Baurecht

Nachbarklage gegen die erteilte Baugenehmigung zum Neubau eines Mehrfamilienwohnhauses

Aktenzeichen  W 4 K 17.1240

Datum:
9.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 58408
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34
BauNVO § 12, § 15
BayBO Art. 59, Art. 63

 

Leitsatz

1. Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Rücksichtnahmegebot ist dann verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Klägerin ist durch die Baugenehmigung vom 14. September 2017 nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind.
Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung dieses Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 – 4 B 244/96, NVwZ 1998, 58 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 14.10.2008 – 2 CS 08.2132 – juris Rn. 3; VG Würzburg, U.v. 8.11.2016 – W 4 K 16.418 – juris Rn. 17).
Weiterhin gilt es zu berücksichtigten, dass nach ständiger Rechtsprechung maßgeblicher Zeitpunkt bei Drittanfechtungsklagen im Baurecht grundsätzlich der der letzten Behördenentscheidung ist (vgl. hierzu etwa BayVGH, B.v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2326 – juris Rn. 4, Posser/Wolff, BeckOK VwGO, zu § 113 Rn. 22 und 22.6).
2. Da das beantragte Bauvorhaben keinen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO darstellt, wurde es zu Recht im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gemäß Art. 59 BayBO genehmigt. Da keine Abweichungen im Sinne des Art. 63 BayBO beantragt oder erteilt wurden und die Baugenehmigung auch nicht andere öffentlich-rechtliche Entscheidungen substituiert, umfasst zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Prüfungsmaßstab für das streitgegenständliche Vorhaben gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO (in der Fassung vom 1.1.2008 bis 31.8.2018) nur die Übereinstimmung des Vorhabens mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB sowie den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO.
3. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich vorliegend nach § 34 Abs. 1 BauGB, wonach innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig ist, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete im Sinne der Baunutzungsverordnung, beurteilt sich gemäß § 34 Abs. 2 BauGB die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Baunutzungsverordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre, wobei auf die nach der Baunutzungsverordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben § 31 Abs. 1 BauGB, im Übrigen § 31 Abs. 2 BauGB entsprechend anzuwenden ist.
3.1. Ob sich das Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung, nach der Bauweise und nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, bedarf vorliegend allerdings keiner Entscheidung, denn die Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung, über die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, sind nach ganz herrschender Meinung nicht nachbarschützend (vgl. BVerwG, B.v. 11.3.1994 – 4 B 53/94, UPR 1994, 267 – juris Rn. 4; B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95, NVwZ 1996, 888 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 29.9.2008 – 1 CS 08.2201 – juris Rn. 1; B.v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris Rn. 9; B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 3; B.v. 30.9.2014 – 2 ZB 13.2276 – juris Rn. 4). Das Vorbringen der Klägerin, die überbaute Grundfläche sowie die Anzahl der Vollgeschosse bzw. die Geschossflächenzahl würde im Vergleich zu den übrigen Grundstücken überschritten, bleibt daher im Rahmen der Anfechtung der Baugenehmigung durch den Nachbarn genauso außer Betracht wie der Einwand der Klägerin, ein Staffelgeschoss mit Flachdach füge sich nicht in die nähere Umgebung ein.
3.2. Das gilt auch für die behauptete Verletzung einer (faktischen) hinteren Baugrenze durch das Bauvorhaben.
Dabei vermag das Gericht auch unter Berücksichtigung der im Rahmen des durchgeführten Augenscheins gewonnenen Ortskenntnisse schon keine faktische Baugrenze zu erkennen. Zwar sind die bisher errichteten Gebäude auf den Grundstücken entlang der R. straße allesamt entlang dieser Straße ostwärts ausgerichtet. Jedoch weisen die Gebäude unterschiedliche Bebauungstiefen auf. Eine klare (faktische) Baugrenze ist daher nicht erkennbar. Zuzugeben ist der Klägerin zwar, dass das geplante Vorhaben des Beigeladenen deutlich weiter nach Westen reichen soll, als das bei der bisher vorhandenen Bebauung der Fall ist. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Grundstücke dort in ihrer Größe stark variieren, wie beispielsweise beim Vergleich des Grundstücks des Beigeladenen mit dem Grundstück der Klägerin oder dem Grundstück der Fl.Nr. …1 deutlich wird.
