Baurecht

Nachbarklage gegen Umbau einer bestehenden Garage zu Wohnzwecken – Verwirkung von Abwehrrechten

Aktenzeichen  AN 3 K 16.01211

Datum:
30.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 34 Abs. 1, Abs. 2
BauNVO BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2
BImSchG BImSchG § 3 Abs. 1, § 16 Abs. 1 S. 1
BGB BGB § 242
VwGO VwGO § 58

 

Leitsatz

1. Aus dem nachbarlichen Gegenseitigkeits- und Gemeinschaftsverhältnis resultiert die Pflicht, Einwendungen gegen ein Bauvorhaben möglichst unverzüglich vorzutragen, um auf diese Weise wirtschaftlichen Schaden vom Bauherrn abzuwenden oder möglichst gering zu halten. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Dauer des Zeitraums der Untätigkeit des Berechtigten, von der an im Hinblick auf die Gebote von Treu und Glauben von einer Verwirkung des Rechts, Einwendungen zu erheben, die Rede sein kann, hängt entscheidend von den Umständen des Einzelfalls ab. Verwirkung kann bereits vor Ablauf der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO eintreten. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Anwendung der Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) kann zu einer Überzeichnung von Gerüchen aus landwirtschaftlicher Tierhaltung führen. Deshalb stellt die GIRL nur ein Hilfsmittel bzw. nur eine Erkenntnisquelle unter vielen bei der Beurteilung von Gerüchen dar. (Rn. 64) (redaktioneller Leitsatz)
4. Erweiterungen eines Betriebs können einem später beantragten Vorhaben entgegengehalten werden, wenn sie bereits im vorhandenen baulichen Bestand ihren Niederschlag gefunden haben und weder vage noch unrealistisch sind. (Rn. 70) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin kann das streitgegenständliche Vorhaben zum Umbau einer bestehenden Garage zu Wohnzwecken auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften nicht abwehren.
Die Klägerin wird durch die angefochtene Baugenehmigung vom 19. November 2015 nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung haben Nachbarn nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr setzt die Aufhebung der Baugenehmigung weiter voraus, dass der Nachbar durch sie zugleich in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies ist nur dann der Fall, wenn die zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung führende Norm zumindest auch dem Schutz der Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat (vgl. BVerwG v. 6.10.1989 – 4 C 40.87).
Vorliegend hat die Klägerin ihre materiell-rechtlichen Abwehrrechte schon verwirkt (dazu 1.). Darüber hinaus ist das Vorhaben keinen schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt und verletzt deshalb nicht die Rechte der Klägerin (dazu 2.). Auch die geplante und beantragte Erweiterung des klägerischen Betriebs steht dem Vorhaben nicht entgegen (dazu 3.).
1. Die Klägerin hat ihre materiellen Abwehrrechte gegen das Vorhaben bereits verwirkt, da ihr Verhalten gegenüber dem Beigeladenen gegen Treu und Glauben verstößt.
Nachbarn stehen zueinander in einem „nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis“, das nach Treu und Glauben von ihnen besondere Rücksichten gegeneinander fordert (BVerwG vom 18.3.1988 – 4 B 50/88; Roth in Münchner Kommentar, Bürgerliches Gesetzbuch, 5. Aufl. 2007, RdNr. 194 zu § 242). Aus dem nachbarlichen Gegenseitigkeits- und Gemeinschaftsverhältnis resultiert etwa die Pflicht, Einwendungen gegen ein Bauvorhaben möglichst unverzüglich vorzutragen, um auf diese Weise wirtschaftlichen Schaden vom Bauherrn abzuwenden oder möglichst gering zu halten (BVerwG v. 16.5.1991 NVwZ 1991, 1182; VGH München, B.v. 21.3.2012 – 14 ZB 11.214; OVG Saarland v. 21.9.1998 – 2 W 6/98; OVG MV v. 5.11.2001 NVwZ-RR 2003, 15). Der Nachbar muss dieser Verpflichtung dadurch nachkommen, dass er nach Erkennen/Erkennenmüssen der