 4 BayBO darstellt, ergibt sich der Prüfungsumfang im Baugenehmigungsverfahren hier aus Art. 59 BayBO.
Bauplanungsrechtlich richtet sich die Zulässigkeit des Bauvorhabens nach § 34 BauGB, da für das Baugrundstück kein rechtsgültiger Bebauungsplan besteht. Nach den vorliegenden Akten und insbesondere aufgrund des durchgeführten Augenscheins geht die Kammer dabei davon aus, dass das Baugrundstück in einem faktischen Mischgebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO liegt. Insoweit geht die Kammer davon aus, dass die hier maßgebliche nähere Umgebung des Baugrundstücks i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB durch den … Weg im Norden, die …straße im Süden und die …straße im Osten bis zum Beginn des Grundstücks FlNr. … Gemarkung … begrenzt wird und die Ausdehnung nach Osten weiter durch dessen östliche Grenze sowie weiter nach Norden bis zum … durch die westliche Grenze des Grundstücks FlNr. … Gemarkung … begrenzt wird. Dieser Bereich ist nach den Feststellungen im Augenschein und den vorliegenden Akten geprägt von Wohnnutzung, insbesondere im westlichen Teil des Gebiets, aber auch entlang des … und der …straße, während im östlichen Bereich mehrere auch größere Grundstücke ganz oder überwiegend gewerblich genutzt werden, wobei die Kammer davon ausgeht, dass diese Gewerbebetriebe das Wohnen nicht wesentlich stören. Im Hinblick insbesondere auf die umfangreichen gewerblichen Nutzungen auf den Grundstücken FlNrn. …, … …, … und auf dem Baugrundstück, FlNr. … sowie den zahlreichen wohngenutzten Grundstücken kann hier nach Auffassung der Kammer von einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Wohn- und Gewerbenutzung ausgegangen werden, sodass ein Mischgebiet vorliegt.
In dem damit vorliegenden Mischgebiet ist die geplante Nutzung als Büro- und Verwaltungsgebäude auf dem Baugrundstück nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 allgemein zulässig.
Auch ein Verstoß gegen § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ist hier entgegen der Auffassung der Klägerin nicht gegeben, da das geplante Bauvorhaben sowohl nach Anzahl, Lage, Umfang und Zweckbestimmung der Eigenart des Mischgebiets entspricht. Es ist auch nicht zu befürchten, dass durch die Umsetzung des Bauvorhabens hier die gewerbliche Nutzung im Mischgebiet eine dominierende, das Wohnen übermäßig zurückdrängende Bedeutung bekäme, sodass das Mischgebiet „umkippen könnte“ zu einer Gemengelage oder zu einem Gewerbegebiet. Denn auf dem Baugrundstück wurde bisher ausschließlich gewerbliche Nutzung in Form eines Natursteinwerks und später in Form eines Cateringdienstes mit Geschirrverleih betrieben. Im Hinblick auf die übereinstimmenden Angaben der Parteien, dass diese Nutzung bis 2017 ausgeübt wurde und im Hinblick auf die auf dem Baugrundstück nach wie vor vollständig vorhandenen betrieblichen Einrichtungen, die – wie die große Krananlage -, aber auch die Gebäude und die noch vorhandene Werbetafel eine gewerbliche Nutzung ins Auge springen lassen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die gewerbliche Prägung des Baugebiets erloschen wäre. Vielmehr erweckt das Baugrundstück weiterhin den Eindruck einer gewerblichen Nutzung, zumal die hierfür erteilte Baugenehmigung weiterhin fortbesteht. Diese weiterhin bestehende gewerbliche Prägung des Baugrundstücks und die Fortwirkung der dort genehmigten und früher ausgeübten gewerblichen Nutzung führen auch dazu, dass das Bauvorhaben selbst dann auf dem Baugrundstück bauplanerisch zulässig wäre, wenn hier statt eines Mischgebietes von einer Gemengelage auszugehen wäre, denn diese Gemengelage wäre im Bereich des Baugrundstücks ersichtlich gewerblich geprägt, Bauvorhaben in diesem Umfang und mit entsprechender gewerblicher Nutzung sind im Baugebiet etwa auf dem angrenzenden Grundstück FlNr. …, aber auch auf dem Grundstück FlNr. … vorhanden, sodass sich das Bauvorhaben auch nach § 34 Abs. 1 BauGB in die in der Umgebung vorhandenen Nutzungen einfügen würde. Dass die maßgebliche Umgebung um das Baugrundstück zu einem allgemeinen Wohngebiet geworden sein könnte, kann im Hinblick auf die dort vorhandene umfangreiche gewerbliche Nutzung, insbesondere auch im Hinblick auf die Größe, den Störgrad und den Umfang der gewerblichen Nutzungen ausgeschlossen werden. Dabei kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass gewerbliche Nutzungen etwa auf dem Grundstück FlNr. … dauerhaft aufgegeben wären, da die entsprechenden baulichen Anlagen nach wie vor vorhanden sind, wenn auch derzeit keine sichtbare gewerbliche Nutzung stattfindet. Entsprechendes dürfte auch, ohne dass dies entscheidungserheblich wäre, für das westlich an das Baugrundstück angrenzende Grundstück FlNr. … und die dort vorhandene, früher gewerblich genutzte Halle gelten.