Ferner gilt, dass Festsetzungen hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche (Baulinien, Baugrenzen, Bebauungstiefen) nicht schon kraft Gesetzes eine nachbarschützende Funktion haben. Abweichungen von diesen Festsetzungen lassen den Gebietscharakter unberührt und haben nur Auswirkungen auf das Baugrundstück und die unmittelbar anschließenden Nachbargrundstücke. Zum Schutz der Nachbarn ist insoweit das Rücksichtnahmegebot ausreichend. Entsprechende Festsetzungen vermitteln einen weitergehenden – über das Rücksichtnahmegebot hinausgehenden – Drittschutz daher nur dann, wenn sie nach dem Planungswillen der Gemeinde ausnahmsweise diese Funktion haben sollen (vgl. BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95, BauR 1996, 82 – juris Rn. 3). Vorliegend ist nichts dafür ersichtlich, dass eine etwaige Baugrenze – wollte man eine solche entgegen der Auffassung des Gerichts hier annehmen – auch dem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen sollte, zumal die Beklagte, da es sich um einen unbeplanten Innenbereich handelt, gerade keinen dahingehenden Planungswillen zum Ausdruck gebracht hat.
4. In bauplanungsrechtlicher Hinsicht verbleibt damit als möglicherweise nachbarschützendes Kriterium nur die Art der baulichen Nutzung und beurteilt sich das Vorhaben insoweit nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bzw. nach § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit der einschlägigen Baugebietsvorschrift der Baunutzungsverordnung. Insoweit kommt für den Fall, dass sich das Vorhaben mit den geplanten fünf Wohneinheiten samt Tiefgarage mit sieben Stellplätzen nicht einfügt, grundsätzlich ein Gebietserhaltungsanspruch der Klägerin in Betracht.
Aufgrund der gewonnenen Ortskenntnisse im Rahmen des durchgeführten Augenscheins geht das Gericht davon aus, dass hinsichtlich der vorliegend entscheidungserheblichen näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 und 2 BauGB auf das Karree zwischen der R. straße im Osten und der H. straße im Westen abzustellen ist, das im Norden durch die L.allee und im Süden durch den B.weg begrenzt wird.
Aufgrund der im Augenschein gewonnenen Erkenntnisse entspricht die Eigenart dieses Karrees hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung einem allgemeinen Wohngebiet im Sinne des § 4 BauNVO (i.V.m. § 34 Abs. 2 BauGB). Allgemein zulässig sind dort Wohngebäude gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO.
Nach der streitgegenständlichen Baugenehmigung vom 14. September 2017 sowie den genehmigten Plänen wurde der Neubau eines Mehrfamilienwohnhauses mit fünf Wohneinheiten samt Tiefgarage und damit eine Wohnnutzung genehmigt, die gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO allgemein zulässig ist. Da im geplanten Vorhaben ausschließlich gewohnt werden soll, steht jedenfalls bei nur fünf Wohneinheiten nicht zu befürchten, dass aufgrund der Vorhabengröße ein Abgleiten in eine andere Nutzungsart droht. Auch insoweit verletzt die Baugenehmigung daher keine Rechte der Klägerin.
5. Es liegt darüber hinaus unter besonderer Berücksichtigung der im Rahmen des Augenscheins gewonnenen Ortskenntnisse sowie anhand der genehmigten Bauvorlagen auch keine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme vor, das sich vorliegend aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO ableitet.
5.1. Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er eine Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Bei der Interessengewichtung spielt es eine maßgebliche Rolle, ob es um ein Vorhaben geht, das grundsätzlich zulässig und nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen nicht zuzulassen ist, oder ob es sich – umgekehrt – um ein solches handelt, das an sich unzulässig ist und nur ausnahmsweise zugelassen werden kann. Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position innehat (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215/96 – juris Rn. 9 m.w.N.). Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmeberechtigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist, an (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75, BVerwGE 52, 122 – juris Rn. 22; U.v. 28.10.1993 – 4 C 5.93, NVwZ 1994, 686 – juris Rn. 17; U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04, NVwZ 2005, 328 – juris Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8/11, BVerwGE 145, 145 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4).
Das Rücksichtnahmegebot ist dann verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75, BVerwGE 52, 122 – juris Rn. 22). Das Gebot der Rücksichtnahme gibt den Nachbarn aber nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sichtachsen von seinem Grundstück aus verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17). Eine Veränderung der Verhältnisse durch ein Vorhaben, das den Rahmen der Umgebungsbebauung wahrt und städtebaulich vorgegeben ist, ist aber regelmäßig als zumutbar hinzunehmen (BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 6).
So ist in der Rechtsprechung zum Rücksichtnahmegebot anerkannt, dass eine Verletzung dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78, DVBl. 1981, 928 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zu 2,5-geschossigem Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85, NVwZ 1987, 34 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; vgl. auch BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770, BayVBl 2009, 751 – juris Rn. 23; B.v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris Rn. 21). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind u.a. die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung. Für die Annahme der „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung eines Nachbargebäudes ist somit grundsätzlich kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes, was insbesondere gilt, wenn die Gebäude im dicht bebauten innerstädtischen Bereich liegen (BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5; B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9).