Beeinträchtigung durch Baumaßnahmen unverzüglich seine nachbarlichen Einwendungen geltend macht, wenn ihm nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegengehalten werden soll, weil er mit seinen Einwendungen länger als notwendig gewartet hat (BayVGH v. 16.11.2009 – 2 ZB 08.2389). Die Dauer des Zeitraums der Untätigkeit des Berechtigten, von der an im Hinblick auf die Gebote von Treu und Glauben von einer Verwirkung des Rechts die Rede sein kann, hängt dabei entscheidend von den Umständen des Einzelfalles ab (BVerwG v. 16.5.1991 a.a.O.). Dabei ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass bereits vor Ablauf der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO Verwirkung eintreten kann (BVerwG v. 16.5.1991 a.a.O.; OVG SH v. 26.03.1997 – 1L 322/95; OVG MV v. 5.11.2001 a.a.O.). Allerdings ist die Verwirkungsfrist deutlicher länger als die Monatsfrist der §§ 70 i.V.m. 58 Abs. 1 VwGO zu bemessen (BVerwG v. 16.5.1991 a.a.O.). Entscheidend für die Frage des Eintritts der Verwirkung ist der Zeitpunkt, ab dem der Nachbar sichere Kenntnis vom Vorhaben hatte oder hätte haben müssen. Dieser Zeitpunkt ist in der Regel der Baubeginn, wenn dadurch erkennbar wird, in welchem Umfang das Vorhaben realisiert werden soll und der Nachbar dadurch beeinträchtigt wird (Battis/Krautzberger/Löhr, Vorbemerkungen zu den §§ 29 bis 38, Rn. 75).
Diese Grundsätze hat die Klägerin nicht beachtet. Sie hat länger als ein halbes Jahr nach Erkennbarkeit der Umnutzung mit der Klageerhebung gewartet hat, ohne auch nur irgendwelche Einwendungen geltend zu machen.
Ausweislich der Akten wurde die Baugenehmigung am 19. November 2015 erteilt, der Baubeginn wurde am 1. Dezember 2015 angezeigt und die Nutzungsaufnahme am 19. Januar 2016. Der Geschäftsführer der Klägerin erklärte in der mündlichen Verhandlung, zum ersten Mal ca. 3 Monate vor Klageerhebung Kenntnis von dem Vorhaben erlangt zu haben, somit ca. Anfang April 2016. Danach habe er sich noch mit den GmbH-Gesellschaftern abstimmen müssen, ob Klage erhoben werde. Eine Zustellung der Baugenehmigung fand am 22. Juni 2016 statt.
Das Grundstück der Klägerin befindet sich in unmittelbarer Nähe zum streitgegenständlichen Vorhaben, nur durch eine Straße getrennt. Es ist auch problemlos einsehbar, da das Karree, auf dem das Vorhaben liegt, zum klägerischen Grundstück hin geöffnet ist. Der Umbau von Garagen zu Wohnungen und die Art und Weise der äußeren Gestaltung der neuen Wohnungen (helle Holzverschalung, Fenster etc.) war ausweislich der Fotos in den Akten auch derart offensichtlich, dass es für umliegende Nachbarn deutlich erkennbar war, dass auf dem Grundstück ein neues Vorhaben entsteht. Wenn die Klägerin nun meint, sie könne aufgrund ihrer Betriebsgröße nicht dauerhaft die Nachbarschaft im Blick haben, so verfängt dieses Argument nicht. Es ist nicht einzusehen, weshalb einem Nachbarn, der einen größeren Gewerbetrieb auf seinem Grundstück betreibt, mehr Zeit zugesprochen werden soll um Kenntnis von neuen Bauvorhaben zu erlangen, als privaten Grundstückseigentümern.
Die Klägerin hätte somit spätestens bei Nutzungsaufnahme Mitte Januar 2016 Kenntnis vom Bauvorhaben haben müssen und ihre Einwände nach obigen Grundsätzen unverzüglich vorbringen müssen. Stattdessen hat sie nahezu ein halbes Jahr mit der Erhebung der Klage zugewartet und damit gegen Treu und Glauben verstoßen.
Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, es habe noch einer Abstimmung mit den Gesellschaftern bedurft. Hier gilt ebenso, dass sie nicht besser gestellt werden kann als andere, private Eigentümer, die Nachbarn des Bauherren sind. Der Schutz des Bauherren darf durch individuelle organisatorische Belange eines Nachbarn nicht verkürzt werden und den Grundsatz der unverzüglichen Geltendmachung von Beeinträchtigungen durchbrechen.
Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, sie habe gedacht, sie hätte ein Jahr Zeit, um Klage gegen den Bescheid zu erheben, nachdem die Zustellung der erteilten Baugenehmigung zunächst unterblieb. Ein solcher Irrtum über die Klagefrist ist im Rahmen der Verwirkung aus den oben dargelegten Gründen irrelevant.
2. Darüber hinaus verletzt die streitgegenständliche Baugenehmigung nicht die Rechte der Klägerin dadurch, dass es schädlichen Umwelteinwirkungen, insbesondere Lärm (dazu a.) oder Geruch (dazu b.) ausgesetzt ist.
Es kann offen bleiben, ob sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB oder nach § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 6 BauNVO richtet. Das Gebot der Rücksichtnahme ist in beiden Fällen gleichermaßen zu beachten. Findet § 34 Abs. 1 BauGB Anwendung, weil das Baugrundstück zwar innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegt, die Umgebung des Baugrundstücks aber nicht einem der in der Baunutzungsverordnung aufgeführten Baugebiete entspricht (Gemengelage), ist das Gebot der Rücksichtnahme Teil des nach Satz 1 dieser Vorschrift maßgebenden Einfügungsgebots (BVerwG vom 5.3.1984 NVwZ 1984, 646). Richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 Abs. 2 BauGB, weil die in der näheren Umgebung des Baugrundstücks vorhandenen Nutzungsarten einem Mischgebiet (§ 6 BauNVO) entspricht, ergibt sich die Verpflichtung zur Rücksichtnahme aus § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (BVerwG v. 12.12.1991 NJW 1992, 1779).
Welche Anforderungen sich aus dem Rücksichtnahmegebot im Einzelnen ergeben, hängt maßgebend davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Zur Rücksichtnahme ist nicht nur derjenige verpflichtet, der Emissionen verursacht, sondern auch derjenige, der ein gegenüber Immissionen schutzbedürftiges Vorhaben, wie ein Wohngebäude, in der Nachbarschaft einer emittierenden Anlage errichtet (VGH München B.v. 4.8.2008 – 1 CS 07.2770). Nicht nur Vorhaben, von denen Belästigungen oder Störungen ausgehen (§ 15 Abs. 1 Satz 2 Alternative 1 BauNVO), sondern auch solche, die sich schädlichen Umwelteinwirkungen aussetzen (§ 15 Abs. 1 Satz 2 Alternative 2 BauNVO), können gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen (BVerwG v. 14.1.1993 NVwZ 1993, 1184; v. 18.5.1995 NVwZ 1996, 379; v. 5.9.2000 BauR 2001, 83).
Der Abwehranspruch der Klägerin ist dann gegeben, wenn sich das streitgegenständliche Vorhaben unzumutbaren Belästigungen oder Störungen ausgesetzt sieht, insbesondere schädlichen Umwelteinwirkungen.
a. Unzumutbare Belästigungen ergeben sich vorliegend nicht aus auf das Vorhaben einwirkenden Lärmimmissionen.
Zur Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen ist grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen des Immissionsschutzrechts (Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen in § 3 Abs. 1 BImSchG) und auf dessen materiell-rechtliche Maßstäbe (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG) zurückzugreifen (BVerwG v. 23.9.1999 NVwZ 2000, 1050). Bei Gewerbelärm wird die Zumutbarkeitsgrenze regelmäßig durch die Richtwerte der TA Lärm konkretisiert (BVerwG v. 30.4.1992 NJW 1992, 2779; v. 24.9.1992 NJW 1993, 342; v. 29.8.2007 NVwZ 2008, 78; vgl. auch Nr. 1 Satz 1 TA Lärm). Nach der TA Lärm ist hier während der Tagzeit ein Richtwert von 60 dB(A) maßgeblich und während der Nachtzeit ein Richtwert von 45 dB(A) heranzuziehen, unabhängig davon, ob sich das streitgegenständliche Vorhaben in einem Mischgebiet oder in einer Gemengelage befindet (siehe 6.7 TA Lärm).
Nach dem vorgelegten Lärmgutachten vom 15. November 2016 werden diese Werte am streitgegenständlichen Vorhaben eingehalten.
Entgegen der Ansicht der Klägerin wurde in das Gutachten der vom klägerischen Betrieb ausgehende Lärm einbezogen (siehe 5.4.2 bis 5.4.11 des Gutachtens). Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass am maßgeblichen Immissionsort 5 (der Punkt des Vorhabens, der dem klägerischen Betrieb am nächsten ist) ein Beurteilungspegel von tags 60 dB(A) und nachts von 42 dB(A) erreicht wird (Seite 27 und 31).