Das Bauvorhaben verstößt auch nicht gegen das sich hier aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ergebende Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme im Hinblick auf das wohngenutzte Grundstück der Klägerin.
Nach den den Genehmigungsstempel tragenden Bauunterlagen werden vom Bauvorhaben die Abstandsflächen, insbesondere auch in Richtung zum Grundstück der Klägerin, eingehalten. Der geringste Abstand zwischen der südlichen Außenwand und der Grundstücksgrenze beträgt hier ca. 4,90 m, während die Wandhöhe maximal 10,25 m beträgt und nach der geltenden Abstandsflächensatzung der Beklagten eine Abstandsfläche von 0,4 H ausgelöst wird. Eine übermäßige Einbuße an Besonnung und Belichtung bedingt durch das Bauvorhaben wird weiter schon dadurch ausgeschlossen, dass das Bauvorhaben nördlich vom Wohngrundstück der Klägerin gelegen ist und somit praktisch keinen Schatten auf ihr Grundstück werfen dürfte. Im Übrigen besitzt auch die Klägerin ein ca. 18 m breites und im First ca. 12 m hohes Gebäude, das direkt südlich des Baugrundstücks gelegen ist und dieses wohl in größerem Maße verschattet als umgekehrt eine Beschattung beim Baugrundstück durch das Vorhaben eintreten dürfte. Nachdem die grenzständigen Nebengebäude auf dem Baugrundstück zur Klägerin hin abgebrochen werden sollen, ist eine erneute Prüfung der Abstandsflächenrelevanz dieser Nebengebäude nicht geboten. Andererseits können durch den Abbruch dieser Gebäude Rechte der Klägerin nicht verletzt werden, da sie keinen Anspruch auf eine Bebauung etwa in Form einer Grenzwand auf dem Grundstück der Beigeladenen besitzt. Soweit die Klägerin eine übermäßige Einsichtnahme in ihren Garten befürchtet, so löst dies ersichtlich kein Abwehrrecht gegen das Bauvorhaben aus. Zum einen ermöglicht die örtliche Situation hier eine wechselseitige Einsichtnahme, da auch die Klägerin bis ins Dachgeschoss Gaubenfenster besitzt und damit auch auf das Baugrundstück Einblick nehmen kann, im Übrigen ist ein Schutz vor unerwünschter Einsichtnahme im Regelfall Sache des Grundstückseigentümers selbst, etwa durch Bepflanzung. Insofern ist durch die großen Bäume im Garten hier ohnehin zumindest im Sommerhalbjahr nur mit einer sehr eingeschränkten Einblicksmöglichkeit vom Baugrundstück aus zu rechnen.
Auch die Situation der notwendigen Fahrradabstellplätze an der Grundstücksgrenze führt nicht zu einem Abwehrrecht der Klägerin, da unzumutbare Störung weder von den Stellplätzen noch durch deren Nutzung zu erwarten ist.
Soweit die Klägerin unzumutbaren Lärm und weitere Immissionen durch den vom Vorhaben ausgelösten Verkehr rügt, so liegen dafür keine belastbaren Anhaltspunkte vor. So hat die Beklagte in der angefochtenen Baugenehmigung in der Auflage Nr. 17 für das klägerische Grundstück einen Immissionsrichtwert von 47 dB(A) tags und 42 dB(A) nachts festgesetzt, ebenso wie die sich daraus ergebenden Spitzenpegel. Die Beklagte ist dabei zutreffend von der Einstufung als Mischgebiet sowohl für das Grundstück der Klägerin als auch das Baugrundstück ausgegangen und hat die nach der TA-Lärm im Mischgebiet anzusetzenden Werte tags und nachts um jeweils 3 dB(A) reduziert. Damit wäre auch einer Vorbelastung durch weitere Gewerbebetriebe, von der beim Augenschein allerdings nichts festzustellen war, hinreichend genüge getan.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die hier zutreffend festgesetzten Immissionsrichtwerte durch das Bauvorhaben beim Grundstück der Klägerin nicht eingehalten werden können. Vielmehr zeigt das vorgelegte, nach Auffassung der Kammer gut nachvollziehbare Gutachten des Ingenieurbüros …, dass beim maßgeblichen Immissionsort vor den am meisten belasteten Fenstern auf dem Grundstück der Klägerin die Immissionsrichtwerte tags und nachts eingehalten werden, wobei sie während der hier aufgrund der Betriebszeit von 6:00 bis 22:00 Uhr maßgeblichen Tagzeit sogar erheblich unterschritten werden. Was die im Gutachten errechnete Überschreitung des Spitzenpegels nachts angeht, so führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung und einem Abwehrrecht der Klägerin. Zum einen sind nach § 12 BauNVO die von der hier zulässigen gewerblichen Nutzung ausgelösten Stellplätze und Garagen im Baugebiet zulässig, womit auch die üblicherweise von dieser Stellplatz- und Garagennutzung ausgehenden Immissionen grundsätzlich von Nachbarn hinzunehmen sind. Hinzu kommt, dass aufgrund der Formulierung der Auflage Nr. 18 der Baugenehmigung hier von einem Verkehr und damit Lärmimmissionen zur Nachtzeit nicht ausgegangen werden kann. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass hier der gesamte Parkverkehr, das besonders laute Türenschlagen, eventuelle Unterhaltungen oder sonstige Geräusche beim Ein- und Aussteigen sowie beim Anfahren durch die Unterbringung der 41 Stellplätze in der Tiefgarage von der Klägerin vollständig abgeschirmt sind, von den 7 nördlich des Gebäudes anzulegenden oberirdischen Stellplätzen kann im Hinblick auf das Grundstück der Klägerin ebenfalls keine Belästigung ausgehen. Auch die Ausfahrt aus der Tiefgarage und die Rampe werden durch das geplante Gebäude im Hinblick auf das Grundstück der Klägerin weitgehend abgeschirmt.
Soweit sich die Klägerin gegen die Zufahrt zur Tiefgarage von der …straße hier über ihr Grundstück wendet, so erfolgt diese in Ausübung der für das Baugrundstück als herrschendem Grundstück zu Lasten des Grundstücks der Klägerin im Grundbuch eingetragenen Grunddienstbarkeit in Form eines Geh- und Fahrtrechts. Im Hinblick auf den Wortlaut der Bestellungsurkunde (URNr. … vom 31. Juli 1980) geht die Kammer davon aus, dass der nunmehr geplante Verkehr von Art und Umfang her sich im Rahmen des Geh- und Fahrtrechts bewegt. Dies ergibt sich für die Kammer zum einen aus dem aus dem Text ersichtlichen Zweck der Grunddienstbarkeit, nicht nur die Zufahrt zu dem auf dem Baugrundstück betriebenen Natursteinwerk für dauernde Zeiten und auch im Fall künftiger Eigentumsänderungen rechtlich sicherzustellen, sondern in der ausdrücklichen Festschreibung, dass das Geh- und Fahrtrecht zu allen Zwecken, insbesondere auch zu gewerblichen, sowohl von dem Eigentümer selbst als auch dessen Angehörigen, Angestellten, Mietern und Pächtern ausgeübt werden kann, wobei die Zufahrt auf der bereits bestehenden ca. 5 m breiten Fuhre an der Ostseite des Grundstücks der Klägerin zu erfolgen habe. Aus dem Inhalt der Urkunde wie aus der Historie ihrer Entstehung folgert die Kammer, dass die Bewilligung der Grunddienstbarkeit durch den damaligen Grundstückseigentümer beider Grundstücke ersichtlich dazu dienen sollte, weiterhin die ungehinderte Zufahrt von der …straße aus zum Baugrundstück und einer dort ausgeführten gewerblichen Nutzung zu sichern. Aus diesem Grund kann die Urkunde nach Auffassung der Kammer auch nicht dahingehend verstanden werden, dass ausschließlich die Zufahrt zum Natursteinbetrieb und nur in dem für diesen erforderlichen Umfang bewilligt werden sollte, da ja gerade auch andere gewerbliche Nutzungen ausdrücklich genannt wurden. Schließlich ist zu beachten, dass das Natursteinwerk, wie die vorhandenen Anlagen, insbesondere die Betriebshalle und die Krananlage zeigen, einen erheblichen Umfang hatte, der auch Lkw-Verkehr auslöste, sodass die nunmehrige Benutzung durch die Mitarbeiter der zukünftigen Büronutzung als Zufahrt zur Tiefgarage mit Pkw über das zulässige Maß keinesfalls hinausgehen dürfte. Damit ist aber zum einen die Erschließung des Baugrundstücks durch die beiden Zufahrten im Norden zu den 7 Stellplätzen und im Süden zur Tiefgarage gesichert, ohne dass dadurch unzumutbare Belästigungen oder Beeinträchtigungen bei der Klägerin ausgelöst werden und diese damit ein Abwehrrecht hätte.
Damit war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 161 VwGO, der Streitwert wurde gemäß § 52 Abs. 1 GKG festgesetzt. Eine Verpflichtung der Klägerin zur Erstattung von Kosten des Beigeladenen kam hier nicht in Frage, da dieser keinen eigenen Antrag gestellt und damit kein Kostenrisiko übernommen hat.


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