5.2. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben vermag das Gericht keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots zu erkennen. Das geplante Gebäude soll gemessen am Geländeverlauf im Osten eine Höhe von 10,19 Metern, im Westen eine Höhe von knapp 13 Metern haben (vgl. Blatt 95, 97a der BA). Damit erweist sich das geplante Vorhaben jedoch nur geringfügig höher als das Haus der Klägerin (vgl. Blatt 100 BA). Von einer abriegelnden oder erdrückenden Wirkung kann daher keine Rede sein.
Darüber hinaus hält das geplante Vorhaben unter besonderer Berücksichtigung des Art. 6 Abs. 4 bis 6 BayBO auch die Abstandsflächen zum Grundstück der Klägerin ein (vgl. hierzu Abstandsflächenplan, Blatt 97a BA). Ein solcher Verstoß wurde von der Klägerin selbst nicht behauptet. Dem landesrechtlichen Abstandsflächenrecht nach Art. 6 BayBO kommt für die Beurteilung des bauplanungsrechtlichen (und daher bundesrechtlichen) Rücksichtnahmegebots unter dem Gesichtspunkt vorgetragener Belastungswirkungen aufgrund eines (vermeintlich) zu geringen Abstands eines großen Baukörpers zwar keine rechtliche Bindungswirkung zu. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots scheidet unter diesem Gesichtspunkt im Sinne einer Indizwirkung aber in aller Regel aus, wenn – wie hier – die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen eingehalten werden. Denn in diesem Fall ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Landesgesetzgeber die nachbarlichen Belange und damit das diesbezügliche Konfliktpotenzial in einen vernünftigen und verträglichen Ausgleich gebracht hat (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 29).
Ausnahmen hiervon sind vorliegend nicht ersichtlich. Insbesondere erscheint es ausgeschlossen, dass die vom An- und Abfahrtsverkehr der Tiefgaragenzufahrt ausgehende Immissionsbelastung so erheblich ist, dass für die Klägerin die Grenze des Zumutbaren überschritten wird (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO) und dadurch ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot zu verzeichnen ist. Die Tiefgarage ist gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 12 Abs. 2 BauNVO ihrer Art nach planungsrechtlich zulässig. Sowohl in (faktischen) reinen als auch allgemeinen Wohngebieten sind Stellplätze und Garagen für den durch die zugelassene Nutzung notwendigen Bedarf zulässig (vgl. § 12 Abs. 2 BauNVO). Die Vorschrift begründet für den Regelfall auch hinsichtlich der durch die Nutzung verursachten Lärmimmissionen eine Vermutung der Nachbarverträglichkeit. Der Grundstücksnachbar hat deshalb die Errichtung notwendiger Garagen und Stellplätze für ein Wohnbauvorhaben und die mit ihrem Betrieb üblicherweise verbundenen Immissionen der zu- und abfahrenden Kraftfahrzeuge des Anwohnerverkehrs grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2014 – 15 ZB 13.1017 – juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 11.8.1999 – 27 ZS 99.1717 – juris Rn. 7; B.v. 18.9.2008 – 1 ZB 06.2294 – juris Rn. 34 ff.). Besondere Umstände, die die Regelung der Parksituation in der Tiefgarage und die Zufahrt als unzumutbar erscheinen lassen, sind hier nicht ersichtlich. Die Tiefgarageneinfahrt bzw. -ausfahrt liegt zwar unmittelbar entlang der nördlichen Grundstücksgrenze des klägerischen Anwesens. Die Anzahl der Tiefgaragenplätze mit sieben Stellplätzen bewegt sich aber in dem Bereich, der auf eine Nutzung durch die Hausbewohner beschränkt ist. Besondere, weitergehende Beeinträchtigungen durch die Tiefgarage sind nicht zu erkennen. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass Tiefgaragen im Vergleich zu oberirdischen Garagen und Stellplätzen unter dem Gesichtspunkt des Immissionsschutzes rücksichtsvoller sind, weil durch die Verlagerung des ruhenden Fahrzeugverkehrs unter die Erde eine Vielzahl von Geräuschquellen (vgl. etwa Rangierverkehr, Türenschlagen, Unterhaltungen beim Ein- und Aussteigen) nicht mehr wahrnehmbar ist (VG Berlin, B.v. 28.10.2014 – 13 L 224.14 – juris Rn. 74 m.w.N.; VG Würzburg, U.v. 8.11.2016 – W 4 K 16.418 – juris Rn. 44 f.).