Der Einwand, die Baugenehmigung verpflichte den Beigeladenen, sog. „Hamburger Fenster“ nur vor Schlafräumen anzubringen und nicht vor anderen Räumen, greift nicht. Die TA-Lärm sieht in Anlage A 1.3 vor, Lärmwerte im Abstand von 0,5 m außerhalb vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Geräusch am stärksten betroffenen schutzbedürftigen Raumes zu messen. Passiver Schallschutz wie eben genannte Fenster müssen daher bei der Lärmbeurteilung nach der TA Lärm außer Betracht bleiben (BVerwG, U.v. 29. 11. 2012 – 4 C 7.11), so dass sich die Klägerin nicht auf mangelnden Schallschutz am streitgegenständlichen Vorhaben berufen kann.
Es ist damit festzustellen, dass am streitgegenständlichen Vorhaben die Immissionsrichtwerte eingehalten werden und es damit keinen unzumutbaren Lärmeinwirkungen ausgesetzt wird.
b. Ferner ergeben sich keine unzumutbaren Belästigungen aus den auf das Vorhaben einwirkenden Gerüchen.
Vorliegend ist bei der Bewertung die Begutachtung des Ingenieurbüros … im Auftrag der Firma … nach der Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) zugrunde gelegt. Bei der GIRL handelt es sich nicht um eine Rechtsquelle, sondern um eine technische Norm, die auf den Erkenntnissen und Erfahrungen von Sachverständigen beruht und insoweit die Bedeutung von allgemeinen Erfahrungssätzen und antizipierten generellen Sachverständigengutachten hat (BVerwG, B.v. 7.5.2007 – 4 B 5/07). Die GIRL versucht, die Beeinträchtigung durch Gerüche mit einem Ausbreitungsmodell zu erfassen und bewertet die Zumutbarkeit von Gerüchen unter Berücksichtigung der Hedonik des Geruchs und der besonderen Umstände des Einzelfalls anhand einer prozentualen Schätzung der Jahresstunden, in denen die Gerüche auf die benachbarte Bebauung einwirken. Eine „volle“ Geruchsstunde wird bereits bei jeder positiven Einzelmessung, wenn also während mindestens 10 v. H. der Zeit (Geruchszeitanteil) Geruchsimmissionen erkannt werden (vgl. Nr. 4.4.7 der GIRL), angenommen. Zwar kann die Anwendung der GIRL nach der Rechtsprechung insbesondere des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 15.10.2012 – 1ZB 12.1021, 1 ZB 12.1022) zu einer „Überzeichnung“ von Gerüchen aus landwirtschaftlicher Tierhaltung und damit zu fragwürdigen Ergebnissen führen, weshalb die GIRL und darauf beruhende Gutachten nur ein Hilfsmittel bzw. nur eine Erkenntnisquelle unter vielen bei der Beurteilung von Gerüchen darstellen (vgl. VGH München, B.v. 3.5.2016 – 15 CS 15.1576 m.w.N.; BayVGH, B.v. 7.4.2014 – 2 ZB 13.527). Genau aus diesem Grund ist jedoch das Vorgehen nicht zu beanstanden, eine unzumutbare Belästigung von Nachbarn durch Gerüche aus Tierhaltung/Tierverarbeitung im Grundsatz dann auszuschließen, wenn (sogar) die nach der GIRL maßgeblichen Jahresgeruchsstunden eingehalten werden. Aus diesem Grund bestehen keine Bedenken, im vorliegenden Fall wegen der geruchlichen Vorbelastungen auf die GIRL als maßgebliche Erkenntnisquelle zurückzugreifen, weil sie als „komfortables worst-case-Szenario“ im Sinne einer konservativen Prognosesicherheit einen Berechnungs Weg aufzeigt, der jedenfalls dem Rücksichtnahmegebot gerecht wird und daher „auf der sicheren Seite“ liegt (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 25.7.2002 NVwZ-RR 2003, 24, VG München B.v. 14.3.2016 – 11 SN 15.840).
Entgegen der Ansicht der Klägerin sind auch weder die Gelben Hefte noch die „Abstandsregelung für Rinderhaltungen“ des Bayerischen Arbeitskreises Immissionsschutz in der Landwirtschaftals als Orientierungshilfe für die Geruchsimmissionen heranzuziehen. Der Anwendungsbereich beider ist bei einer klassischen Rinderhaltung eröffnet. Zwar werden Rinder auf dem Gelände der Klägerin untergebracht. Von einer Haltung im Sinne obiger Regelwerke ist jedoch nicht auszugehen. Es handelt sich vielmehr um eine „Zwischenlagerung“ der Rinder zwischen Anlieferung und Schlachtung und eben nicht um eine Unterbringung über einen längeren Zeitraum, der einer klassischen Rinderhaltung nahe kommt.
Auch verfängt der Einwand der Klägerin nicht, sie dürfe nach ihrer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung auch nahezu 100% Schweine schlachten, die bekanntermaßen mehr Gerüche emittieren. Dies müsse sie der zuständigen Behörde lediglich nach § 15 BImSchG anzeigen. Dabei verkennt die Klägerin, dass durch die Erhöhung der Schlachtzahl von Schweinen nachteilige Auswirkungen auf die Nachbarschaft hervorgerufen werden können. Infolgedessen handelt es sich um eine wesentliche Änderung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BImSchG, die einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedarf. Diese kann verweigert werden, wenn durch Schlachtung von 100% Schweinen (mehr) schädliche Umwelteinwirkungen zu Lasten der Nachbarschaft entstehen.
Nach dem vorgelegten Gutachten wird an dem streitgegenständlichen Vorhaben die belästigungsrelevante Kerngröße nach der GIRL von 10% relativer Geruchshäufigkeit knapp erreicht, jedoch nicht überschritten (Seite 43 der Gerichtsakte).
Damit liegt selbst im ungünstigsten Fall ein Wert vor, der hinsichtlich der Umnutzung in Wohngebäude für die Klägerin keine Befürchtung einer Verschärfung der immissionsschutzrechtlichen Anforderungen an seinen Betrieb erwarten lässt, weshalb das heranrückende Bauvorhaben ihm gegenüber nicht rücksichtslos ist.
3. Der Antrag der Klägerin auf immissionsschutzrechtliche Genehmigung aus dem Jahr 2014 zur Erweiterung des Betriebs steht dem Vorhaben nicht entgegen.
Zwar können Erweiterungen eines Betriebs, die vor der streitgegenständlichen Baugenehmigung beantragt wurde, einem später beantragten Vorhaben entgegengehalten werden, wenn sie zum einen bereits im vorhandenen baulichen Bestand ihren Niederschlag gefunden haben und zum anderen sie weder vage noch unrealistisch sind. Dieses Abwehrrecht folgt aus dem Rücksichtnahmegebot (BVerwG, B.v. 5.9. 2000 – 4B 56/00; U.v. 14.1.1993 – 4 C 19.90).
Sowohl aus den Akten als auch aus der Auskunft der Beklagten geht jedoch hervor, dass der Erweiterungsantrag der Klägerin schon aufgrund der vorhandenen Bebauung nicht genehmigungsfähig wäre, das streitgegenständliche Vorhaben somit keine Rolle für die Beurteilung der Erweiterungsabsichten der Klägerin hat.
Dies ergibt sich insbesondere auch aus dem Lärmgutachten. Darin wird festgestellt, dass die Immissionsrichtwerte am südlich des streitgegenständlichen Vorhabens gelegenen Wohngebäude (* …*) um 2 dB überschritten werden (Blatt 114 der Verfahrensakte). Bei diesem Gebäude handelt es sich ausweislich der Akten um ein Bestandsgebäude, dass schon vor dem Antrag aus dem Jahr 2014 vorhanden war. Damit wird deutlich, dass der klägerische Betrieb schon allein aufgrund der vorhandenen Bebauung beschränkt ist, weshalb ein Abwehrrecht der Klägerin gegen das streitgegenständliche Vorhaben auch aus diesem Grund ausscheidet.
Die Verletzung sonstiger Nachbarrechte wurde weder geltend gemacht noch ist eine solche er-sichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
Streitwert: § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Da sich der Beigeladene durch eine eigene Antragstellung am Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt hat, entspricht es der Billigkeit, dass seine außergerichtlichen Kosten von der Klägerin getragen werden (§§ 154 Abs. 3 1. Halbsatz, 162 Abs. 3 VwGO).


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