6. Schließlich erweist sich die Baugenehmigung auch nicht deswegen als rechtswidrig, wie die Klägerin meint, weil das Vorhaben aufgrund seiner Dimensionierung und einer damit (angeblich) einhergehenden massiven Abweichung von der prägenden Bebauung bodenrechtliche Spannungen erzeugen würde. Dies, so die Klägerin weiter, würde einen Planungsbedarf nach sich ziehen, so dass die Erteilung der Baugenehmigung ohne vorangegangene Bauleitplanung ihr Recht auf Beteiligung an einer zunächst vorzunehmenden, gemeindlichen Bauleitplanung und die Berücksichtigung der von ihr betroffenen Belange im Rahmen der dabei vorzunehmenden Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB verletzen würden (siehe zu dieser Argumentation insbesondere den Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 3. Juni 2019, S. 11 ff.).
Dem ist entgegen zu halten, dass ein Recht auf fehlerfreie Abwägung nur im Rahmen einer tatsächlich stattfindenden Bauleitplanung besteht. Ein Bauleitplan ist jedoch nur dann aufzustellen, wenn er erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist. Einen Anspruch auf Aufstellung eines Bauleitplans hat der einzelne Bürger jedoch nach der klaren Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB gerade nicht. Schon aus diesem Grund kann, unabhängig vom tatsächlichen Vorliegen bodenrechtlicher Spannungen, keine entsprechende Rechtsverletzung der Klägerin vorliegen. Den hierbei von der Klägerseite angeführten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts lag bezeichnender Weise entweder keine Nachbarklagen-Fallkonstellation zugrunde (so im Fall BVerwG, U.v. 16.9.2010 – 4 C 7/10 – juris) oder aber es wurde dort dezidiert ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme angenommen (so im Fall BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5/12 – juris). Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot wurde vorliegend jedoch gerade verneint (vgl. oben und 5.2.).
Darüber hinaus kann das Gericht aufgrund der gewonnenen Eindrücke vor Ort und unter Berücksichtigung der der Baugenehmigung zugrundeliegenden Pläne nicht erkennen, dass durch das geplante Bauvorhaben tatsächlich bodenrechtlich beachtliche Spannungen entstehen. Bodenrechtlich beachtliche und bewältigungsbedürftige Spannungen sind dadurch gekennzeichnet, dass das Vorhaben die vorhandene Situation in bauplanungsrechtlich relevanter Weise verschlechtert, stört oder belastet und das Bedürfnis hervorruft, die Voraussetzungen für seine Zulassung unter Einsatz der Mittel der Bauleitplanung zu schaffen (vgl. etwa BVerwG, U.v. 05.12.2013 – 4 C 5/12 – juris Rn. 17 = BVerwGE 148, 290-297 m.w.N.). Der in der näheren Umgebung vorzufindende Rahmen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung ist allerdings nicht derart homogen, dass das vorliegend genehmigte Vorhaben diesen derart überschreitet, dass solche bodenrechtlich beachtlichen Spannungen entstünden oder erhöht würden. Dies gilt dabei unabhängig davon, ob man insoweit die vorhandene Bebauung auf dem Grundstück Fl.Nr. …3 bezüglich der prägenden Bebauung der Umgebung mitberücksichtigt (so die Beklagte) oder dies wegen eines „Ausreißers“ außen vorlässt (so die Auffassung der Klägerin). Denn auch insoweit gilt es zu berücksichtigen, dass die Größe der Grundstücke im hier maßgeblichen Karree deutlich variiert (vgl. hierzu Blatt 92). Dementsprechend ist die Bebauung dort auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung heterogen, wie ein Vergleich beispielsweise der Grundstücke Fl.Nrn. …9, …3/1, …6, …7 und …11 recht anschaulich zeigt. Aufgrund der konkreten Grundstücksgröße sowie der heterogenen Bebauung in der maßgeblichen Umgebung fügt sich das geplante Vorhaben nach Auffassung des Gerichts auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung noch ein. Bodenrechtliche Spannungen vermag das Gericht daher unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse vor Ort nicht zu erkennen.
Auch insoweit ist eine Rechtsverletzung der Klägerin daher zu verneinen.
7. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da der Beigeladene keinen eigenen Klageantrag gestellt hat, sich folglich am Kostenrisiko des Verfahrens nicht beteiligt hat, waren seine außergerichtlichen Aufwendungen der Klägerin auch nicht aufzuerlegen (§ 154 Abs. 3 VwGO, § 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben